Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras (1951)

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Alexander

Schauspieler, verheiratet mit Messalina, mit der er eine kleine Tochter, Hillegonda, hat. Er ist der Mann der Stunde und spielt in populären deutschen Filmproduktionen die Liebhaberrollen. »Er zog noch. Alexander, die Liebe des Erzherzogs. Die Leute hatten die Nase voll; sie hatten genug von der Zeit, genug von den Trümmern, die Leute wollten nicht ihre Sorgen, […] nicht ihr Elend gespiegelt sehen« (II, 14).

Von den Partys, die Messalina nahezu Abend für Abend in seinem Haus organisiert, ist Alexander ständig müde und übernächtigt (II, 13). Er nutzt seinen Ruhm, um Frauen zu verführen, versagt aber im Bett, so auch bei Susanne, die am Morgen »neugierig, enttäuscht und böse auf alles (sah), was an Alexander schlapp war«. Alexander ist das gleichgültig: »Er dachte ›schau dir es an, erzähl, was du willst, sie glauben es dir nicht, ich bin ihr Idol« (II, 14). Er macht sich Vorwürfe, dass er sich zu wenig Zeit für sein Kind nimmt (ebd.).

Nach den Dreharbeiten fühlt er sich »müde, leer und elend« und würde gerne seine Frau anrufen, um sie daran zu hindern, erneut eine Party zu veranstalten. »Er hätte ihr gern gesagt: ›Ich bin müde. Heute abend gibt es kein Fest, keine Gesellschaft. Ich bin müde. Ich will schlafen. Ich muß schlafen. Ich werde schlafen. Verdammt noch mal. Ich werde schlafen!«. Doch er kann sie telefonisch nicht erreichen, und am Abend »würde er es ihr nicht sagen« (II, 116).

Zu Hause wirft er sich unausgezogen auf ein Sofa. »Er hatte es satt. Satt die Erzherzogrolle. Satt das geborgte Heldentum.« Er schämt sich der Heldenrollen, die er während des Krieges gespielt hat, in dem andere starben, und erinnert sich an den Diplomatenbunker des Adlon-Hotels, in dem er bei Bombenangriffen sicher war: »Das war ein Bunker für feine Leute, Landser auf Urlaub wurden nicht ‘reingelassen« (II, 148). Über solchen Gedanken fällt er in einen dumpfen, traumlosen Schlaf (II, 148).

Am Abend besucht er mit Messalina den Vortrag von Mr. Edwin, bei dem er ebenso einschläft (II, 204) wie auf der anschließenden Party in seinem Haus (II, 217).

Alfredo

Die lesbische Malerin und Bildhauerin ist Dauergast auf Messalinas Partys. Deren Mann Alexander findet sie am Morgen auf einem Sofa schlafend: »klein, zerzaust, hingesunken, niedlich, Erschöpfung und Enttäuschung im Gesicht, Krähenfüße um die geschlossenen Augen, mitleiderregend. Alfredo war amüsant, wenn sie wach war, eine schnell verbrennende Fackel; sie sprühte, witzelte erzählte, girrte, scharfzüngig, erstaunlich« (II, 13).

Sie hat ein »angestrengtes, müdes, enttäuschtes Gesicht, das Spitzgesicht einer Katze von den Inschriften der Pyramiden« (II, 182). Bei Mr. Edwins Vortrag schläft sie, den Kopf an Hänschens Schulter gelehnt, ein und träumt »etwas furchtbar Unanständiges« (II, 205). Auch die anschließende Party verschläft sie (II, 217).

Anne, Gräfin

Eine »überaus geschäftstüchtige, gewissensfreie, herzlose und aller Welt bekannte Dame aus der politischen Kulissenfamilie, die Hitler auf den Reichskanzlerstuhl half, wofür dann Hitler, zur Macht gekommen, die Familie bis auf die dürre Anne ausrottete, eine Nazistin mit dem Opfer-des-Faschismus-Ausweis, das eine von Natur, den Ausweis besaß sie zu Recht« (II, 55). Sie will Philipp dazu bringen, sich aufzuraffen und ein Filmskript für Alexander schreiben, was er ablehnt (II, 55). Schließlich wirbt sie ihn als Vertreter für einen Patentkleber (II, 56).

Baronin

Eine Patientin von Dr. Behude und Vermieterin von Schnakenbach, der bei ihr im Keller wohnt. Sie leidet unter der Wahnvorstellung, zum Straßenbahndienst eingezogen geworden zu sein, und fährt seitdem acht Stunden täglich durch die Stadt, »was sie täglich drei Mark kostete und sie, was schlimmer war, ›enervierte‹, wie sie zu Behude sagte, den sie um Dienstbefreiungsatteste anging, die er ihr aber nicht ausstellen konnte, da sie ja zu keinem Dienst verpflichtet war« (II, 121).

Behrend, Frau

Mutter von Carla und Ehefrau des ehemaligen Obermusikmeisters Behrend, »der sich in irgendeiner vom Führer besetzten und dann wieder verlorenen Gegend Europas an eine bemalte Schlampe gehängt hatte und nun in Gott weiß was für Kaffeehäusern für Neger und Veronikas Wenn-ich-nach-Alabama-komm spielte« (II, 19).

Frau Behrend liest Heftchenromane (II, 21) und träumt von ihrer heilen Vergangenheit. Sie hält sich für ein unschuldiges Opfer des Krieges. »Frau Behrend hatte den Krieg nicht gewollt. Der Krieg verseuchte die Männer« (II, 19). Der Zusammenhang zwischen dem Krieg und den nationalistischen und rassistischen Normen, denen sie selbst weiterhin anhängt, bleibt ihr verborgen (II, 19-21).

Ihr Rassismus bestimmt auch ihr Verhältnis zur Tochter. Bei der Vorstellung, dass Carla sich mit einem Schwarzen, Washington, eingelassen hat, graust es ihr (II, 117). Sie kann sich nicht entscheiden, was schlimmer wäre: Das Kind eines Schwarzen auszutragen oder es abtreiben zu lassen. Schließlich kommt sie zu dem Ergebnis, dass eine Abtreibung die bessere Lösung sei. Den in ihren Augen losen Lebenswandel der Tochter hält sie für ein Erbteil ihres untreuen Ehemannes, den Carla stets verteidigt hat: »sie mußte ihn verteidigen, mußte ihn mit seinem Flitscherl verteidigen, sie hat das von ihm, das Musikerblut, sie sind Zigeuner, nur die Wehrmacht hielt sie in Zucht« (II, 117).

Als sie vom Domcafé, ihrem »Nachmittagssitz« (II, 110), nach Hause zurückkehrt, erfährt sie vom Besuch Richard Kirschs, eines entfernten Verwandten aus Amerika, dessen Vater, Wilhelm Kirsch, ihr nach Kriegsende Pakete geschickt hatte (II, 138). Sie bedauert, ihn verfehlt zu haben, und gibt Carla die Schuld an seinem Verschwinden: »der Ariernachweis war lückenlos gewesen, und nun diese Schande! […] Der junge Kirsch war vor der Unmoral geflohen, er war davongelaufen vor der Schande und der Verkommenheit« (II, 138). Der Lebensmittelhändlerin, die ihr ausrichtet, dass Richard sie im Bräuhaus erwartet, glaubt sie zunächst nicht, sucht dann aber doch nach ihm, ohne ihn zu kennen. Sie sieht ihn mit dem »Fräulein« im Bräuhaus sitzen und es küssen und ist überzeugt, dass der junge Mann nicht Richard sein kann: »›er würde sich nie so benehmen, auch wenn er in Amerika groß geworden ist, würde er sich nie so benehmen‹« (II, 194).

Im Bräuhaus hört sie von dem Mord eines Schwarzen (Odysseus) an dem Dienstmann Josef, den das Gerücht inzwischen zu einem Taxifahrer gemacht hat: »Ein Neger hatte gemordet, Neger waren Verbrecher, die Polizeisirenen kreischten, man suchte den Neger. ›Es ist eine Schande‹, sagte Frau Behrend. ›Sie sind wie die wilden Tiere‹« (II, 198). Inmitten der aufgebrachten Menge vor dem Bräuhaus sieht sie Carla mit Washington aus dem Klub der amerikanischen Soldaten kommen. Sie ruft »Da ist er!« (II, 210) und meint damit den Freund ihrer Tochter. Ihre beiden Begleiter aber, zwei Geschäftsmänner, glauben, dass sie den ›Taximörder‹ identifiziert hat, und setzen das Gerücht in Umlauf, so dass die Menge von einer neuen »Welle der Wut« erfasst wird und beginnt, mit Steinen nach Washington zu werfen. Frau Behrend stellt die Situation nicht klar, sondern schweigt.

Behrend, Herr

Ehemaliger Obermusikmeister der Wehrmacht, Ehemann von Frau Behrend, die er verlassen hat, um mit Vlasta zusammenzuleben, einem »Tschechenmädel«, das er »im Protektorat Böhmen und Mähren kennengelernt« hat. Bei Kriegsende in Prag hatte Vlasta ihn in einer Truhe versteckt, später waren sie gemeinsam aus der Tschechoslowakei nach Deutschland geflohen (II, 187). Seiner Ehefrau zahlt Herr Behrend regelmäßig Unterhalt (II, 19 f.).

Seit dem Ende des Krieges verdient er sein Geld als Leiter einer Kapelle, die am Abend des erzählten Tages im Klub der amerikanischen Soldaten spielt. Herr Behrend spielt gern in Klubhäusern der amerikanischen Armee, weil man ihn dort gut bezahlt (II, 187).

Er ist glücklich mit Vlasta und liebt sie. Beide haben ein »Geheimnis: sie hatten sich gegen die Welt gestellt und sich behauptet; sie hatten sich jeder gegen die eigene Umwelt und ihre Anschauungen gestellt, und sie hatten den Kreis des Vorurteils, der sie einengen wollte, gesprengt. […] Sie hätten es vorher nicht für möglich gehalten, daß man so frei und so glücklich sein könne« (II, 187 f.).

Im Klub trifft er seine Tochter Carla mit ihrem Freund Washington. Er stellt ihr Vlasta vor. »Sie waren alle drei verlegen. Aber sie dachten nichts Böses voneinander.« Trotz seiner Vorurteilslosigkeit fragt sich Herr Behrend, »ob es recht von Carla ist, einen Neger zu lieben«, und für einen Moment »regte sich in allen das Gift des Zweifels. Sie dachten ›wir verkehren miteinander, weil wir alle deklassiert sind‹. Aber weil sie sich an diesem Abend froh fühlten, hatten sie die Kraft, den Zweifel zurückzudrängen, die hämischen Empfindungen zu töten. Sie blieben freundlich und liebten sich« (II, 195).

Behude, Dr.

Ehemaliger Militärarzt, jetzt »Facharzt für Psychiatrie und Neurologie« (II, 46). Zu seinen Patienten gehören auch Philipp, Messalina und Schnakenbach.

Wie viele andere ehemalige Militärärzte, die nicht mehr gebraucht werden, spendet Dr. Behude Blut, um an Geld zu kommen, denn die meisten seiner Patienten können ihn nicht bezahlen (II, 25 f.). Für jede Blutspende bekommt er zehn Mark.

Die Blutspende gehört auch zu seinem Programm der Selbstkasteiung, die er seinem ›kleinen, zierlichen, strammen Körper‹ zumutet (II, 25). »Es war eine mönchische Geißelung, der er sich unterzog, und die Blutentnahme war ein Versuch, wie die Hanteln, die Morgenläufe, die Rumpfbeugen, die Atemübungen, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen den Kräften und Forderungen des Körpers und der Seele.« Er »reinigte sich, er bereitete sich vor« für seine Patienten, »die Kraft und Lebensmut von ihm zapfen wollen« (II, 26).

Auf dem Rückweg wird ihm auf seinem Fahrrad schwindlig (II, 46). Er fährt zu Schnakenbach, um ihm das Medikament zu bringen, das er ihm verweigert hatte. Er trifft Schnakenbach nicht an, schaut sich kurz in seiner Kellerbehausung um und legt ihm die Packung Pervitin auf den Gartentisch (II, 122).

Er mag Philipps Frau Emilia und hält sie für gefährdeter als ihn. Aber »Emilia kam nicht in seine Sprechstunde und versteckte sich, wenn er Philipp zu Hause besuchte« (II, 46). Während er Philipp in seiner Praxis behandelt, beginnt er, über Emilias und Philipps Ehe nachzudenken. Er möchte beide heilen, gesteht sich aber ein, dass er eigentlich nur mit Emilia schlafen möchte: »ich müßte mehr Sport treiben, ich denke zuviel an Emilias infantile Reize, mit mir wird sie nicht schlafen, bis sie geheilt ist schläft sie nur mit Philipp« (II, 142).

Nach Beendigung seiner Sprechstunde fühlte Behude sich »schlapp und leer« (II, 174). Er kehrt, wohl in der leisen Hoffnung, Emilia hier zu treffen, am Stehausschank des alten Nazis ein und trinkt Wodka, obwohl er Alkohol gar nicht mag (II, 173) und eigentlich auch kein Geld hat. »Zwei Patienten hatten Behude wieder angepumpt. Behude konnte sie nicht abweisen. Er behandelte ja die Leute wegen Lebensuntüchtigkeit.« Das politische Geschwätz des alten Nazis stößt ihn ab. »›Sie haben wieder Oberwasser‹, dachte Behude, ›was auch geschehen mag, es treibt sie nach oben‹« (II, 174).

Er geht zu Mr. Edwins Vortrag, er möchte »das Gespräch über den abendländischen Geist, die Rede über die Macht des Geistes, Sieg des Geistes über die Materie« hören (II, 46). Er sieht, wie Schnakenbach das Mikrofon an sich nimmt und eine Rede zu halten beginnt (II, 185). Er führt ihn vom Mikrophon weg und setzt sich mit ihm neben die Schüler einer Philosophieklasse des Priesterseminars (II, 203).

Nach dem Vortrag bringt er Schnakenbach nach Hause, der ihm bei dieser Gelegenheit sein Weltbild erklärt. »Es ist Blödsinn, aber vielleicht hat er recht, wir kennen uns weder im Kleinen noch im Großen aus, wir sind gar nicht mehr zu Hause in dieser Welt, die Schnakenbach mir in einer Formel deuten will, wußte Edwin eine Deutung? Er wußte keine, sein Vortrag ließ mich kalt« (II, 215).

Brüder, Dienende

Als Josef bewusstlos auf dem Boden liegt, kommen aus dem gegenüberliegenden Heiliggeistspital  »vier Dienende Brüder mit einer Bahre«. Sie sehen »arm und wie gescheiterte Verschwörer in einem klassischen Drama aus.« Sie bringen den Sterbenden in das Spital (II, 162).

Burnett, Mildred

Die 45-jährige Amerikanerin ist im Autobus mit einer Gruppe Lehrerinnen aus Massachusetts in der Stadt unterwegs (II, 50). »Sie hatten einen Tag für die Stadt und zwei weitere für die amerikanische Besatzungszone in Deutschland« (II, 51).

Mildred ist unzufrieden mit ihrer Reisegesellschaft (»es ist blöd mit lauter Weibern zu reisen«) und mit der Reise: »was sieht man? nichts, jedes Jahr lass’ ich mich wieder darauf ein, die gefährlichen Krauts, die Judenschinder, jeder Deutsche unterm Stahlhelm, ich seh’ nichts, friedliche Leute, arm wohl, ein Soldatenvolk« (S. 52).

In der Halle von Mr. Edwins Hotel treffen die Lehrerinnen auf Philipp, den sie zunächst für Edwins Sekretär halten (II, 96 ff.). Um ihrer Kollegin Kay eine Begegnung mit dem von ihr verehrten Dichter zu verschaffen, stellt Mildred sie dem vermeintlichen Sekretär vor und bittet ihn, Kay zu Edwin zu führen (II, 97).

Später, auf dem Weg der Lehrerinnen zu Mr. Edwins Vortrag, auf dem Katharine Wescott über »den großen Platz, eine von Hitler entworfene Anlage«, doziert, die sie überqueren, ist Mildred mit den Gedanken woanders: »Im Gras hockten Vögel. Miß Burnett dachte ›wir verstehen nicht mehr als die Vögel von dem was die Wescott quatscht, die Vögel sind zufällig hier, wir sind zufällig hier, und vielleicht waren auch die Nazis nur zufällig hier« (II, 165). Als Katharine sie auffordert, sich statt für Spatzen doch lieber für die »Weltgeschichte« zu interessieren, antwortet sie: »Das ist dasselbe, […] es spielt sich alles unter Spatzen ab« (II, 166).

Beim Vortrag von Mr. Edwin sitzt die Reisegruppe in der ersten Reihe. Mildred hält die Veranstaltung für einen großen Zirkus (II, 183). Während des Vortrags kann sie sich nicht auf Edwins Worte konzentrieren. Sie hat Hunger, »immer wenn ich einen Vortrag höre, kriege ich furchtbaren Hunger, mit mir muß was nicht stimmen; ich fühle mich nicht erhoben, ich fühle mich hungrig« (II, 205).

Carla

Freundin von Washington Price und Tochter von Herrn und Frau Behrend. Sie ist 30 Jahre alt (II, 85) und hat einen elfjährigen Sohn, Heinz. Mit achtzehn hatte sie, bereits schwanger (II, 84), einen deutschen Soldaten geheiratet, der seit Kriegsende als verschollen gilt (II, 84). Während des Kriegs hatte sie im »deutschen Wehrmachtsbüro« als Sekretärin des »Platzkommandanten« (II, 48) und nach dem Krieg in der »Kaserne der Schwarzen« gearbeitet (II, 47).

Dort hat sie Washington kennengelernt. »Sie träumte von Negern. Im Traum wurde sie vergewaltigt. Schwarze Arme griffen nach ihr: wie Schlangen kamen sie aus den Kellern der Ruinen. Sie sagte: ›Ich kann nicht mehr.‹ Er kam mit auf ihr Zimmer. Es war wie ein Ertrinken« (II, 49).

Kurz darauf gibt Carla die Stellung in der US-Kaserne auf und mietet zwei Zimmer in der Wohnung von Frau Welz, die in den übrigen Zimmern ihrer Wohnung ein Bordell betreibt (II, 83 f.). Deshalb und weil sie mit einem Schwarzen zusammen ist, hat Carla mit Vorurteilen zu kämpfen, denen sie teilweise selbst verhaftet ist. Sie möchte das Kind, das sie von Washington erwartet, durch Dr. Frahm abtreiben lassen (II, 50), weil es das Kind eines Schwarzen ist. Sie mag Washington zwar, aber sie bereut es, sich mit einem schwarzen Amerikaner eingelassen zu haben. »Carla war in den falschen Zug gestiegen. […] Nur der Zug der weißen Amerikaner führte in die Traumwelt der Magazinbilder, in die Welt des Wohlstandes, der Sicherheit und des Behagens« (II, 123).

Bei einer Begegnung mit der Mutter an deren »Nachmittagssitz«, dem Domcafé (II, 110), entsteht kein Gespräch, obwohl beide ihre Gedanken kennen. Carla weiß, dass die Mutter ihre Verbindung mit einem Schwarzen ebenso verabscheut wie eine Abtreibung, und »ihr eigenes Denken bewegte sich nicht fern von den Mutter-Gedanken, vielleicht war es Schande, war es Verbrechen, was sie tat und tun wollte« (II, 114).

In der Klinik erfährt sie, dass kein Bett für sie reserviert worden ist. Dr. Frahm, der nach seinem Gespräch mit Washington stillschweigend von seiner Zusage an Carla Abstand genommen hat, leugnet ihre Abmachung und weigert sich, den Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen.

Carla ahnt, dass Washington dahinter steckt. Sie macht ihm Vorwürfe und bewirft ihn voller Wut mit Tellern und Tassen. Aber Washington nimmt sie in die Arme. » Wir lieben uns doch, warum sollen wir’s nicht durchstehen? Warum sollen wir’s nicht schaffen? Wir müssen uns nur immer lieben.« (II, 160).

Als sie später mit Washington am Fluss entlang fährt, fühlt sie sich plötzlich befreit von dem »Traum an die faule Glückseligkeit«, den ihr die Magazine vorspiegeln. »Sie glaubte wieder. Sie glaubte an Washington« (II, 172) und an seinen Traum von einem Leben ohne Anfeindungen in Paris, wo er ein Lokal eröffnen möchte. »Die Franzosen freuten sich, wenn einer bei ihnen leben wollte. Carla und Washington würden das Lokal errichten, Washington’s Inn, die Wirtschaft, in der niemand unerwünscht ist« (II, 172 f.).

Im Klub der amerikanischen Soldaten begegnet Carla ihrem Vater und dessen tschechischer Freundin Vlasta. »Sie waren alle drei verlegen. Aber sie dachten nichts Böses voneinander.« Nur für einen Moment »regte sich in allen das Gift des Zweifels. Sie dachten ›wir verkehren miteinander, weil wir alle deklassiert sind‹. Aber weil sie sich an diesem Abend froh fühlten, hatten sie die Kraft, den Zweifel zurückzudrängen« (II, 195).

Als der Klub von einer aufgebrachten Menge bedroht wird, verlassen Carla und Washington das Gebäude. Auf dem Weg zum Auto werden sie von der wütenden Menge, die Washington, fehlgeleitet durch einen Ruf von Carlas Mutter, für den ›Taximörder‹ hält, mit Steinen beworfen (II, 210).

Cotton, Odysseus

Afro-Amerikaner aus Memphis, Tennessee (II, 112), der die Stadt als Tourist besucht. Mit seinem Kofferradio kommt er am Bahnhof an, »ein großer König, ein kleiner Sieger, jung, lendenstark, unschuldig, tierhaft« (II, 40).

Gemeinsam mit seinem Gepäckträger Josef macht er sich auf den Weg in die Stadt. Menschen säumen seinen Weg, die den schwarzen Amerikaner misstrauisch beäugen. »Odysseus stieß sie zurück, sanft, gewaltig wie ein Walfisch, drängte sie beiseite, die kleinen mickrigen Gauner, die Pickelgesichter, die Stinknasen, die ausgevögelten Burschen« (II, 42).

Im Wirtshaus »Zur Glocke«, das »bis auf die Grundmauern abgebrannt und nun als Bretterhütte wiedererstanden« ist (II, 55), trinkt er mit Josef ein Bier und spielt Würfelspiele mit einigen Griechen, die ihn mit gezinkten Würfeln betrügen. Er durchschaut den Trick und startet eine Siegesserie: »Die Griechen wankten zurück. Odysseus’ Rücken deckte den Tisch. Der Tisch war die Front. Er feuerte Serien ins Holz, ein Bombardement des Glücks« (II, 81).

Auf dem Turm des Doms schaut er »zufrieden über die Stadt. Er stand oben. Sie lag unter ihm«. Mit einem Rotstift schreibt er seinen Namen auf eine Steinfigur (II, 112). Anschließend besucht er mit Josef ein Baseball-Spiel im Stadion. Er wirft eine Coca Cola-Flasche nach Washington Price, als dieser einen Lauf verliert (II, 127).

Nach dem Spiel kehren beide in der Heiliggeistwirtschaft ein und trinken Schnaps. Odysseus entlohnt Josef mit 50 Mark und bittet ihn, noch bei ihm zu bleiben, bis er »mit einem Mädchen in der Nacht verschwinden würde« (II, 151). Er winkt Susanne zu sich, die sofort zu ihm kommt und ihn umarmt. Dabei stiehlt sie ihm alles Geld aus der Tasche (vgl. II, 161).

Als Odysseus bemerkt, dass er bestohlen worden ist, beschuldigt er verschiedene Gäste, die sich daraufhin gegen ihn verbünden: »die Meute sprang auf, die Herde setzte sich durch, Kameradschaft siegte, Gemeinnutz geht vor Eigennutz, sie stürzten sich auf ihn, sie nahmen Bierseidel, Stuhlbeine, feststehende Messer, sie stürzten sich auf den großen Odysseus, die Schlacht brandete, tobte, ruckte, Odysseus war in Feindesland, es ging um sein Leben« (II, 158). Mit Josef flieht er nach draußen, die aufgebrachte Menge folgt ihnen.

Hinter Trümmern der Heiliggeistkirche liegend, fühlt sich Odysseus, als sei er »wieder im alten Krieg Weiß gegen Schwarz« (II, 159). Er schlägt Josef mit einem Stein gegen den Kopf, nimmt ihm das Geld ab, das er ihm vorher gegeben hatte, und flüchtet zum Klub der amerikanischen Soldaten. Wenig später stirbt Josef an den Folgen des Schlags.

Im Klub trifft Odysseus Susanne wieder, und während in der Stadt nach Josefs Mörder gefahndet wird und »Fama« aus dem Dienstmann Josef einen Taxifahrer macht (II, 189, 192), tanzt er mit ihr zur »Hot-Weise des Musikmeisters« Behrend. Sie gleiten »wie ein Leib im Tanz über das Parkett, wie eine vierfüßige sich windende Schlange. […] Die Schlange hatte vier Beine und zwei Köpfe, ein weißes und ein schwarzes Gesicht, aber nie würden die Köpfe sich gegeneinander wenden, nie die Zungen gegeneinander geifern: sie würden sich nie verraten, die Schlange war ein Wesen gegen die Welt« (II, 196).

Als der Klub von der aufgebrachten Menge aus dem Bräuhaus attackiert wird, flieht Odysseus mit Susanne in eine Seitengasse (II, 209). In einer Ruine schlafen sie miteinander. Sie »lagen wie auf einem Floß, im Taumel der Vermischung lagen sie wie auf einem Floß, nackt und schön und wild, sie lagen unschuldig auf einem Floß, das in die Unendlichkeit segelte« (II, 215).

Dirne, die alte

Betreibt einen Stehausschank im Heiliggeistviertel, in dem Emilia einkehrt. Sie ist »freundlich, aber auch bitter« und hat »einen großen Hut auf, der wie der erstarrte Wasserkranz eines Springbrunnens war, und dann hatte sie jettbesetzte Handschuhe an« (II, 175). Emilia lädt sie zum Trinken ein und denkt: »Wenn ich so alt bin wie sie, werde ich lange nicht so gut aussehen, […] ich werde auch keinen Stehausschank haben, […] sie hat ihr Geld zusammengehalten, sie hat nie auf eigene Kosten getrunken, sie hat immer nur auf Kosten der Männer getrunken« (II, 175 f.).

Edwin, Mr.

Ein berühmter amerikanischer Schriftsteller, der zu einem Vortrag in die Stadt gekommen ist (II, 45). Er hat ein »edles, Askese, Zucht und Versenkung andeutendes Gesicht«. Auf der Autofahrt vom Bahnhof zum Hotel lässt »das Land Goethes, das Land Platens, das Land Winckelmanns« ihn frieren, und er fühlt sich »auf einmal übriggeblieben, allein gelassen, alt, uralt, so alt, wie er war« (II, 44).

Er fragt sich, was er diesem Land mitbringen würde. »Er sollte über die Unsterblichkeit sprechen, über die Ewigkeit des Geistes, die unvergängliche Seele des Abendlandes, und jetzt? jetzt zweifelte er. Seine Botschaft war kalt, sein Wissen war erlesen [...], und dennoch: er kam mit leeren Händen, ohne Gabe, ohne Trost, keine Hoffnung« (II, 45).

In seinem Hotelzimmer gibt sich Edwin der Melancholie hin. Sein Essen schmeckt ihm nicht, und auch der Wein heitert ihn nicht auf: »Es war ein Sonnenwein, und Edwin sah keine Sonne, der Wein schmeckte nach Gräbern, er schmeckte, wie alte Friedhöfe bei nassem Wetter riechen« (II, 103). Europa, der von ihm »geliebte, der im Geist so sehr geliebte Erdteil« (II, 45), scheint ihm nur mehr einer »kleinen, Asien vorgelagerten Halbinsel« zu gleichen, »die nach drei Jahrtausenden der Selbständigkeit, der Frühreife, der Ungezogenheit, des Ordentlich-Unordentlichen, des Größenwahns zur Mutter Asien zurückkehren oder zurückfallen werde. War es soweit?« (II, 105).

Unsicher darüber, was er den wartenden Reportern sagen soll, flüchtet er aus seinem Hotelzimmer. Durch die Küche gelangt er in den Hof, wo er auf Philipp trifft, der ebenfalls auf der Flucht (vor Messalina) ist und den er »in der Verwirrung einer Sekunde für sich hielt, für sein Spiegelbild, für seinen Doppelgänger« und sofort als Schriftsteller erkennt (II, 108). Das Treffen ist beiden unangenehm: »beide dachten sie im Hof des Hotels, geflohen vor der Gesellschaft der Menschen, ›ich muß ihn meiden‹« (II, 109). Sie entfernen sich, »scheu zueinander Distanz wahrend«, durch den Personaleingang (II, 109).

Im Antiquitätenladen von Frau de Voss interessiert er sich für die Tasse, die Emilia gerade verkaufen möchte, verlässt aber, als die Inhaberin mit ihm hinter Emilias Rücken über den Preis verhandeln will, angewidert den Laden. Danach hat er Gewissensbisse: »sie war arm, sie hatte Angst vor der Händlerin, ich hätte der jungen Frau helfen können«. Er nimmt sich vor, den Vorfall in seinem Tagebuch zu erwähnen, das nach seinem Tode erscheinen soll (II, 145).

In der Bar seines Hotels trinkt er einen großen Kognak, um vor dem Vortrag sein Lampenfieber zu beruhigen. »Ein entsetzlicher Abend! Warum hatte er sich nur drauf eingelassen? Eitelkeit! Eitelkeit! Eitelkeit der Weisen« (II, 170). Als er Messalina erblickt, flieht er aus der Bar, und Kay, die ihn um ein Autogramm bitten wollte, geht leer aus (II, 171).

Als er am Abend zum Vortrag in den Saal des Amerikahauses geführt wird, schwitzt er nicht nur vor Angst, sondern angesichts der vielen Zuhörer auch vor Glück (»So viele waren gekommen, ihn zu hören!«) und fasst wieder Mut: »Jünger empfingen ihn in jeder Stadt, der Geist würde nicht sterben« (II, 183).

Edwin beginnt seine Rede und bemerkt nicht, dass die Lautsprecheranlage defekt ist. Von den irritierten Reaktionen des Publikums fühlt er sich verhöhnt und wird unsicher. »Die Technik rebellierte gegen den Geist, die Technik, das vorlaute, entartete, schabernacksüchtige, unbekümmerte Kind des Geistes« (II, 184). Nach dem Zwischenspiel mit Schnakenbach (II, 185) und der Behebung der Störung kann er schließlich fortfahren.

Während die meisten seiner Zuhörer einschlafen, spricht er von der »Summa theologiae der Scholastik« (II, 204) und vom Europäischen Geist als »Zukunft der Freiheit« (II, 206). Philipp fühlt sich an Chaplins Rede (in dem Film ›The Great Dictator‹ von 1940) erinnert, an deren Ende die Leute »Heil riefen und sich prügelten. Edwins Zuhörer würden sich nicht prügeln. Sie schliefen. [...] Der Vortrag würde völlig folgenlos bleiben« (II, 202 f.). Erst das Knacken der Lautsprecher am Ende des Vortrags reißt die Zuhörer wieder aus dem Schlaf (II, 208).

Nach dem Vortrag entwischt Edwin der Gesellschaft und geht zu Fuß durch die Stadt. In einschlägiger Umgebung, »im Revier von Oscar Wildes goldenen Nattern«, geht er auf die Suche nach einem Abenteuer. Er trifft auf Schorschi, Bene, Kare und Sepp. »Edwin sah ihre Gesichter. Er dachte ›sie sind stolz und schön‹. Er übersah nicht ihre Fäuste, ihre großen und grausamen Fäuste, aber hielt sich an ihre Gesichter, stolz und schön« (II, 216). Wenig später hören Philipp und Kay vom Fenster eines Hotelzimmers aus seinen Hilferuf. »Eine schrille englische Stimme rief um Hilfe. Es war nur ein kurzer kleiner Schrei, und dann starb der Schrei« (II, 218).

Emilia

Ehefrau des Schriftstellers Philipp. Die einstmals reiche Erbin hat ihr Vermögen im Krieg verloren und nur wertlose, unverkäufliche Immobilien übrig behalten. Sie leidet an der sozialen Deklassierung und an dem Verlust ihres ehemals sorglosen Daseins.

In ihrer Wohnung lebt sie mit zahlreichen Tieren, die »waren ihre Gefährten« und »Genossen der Einsamkeit«. Sie »kannten nur die gute Emilia, eine Emilia, die zu den Tieren wirklich gut war. Die böse wandte sich gegen die Menschen« (II, 31). Auch Philipp kennt diese böse Emilia, die er, wie sie weiß (II, 174), mit Stevensons Mr. Hyde vergleicht und die immer dann zum Vorschein kommt, wenn sie trinkt (II, 167).

Sie trinkt, um ihre Situation zu vergessen, all »die entwerteten Hypotheken, die enteigneten Rechte, die Reichsschatzanweisungen im Girosammeldepot, […] den unrentablen verfallenden Hausbesitz, die Bodenlasten, die unverkäuflichen Mauersteine, die Kettung an die Ämter, die Formulare, die gewährten und widerrufenden Stundungen, die Anwälte« (II, 35). Als sie am Morgen erwacht und Philipp nicht vorfindet, flieht sie, »dunkele süße Onanie« treibend (II, 35), vor dem Tag in »ein Stück innerer Nacht« (II, 33), in der zahllose Bruchstücke ihres vergangenen und gegenwärtigen Lebens durch ihr Bewusstsein ziehen (II, 33-38).

Durch ihre Geldnöte sieht sie sich »in die Schicht der Boheme versetzt«, die sie hasst (II, 88), deren Lokale sie aber »groteskerweise« gerne besucht. Dafür muss sie sich das Geld »auf die gehaßte Bohemetour«, durch das Versetzen ihrer letzten Habseligkeiten, besorgen. In Philipps (und wohl auch des Erzählers) Augen ist die Boheme längst tot (II, 88 f.).

Auch an diesem Tag macht sie sich auf den Weg durch die Stadt, um verschiedenen Händlern Reste ihres Besitzes zum Verkauf anzubieten (II, 42 f.). Dabei trifft sie Messalina, vor der sie sich wegen ihrer Armut schämt und deren Bemerkungen sie verletzen und einschüchtern (II, 53 f.).

Im Leihhaus versetzt sie silberne Fischbestecke für 18 Mark und wird von den Umstehenden um den Erlös beneidet. »Noch gehörte sie zur Elite der Schatten, noch war sie die Prinzessin im Lumpenpelz« (II, 91). Beim Altwarenhändler Unverlacht verkauft sie einen Gebetsteppich, ein Lieblingsstück von Philipp, den sie »strafen wollte, weil er kein Geld hatte« (II, 93).

Im Antiquitätenladen von Frau de Voss beobachtet sie Mr. Edwin, der sich zunächst für eine Rosenholzmadonna, die einmal Philipp gehört hat, und dann für die Tasse interessiert, die sie gerade verkaufen möchte. Als die Händlerin versucht, Emilia von den Preisverhandlungen mit Mr. Edwin auszuschließen, um ihr den Erlös zu verheimlichen, verlässt er peinlich berührt den Laden. Emilia belustigt der Vorgang. Der Versuchung, mit Mr. Edwin ins Gespräch zu kommen, um später Philipp damit zu verblüffen (II, 143), widersteht sie.

Beim Juwelier Schellack, der ihren »Großmutterschmuck« (II, 153) nicht kaufen will, trifft sie zufällig mit der Amerikanerin Kay zusammen, der sie, einer plötzlichen Anwandlung folgend, den von Schellack verschmähten Schmuck schenkt. »Für einen Augenblick wenigstens wollte sie frei sein. Sie wollte […] eine freie Tat tun, die von keinem Zwang und keiner Notwendigkeit bestimmt und mit keiner Absicht verbunden war« (II, 154 f.). Von dieser plötzlichen Freiheit berauscht, küsst sie Kay, die für sie (ganz ähnlich wie für Philipp) Freiheit und Weite verkörpert: »›herrlich, so schmeckt die Prärie‹« (II, 155). Kay schenkt Emilia ihren Hut. Beide »fühlten das wunderbare Glück, gegen Vernunft und Sitte zu rebellieren« (II, 155).

Später beobachtet Messalina die beiden Frauen in der Bar des Hotels, sie »tranken, lachten, sie umarmten und küßten sich« (II, 169). Als Mr. Edwin im Hotel auftaucht und Kay ihn um ein Autogramm bitten will, schlägt Emilias Stimmung um: »Ich verabscheue die Literaten, diese Schießbudenfiguren« (II, 170). Als Kay Mr. Edwin nachläuft, verschwindet Emilia und lässt Kays Hut zurück. »Er lag da wie eine erlittene Enttäuschung« (II, 171).

Hinter dem Hotel liest Emilia den herrenlosen Hund auf, der Heinz entlaufen ist, und kauft ihm am Stehausschank der alten Dirne eine Wurst. Sie trinkt mit der alten Dirne und wünscht sich, sie wäre davongelaufen, nachdem sie Kay den Schmuck umgehängt hatte: »wär’ ich gleich davongelaufen hätte ich mich heute wohl gefühlt« (II, 175). Sie bewundert die alte Dirne: »Wenn ich so alt bin wie sie, werde ich lange nicht so gut aussehen, […] ich werde auch keinen Stehausschank haben, ich werde mein Geld in ihrem Stehausschank gelassen haben, sie hat ihr Geld zusammengehalten, sie hat nie auf eigene Kosten getrunken, sie hat immer nur auf Kosten der Männer getrunken« (II, 175 f.).

Sie nimmt den kleinen Hund mit nach Hause. »Es war genug Essen für die Tiere in diesem Haus, wenn es auch für die Menschen nicht mehr reichte« (II, 211). Enttäuscht über Philipps Ausbleiben entschließt sie sich, zu Messalinas Party zu gehen, wohl wissend, dass sie dann »als Mr. Hyde nach Hause kommen« wird (II, 211).

Auf Messalinas Party trinkt sie »alles durcheinander. Sie baute den Mr. Hyde auf. Sie baute ihn böse und systematisch auf. Sie trank, um Messalina zu schädigen. Sie tanzte mit niemand. Sie ließ sich von niemand berühren. Sie war ein keuscher Süffel. [...] Was kümmerte sie die Gesellschaft. Sie war hergekommen, um zu trinken. Sie lebte für sich. Sie war die Kommerzienratserbin. Das war genug. Man hatte die Erbin bestohlen; die Menschen hatten das Erbe angetastet. Das genügte ihr. Das genügte ihr von den Menschen. Mehr brauchte sie über die Menschen nicht zu wissen.« Dann geht sie nach Hause. »Sie ging heim, um zu toben, heim um anzuklagen« (II, 217).

Emmi

Kinderfrau der kleinen Hillegonda, der Tochter von Alexander und Messalina. Emmi ist eine »derb[e] Person vom Lande, in deren breitem Gesicht die einfache Frömmigkeit der Bauern böse erstarrt war« (II, 15). »Ihre schmalen, blutlosen Lippen, Asketenlippen in einem Bauerngesicht, waren wie ein scharfer, für die Ewigkeit gezogener Strich« (II, 16).

Emmi terrorisiert Hillegonda mit ihrer lebensfeindlichen Religiösität, weil sie überzeugt ist, dass das Kind für die Sünden und den unchristlichen Lebenswandel seiner Eltern büßen muss (II, 15). Sie glaubt, das Kind »zu Gott führen« zu müssen. Sie ist überzeugt, dass Gott »sich der Kleinen und Hilflosen, der unschuldig schuldig mit Sünde Beladenen« annehmen würde, und verlangt deshalb von ihr die Beichte (II, 115).

Als sie mit Hillegonda die Heiliggeistkirche verlässt, wird der verletzte Josef gerade auf eine Bahre gelegt. Emmi folgt dem Sterbenden mit dem Kind ins Heiliggeistspital und betet für seine Sünden. Als der Priester Hillegonda fragt, ob sie Josefs Enkelin sei, unterbricht sie ihr Gebet und belehrt den Geistlichen: »›Sie ist ein Schauspielerkind, Hochwürden. Lüge, Verstellung und Komödie liegen ihr im Blut. Strafen Sie das Kind, retten Sie seine Seele!‹« (II, 179).

Fräulein

Verkauft im Warenhaus am Bahnhof Socken. Sie lässt sich von Richard Kirsch ansprechen, dem sie sich in den Weg stellt, denn sie will einen Amerikaner kennenlernen, um der Tristesse im Haus ihrer Eltern zu entkommen, die »Glühwürmchen-Musik« hören und dem Leben unter Hitler nachtrauern. Sie möchte anders leben als ihre Eltern. »Das Leben der Eltern war nicht nachahmenswert. Die Eltern waren gescheitert. […] Sie saßen vergrämt in einer grämlichen Stube bei grämlich munterer Musik« (II, 190 f.).

Das Fräulein zieht die amerikanischen den deutschen Jungen vor. »Um die amerikanischen Jungen war Luft, die Luft der weiten Welt; der Zauber der Ferne, aus der sie kamen, verschönte sie.« Sie weiß, dass sie »einmal einen überarbeiteten, enttäuschten, schlechtangezogenen Mann heiraten« würde, aber das will sie heute vergessen (II, 191).

Obwohl sie lieber tanzen gegangen wäre, folgt sie Richard ins Bräuhaus. Als Richard sie küsst, um Frau Behrend zu entgehen, hält sie ihn für stürmisch (II, 194). Bei dem Aufruhr vor dem Bräuhaus warnt sie Richard vergeblich davor, sich Christopher Gallagher anzuschließen, der die aufgebrachte Menge zur Vernunft bringen will (II, 208).

Frahm, Dr.

Ein »Facharzt für Frauenheilkunde und Chirurgie« (II, 63) mit Belegbetten in der ›Schulteschen Klinik‹. Im Krieg war er als Feldarzt tätig (II, 64).

Zu seinen Patientinnen gehört auch Carla. Ihr Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch löst in ihm Reflexionen über den Eid des Hippokrates aus (»was geben sie jetzt an mit diesem Eid, wer ist wohl drauf gekommen? Kater nach den Euthanasieprozessen, Mord an Geisteskranken, Mord an Ungeborenen«) und über die Frage, wann Leben beginnt (»Leben schon im Sperma? das Ei? dann auch Gonokokkenschutz, die Priester sagen natürlich Seele, sollten sich das mal aufgeschnitten ansehen«). Für Dr. Frahm ist das alles zu abstrakt: »Hippokrates, war er Kassenarzt?« (II, 63 f.).

Er sagt Carla die Abtreibung zunächst zu, ändert aber nach Washingtons Besuch seine Meinung. »Die Sache war nicht zu machen. Carla sollte ihr Kind zur Welt bringen. Der kleine Neger wollte leben. Hier drohte Schande« (II, 114).

Er redet Carla gut zu und verspricht, ihr bei der Geburt beizustehen. »›Ich werd’s ihr an die Brust legen‹, dachte er, ›hoffentlich wird sie’s liebhaben, sieht nicht so aus, armes Wesen, noch im Dunkeln und schon gehaßt, aber wenn der Vater drauf besteht, was kann ich tun? der Vater müßte das Leben doch kennen.‹« Als Carla weiter insistiert, wird er »allmählich schlechter Laune. Die Frau hielt ihn auf; er konnte ihr nicht helfen« (II, 137).

Gallagher, Christopher

Amerikanischer Steueranwalt aus Santa Ana, Kalifornien; verheiratet mit Henriette, einer aus Berlin stammenden deutschen Jüdin, deren Eltern Opfer des Holocaust wurden (II, 68-71). Mit ihrer beider Sohn Ezra besucht er Deutschland, während Henriette in Paris geblieben ist. Er möchte sie überreden, nachzukommen, aber Henriette weigert sich, das Land der Mörder ihrer Eltern noch einmal zu betreten.

Während Christopher mit Henriette telefoniert, fragt er sich, warum sie »so förmlich miteinander« sind, »ich liebe sie doch«. Er kann ihre Weigerung, nach Deutschland zu kommen, nicht verstehen. »Oder er verstand es, aber so wie man eine Traumerzählung versteht und dann sagt: ›Vergiß es!‹« (II, 68).

Er besucht mit seinem Sohn das Baseball-Spiel, bei dem Washington Price mit seiner Mannschaft siegt, und ist enttäuscht, dass es Ezra nicht gefällt. Noch im Stadion bittet Ezra ihn um zehn Dollar, die Christopher ihm nach kurzer Diskussion gibt, ohne zu ahnen, dass Ezra damit Carlas Sohn Heinz den kleinen Hund abkaufen will (II, 128).

Abends geht er mit Ezra ins Bräuhaus und denkt an Henriette. „Warum kann sie nicht vergessen? Sie sollte das hier sehen, es ist wunderbar, es sind prächtige Leute‹« (II, 193). Ezra, der sich im Bräuhaus unwohl fühlt, geht unter dem Vorwand, im Auto auf den Vater warten zu wollen, hinaus, um sich mit Heinz zu treffen (II, 198).

Nach der lautstarken Prügelei der beiden Jungen verbreitet sich im Bräuhaus das Gerücht, die »Neger« hätten »ein Kind in die Ruinen gelockt und es erschlagen« (II, 201). Alles stürzt nach draußen, wo Christopher eben zu seinem Wagen gehen will. Er versucht, die aufgebrachte Menge, die bereits begonnen hat, den Klub der amerikanischen Soldaten mit Steinen zu bewerfen, zur Vernunft zu rufen, wird aber nicht verstanden und als ›heiliger Christophorus‹ verlacht (II, 208). Schließlich steht der von der Prügelei geschundene Ezra vor ihm, und beide drängen sich durch die Menge zum Wagen (II, 207 f.).

Gallagher, Ezra

Sohn von Christopher und Henriette Gallagher, ein elfjähriger Junge mit »fuchsrote[m]« Haar (II, 76 f.). Ezra lebt mit seinen Eltern in Santa Ana, Kalifornien. Jetzt befindet er sich mit ihnen auf einer Europareise und hat seinen Vater nach Deutschland begleitet, während seine Mutter Henriette, eine aus Berlin stammende Jüdin, in Paris geblieben ist.

Von seiner Mutter hat er Deutsch gelernt, sie hat ihm abends deutsche Märchen vorgelesen, »aber wenn sie dachte, daß er schlafe, dann erzählte sie für sich […] das Märchen von den Großeltern«, die den Judenverfolgungen zum Opfer gefallen sind. Die deutschen Märchen, die Erzählungen der Mutter und die Gespräche über den Krieg in Europa haben sich in Ezras Gemüt zu Phantasiegebilden vermischt. Europa ist für ihn das »Land der armen Alten«, der »Erdteil der grausamen Sagen« und Deutschland »ein böses Land« mit einem »bösen Riesen Hitler Aggressor« (II, 77).

In dem am ›Central Exchange‹ geparkten Wagen seines Vaters wartend, phantasiert er, in einem Jagdbomber zu sitzen und in die Menge zu schießen (II, 72). Als der gleichaltrige Heinz sich ihm nähert, wird der Parkplatz zu dem »unheimlichen Zauberwald des Traumes und des Märchens«, in dem Ezra nun den Bodenkampf bestehen muss (II, 77 f.). Er gibt sich vor Heinz als Jude aus, obwohl er Katholik ist (II, 78), und verabredet den Kauf des kleinen verwahrlosten Hundes, den Heinz an einem Bindfaden mit sich führt, für zehn Dollar; der Handel soll am Abend am Bräuhaus vonstattengehen (II, 78-80). Die beiden Jungen siezen sich (II, 78). Für Ezra ist das alles »ein Traumgeschehen und nicht wirklich« (II, 79).

Mit seinem Vater besucht er ein Baseball-Spiel, das er aber langweilig findet, da sich beide Mannschaften nach dem Spiel gut vertragen. »Man mußte mit seinen wirklichen Feinden kämpfen« (II, 128). Er sieht Heinz mit dem Hund und denkt an ihre Verabredung: »Das war kein Spiel, das war Kampf«. Er bittet seinen Vater um die zehn Dollar, die er schließlich auch bekommt. Auf dem Weg zum Bräuhaus, wähend sein Vater über Völkerverständigung nachdenkt, rüstet Ezra sich innerlich für das Treffen mit Heinz: »Wenn’s nicht anders geht, schlag ich ihn tot« (II, 172).

Im Bräuhaus glaubt er sich wieder im Zauberwald unter Riesen (II, 193). Als Heinz ihm ein Zeichen gibt, erscheint er ihm als »sein ihm von den Riesen des Waldes erwählter Gegner. Mit ihm mußte er sich messen. Mit ihm mußte er ringen. Wenn er den Jungen besiegte, hatte er den Wald besiegt« (II, 197).

Unter dem Vorwand, im Auto auf den Vater warten zu wollen, geht er hinaus, um sich mit Heinz zu treffen. Heinz, dem der kleine Hund längst entwischt ist, führt Ezra, um Zeit zu gewinnen, in eine Ruine, wo die beiden Jungen in einen Streit geraten und sich schließlich prügeln (II, 199 f.). »Ezra und Heinz waren auf die Steine der einstürzenden Mauer gefallen. Sie hatten sich weh getan. In der ersten Angst hatten sie um Hilfe gerufen. Aber dann, als sie die Polizeisirenen hörten, hatten sie sich gegenseitig von den Steinen aufgeholfen und waren zusammen in die Bäckergasse geflohen. […] Sie wollten nichts mehr voneinander. […] Sie waren aus Märchen und Indianergeschichten erwacht und schämten sich« (II, 209 f.).

Ezra kommt zurück auf dem Platz vor dem Bräuhaus und entdeckt dort seinen Vater, der die aufgebrachte Menge vergeblich zur Vernunft zu bringen versucht. Beide drängen sich durch die Menschenmenge zum Auto (II, 209 f.).

Gallagher, Henriette

Emigrierte deutsche Jüdin, deren Eltern Opfer des Holocaust wurden. Sie ist mit dem amerikanischen Steueranwalt Christopher Gallagher verheiratet und hat mit ihm einen elfjährigen Sohn, Ezra. »Sie wohnten in Santa Ana in Kalifornien. Ihr Haus stand am Stillen Ozean« (II, 68). Jetzt befinden sie sich auf einer Europareise, und während Christopher und Ezra einen Deutschlandbesuch machen, bleibt Henriette in Paris. Sie will ihr Heimatland, in dem ihre Eltern verfolgt und umgebracht wurden, nicht betreten.

Henriette hat ihre Kindheit in Berlin verbracht, wo ihr Vater, Friedrich Wilhelm Cohen, Oberregierungsrat in der Generaldirektion der Preußischen Museen der Museumsinsel war, ein preußischer Beamter »wie eine Menzelsche Figur aufrecht, korrekt, stäubchenfrei«. Ihre Mutter war »im Schatten von so viel Preußentum unselbständig und willenlos verkümmert« (II, 69). Henriette hat die Schauspielschule bei Max Reinhardt am Deutschen Theater absolviert und den »Reinhardt-Preis als beste Schülerin ihres Jahrgangs« erhalten (ebd.). Nach 1933 hat man zunächst ihre berufliche Entwicklung torpediert und sie dann ausgebürgert. Während ihre in Deutschland zurückgebliebenen Eltern zunehmend entrechtet und schließlich in ein Todeslager verschleppt worden sind, hat sie sich in Los Angeles als Tellerwäscherin durchzuschlagen versucht, bevor sie Christopher, der »zufälligerweise Christ war«, getroffen und geheiratet hat (II, 70).

Christophers Wunsch, sie möge ihm und dem Sohn nach Deutschland nachreisen, lehnt sie standhaft ab. »Sie haßte nicht mehr. Sie fürchtete sich nur. Sie fürchtete sich, nach Deutschland zu fahren, und sei es nur für drei Tage. Sie sehnte sich fort aus Europa« (II, 71).

Geschäftsmänner, kahlköpfige

Zufallsbekanntschaft von Frau Behrend im Bräuhaus, deren Enkel Heinz sie »von zwei kahlköpfigen Geschäftsleuten untergefaßt« singen sieht. Er spielt ihr unerkannt einen Streich, indem er ihr den Schnaps des Mannes zu ihrer Linken ins Bier kippt (II, 197). Der verdächtigt sie zwar, seinen Schnaps heimlich getrunken zu haben, sieht es ihr aber nach, weil er ihre rassistischen Bemerkungen über Schwarze (»Sie sind wie die wilden Tiere«) als Beweis für ihre »anständige Gesinnung« schätzt, und spendiert ihr sogar einen zweiten Schnaps (II, 198).

Im Tumult vor dem Bräuhaus missdeuten die beiden Männer Frau Behrends (auf Washington Price bezogenen) Ausruf »Da ist er!« als Hinweis auf den gesuchten Mörder des Dienstmanns Josef und erzeugen »eine neue Welle der Wut« in der aufgebrachten Menge (II, 210).

Hänschen

Strichjunge (II, 53) und Freund von Jack, »ein semmelblonder, leicht geschminkter Sechzehnjähriger in einem blauen Konfirmandenanzug« (II, 182), der als Teil von Alexanders und Messalinas Gefolge den Vortrag von Mr. Edwin und später die Party bei Alexander und Messalina besucht.

Während Alfredo beim Vortrag an seiner Schulter schläft, denkt er darüber nach, ob sie wohl Geld hat, denn Hänschen ist »eine kleine Rechenmaschine« (II, 205). Auch auf der anschließenden Party denkt er nur an Geld und redet mit Emilia »von Geschäften«, weil er glaubt, dass sie »etwas vom Handel verstand«. Die »kleine Rechenmaschine Hänschenklein schnurrte« (II, 217).

Heinz

Der Sohn Carlas aus ihrer Ehe mit einem deutschen Soldaten, der aus dem Krieg nicht mehr heimgekehrt ist (II, 84) und an den Heinz sich nicht erinnern kann (II, 75). Heinz ist elf Jahre alt wie Ezra Gallagher, beide sind ›in der Kriegsfurcht (d.h. 1939) gezeugte Kinder‹ (II, 78). Er treibt sich viel allein oder mit einer »Kinderbande« (II, 78) in der Stadt herum.

Der »dunkle Freund« seiner Mutter, Washington Price, »die gabenspendende und dennoch fremde und störende Erscheinung in der Wohnung«, beschäftigt Heinz »unaufhörlich« (II, 74 f.). Eigentlich kann er Washington ganz gut leiden, verteidigt ihn auch manchmal gegen Angriffe (z.B. beim Baseballspiel), aber gegen ihn »sprach die schwarze Haut, das auffällige Zeichen des Andersseins. Heinz wollte sich nicht von andern unterscheiden. Er wollte genau wie die anderen Jungen sein, und die hatten weißhäutige einheimische überall anerkannte Väter« (II, 75). Deshalb distanziert er sich vor anderen Kindern von Washington, »und um sich für eine Haltung, die er im Grunde für feige hielt, zu quälen und um zu beweisen, daß er’s selber aussprechen konnte, womit die anderen meinten ihn unterzukriegen, krähte er unermüdlich sein ›Sie geht mit einem Nigger‹« (II, 76).

Am Parkplatz vor dem »Central Exchange« kommt er mit Ezra wegen des herrenlosen Hundes ins Gespräch, den er mit sich führt und an dem Ezra Interesse zeigt. Ezra gibt vor, Jude zu sein, und Heinz erwidert, seine Mutter lebe mit einem Neger; beide vermuten in diesen Bekenntnissen Drohungen (II, 78 f.). Heinz fordert für den Hund zehn Dollar. Die Jungen verabreden sich für den Abend am Bräuhaus, wo ihr Handel vonstattengehen soll (II, 79).

Beim Baseball-Spiel wird Washington wegen eines verlorenen Laufs ausgepfiffen, und Heinz »sträubte sich dagegen, daß sie Washington verjohlten und ihn fertigmachten. Aber auch er johlte und pfiff. Er heulte mit den Wölfen« (II, 127). Aber nach dem Spiel verteidigt er Washington und prügelt sich sogar mit anderen Kindern für ihn. Dabei entläuft ihm der Hund (II, 134).

Zur vereinbarten Zeit versteckt er sich am Eingang der geschlossenen ›Broadway-Bar‹ und beobachtet den Platz zwischen dem Bräuhaus und dem Klub der amerikanischen Soldaten. Er sieht Carla und Washington in den Klub gehen, was ihn verunsichert, da beide schon länger nicht mehr zusammen dort waren. »Wollte das Paar nach Amerika fahren? Sollte er mitfahren? Sollte er nicht mitfahren? Wollte er überhaupt mitfahren?« (II, 189).

Im Bräuhaus sieht er zu seiner Überraschung seine Großmutter, Frau Behrend, der er unerkannt einen Streich spielt (II, 197). Er gibt Ezra ein Zeichen, nach draußen zu kommen. Ähnlich wie Ezra phantasiert auch Heinz sich in eine Traumwelt hinein, die seiner Lektüre von »Indianergeschichten« (Karl May, J. F. Cooper, s.u.) entspringt: Ezra ist für ihn der Indianer »Rote Schlange«, er selbst »Wildtöter« (II, 196 f.).

Draußen führt Heinz den fremden Jungen in eine benachbarte Ruine, wo die beiden in Streit geraten und sich prügeln (II, 199 f.). »Ezra und Heinz waren auf die Steine der einstürzenden Mauer gefallen. Sie hatten sich weh getan. In der ersten Angst hatten sie um Hilfe gerufen. Aber dann, als sie die Polizeisirenen hörten, hatten sie sich gegenseitig von den Steinen aufgeholfen und waren zusammen in die Bäckergasse geflohen. […] Sie wollten nichts mehr voneinander. […] Sie waren aus Märchen und Indianergeschichten erwacht und schämten sich« (II, 209 f.).

Zurück auf dem Bräuhausplatz, auf dem sich inzwischen die wegen des ›Taximords‹ aufgebrachte Menge aus dem Bräuhaus versammelt hat, sieht Heinz seine Mutter, die gerade mit Washington aus dem amerikanischen Klub kommt. Er rennt schreiend zu ihr und wird von Steinen getroffen, die aus der Menge geworfen werden (II, 210).

