Zel, Feste

Nach neuntägiger Reise »durchs Leidige« gelangen die Midianiter mit ihrem Sklaven Joseph-Usarsiph an die nordöstliche Grenze Ägyptens zu der mächtigen Festung Zel, die an der »Landenge zwischen den Bitterseen« liegt (IV, 709). Es ist »die Brustwehr und ängstlich-mächtige Vorkehrung des feinen, glücklichen und verletzlichen Ägyptenlandes gegen Wüste, Räuberei und östliches Elend« (IV, 710). Als Teil einer weit hinlaufenden Mauer, der »Herrschermauer« (IV, 709), bewacht die Festung einen durch ein erzenes Tor gesicherten Brückenübergang (IV, 712 f.). Es ist ein gewaltiger Bau, »starrend von vierkantigen Zinnentürmen, Basteien, Toren des Ausfalls und Wehrbalkonen auf allen Seiten und mit vergitterten Fenstern in den schmaleren Aufgebäuden« (IV, 710).

Hier steht den Midianitern die »krittligste Prüfung« bevor (IV, 709), denn Pharaos Soldaten verweigern Fremden, die sich nicht ausweisen können, den Durchlass. Der alte Midianiter befiehlt seinen Leuten, sich vor der Ankunft gründlich zu waschen, damit »wir ihnen wie Menschen erscheinen und nicht wie Sandhasen«, und vertraut im Übrigen auf den Brief eines Handelsfreundes, mit dem er sich ausweisen will. Aber Hor-waz, der »Schreiboffizier« und Truppenvorsteher der Festung, der diesen Brief schon bei einer früheren Passage des Alten mit seinem Visum versehen hat (IV, 717), will ihn nicht ein zweites Mal als Ausweis akzeptieren. Erst als der Alte seine Bekanntschaft mit Mont-kaw ins Spiel bringt, gewährt er ihm und den Seinen Durchlass (IV, 718). So tritt Joseph, »von niemandem angesehen und mit keinem Namen genannt in Hor-wazens Amtsprotokoll« (IV, 719), ein in »Scheol« (IV, 720).

Viele Jahre später, während der sieben Dürrejahre, lässt er sich alle Grenzberichte der östlichen Grenzsperren vorlegen und liest sie »täglich von oben bis unten durch« in der Erwartung, irgendwann die Namen seiner Brüder zu lesen (V, 1585 f.). Im »zweiten Jahr der mageren Kühe« (V, 1586) ist es soweit: Ein Grenzprotokoll der Feste Zel, »mit rennendem Boten« nach Menfe gebracht, gibt kund, dass die »Söhne Jaakobs, des Sohnes Jizchaks, vom Haine Mamre«, die Grenzfestung passiert haben (V, 1590).

Als dann Jaakob mit seiner ganzen Sippe und Habe vor die »grimme Paßfeste« gelangt, öffnen sich die Tore von selbst, denn er kann Papiere vorweisen, wie sie »Leute des Elends entschieden noch niemals geführt, die an die Pforte Ägyptenlands geklopft hatten« (V, 1737).

Die Festung Tjaru (Zaru, Sile, Zele), die 2007 bei Ausgrabungen gefunden wurde (vgl. Bericht von National Geographic), lag nördlicher und etwas westlicher als Erman/Ranke vermuteten (vgl. Karte S. 47 in Erman/Ranke und hier Karte von Ägypten) – Fischer weist darauf hin, dass sie nicht, wie Erman/Ranke (33) annehmen, Teil der Herrschermauer war (Fischer, 465). – TMs Beschreibung der Festung stützt sich vermutlich auf Erman/Ranke (644 f, 628 f.) und auf eine in mehreren seiner Aegyptiaca und auch hier abgebildete rekonstruktive Zeichnung der Festung Semna am 2. Katarakt (Erman/Ranke 628; Wiedemann 159 u.a.).

Bei Erman/Ranke (645) finden sich Proben der ›Grenzprotokolle‹, wie Hor-waz sie über passierende Reisende abfassen muss. Das später von Joseph gelesene Protokoll (V, 1585) ist, worauf Fischer (745) hinweist, ein Zitat aus dem Papyrus Anastasi VI, 4, 14 ff. (zitiert bei Jeremias I, 340 f.).

Die Beschreibung des Bildschmucks am Mauertor, darstellend die »riesige Figur eines nackthalsigen Geiers mit gebreiteten Fittichen«, der rechts und links von Uräusschlangen »mit geblähten Köpfen auf ihren Bäuchen stehend« gerahmt wird (IV, 712 f.), hat nach Wyslings Vermutung ihr Vorbild in der Fotografie einer nicht näher identifizierten Wandmalerei, die sich unter TMs Arbeitsmaterialien fand (vgl. die Abbildung bei Wysling, 216). Meines Erachtens handelt es sich dabei um die Fotografie eines Wandfrieses aus dem großen Tempel der Hatschepsut in Deir-el-Bahari. Die Uräusschlangen befinden sich freilich nicht seitlich, sondern in einem Fries oberhalb der Geierfigur und sind auf Thomas Manns Foto nur im Anschnitt zu sehen.

Abb.: (1) Zeichnung (Rekonstruktion) der Grenzfestung Semna. – (2) Wandfries im Tempel der Hatschepsut.

Letzte Änderung: 08.08.2013  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück