Sampson, Sir William

Der »zärtliche Vater« (III, 3; LM II, 302) liebt seine Tochter Sara, die mit Mellefont durchgebrannt ist, weil er der Verbindung beider nicht zustimmen wollte. Nun plagen ihn Schuldgefühle, auch deshalb, weil er es war, der Sara mit Mellefont bekannt gemacht hat (III, 1; LM II, 299). Von Marwood über den Aufenthaltsort des flüchtigen Paars instruiert (II, 4; LM II, 291), reist er der Tochter mit seinem alten Diener Waitwell nach, um ihr zu vergeben und sie samt Liebhaber nach Hause zu holen.

Sir William ist ein empfindsamer Mann und vergießt viele Tränen um seine Tochter. Dabei handelt es sich freilich nicht nur um Tränen der Liebe, sondern auch der Selbstliebe. Denn er fühlt sich ohne sie einsam, »kann sie nicht länger entbehren« und will die »Stütze meines Alters« nicht verlieren (I, 1; LM II, 268). Deshalb knüpft er seine Vergebungsbereitschaft an eine Bedingung: Er möchte zuvor Gewissheit haben, dass Sara ihn noch liebt. Das ist ihm, wie er sich selbst und Waitwell eingesteht, erheblich wichtiger als die Tugendfrage: »Ich würde doch lieber von einer lasterhaften Tochter, als von keiner, geliebt seyn wollen« (ebd.).

Das ist der Grund, warum er, obwohl er in demselben Gasthof Quartier nimmt, ja sogar Wand an Wand mit seiner Tochter wohnt (I, 2; LM II, 269), zunächst seinen Diener mit einem Brief zu ihr schickt und ihm aufträgt, »auf alle ihre Mienen« achtzugeben und sich »ja keinen Zug entgehen« zu lassen, »der etwa eine Gleichgültigkeit gegen mich, eine Verschmähung ihres Vaters, anzeigen könnte«, denn für diesen Fall ist er entschlossen, »sie ihrem Schicksale zu überlassen« (III, 1; LM II, 299 f.). Die dadurch und durch seinen Wunsch nach einer ebenfalls schriftlichen Antwort der Tochter (III, 3; LM II, 308) entstehende Verzögerung des Wiedersehens schafft die nötige Zeit für Marwoods Aktionen, befördert mithin das katastrophale Ende: Als Sir William seine Tochter endlich in die Arme schließt (V, 9), hat sie Marwoods Gift schon in sich.

Nun erst erkennt Sir William seinen Fehler: »Soll ein Vater so eigennützig handeln? Sollen wir nur die lieben, die uns lieben? Tadle mich, liebste Sara, tadle mich; ich sahe mehr auf meine Freude an dir, als auf dich selbst« (V, 9; LM II, 347).

Nach Saras Tod und Mellefonts Selbstmord beschließt Sampson, beiden ein gemeinsames Grab zu geben und sich Mellefonts und Marwoods Tochter Arabella anzunehmen: »Sie sey, wer sie sey: sie ist ein Vermächtniß meiner Tochter« (V, 11; LM II, 353). 

Der Name Sampson ist vermutlich nach der Figur des »Sampson Legend« aus William Congreves Komödie »Love for Love« (1695) gewählt. In der zweiten Fassung von 1772 ändert Lessing, dem englischen Sprachgebrauch folgend, den Namen »Sir Sampson« in »Sir William«. – Alle Personennamen der »Sara Sampson« entlehnt Lessing aus englischen Dramen und Romanen, ohne die damit verbundenen Charaktere zu übernehmen. Vgl. dazu G. E. Lessing: Werke und Briefe in 12 Bänden, hg. von Wilfried Barner zusammen mit Klaus Bohnen u. a. Frankfurt/M. 1985 ff., hier Bd. 3: »Werke 1754-1757«, hg. von Conrad Wiedemann unter Mitwirkung von Wilfried Barner und Jürgen Stenzel (2003), S. 1261.