Der Name »Rote Schlange«, den Heinz in seinen Phantasien Ezra gibt (II, 196 f., 199-201), mag auf den Yuma-Häuptling »Listige Schlange« aus Karls Mays »Satan und Ischariot« (Teil II) zurückgehen, der auch »Rote Schlange« genannt wird; Heinz' Selbstbezeichnung als »Wildtöter« verweist auf James Fenimore Coopers gleichnamigen Roman.

Hillegonda (Hille)

Die kleine Tochter von Alexander und Messalina, von Alexander Hille genannt, wird von der Kinderfrau Emmi betreut und leidet unter deren religiösem Terror. Der ist wie »eine immerwährende Mahnung und hieß: Klage nicht, frage nicht, freue dich nicht, lache nicht, spiele nicht, tändele nicht, nütze die Zeit, denn wir sind dem Tod verfallen« (II, 15). Emmi trichtert ihr ein, dass ihre Eltern böse Menschen seien und dass sie für deren Sünden büßen müsse.

Hillegonda muss zweimal am Tag in die Kirche gehen, in der sie sich fürchtet. »Hillegonda preßte die Knie zusammen, Furcht vor Emmi, Furcht vor der Kirche, Furcht vor Gott bedrückte ihr kleines Herz« (II, 15). Hillegonda wird von Emmi dazu gedrängt, zu beichten, weiß aber nicht, was sie beichten soll. »Die Sünden der Eltern? Was waren das für Sünden? Hillegonda wußte es nicht« (II, 116).

Wieder zu Hause, hört sie Alexanders Wagen vorfahren, löst sie sich von Emmi und geht zu ihrem Vater, der aber schon eingeschlafen ist (II, 149). Wenig später ruft Emmi sie zu einem erneuten Kirchgang. Hillegonda »fror mit ihren nackten Knien auf den kalten Fliesen«, und als sie von draußen Schreie und Lärm hört, sagt Emmi zu ihr: »›Es ist der Teufel, Kind. Der Teufel geht um. Bete nur! Ach-Herr-erlöse-uns!‹« (II, 159).

Vor der Kirche wird der verletzte Josef gerade auf eine Bahre gelegt. Emmi und Hillegonda folgen ihm ins Heiliggeistspital (II, 162). Während Emmi an seinem Sterbebett ihre Gebete murmelt, beobachtet Hillegonda den Sterbenden und überlegt: »da war ein alter Mann; er sah lieb aus; er war tot; der Tod sah lieb aus; der Tod war gar nicht zu fürchten; er war lieb und still; aber Emmi meinte, der alte Mann sei in Sünden gestorben […]; warum war der Mann so alt geworden, wenn er ein Sünder war; warum hatte Gott ihn nicht früher schon gestraft, wenn er ein Sünder war; und warum sah der alte Mann so lieb aus?« (II, 178 f.). Sie küsst Josefs Hand und bricht in Tränen aus, als der Priester sie fragt, ob sie Josefs Enkelin sei (II, 179).

Italiener, der

Besitzer eines Stehausschanks im Heiliggeistviertel, in dem Richard Kirsch einkehrt. Er setzt seinem Gast auseinander, wie man Europa gegen den Osten verteidigen müsste. Er ist »ein wütender Stratege. […] ›Nehmt ein paar Bomben, und ihr habt gesiegt!‹« Als er Hitler als »großen Mann« bezeichnet, verabschiedet Richard sich (II, 176 f.).

Jack

Er besucht als Teil von Alexanders und Messalinas Gefolge den Vortrag von Mr. Edwin und nimmt an der anschließenden Party bei Alexander und Messalina teil. Er trägt »eine verdrückte amerikanische Offizierssommerhose und einen buntgestreiften Sweater«, ist ungekämmt und »sah aus, als wäre er eben, durch ein Klingeln erschreckt, aus dem Bett gesprungen« (II, 182).

Beim Vortrag versucht er, sich alles zu merken, denn »Jack war ein Papagei. Er sprach gern nach.« Da er sich aber nicht lange konzentrieren kann, denkt er an seinen Freund Hänschen. »Hänschen wollte schon wieder Geld haben. Aber auch Jack hatte kein Geld« (II, 205).

Auf der Party tanzt er mit Messalina, der Tanz gleicht einem »Freistilringen«, in dem Jack »widerwillig« unterliegt (II, 217).

Josef

Gepäckträger vom Bahnhof. »Die rote Dienstmannsmütze saß streng, militärisch gerade auf dem kahlen Haupt.« Mit seinen bald siebzig Jahren sitzt er vor dem Bahnhof, »das Nummernschild an der Mütze. Der Leib war zusammengeschrumpft, die Augen blinzelten noch munter hinter der stahlgefaßten Brille, lustige Fältlein liefen vom Lid in das Feld der Haut, strömten ein in das Altersgrau, in die Luftbräune, die Bierröte des Gesichts. Die Kollegenschaft ersetzte die Familie« (II, 29 f.). Josef hat immer in dieser Stadt als Gepäckträger gelebt, nur einmal ist er »verreist«, in den »Argonnerwald und zum Chemin-des-Dames«, und musste auf Leute schießen, »die ihm zu Hause als fremde Reisende ein gutes Trinkgeld gegeben hätten« (II, 111). Im zweiten Weltkrieg, als »alle zum zweitenmal verrückt wurden«, hat er seinen Sohn verloren (II, 112).

Er bietet Odysseus Cotton seine Dienste an und folgt »dem schwarzen Mann, er folgte dem Befreier, dem Eroberer, folgte der Schutz- und Besatzungsmacht in die Stadt« (II, 33) und zeigt ihm verschiedene Sehenswürdigkeiten und Kneipen. Bei einer Pause auf einer Parkbank isst er ein Sandwich, obwohl es ihm nicht schmeckt. »Er durfte Odysseus, seinen Herrn, nicht beleidigen« (II, 124). Bei einem Baseball-Spiel im Stadion (II, 127) schläft er ein und glaubt im Traum, in einem Armenspital zu sterben (II, 131 f.).

In einer schäbigen Kneipe im ehemaligen Stadtzentrum, in der sie Schnaps trinken, gibt Odysseus ihm 50 Mark und bittet ihn, bis zum Abend bei ihm zu bleiben. Susanne setzt sich zu Odysseus und schiebt »den Koffer und den alten Mann wie zwei tote Dinge zur Seite« (II, 152). Als Odysseus bemerkt, dass er bestohlen worden ist, und sich in der Kneipe ein Tumult entwickelt, fühlt Josef sich erneut an den Krieg erinnert (II, 158). Er flieht mit Odysseus ins Freie. Zwischen den Ruinen schlägt Odysseus ihm plötzlich mit einem Stein gegen den Kopf und nimmt ihm das Geld wieder ab.

Josef wird ins Heiliggeistspital gebracht, wo er, begleitet von einem Priester und in Gegenwart von Emmi und Hillegonda, die ihm gefolgt sind, stirbt. Mit seinen letzten Worten teilt er ihnen mit, dass es »der Reisende« gewesen sei. »Er sagte es nicht, um anzuklagen. Er war froh, daß es der Reisende gewesen war. Die Schuld war beglichen. Der Priester sprach die Absolution« (II, 178).

Kay

Die 21-jährige Amerikanerin ist im Autobus mit einer Gruppe Lehrerinnen aus Massachusetts in der Stadt unterwegs (II, 50). »Sie hatten einen Tag für die Stadt und zwei weitere für die amerikanische Besatzungszone in Deutschland« (II, 51). Kay ist die Jüngste der Gruppe. Ihre Kollegin Katharine Wescott bemuttert und überwacht sie eifersüchtig. Mildred Burnett ist sich sicher, dass Katharine in Kays grüne Augen verliebt ist (II, 51).

Kay ist enttäuscht von ihren ersten Eindrücken. »Das romantische Deutschland? Es war düster. Das Land der Dichter und Denker, der Musik und der Gesänge? Die Leute sahen aus wie Leute überall« (II, 51). Sie hofft auf ein Abenteuer, vorzugsweise darauf, einen deutschen Schriftsteller kennenzulernen.

In der Lobby von Mr. Edwins Hotel trifft die Reisegruppe auf Philipp, den die Frauen zunächst für Edwins Sekretär und dann für einen berühmten deutschen Schriftsteller halten (II, 96 ff.). Kay beginnt sich für ihn zu interessieren: »er sieht mich an, ich gefalle ihm, er ist nicht mehr jung aber er ist bestimmt sehr berühmt, ich bin erst Stunden hier und schon habe ich einen deutschen Dichter kennengelernt« (II, 99).

Für Philipp, den ihre Unbefangenheit und jugendliche Frische fasziniert, verkörpert sie Amerika: »sie kam aus anderer Luft, aus herber und reiner Luft, wie es Philipp schien, aus einem anderen Land mit Weite, Frische und Jugend, und sie verehrte die Dichter« (II, 97). Ihr nach Reseda duftendes Parfüm erinnert ihn an Jugendtage: »Reseda war hellgrün. Und von hellem Grün war Kay. Sie war ein hellgrüner Frühling« (II, 98 f.).

Am Nachmittag entwischt Kay ihrer Gruppe und sieht sich allein in der Stadt um. Im Juweliergeschäft von Herrn Schellack macht sie Bekanntschaft mit Emilia, die ihr ihren von Schellack verschmähten Schmuck schenkt. Kay schenkt Emilia dafür ihren Hut. Beide »hatten die herrliche Empfindung zu rebellieren, sie fühlten das wunderbare Glück, gegen Vernunft und Sitte zu rebellieren« (II, 155).

Später beobachtet Messalina sie in der Bar von Mr. Edwins Hotel, sie »tranken, lachten, sie umarmten und küßten sich« (II, 169). Sie sehen Mr. Edwin, den Kay sofort ansprechen und um ein Autogramm bitten will, was Emilia ablehnt, weil sie »die Literaten, diese Schießbudenfiguren« verabscheut (II, 170). Als Kay Mr. Edwin nachläuft, verschwindet Emilia und lässt Kays Hut zurück. »Er lag da wie eine erlittene Enttäuschung« (II, 171).

Im Amerikahaus trifft Kay erneut auf Philipp und betritt mit ihm verspätet den Vortragssaal (II, 183). Edwins Vortrag erscheint ihr »schön und weise; aber es war wohl zu hoch, Kay verstand es nicht« (II, 205). Danach entwischt sie ihrer Reisegruppe abermals und geht mit Philipp in die Stadt: »ich werde die einzige von unserer Reisegesellschaft sein, die zu Hause erzählen kann wie es ist wenn einen ein deutscher Schriftsteller verführt« (II, 214).

Philipp bringt sie in sein Hotelzimmer, von dem sie enttäuscht ist, da sie erwartet hat, dass er sie in seine Wohnung führen würde (II, 214), und möchte sogleich wieder gehen. Vom Fenster aus hören sie Mr. Edwins Hilferuf. Kay legt Emilias Schmuck auf die Fensterbank. Eine Bemerkung Emilias am Nachmittag (II, 170) hat ihr offenbar verraten, dass Philipp ihr Mann ist. Während sie sich zum Gehen wendet, sieht sie die Neon-Reklame eines Spielklubs, ein grünes Kleeblatt, aufflammen und denkt: »das ist sein Wald, sein Eichenhain, sein deutscher Wald, in dem er wandelt und dichtet« (II, 218).

Kirsch, Richard

»Soldat der US-Luftwaffe, achtzehn Jahre alt« (II, 40) aus Columbus, Ohio (II, 117). Er ist ein entfernter Verwandter von Frau Behrend, die er auf Wunsch seines Vaters Wilhelm Kirsch aufsuchen will (II, 129).

Seine deutsche Verwandtschaft ist ihm eher gleichgültig, und die Deutschen »beschäftigten Richard nicht mehr als andere alte Völker: oberflächlich« (II, 38). Er versteht sich als Abgesandter einer siegreichen Kultur, die in einem verworrenen Land Ordnung zu schaffen hat wie einst Augustus in Griechenland (II, 38). »Kreuzritter der Ordnung waren sie, Ritter der Vernunft, der Nützlichkeit und angemessener bürgerlicher Freiheit; sie suchten kein Heiliges Grab« (II, 39). Er fühlt sich »frei von Feindschaft und Vorurteilen«, Gefühlen, die er als »von der Zivilisation überwundene Krankheiten wie Pest, Cholera und Pocken« betrachtet (II, 38). Er »war geimpft, er war hygienisch erzogen und ausgeschlackt« (II, 39).

Beim Anflug auf die Stadt überlegt er: »›wenn ich etwas älter wäre, vierundzwanzig vielleicht statt achtzehn, dann hätte ich auch mit achtzehn Jahren hier fliegen, hier zerstören und sterben können […], wir wären ihr Tod gewesen, wir wären vor ihren Scheinwerfern in den Himmel getaucht, wo wird das einmal sein? wo werde ich ausüben, was ich lerne? wo werde ich Bomben werfen? wen werde ich bombardieren? hier? diese?‹« (II, 40)

Richard trifft Frau Behrend nicht in ihrer Wohnung an. Die Tochter der Hausbesorgerin schickt ihn zur Lebensmittelhändlerin (II, 127), deren Andeutungen, Carlas Beziehung zu einem »Neger« betreffend, er missversteht und durch die er sich in eine Geschichte hineingezogen fühlt, mit der er nichts zu tun haben will: »was geht mich die Tochter der Frau Behrend an? es ist, als ob ich in etwas versinke, es ist die Herkunft, das alte Zuhause des Vaters […], die Enge, es sind Sümpfe.« Er lässt Frau Behrend ausrichten, dass er am Abend im Bräuhaus sein würde, wo sie ihn, wenn sie wolle, treffen könne (II, 130).

Im Stehausschank des Italieners, in dem er ein deutsches Mädchen kennenzulernen hofft, verstrickt er sich mit dem Wirt in eine Diskussion darüber, wie man Europa gegen den Osten verteidigen müsste (II, 176). Als der Italiener Hitler als ›großen Mann‹ bezeichnet, droht ein Streit. Richard bricht das Gespräch ab, »weil es ihm peinlich war, sich zu streiten, und weil er sich ärgerte. Er war nicht hergekommen, um sich zu streiten. Er konnte sich nicht streiten […]. Er war aber auch nicht hergekommen, um seine amerikanischen Grundsätze zu verleugnen; die Grundsätze, auf die er so stolz war.« Aber der Vorfall verunsichert ihn: »Er dachte ›man verliert hier jeden Halt‹« (II, 177).

