Carl Sternheim: Die Hose (1911)

Maske, Theobald

Theobald, ein »einfacher Beamter« (I, 1), ist mit dem Platz, an dem er steht, zufrieden. »Nur besondere Tüchtigkeit oder außerordentliche Schande könnten mich um die Sicherheiten bringen, die er verbürgt« (III,1). Ihm liegt entschieden daran, nicht aufzufallen, denn nach seiner Überzeugung garantiert seine Unscheinbarkeit ihm seine Freiheit, ist die »Tarnkappe, unter der ich meinen Neigungen, meiner innersten Natur frönen darf« (III,1). Die Reize seiner Frau Luise gefährden dieses Programm, weshalb sie sie nach seinem Willen in möglichst unmodischer Kleidung verstecken muss (I,1). Ihr Malheur mit der rutschenden Unterhose bringt ihn folgerichtig aus der Fassung (I,1).

Es beschert ihm aber auch zwei Untermieter, Scarron und Mandelstam, die seine Kasse aufbessern. Ihre erotischen Absichten und Luises Schwäche für Scarron scheint er nicht zu bemerken, zumindest tut er so. Allerdings hängt in Scarrons Zimmer ein Bildnis mit dem Titel »Joseph vor Potiphar«, das er nach Scarrons Auszug und vor dem Einzug des Fremden gegen ein weniger beziehungsreiches Bild (»Boa Constriktor im Kampf mit einem Löwen«) austauscht (IV, 8).

Über Mandelstams und Scarrons Ansichten von höherer Bildung und gesellschaftlichem Fortschritt macht er sich lustig und vertritt ungerührt seine philiströse Lebensanschauung. Scarrons Suada über Männlichkeit und ›Herren-Moral‹ hält er die Einsicht entgegen, dass Frauen ein Herz haben, Kinder zur Welt bringen und die Hälfte der Menschheit ausmachen (III,1). Seine Sympathie mit dem weiblichen »Gemüt« hindert ihn freilich nicht, Luise jederzeit über den Mund zu fahren, ihr Schläge anzudrohen und ein Verhältnis mit der Nachbarin Deuter anzufangen (IV,4 und IV,7).

Am Ende ist Theobald, der betrogen werden sollte, auf ganzer Linie siegreich: Mandelstam, durch Theobalds Vortrag über zerrüttete Nerven paralysiert, gibt seine Absichten bei Luise auf; Scarron, durch Theobalds Weltanschauung verunsichert, findet ein neues erotisch-poetisches Projekt, zahlt eine volle Jahresmiete und überlässt Theobald das Zimmer zu neuer Vermietung an den erotisch ungefährlichen Stengelhöh; Luise nimmt von ihren ehebrecherischen Wünschen Abstand und geht in die Kirche. Und Theobald überschlägt seine unerwarteten Einnahmen und kommt zu dem Schluss, dass er es nun ›verantworten‹ kann, mit Luise ein Kind zu zeugen (IV, 9).

Dieses Kind wird, wie man drei Jahre nach Erscheinen der »Hose« erfahren konnte, auf den Namen Christian getauft werden. Sternheim macht ihn zum Helden seiner 1914 erschienenen Komödie »Der Snob«.

Maske, Luise

Die hübsche, etwas verträumte Luise, seit einem Jahr mit Theobald Maske verheiratet, wird von ihrem Ehemann kurz gehalten. Weil sein Gehalt für ein Kind nicht ausreicht, ist das eheliche Liebesleben auf unbestimmte Zeit verschoben. Außerdem darf Luise keine modische Kleidung tragen, muss sich sogar möglichst »unvorteilhaft herausputzen«, damit niemand ihr »niedliches Gesicht« und ihre hübsche Gestalt bemerkt. Denn für Theobald ist die Attraktivität seiner jungen Frau der eine Teil »zweier ein Ding bildenden Faktoren«, deren »Nichtzusammengehen« Ärger verheißt. Der andere Teil ist sein bescheidenes Amt, um dessentwillen er jede Art von Aufsehen zu vermeiden wünscht (I, 1).

Ein gerissenes Hosenband macht diesen Wunsch zunichte. Es lässt Luises weißleinene Unterhose zu Theobalds Entsetzen auf offener Straße zu Boden sinken. Sie kann das pikante Malheur zwar rasch kaschieren, aber das kurze Aufblitzen des Wäschestücks unter ihrem Rocksaum beschert ihr zwei Verehrer, Scarron und Mandelstam. Die finden sich umgehend bei den Maskes ein, um sich in zwei zur Untermiete feilgebotene Zimmer der ehelichen Wohnung einzumieten.

