Cresspahl, Lisbeth

Frau von Heinrich Cresspahl und Mutter von Gesine Cresspahl. Jüngstes Kind von Albert und Louise Papenbrock, geboren am 12. November 1906, gestorben am 10. November 1938. Schwester von Hilde PaepckeRobert und Horst Papenbrock, Lieblingskind des Vaters. Höhere Töchterschule in Rostock, von der sie im Juni 1928 in die elterliche Getreidehandlung nach Jerichow zurückkehrt. Lernt im Sommer 1931 Heinrich Cresspahl kennen. Obwohl in eine Ehe nach Lübeck versprochen, Verlobung. Besucht im September 1931 ihren Bräutigam heimlich in Richmond. Hochzeit am 31. Oktober 1931 in Jerichow. Sie zieht mit Cresspahl nach Richmond, kehrt aber Ende Januar 1933 nach Jerichow zurück, um dort ihre Tochter Gesine am 3. März 1933 zur Welt zu bringen. Ihr zuliebe gibt Cresspahl die Tischler-Werkstatt in Richmond auf und folgt ihr im November 1933 nach Jerichow. Ausbau des Anwesens am Ziegeleiweg, das Albert Papenbrock seiner Enkelin Gesine überschrieben hat, zu einer Werkstatt für Kunsttischlerei. Der religiöse Eifer der Mutter verstärkt sich bei Lisbeth zu wahnhaften Schuldgefühlen. Um ihr Kind vor Schuld zu »retten«, versucht sie wiederholt, es umzubringen, und unterbricht eine zweite Schwangerschaft zu Ende des Jahres 1936. In der Nacht der Judenpogrome vom 9. auf den 10. November 1938 ohrfeigt sie den NS-Bürgermeister Jansen, der die Zerstörung von Oskar Tannebaums Laden leitet. In einer Art ›Opfergang‹ für die in dieser Nacht erschossene Tochter der Tannebaums steckt sie noch in derselben Nacht Cresspahls Werkstatt am Ziegeleiweg in Brand und kommt in den Flammen um. Bei ihrer Beerdigung am 14. November 1938 erteilt Pastor Brüshaver ihr den Segen, den die Kirche Selbstmördern nicht zugesteht.

17 Während eines Sonntagsausflugs der Familie Papenbrock im August 1931 sieht die fünfundzwanzigjährige Lisbeth ihren künftigen Ehemann Heinrich Cresspahl zum ersten Mal in einem Wirtshausgarten an der Travemündung. Gesine über ihre Mutter: »Auf Familienbildern steht sie hinten, die Hände verschränkt, den Kopf leicht schräg geneigt, nicht lächelnd. Man sah ihr an, daß sie noch nie anders denn aus freien Stücken gearbeitet hatte. Sie war so mittel groß wie ich, trug unser Haar in einem Nackenknoten, dunkles, locker fallendes Haar um ihr kleines, gehorsames, ein bißchen gelbliches Gesicht. [...] Sie allein hatte gemerkt, daß der Mann, der sie ebenmäßig ohne ein Nicken beobachtete, ihnen nachgegangen war von der Priwallfähre bis an den nächsten freien Gartentisch.« 

48-51 Spaziergang mit Cresspahl in Rande im August 1931. Lisbeths Stimme war »klein, biegsam, ein hoher Alt«. Sie »soll nach Lübeck heiraten«. Sie überschüttet ihn mit Fragen: »Schläfst du mit einem Kopfkissen? Glaubst du an Gott? Ist es von Richmond weit zur See? [...] Wünschst du dir Kinder, Heinrich Cresspahl?«

56-57 Während des Kapp-Putsches 1920 beherbergt ihr Vater auf Gut Vietsen bei Waren an der Müritz Soldaten und Waffen der Reichswehr. Als Landarbeiter die umliegenden Güter nach Waffen absuchen, verrät die vierzehnjährige Lisbeth arglos das Waffenversteck. Lisbeth »wurde für zwei Wochen auf Wasser und Brot gesetzt. Papenbrock sprach von Verrat durch sein eigen Fleisch und Blut. Seine Frau sprach von der Liebe des Christen zur Wahrheit«. – 1922 gibt Papenbrock die Gutspacht in Vietsen auf; im Dezember 1923 zieht die Familie nach Jerichow (vgl. 504-507).