Auf dem Weg zum Bräuhaus trifft er ein Fräulein, das er anspricht. Er hat Bedenken, da man ihn vor deutschen Mädchen mit Krankheiten gewarnt hat (II, 190). Im Bräuhaus bemerkt er, dass er beobachtet wird, und vermutet (richtig), dass es sich um Frau Behrend handeln könnte. Um der Begegnung zu entgehen, küsst er das Fräulein (II, 194).

Kurz darauf wird er Zeuge des Aufruhrs vor dem Klub der amerikanischen Soldaten. Er eilt seinem Landsmann Christopher Gallagher zu Hilfe, der die Menge zu beruhigen versucht. Richard fühlt sich aufgerufen, »Amerika zu verteidigen, das schwarze Amerika, das hinter ihm lag, das dunkle Amerika, das sich hinter zerbrochenen Fenstern und wehenden roten Vorhängen versteckte« (II, 208). Dabei wird er von den Steinen getroffen, die die Menge nach Washington wirft (II, 210).

Kirsch, Wilhelm

Vater von Richard Kirsch, wohnhaft in Columbus, Ohio, ein entfernter Verwandter von Frau Behrend, der er nach dem Krieg Pakete geschickt hat. Er war nach dem ersten Weltkrieg nach Amerika ausgewandert und hatte sich dort als Waffenhändler niedergelassen, obwohl der »scharfe Schliff«, den er in der Reichswehr bekommen hatte, ihn zum Pazifisten hatte werden lassen (II, 118).

Amerika war für ihn das »Land der Verheißung, das neue Reich der Friedfertigen« gewesen. Aber der Eintritt Amerikas in den Zweiten Weltkrieg hatte seinen Glauben »an Vernunft, Verständnis und friedliche Gesinnung« erschüttert, und »schließlich zweifelte Wilhelm Kirsch an der Wahrheit der alten Ideale Amerikas. Der alte deutsche Reichswehrsoldat war, eine Sonderlichkeit, die das Leben mit sich brachte, ein mit Handfeuerwaffen handelnder Pazifist geworden« (II, 119 f.).

Klett

Ein Weißwurst essender Gast im Wirtshaus »Zur Glocke«, in das Odysseus und Josef einkehren. Herr Klett ist Friseur. Eine seiner Kundinnen ist Messalina, die während seiner Mittagspause unter der Trockenhaube sitzt. Er »pellte mit den Fingern die Haut von der weißen Fülle und steckte sich die Wurst prall und voll in den Mund«; er »schmatzte und grunzte genüßlich« (II, 59).

Lebensmittelhändlerin

Die Lebensmittelhändlerin, bei der Frau Behrend seit Jahren Kundin ist, hat eine Villa, die nach dem Krieg von den Amerikanern beschlagnahmt worden ist und in der »die Amis« nun seit vier Jahren wohnen. »›Sie lassen uns nichts‹, sagte die Lebensmittelhändlerin, ›nichts, sie wollen uns zugrunde richten‹« (II, 20).

Bei ihr fragt Richard Kirsch nach Frau Behrend und missversteht die Andeutungen, die sie über Carlas Schwangerschaft und ihre Beziehung zu einem Schwarzen macht (II, 129 f.). Da Richard »ja auch von Deutschen« abstammt, setzt sie voraus, dass er Carlas Fall ebenso skandalös findet wie sie, und ist entsetzt, als er bedauert, keine Spielsachen für das Kind mitgebracht zu haben. »War dieser junge Mann, in Amerika geboren, aber doch von einem deutschen Vater gezeugt, so amerikanisiert, daß er das Gefühl für Sitte und Anstand verloren hatte? Wollte er sich über die deutsche Not und Verirrung lustig machen?« (II, 130). Sie berichtet Frau Behrend über Richard Kirschs Besuch und streitet ab, ihm etwas über Carlas Beziehung zu Washington erzählt zu haben (II, 138 f.).

Mädchen, das kleine

Wäscht Washingtons horizontblaue Limousine, als wäre es »das himmlische Fahrzeug eines Engels« (II, 72). Washington ist Stammkunde bei ihr und belohnt sie mit Schokolade und Bananen (II, 74).

Max

Beobachtet von einem Fenster des Mietshauses, in dem Carla lebt, den ankommenden Washington Price und beneidet ihn wegen der Blumen, der Pakete und des Wagens (II, 82). »Das Auto kostete in Deutschland mehr als ein kleines Haus […] Max mußte es wissen. Max arbeitete in einer Garage. Die horizontblaue Limousine vor der Haustür war eine Herausforderung« (II, 83).

Messalina

Frau des Schauspielers Alexander, mit dem sie eine Tochter, Hillegonda, hat. In den Bars der Stadt nennt man sie »das Lustroß« (II, 13). »Die Gewaltige« (II, 13) veranstaltet fast täglich Partys, auch für den Abend hat sie eine geplant. Emilia sieht in »Alexanders nach Dämonenart hergerichteter Frau mit der Ringkämpferfigur ein Riesenmiststück« (II, 53).

Der Erzähler ist überzeugt, dass sie von Natur eigentlich ein schüchterner Mensch ist und ihre Schüchternheit »ins Überdimensionale ausgeglichen« hat. Schon als Kommunikantin habe sie »mit Trotz und Gewaltsamkeit« dagegen angekämpft, sie wollte »nicht gegen die Wand gedrückt werden«, und sie »wuchs und nahm zu an Laster und Gemeinheit und Fleischesfülle, sie wurde zum lästerlichen gemeinen Denkmal«. Nur ihr Psychiater, Dr. Behude, weiß davon, aber er wagt es ihr nicht zu sagen und kann ihr deshalb nicht helfen (II, 156).

In Mr. Edwins Hotel trifft sie auf Philipp, den sie zum Schreiben eines Filmskripts für Alexander und dazu überreden will, Mr. Edwin zu ihrer Party mitzubringen (II, 102 f.). Überhaupt ist sie fast den ganzen Tag damit beschäftigt, Gäste für ihre abendliche Party zusammenzusuchen: Emilia, die vor ihr zu fliehen versucht (II, 53), das Mädchen Susanne, das sie in der Heiliggeistwirtschaft aufstöbert und auffordert, Odysseus mitzubringen (II, 157), und Mr. Edwin, der zweimal vor ihr Reißaus nimmt (II, 107, 170). Zuletzt ist sie »auf einmal furchtbar müde. Aber sie durfte nicht müde sein. Sie mußte ja noch zum Vortrag, sie mußte ja noch so viel für die Party organisieren« (II, 171).

Während Edwins Vortrag denkt sie immer noch darüber nach, wie sie Edwin doch noch für die Party gewinnen könnte (II, 204). Diese Party wird dann ein »scheußliches Fest«, es kommt keine Stimmung auf, »nicht einmal die Stimmung der Lust«. Während Alexander und Alfredo schlafen und Emilia sich betrinkt, tanzt Messalina mit Jack, und der Tanz gleicht einem »Freistilringen«, in dem Jack widerwillig unterliegt (II, 217).

Nazi, der alte

Besitzer eines Stehausschanks im Heiliggeistviertel, bei dem Dr. Behude einkehrt. Er hat »schlaffe Wangen, und eine dunkle Brille verdeckte seine Augen« (II, 173). »›Nun wird’s bald wieder losgehen‹, sagte der Nazi. ›Was denn?‹ fragte Behude. ›Nun, Tschindradada‹, sagte der Nazi. Er tat, als ob er eine Pauke schlüge. ›Sie haben wieder Oberwasser‹, dachte Behude, ›was auch geschehen mag, es treibt sie nach oben‹« (II, 174).

Philipp

Ein Schriftsteller, verheiratet mit Emilia. Der Autor eines »im Dritten Reich verbotenen und nach dem Dritten Reich vergessenen Buches« (II, 55) befindet sich in einer Schaffenskrise.

Wegen Streitigkeiten mit seiner Frau quartiert er sich ohne Gepäck für einige Tage im »Hotel zum Lamm« (II, 17) ein. Sein Zuhause erscheint ihm wie »ein Unterstand, in den es hineinprasselte« (II, 28). Emilia ist für ihn »wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde in der Geschichte von Stevenson. Philipp liebte Dr. Jekyll, eine reizende und gutherzige Emilia, aber er haßte und fürchtete den widerlichen Mr. Hyde«, zu dem sie wird, wenn sie getrunken hat (II, 167).

Philipp hat keine Einkünfte. Das Angebot, für den Schauspieler Alexander, den Star seichter Unterhaltungsfilme, ein Drehbuch zu schreiben, empfindet er als Zumutung (II, 57 f.). Gräfin Anne hat ihn dazu überredet, für sie mit einem »Patentkleber« hausieren zu gehen (II, 56). In einem Schreibmaschinengeschäft versucht er, das Produkt an den Mann zu bringen. Der Anblick der Schreibmaschinen deprimiert ihn, denn als Schriftsteller sollte er eigentlich »Herr der Schreibgeräte« (II, 56) sein. Er schämt sich, als Hausierer aufzutreten, und fragt den Verkäufer stattdessen nach einem Diktiergerät, das den Namen »Reporter« trägt.

»›Bin ich ein Berichterstatter?‹ dachte Philipp. ›Ich könnte mit diesem Gerät Bericht erstatten, berichten, daß ich zu feige und zu unfähig bin, einen Kleister zu verkaufen, daß ich mich zu erhaben fühle, für Alexander einen Film nach dem Geschmack der Leute zu schreiben, die draußen vorübergehen, und daß ich mir’s nicht zutraue, den Geschmack der Leute zu ändern« (II, 57 f.). Er probiert das Diktiergerät aus. Der Schrecken über seine eigene Stimme auf dem Tonband treibt ihn aus dem Geschäft (II, 58).

Für das »Neue Blatt« soll er ein Interview mit dem berühmten amerikanischen Schriftsteller Mr. Edwin führen, der am Abend einen Vortrag im Amerikahaus halten wird (II, 58). In Mr. Edwins Hotel stößt er auf eine Reisegruppe von Lehrerinnen aus Massachusetts, die ihn für einen berühmten deutschen Schriftstellerkollegen und Vertrauten Mr. Edwins halten. Die Jüngste der Gruppe, Kay, beeindruckt ihn durch ihre jugendliche Unbeschwertheit und durch ihre unbefangene Verehrung für die Dichter (II, 97-100). Sie verkörpert für ihn Amerika, das ihm als ein »Land mit Weite, Frische und Jugend« erscheint (II, 97). Die unverdiente Verehrung der Lehrerinnen deprimiert ihn, weil sie einem Philipp gilt, »den es gar nicht gab«, denn leider, so gesteht er sich erneut ein, ist er »kein bedeutender Schriftsteller geworden, er war schließlich nur jemand, der sich Schriftsteller nannte, weil er in den Einwohnerakten als Schriftsteller geführt wurde« (II, 101).

Nach diesem Erlebnis fühlt er sich nicht mehr im Stande, das Interview mit Edwin zu führen und will unauffällig aus dem Hotel verschwinden. Dabei trifft er auf Messalina, die ihn mit Fragen bedrängt. Um ihr zu entkommen, flüchtet er durch die Küche des Hotels (II, 102 f.) auf den Hof, wo er Mr. Edwin begegnet, der ihn einen Augenblick lang »für sein Spiegelbild, für seinen Doppelgänger« hält (108). Das Treffen ist beiden unangenehm: »beide dachten sie im Hof des Hotels, geflohen vor der Gesellschaft der Menschen, ›ich muß ihn meiden‹« (II, 109), und entfernen sich, »scheu zueinander Distanz wahrend« (II, 109), durch den Personaleingang.

Philipp sucht seinen Psychiater Dr. Behude auf. Die Besuche bei ihm sind ihm zur Gewohnheit geworden, obwohl er sich »keine Deutung, keine Erhellung, weder Vertrauen noch Mut« davon verspricht (II, 28 f.). In dieser Sitzung soll er sich einen sonnigen Urlaubstag vorstellen, Dr. Behude möchte »eine Glocke aus Optimismus und Sommerfreuden« über ihn bauen. Aber Philipp kann sich darauf nicht einlassen. (II, 140 f.).

Nach der Sitzung bei Behude geht er durch die Stadt, beobachtet den abendlichen Verkehr auf Straßen und Gehsteigen, hört die politischen Schlagzeilen der Abendzeitungen und fragt sich, ob er eigentlich einen Standpunkt zum Weltgeschehen hat: »ich spiele immer die lächerlichen Rollen, ich bin der alte Tolerante, ich bin für das Anhören jeder Meinung, wenn man schon auf Meinungen hören will, aber die ernsten Leute regen sich nun auf beiden Seiten auf und brüllen mich an, daß meine Toleranz gerade die Intoleranz fördere […], ich will für mich bleiben« (II, 164 f.).

Im Saal des Alten Schlosses begegnet er dem Redakteur des »Neuen Blatts«, der ihm wegen des nicht gelieferten Interviews Vorwürfe macht und verlangt, dass er dann wenigstens über Mr. Edwins Vortrag berichten solle. Mit zehn Mark für ein Taxi lässt Philipp sich überreden. »›So weit ist es mit mir gekommen‹, dachte Philipp, ›ich verkaufe mich und Edwin‹« (II, 168).

Vor dem Vortragssaal trifft er Kay wieder und betritt mit ihr verspätet den Raum (II, 183 f.). Kay trägt einen Schmuck, der ihm bekannt vorkommt, den er aber nicht als Emilias erkennt (II, 206; vgl. 155). Mr. Edwins Vortrag verzögert sich durch einen Fehler in der Lautsprecheranlage. »›Alles zerbricht‹, dachte Philipp, ›wir können uns nicht mehr verständigen, nicht Edwin redet, der Lautsprecher spricht, auch Edwin bedient sich der Lautsprechersprache, oder die Lautsprecher, diese gefährlichen Roboter, halten auch Edwin gefangen: sein Wort wird durch ihren blechernen Mund gepreßt, es wird zur Lautsprechersprache, zu dem Weltidiom, das jeder kennt und niemand versteht‹« (II, 202). Er ist sicher, dass der Vortrag »völlig folgenlos bleiben« würde (II, 203). Beim Weg aus dem Saal sieht er noch einmal zu dem sich verbeugenden Mr. Edwin zurück. »Philipp verstand ihn. Er dachte ›mein unglücklicher Bruder, mein lieber Bruder, mein großer Bruder‹« (II, 212).

Er geht mit Kay in sein Hotelzimmer. »Er sah sie an, ›sie denkt, es ist eine Absteige‹. Er durfte jetzt nicht versuchen, zärtlich zu sein; er mußte sie niederwerfen, wie ein Kalb im Hof des Schlächters; er mußte sie niederwerfen, ›damit sie was von der Absteige hat‹« (II, 217 f.). Stattdessen tritt er mit ihr ans Fenster und schaut mit ihr in die Nacht. Sie hören den Schrei von Mr. Edwin, der gerade in einer Seitengasse von Schorschi, Bene, Kare und Sepp ausgeraubt wird. Kay verabschiedet sich und hinterlässt Emilias Schmuck auf der Fensterbank. »Philipp verstand die Geste. Er dachte ›sie hält mich für einen Hungrigen‹« (II, 218).