Mandelstam hat bei Luise keine Chancen, aber Scarrons Wortkaskaden und die kupplerischen Reden der Nachbarin Deuter tun ihre Wirkung. Vor deren Konsequenzen bleibt Luise aber durch den Verehrer selbst verschont, denn der zieht es vor, seine Gefühle zu Papier zu bringen statt das von ihm angefachte Feuer zu stillen.

Die enttäuschte Luise geht in die Kirche. Währenddessen betrügt Theobald sie mit ihrer ›Freundin‹ Gertrud Deuter, und Scarron, der sich über Nacht einer neuen Leidenschaft zugewandt hat, kündigt das Mietverhältnis. Die Jahresmiete, die er dennoch vertragsgemäß zahlt, verändert die Lage grundlegend: Theobald kann es jetzt, wie er der vom Kirchgang heimkehrenden Luise verkündet, »dir ein Kind zu machen, verantworten« (IV, 9).

Deuter, Gertrud

Nachbarin der Maskes, zweiunddreißigjährig, alleinstehend und auf dem Weg zur alten Jungfer. Sie ermutigt Luise zum Ehebruch mit Scarron, um ihre unerfüllte »unbändige Lebenslust« durch voyeuristische Teilhabe zu befriedigen (I, 6), und näht ihr für das amouröse Abenteuer eine reizvolle Unterhose aus Batist. Die wird dann aber Anlass für die Umkehrung der geplanten Affäre: Der Anblick der »verschmitzten Hose« mit den rosa Schleifchen entflammt Theobald für die lüsterne Näherin, und so ist es zuletzt nicht Luise, sondern Theobald, der den Ehebruch begeht (IV, 4).

Scarron, Frank

Der schriftstellernde Elégant und Nietzsche-Adept verabscheut alles Schwache und bramarbasiert vom schönen starken Leben, dem er indes selbst nicht gewachsen ist. Er wird Zeuge von Luises Malheur mit der rutschenden Unterhose, ist entschlossen, sie zu verführen, und mietet sich zu diesem Zweck bei den Maskes als Untermieter ein. Als ihm aber die liebeshungrige Luise nachgerade in die Arme zu sinken im Begriff steht, fühlt er sich »selig abgewendet«, eilt in sein Zimmer, um den Kasus literarisch statt praktisch zu gestalten (II, 4).

In der darauffolgenden Nacht, nach einer Wirtshaustour mit Theobald Maske, dessen selbstsicher vertretene philiströse Gesinnung ihn stark verunsichert, verfällt er einer neuen Leidenschaft, einer Dirne, die ihm die Wahrheit seines nietzscheanischen »Evangeliums« vom Übermenschen und seinen »Glauben an des Menschengeschlechts Entwicklungsmöglichkeit« wiederherstellen soll (IV, 8). Er kündigt seinen Mietkontrakt, zahlt Theobald vertragsgemäß die Jahresmiete auf einmal aus und sorgt so für die »Entwicklungsmöglichkeit« des von ihm verachteten Philistergeschlechts: Der unverhoffte Geldsegen macht es Theobald möglich, mit seiner Luise ein Kind zu zeugen.

Mandelstam, Benjamin

Brustschwacher Friseurgehilfe, der Luises Malheur miterlebt, sich umgehend in sie verliebt und bei den Maskes einmietet. »Mandelstam aus dem Stamm der Arier«, wie Theobald Maske spöttelt, verleugnet sein Judentum (I, 7). Er schwärmt für Wagner. »Abends, jeden Groschen, den ich zurücklege, alles für Wagner. Lohengrin habe ich dreimal gehört« (I,7). Dies und seine schwache körperliche Konstitution machen ihn zu einem Abziehbild von Nietzsches Décadent (vgl. Nietzsches »Der Fall Wagner«, 1888). Seine Bewunderung für das vitalistische Geschwätz des Nietzsche-Adepten Scarron, die seiner anfänglichen Eifersucht auf den Nebenbuhler weicht, vervollständigt das Bild. Nachdem Theobald ihm einen Vortrag über die Zerrüttung seiner Nerven gehalten hat, verfällt er in Hypochondrie und verliert darüber sein amouröses Vorhaben aus den Augen (III,1).

Fremder, Ein (Stengelhöh)

Ein düsterer Herr im Vollbart, der sich in das von Scarron geräumte Zimmer bei den Maskes einmietet, nachdem er sich davon überzeugt hat, dass die Wohnung weder Klavier noch Nähmaschine, weder kleine Kinder noch heiratsfähige Töchter beherbergt. Er heißt Stengelhöh, ist »wissenschaftlich tätig« und leidet an Verstopfung. Nach Abschluss des Mietkontrakts tauscht Theobald das Bild in dem Zimmer aus: »Boa Constriktor im Kampf mit einem Löwen« statt »Joseph vor Potiphar« (IV, 8).

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