Price sen.

Vater von Washington Price, »Oberaufseher im Getreidesilo« (II, 61) in Baton Rouge, Louisiana (II, 60). Washington schreckt ihn mit einem Telefonanruf aus dem Schlaf auf und bittet ihn um Geld für Carla und das Kind. »Sie werden das Geld senden, die guten Alten, das Hochzeitsgeld, das Kindbettgeld: es ist Mühsal es ist Schweiß, es sind schwere volle Schaufeln, Schaufeln voll Korn, es ist Brot, und neue Verstrickung« (II, 63).

Während des Gesprächs denken beide, jeder für sich, an die Rassentrennung in den Vereinigten Staaten: »das Schild, das einmal an der Zellentür hing, die Washington hinter sich geschlossen hat, hieß Für Juden verboten. […] Washington wurde dekoriert, aber im Vaterland, das ihn auszeichnete mit Bändchen und Medaillen für Tapferkeit, im Vaterland behaupteten sich Schilder des Hochmuts, die Denkweise des Aftermenschen, ob plakatiert oder nicht, blieb stehen Für Schwarze verboten.« (II, 62).

Price, Washington

Afro-Amerikanischer Besatzungssoldat aus Baton Rouge in Louisiana (II, 60), der in der Stadt stationiert ist und für die »Red-Stars« Baseball spielt (II, 47).

Seine Freundin Carla ist schwanger von ihm. Er freut sich darüber, aber sie will das Kind nicht, und ihre Mutter, Frau Behrend, lehnt ihn ab, weil er Schwarzer ist. Er sucht nach Möglichkeiten, Carla dazu zu bewegen, das Kind zu behalten. Da er glaubt, dass sie »dem Geld eher vertrauen (würde) als seinen Worten«, ruft er seine Eltern in Louisiana an und bittet sie um Geld. »Sie werden das Geld senden, die guten Alten, das Hochzeitsgeld, das Kindbettgeld: es ist Mühsal es ist Schweiß, es sind schwere volle Schaufeln, Schaufeln voll Korn, es ist Brot, und neue Verstrickung« (II, 63).

Während des Gesprächs denken Washington und sein Vater, jeder für sich, an die Rassentrennung in den Vereinigten Staaten: »das Schild, das einmal an der Zellentür hing, die Washington hinter sich geschlossen hat, hieß Für Juden verboten. […] Washington wurde Soldat und zog in den Krieg, vorwärts christliche Soldaten, und in Deutschland verschwanden die infamen Gebote, und abgerissen, verbrannt und versteckt wurden die Tafeln des Ungesetzes, die jeden Menschen beschämten. Washington wurde dekoriert, aber im Vaterland, das ihn auszeichnete mit Bändchen und Medaillen für Tapferkeit, im Vaterland behaupteten sich Schilder des Hochmuts, die Denkweise des Aftermenschen, ob plakatiert oder nicht, blieb stehen Für Schwarze verboten.« (II, 62).

Auf dem Weg zu Carlas Wohnung lässt Washington seine himmelblaue Limousine von einem kleinen Mädchen waschen, das er mit Schokolade und Bananen belohnt (II, 72). Dabei wird er von Carlas Sohn Heinz beobachtet (II, 72). Als er danach mit Blumen und Geschenken für Carla vor deren Wohnung aus seinem Auto steigt, beobachten ihn Carlas Nachbarn mit neidischen Blicken (II, 82). Aber Carla ist nicht zu Hause. Washington trifft nur Frau Welz an, bei der Carla zur Untermiete wohnt und die mit den übrigen Zimmern ein Bordell betreibt. »Washington litt unter dieser Wohnung«, aber »Carla fand keine anderen Zimmer« (II, 83).

Er erfährt, dass Carla zu Dr. Frahm gegangen ist, und sucht den Arzt sogleich auf. Frahm beruhigt ihn und gibt vor, nichts von einer Schwangerschaft zu wissen, entschließt sich aber nach diesem Besuch, die Abtreibung nicht vorzunehmen, die er Carla schon zugesagt hatte (II, 113 f.).

Bei einem Baseball-Spiel gewinnt Washington die meisten Läufe, wird aber, als er einen Lauf verliert, vom Publikum sogleich beschimpft, (II, 127). Am Ende gewinnt seine Mannschaft, und nun jubeln die Zuschauern ihm zu. Washington fühlt sich für diesen Moment frei von Diskriminierung und schöpft neuen Mut: »Der Lauf schuf Platz für Washington in der Welt. Er schuf Platz für Carla. Er schuf Platz für ein Kind. Wenn Washington nur immer ordentlich laufen, immer schneller laufen würde, hätten sie alle Platz in der Welt« (II, 134).

Unter der Dusche malt er sich eine Zukunft mit Carla in Paris aus: »In Paris hatte man keine Vorurteile. Er konnte in Paris sein Lokal aufmachen: Washington’s Inn […] Sie konnten in Paris das Lokal aufmachen, sie konnten sein Schild ‘raushängen, konnten es mit bunten Glühbirnen beleuchten, sein Schild niemand ist unerwünscht. In Paris würden sie glücklich sein; sie würden alle glücklich sein. Washington pfiff ein Lied. Er war glücklich. Er verließ pfeifend den Duschraum« (II, 135).

Zurück in Carlas Wohnung gibt es Streit. Carla beschuldigt ihn, die Abtreibung verhindert zu haben, und bewirft ihn im Zorn mit Tellern und Tassen. »Für einen Augenblick dachte er wirklich daran, Carla zu schlagen. Es ist immer die Verzweiflung, die prügeln will, aber sein Glaube überwand die Verzweiflung. Washington nahm Carla in seine Arme. Er hielt sie fest in seinen kräftigen Armen. Carla zappelte in seinen Armen wie ein Fisch in der Hand des Fischers. Washington sagte: ›Wir lieben uns doch, warum sollen wir’s nicht durchstehen? Warum sollen wir’s nicht schaffen? Wir müssen uns nur immer lieben. Wenn alle andern uns beschimpfen: wir müssen uns liebhaben. Noch als ganz alte Leute müssen wir uns lieben.‹« (II, 160).

Am Abend fährt er mit ihr zum Klub der amerikanischen Soldaten (II, 189), in dem Herr Behrend, Carlas Vater, mit seiner Kapelle spielt. Carla begrüßt ihn und stellt ihm Washington von weitem vor, indem sie auf den im Saal Sitzenden deutet (II, 195). Als der Klub von einer aufgebrachten Menge bedroht wird, verlassen beide das Gebäude. Auf dem Weg zum Auto werden sie von der wütenden Menge, die Washington, fehlgeleitet durch einen Ruf von Carlas Mutter, für den ›Taximörder‹ hält, mit Steinen beworfen (II, 210).

Priester

Er untersucht den von Odysseus niedergeschlagenen Josef und stellt fest, dass er noch lebt. Er lässt den Bewusstlosen von den Dienenden Brüdern ins Heiliggeistspital bringen. Hillegonda und ihre Kinderfrau Emmi, die der Bahre folgen, hält er für Verwandte und fragt Hillegonda, ob sie Josefs Enkelin sei. Hillegonda fängt daraufhin an zu weinen und Emmi irritiert den Priester mit ihrer Aussage: »›Sie ist ein Schauspielerkind, Hochwürden. Lüge, Verstellung und Komödie liegen ihr im Blut. Strafen Sie das Kind, retten Sie seine Seele!‹« (II, 179). Er ist »seltsam berührt« von der »finsteren Frömmigkeit der Kinderfrau, von ihrem jeder Wärme, jeder Freude baren steinernen Gesicht und gerührt vom Schluchzen des kleinen Mädchens« (II, 180).

Produktionschef

Leitet die Produktion bei Alexanders aktuellem Film, der »Der Erzherzog und die Fischerin« (II, 13) oder »Die Liebe des Erzherzogs« (II, 14) heißen wird. Er ist von den Aufnahmen des Tages begeistert und hält sich für den »Schöpfer eines Kunstwerkes. Er war Michelangelo, der mit der Presse telefonierte« (II, 116).

Redakteur

Redakteur des »Neuen Blatts«, der Philipp im Alten Schloss trifft und ihm Vorwürfe wegen des geplatzten Interviews mit Mr. Edwin macht. Er verlangt, dass Philipp wenigstens über Edwins Vortrag berichtet. Dafür ködert er ihn mit zehn Mark Spesen (II, 168).

Schellack, Herr

Ein Juwelier, dem Emilia Teile ihres Familienschmucks verkaufen möchte. »Sein gewaltiges Kinn war mit Puder geglättet. Er hatte ein Gesicht wie ein Mehlsack« (II, 152 f.), kurze Arme und dicke Hände, »Hände wie zwei fette Wachteln« (II, 153). Er liebt die bunten Steine, würde sie sich aber nie kaufen, weil sie als Wertanlage zu unsicher sind; nur Brillanten und Gold geben einige Sicherheit und bewahren ihn vor abhängiger Beschäftigung: »solange ich Gold und Brillanten habe brauche ich nicht zu arbeiten« (II, 154).

Er lehnt es ab, Emilias Schmuck zu kaufen, obwohl er erkennt, dass der Schmuck einst im Laden seines Vaters gekauft wurde (II, 154): Es sei altmodischer »Großmutterschmuck« (II, 153). Als Emilia den Schmuck daraufhin der gleichzeitig im Laden anwesenden Kay schenkt und anlegt, steht Herr Schellack »offenen Mundes« dabei (II, 155).

Schnakenbach

Gewerbelehrer, der sich während des Krieges mit Hilfe von Aufputschmitteln fast ständig wach gehalten hatte, um bei der Musterung als kriegsuntauglich eingestuft zu werden. Denn er »lehnte den Krieg als Mittel menschlicher Auseinandersetzung ab, und er verachtete den Soldatenstand, den er als Überbleibsel barbarischer Zeiten, als einen unwürdigen Atavismus in der fortgeschrittenen Zivilisation betrachtete« (II, 120).

Auch nach dem Krieg bleibt er den Drogen verfallen, denn durch den jahrelangen Schlafentzug ist er schlafsüchtig geworden, »der Schlaf rächte sich an ihm, ein tiefer Schlaf war über ihn gekommen, er schlief, wo er ging und stand«, und er braucht große Mengen seiner »Wachhaltepillen«, um wenigstens einige Stunden halbwach zu sein (II, 121). Wegen seiner Schlafsucht hat er seine Arbeitsstelle verloren und gibt nun »sein weniges Geld für wissenschaftliche Versuche« aus, mit denen er nach Wegen sucht, die benötigten Drogen selbst herzustellen (II, 121).

Er lebt in einem Kellerraum im Haus einer Baronin, wo er seinen wissenschaftlichen Studien und Versuchen nachgeht. Der Raum ist übersät mit Zetteln, auf denen er chemische Formeln notiert hat und die sein Psychiater, Dr. Behude, als Spiegel seines Weltbilds betrachtet: »so sieht Schnakenbach die Welt, das All, so sieht er sich selbst, alles in seiner Vorstellung ist abstrakt und wächst aus den kleinsten Teilen zu gigantischen Rechnungen« (II, 122).

Schnakenbach verbringt den Nachmittag in der Bibliothek des Amerikahauses, wo er sich auf den neuesten Stand in Sachen schlafhindernder Mittel bringen will. Er schläft darüber ein und wird erst wieder von der defekten Lautsprecheranlage bei Mr. Edwins Vortrag geweckt, der inzwischen begonnen hat. Er torkelt noch halb schlafend in den Saal und wird für einen Techniker gehalten, weshalb man ihm das defekte Mikrofon gibt. Er »glaubte, schlafbenommen wie er war, vor der Klasse zu stehen, die er geleitet hatte, bevor er sein Amt als Gewerbeschullehrer aufgeben mußte, und so schrie er in das Mikrophon die große Sorge, die ihn erfüllte: ›Schlaft nicht! Wacht auf! Es ist Zeit!‹« (II, 185).

Behude führt ihn vom Mikrofon weg und setzt sich mit ihm neben die Philosophieklasse des Priesterseminars. Beim Vortrag schläft Schnakenbach sogleich wieder ein (II, 203). Später bringt Behude ihn nach Hause, dabei erklärt er dem Arzt sein ›wissenschaftliches‹ Weltbild, das er in eine einzige Formel bringen zu können behauptet (II, 215).

Schorschi, Bene, Kare und Sepp

Vier Jungen, die schon am Morgen im Kino der »Engellichtspiele« sitzen und den Film »Der letzte Bandit« anschauen. In der NS-Zeit sind sie Hitlerjungen gewesen, haben für die Winterhilfe gesammelt und die nächtlichen Luftangriffe auf die Stadt erlebt. Nun sind sie orientierungslos, »haben keine Lehrstelle und keine Arbeit. […] Sie schwänzen die Gewerbeschule, da sie kein Gewerbe haben, oder doch Gewerbe, die man in der Schule nicht lernt«. Sie betreiben das »Gewerbe der flinken Hände« oder das »Handwerk der festen Fäuste«, d.h. sie sind Taschendiebe und begehen Raubüberfälle, oder sie beschaffen sich Geld auf »die warme Tour«, indem sie sich als Strichjungen verdingen (II, 23 f.).

Sie »warten auf den Trommler«, auf einen neuen Führer. Sie sind »bereit zu folgen, bereit zu kämpfen, bereit zu sterben. Es braucht kein Gott zu sein, der sie ruft, ein Plakat auf allen Mauern, eine grade gängige Larve, ein Bärtchen mit Markenschutz« würden ausreichen (II, 24).

Am Nachmittag besuchen Schorschi, Bene, Kare und Sepp das Baseballspiel, bei dem Washingtons Mannschaft gewinnt. Die Karten haben sie vom amerikanisch-deutschen Jugendclub kostenlos bekommen. Sie beobachten, wie Heinz sich nach dem Spiel mit anderen Jungen prügelt, und feuern ihn an. Heinz spuckt vor Bene aus und nennt ihn »Strizzi«. Schorschi hält Bene davon ab, Heinz zu schlagen. Danach langweilen die Jungen sich. Sie wissen nicht, wie sie den Tag verbringen sollen, und »setzten irgendwelche Hoffnungen auf den Abend« (II, 134).

In der Nacht treffen sie auf Mr. Edwin, der in einschlägiger Umgebung, »im Revier von Oscar Wildes goldenen Nattern«, auf der Suche nach einem Abenteuer ist. Die Jungen »ahnten nicht, daß es ein Verfallensein an die Schönheit gibt und daß der Liebhaber im Geliebten, im Körper eines rüden Burschen, den Abglanz des ewig Schönen, das Unsterbliche lieben kann«. Sie erkennen nur einen »eleganten reichen Freier, ein komisches Geschäft, das ihnen nicht einmal ganz verständlich, das aber, wie sie aus Erfahrung wußten, mitunter einträglich war« (II, 216). Wenig später hören Philipp und Kay von Philipps Hotelzimmer aus Edwins Hilferuf. »Es war nur ein kurzer kleiner Schrei, und dann starb der Schrei« (II, 218).

Schwester

Krankenschwester in der Schulteschen Klinik, bei der Carla wegen des von Dr. Frahm für sie reservierten Bettes nachfragt. Sie hat die »monotone Stimme einer Schallplatte des Fernsprechdienstes, die, wenn man ihre Nummer gewählt hat, immer ein und dieselbe Auskunft wiederholt« und »das Gesicht einer Steinfigur« (II, 130). Sie teilt Carla mit, dass kein Bett für sie reserviert sei.

Susanne

Susanne hat die Nacht auf Messalinas Party verbracht und ist enttäuscht (II, 14): Messalinas Mann, der große Filmheld Alexander war zu müde gewesen, um mit ihr zu schlafen, stattdessen war sie von mehreren Frauen zu lesbischen Spielen genötigt worden, denen Alexander aus »toten gläsernen Augen« zugesehen hatte. Auch ist sie enttäuscht darüber, dass man ihr für die Nacht nichts geschenkt hat (II, 151).

Da kommt ihr Odysseus, der sie in der schäbigen Heiliggeistwirtschaft zu sich heranwinkt, gerade recht. Bereitwillig setzt sie sich zu ihm, schiebt seinen Begleiter Josef verächtlich beiseite und stiehlt Odysseus gleich bei der ersten Umarmung sein ganzes Geld. »Susanne war Kirke und die Sirenen, […] vielleicht war sie auch noch Nausikaa«, und »Odysseus ahnte nicht, welche Damen ihm in dem Mädchen begegneten« (II, 152).

Als Odysseus den Diebstahl bemerkt und die Gäste der Kneipe verdächtigt, entsteht ein Tumult, so dass er fliehen muss. Susanne folgt ihm, denn da sie »Kirke und die Sirenen und vielleicht noch Nausikaa war, mußte sie Odysseus folgen. Sie mußte ihm gegen alle Vernunft folgen« (II, 158). Als Odysseus dann seinen Gepäckträger Josef erschlägt, macht sie sich aus dem Staub, verrät ihn aber nicht. Von Gewissensbissen wegen ihres Diebstahls geplagt, gibt sie dem Vorabend die Schuld: »die Schweine bei Alexander haben mich schlecht gemacht, […] ich wollte mich an den Schweinen rächen, aber man rächt sich immer nur an den Falschen« (II, 161 f.).

Susanne »haßte die Welt, von der sie sich ausgestoßen und mißbraucht fühlte. Susanne liebte jeden, der sich gegen diese hassenswerte Welt wandte, der ein Loch in ihre kalte grausame Ordnung schlug« (II, 188). Im »Klub der Negersoldaten« (II, 186) trifft sie erneut auf Odysseus und tanzt mit ihm. Sie gleiten »wie ein Leib im Tanz über das Parkett, wie eine vierfüßige sich windende Schlange. […] Die Schlange hatte vier Beine und zwei Köpfe, ein weißes und ein schwarzes Gesicht, aber nie würden die Köpfe sich gegeneinander wenden, nie die Zungen gegeneinander geifern: sie würden sich nie verraten, die Schlange war ein Wesen gegen die Welt« (II, 196).

Als der Klub von der aufgebrachten Menge auf dem Platz attackiert wird, fliehen beide in eine Seitengasse (II, 209) und in eine Ruine, in der sie miteinander schlafen. Sie »lagen wie auf einem Floß, im Taumel der Vermischung lagen sie wie auf einem Floß, nackt und schön und wild, sie lagen unschuldig auf einem Floß, das in die Unendlichkeit segelte« (II, 215).

Tochter der Hausbesorgerin

Die Tochter der Hausmeisterin in Frau Behrends Haus lebt in einer von den Unterhaltungsfilmen der Zeit geprägten Traumwelt. Sie »war hungrig nach dem Leben, wie es die Filme zeigten, sie war eine verwunschene Prinzessin, zu niederem Dienst gezwungen. Sie erwartete den Messias, die Hupe des Erlöserprinzen, den Millionärssohn im Sportwagen, den Fracktänzer der Cocktail-Bar, das technische Genie, den vorausschauenden Konstrukteur, den Knock-out-Sieger über die Zurückgebliebenen, die Feinde des Fortschritts, Jung-Siegfried. Sie war schmalbrüstig, hatte rachitische Gelenke, eine Bauchnarbe und einen verkniffenen Mund. Sie fühlte sich ausgenutzt« (II, 18).

Als Richard Kirsch sie nach Frau Behrend fragt, behandelt sie ihn von oben herab, denn »Richard war nicht der Strahlende, der Erfolgsmensch, der Held, auf den das häßliche Mädchen wartete« (II, 125 f.). Für sie gehören alle Amerikaner »zu den geringen Leuten« (II, 126).

Unverlacht

Altwarenhändler, bei dem Emilia regelmäßig auftaucht, um ihre Habseligkeiten in Geld umzusetzen. Er haust mit seinem Laden in einem »Gewölbe« im Souterrain; »hinter schmutzigen Scheiben sah Emilia im Licht von Alabasterlampen […] seine gewaltige Glatze glänzen«. Er ist »von untersetzter breitschultriger Gestalt; wie ein Möbelpacker sah er aus, der eines Tages entdeckt hatte, daß es leichter und einträglicher sei, mit altem Hausrat zu handeln, statt ihn zu tragen«. Emilia kommt er vor wie »ein hinterhältiger plumper Frosch, der in seinem Gewölbe auf Fliegen wartete« (II, 91 f.). Er nennt sie »Sissy«, begrapscht sie mit seinen ›Froschflossenhänden‹ und beobachtet lüstern jede ihrer Bewegungen (II, 92 f.). Sie »hätte ihn betören können, wenn er begabt gewesen wäre, einem anderen als dem Impuls der Gewinnsucht zu folgen« (II, 93).

Unverlacht schätzt die Sachen »aus so feiner Familie aus so reichem Haus«, die Emilia ihm anbietet, nutzt aber ihre Geldnot schamlos aus (II, 93). Bei ihm hat Emilia »die Finten des Handels gelernt«. Für einen Gebetsteppich, den er, wie sie weiß, für hundert Mark verkaufen wird, bietet er ihr zehn Mark, sie fordert dreißig Mark (II, 94).

Vlasta

Geliebte von Herrn Behrend. Sie stammt aus Prag, wohin Herr Behrend während des Krieges versetzt worden war. Bei Kriegsende hatte sie ihn in einer Truhe versteckt, später war sie mit ihm aus der Tschechoslowakei nach Deutschland geflohen. Sie hatte sich »von allem losgesagt« (II, 187).

Während Herr Behrend im Klub der amerikanischen Soldaten seine Kapelle dirigiert, sitzt sie daneben mit einer Näharbeit. »Zuweilen schaute sie auf, und Vlasta und Herr Behrend lächelten einander zu. Sie hatten ein Geheimnis: sie hatten sich gegen die Welt gestellt und sich behauptet; sie hatten sich jeder gegen die eigene Umwelt und ihre Anschauungen gestellt, und sie hatten den Kreis des Vorurteils, der sie einengen wollte, gesprengt. […] Sie hätten es vorher nicht für möglich gehalten, daß man so frei und so glücklich sein könne« (II, 187 f.).

Als Behrends Tochter Carla im Klub auftaucht und er sie miteinander bekannt macht, »waren alle drei verlegen. Aber sie dachten nichts Böses voneinander« (II, 195).

Voss, Frau de

Antiquitätenhändlerin, der Emilia einige ihrer Habseligkeiten zum Kauf anbietet. Sie begegnet »Kunden, die etwas verkaufen wollten, mit der Herablassung einer früheren Hofdame und der Strenge einer Lehrerin.« Emilia nennt sie »Kindchen« (II, 143).

Emilia möchte ihr eine Tasse aus der Berliner Porzellanmanufaktur verkaufen, für die sich der gleichzeitig im Laden anwesende Mr. Edwin interessiert, was Frau de Voss in Verlegenheit bringt. Um die Spanne von Ein- und Verkaufspreis vor Emilia geheimzuhalten, versucht sie, Mr. Edwin für die Preisverhandlung in einen anderen Raum zu locken. Aber Mr. Edwin, der ihre Absicht durchschaut, fühlt sich abgestoßen und verlässt das Geschäft (II, 144 f.).

Welz, Frau

Vermieterin Carlas, die mit den übrigen Zimmern ihrer Wohnung ein Bordell betreibt. Sie ist »strubbelhaarig, fett, hängeärschig, schmutzig« (II, 83). Carla schämt sich, bei ihr zu wohnen, und verachtet sie und ihre Mädchen. Aber wenn Washington nicht da ist, »biederte sie sich mit den Mädchen zusammen« oder »saß bei Frau Welz in der Küche […] und erzählte alles, was Frau Welz (die es dann an die Nachbarinnen weitergab) wissen wollte« (II, 84). Von Frau Welz erfährt Washington von Carlas Besuch bei Dr. Frahm (II, 87).

Wescott, Katharine

Die 38-jährige Amerikanerin ist im Autobus mit einer Gruppe Lehrerinnen aus Massachusetts (II, 50) in der Stadt unterwegs. »Sie hatten einen Tag für die Stadt und zwei weitere für die amerikanische Besatzungszone in Deutschland« (II, 51).

Katharine fühlt sich für ihre deutlich jüngere Kollegin Kay verantwortlich, ist wohl auch etwas in sie verliebt (II, 51). Sie hindert sie daran, Hemingways »Accross the river« zu lesen, ein Buch, das nach ihrer Überzeugung »nie hätte gedruckt werden dürfen (II, 52). Kay entzieht sich ihr nach Möglichkeit und setzt sich am Nachmittag zu Katharines Verstimmung und Besorgnis ganz von der Gruppe ab (II, 165).

Katharine fühlt sich in Deutschland am Puls der »Weltgeschichte« (II, 166) und macht sich ständig Notizen: »ich kann es im Geschichtsunterricht anbringen, eine historische Stunde, Amerika in Deutschland« (II, 51). Beim Anblick von schlecht gekleideten Passantinnen notiert sie: »Noch immer sichtbar die Unterdrückung der Frau, keine dem Mann gleichwertige Stellung. Sie würde darüber in Massachusetts im Frauenclub sprechen« (II, 52).

In der Halle von Mr. Edwins Hotel treffen die Lehrerinnen auf Philipp, den sie zunächst für Mr. Edwins Sekretär halten (II, 96 ff.). Katharine erbittet von ihm eine Einführung in Mr. Edwins »doch allzu schwer zugängliches, allzu dunkles, der Deutung bedürfendes Werk« (II, 97), eine Bitte, die Philipp der »freundlichen Eule mit der Brille« (II, 98) verweigern muss.

Auf dem Weg zu Mr. Edwins Vortrag im Amerikahaus übernimmt Katharine die Führung der Lehrerinnen, die ihr »in Zweierreihen wie eine Schulklasse« folgen. Sie führt sie über »den großen Platz, eine von Hitler entworfene Anlage« (eine Anspielung auf den Münchner Königsplatz) und doziert über dessen Bedeutung, während Mildred Burnett Vögel beobachtet und über Kay nachdenkt, statt ihr zuzuhören. Katharine ist befremdet: »›Seit wann interessieren Sie sich für Vögel? […] Das sind […] gewöhnliche Spatzen. Achten Sie lieber auf die Weltgeschichte.‹ – ›Das ist dasselbe‹, sagte Miß Burnett, ›es spielt sich alles unter Spatzen ab. Auch Sie sind nur ein Spatz, liebe Wescott« (II, 165 f.).

Beim Vortrag von Mr. Edwin sitzt die Reisegruppe in der ersten Reihe. Als die Frauen Kay erblicken, die mit Philipp zur Tür herein kommt, stöhnt Katharine: »Es ist furchtbar« und hat »das Gefühl, daß man die Polizei rufen müsse« (II, 184).

Beim Vortrag schreibt sie eifrig mit, »was sie nicht verstand, aber für bedeutend hielt« (II, 204). Als Edwin die Zufälligkeit der menschlichen Existenz mit Gertrude Steins Metapher »Tauben im Gras«, der Titelmetapher des Romans, umschreibt, hört Katharine auf mitzuschreiben und erinnert sich an Mildreds Bemerkungen über Vögel. Dass der »verehrte Dichter« und die »viel weniger verehrte Lehramtskollegin« gleiche Gedanken haben könnten, verwirrt sie ebenso wie diese Gedanken selbst. »Sie war keine Taube oder sonst ein Vogel. Sie war ein Mensch, eine Lehrerin, sie hatte ein Amt, auf das sie sich vorbereitet hatte und immer wieder vorbereitete, sie hatte Pflichten, und sie suchte sie zu erfüllen« (II, 207 f.).

Nach dem Vortrag stehen Katharine und ihre Kolleginnen mit ihren Merkbüchern, in die sie »tote Wörter« geschrieben haben, »Grabzeichen des Geistes; Wörter, die sie nicht zum Leben, die sie zu keinem Sinn erwecken würden«, in dem sich leerenden Saal und sind enttäuscht: über ihre Reise, über den Vortrag und über die untreue Kay (II, 213).

Wiggerl

Sitzt neben Schorschi, Bene, Kare und Sepp schon am Morgen im Kino der »Engellichtspiele« und schaut den Film »Der letzte Bandit« an. Wie die Jungen neben ihm (mit denen er ansonsten wohl nichts zu tun hat) ist er Hitlerjunge gewesen, hat für die Winterhilfe gesammelt und die nächtlichen Luftangriffe auf die Stadt erlebt (II, 23).

Nun träumt er davon, Fremdenlegionär zu sein, »übers Meer so weit, bei den Annamiten im Busch, Schlangen und Lianen, verfallene Tempel, oder bei den Franzosen im Fort, Mädchen und Wein in Saigon […]. Gleichgültig. Wiggerl kämpft. Er singt: weiter die Fahne hoch. Er fällt. Soldatentod ist der schönste Tod. So oft gehört, in der Kindheit eingeprägt, von Vätern und Brüdern vorgelebt, Tränentrost der Mutter, nie wird das Wort vergessen« (II, 24).

© Thomas Müller 2010 – Alle Rechte vorbehalten.