57-59 In einem der Zwiegespräche Gesine Cresspahls mit ihrer toten Mutter spricht Lisbeth über die Zeit in Vietsen: »In Vietsen hatten wir Mädchen jedes für sich ein Dienstmädchen. / Dann gab es noch die von der Plättstube, der Küche, der Waschküche, die zum Saubermachen, und die Mamsell. / Eine Zeit lang hatte Louise Papenbrock einen Hausgeistlichen.« – Sie hindert ihren Bruder Robert daran, ein Pferd zu misshandeln; der Bruder richtet seine Pistole auf sie, der Schuss verfehlt sie nur zufällig. – Gesine fragt sich: »Was wollte Cresspahl in einer solchen Familie.«

69-73 Cresspahl hält bei Albert Papenbrock um Lisbeths Hand an. Verlobung. – Lisbeth ist Papenbrocks »Vorzugstochter«.

88 Meta Wulff warnt den verliebten Cresspahl vor Lisbeths religiösem Übereifer, spricht von ihren regelmäßigen Kirchgängen und von den Bibelstunden, die sie für Kinder abhält. »Cresspahl hat nicht mehr verstanden als: sie kann auch noch gut mit Kindern.«

96 Schickt Cresspahl nach Richmond eine Photographie des »Lichtbildners« Horst Stellmann: »ein nicht auffälliges Mädchen, das seine Haare mit einem Mittelscheitel geteilt hat und seitlich über die Ohren gelegt hat, Lisbeth Papenbrock mit den Händen vor dem Bauch aufgebaut vor Stellmanns eigenartig gerafften Vorhängen. Sie blickt vorsichtig und belustigt auf die Plattenkamera, an der Stellmann sich windet unter seinem schwarzen Tuch, und ihre Lippen waren ein wenig offen. Alle früheren Bilder vergaß Cresspahl sogleich.« 

102-106 Mit Unterstützung ihrer Freundin Leslie Danzmann fliegt Lisbeth im September 1931 heimlich nach England und besucht ihren Bräutigam. »Alle Worte, die er ihr über das Haus und über Salomon und über Richmond angeboten hatte, nahmen unverzüglich für sie die Gestalt seiner Treppe, seiner Küche, seines Zimmers und der Gaswerkschornsteine vor dem Fenster an. Sein Besuch in Jerichow nahm unaufhörlich an Wirklichkeit zu. Schon ängstigte sie sich davor, ihn zu verlieren; sie wünschte sich, vor ihm zu sterben.« Cresspahl »war erschrocken über die Einfälle, die er nach diesem von ihr gewärtigen mußte. Ihm war unheimlich, wie blind sie sich in einem Schritt, in einer Zeit mit ihm glaubte; wo ihn noch Fremde und Entfernung scheuerten, bemerkte sie keinen Abstand mehr.« 

111-115 Die Hochzeit in Jerichow am 31. Oktober 1931. Für die Trauung in der Petri-Kirche durch Pastor Methling hat Lisbeth den Bibelspruch aus Lukas 9, 62 gewählt: »Wer die Hand an den Pflug legt und schaut zurück, der taugt nicht zum Reiche Gottes«. – Am Abend reist das Paar ab, Übernachtung im Hamburger Hotel Reichshof.

122-124 Lisbeth lebt sich nur schwer in Richmond ein. »Und Cresspahl sah nicht, daß sie getröstet werden wollte! Cresspahl kam vergnügt zu den Mahlzeiten heraufgestiegen und streckte die Beine lang unter den Tisch und lobte das Essen.«

128-131 Das Leben in Richmond, mit dem Lisbeth sich nicht anfreunden kann. Auch die Kirche bleibt ihr fremd: »Sie erkannte ihren Gottesdienst in dieser Sprache nicht wieder.« Cresspahl glaubt sie glücklich. – Sie bekommt einen Brief von ihrer Jugendliebe Herbert Wehmke.

141-143 Sie hat Angst vor den Arbeitslosen und entdeckt bei einem Besuch der Eltern von Perceval, Cresspahls Gesellen, die Armut. Die Wirtschaftskrise, von der sie Cresspahl sprechen hört, verunsichert sie, und sie fühlt sich schuldig, weil sie erkennt, dass »Wohltätigkeit über ein gutmütiges Maß hinaus [...] ihr ins Küchengeld geschnitten, [...] den Traum vom eigenen Haus beschädigt« hätte. »Und insgeheim dachte sie wieder und wieder: So schlimm ist es in Deutschland nicht. Als sie dem Kapitalismus zum ersten Mal begegnete, hielt sie ihn für etwas Ausländisches.«

146-149 Lisbeths erfolglose Bemühungen, in Richmond Fuß zu fassen. Sie führt ein Tagebuch, in das sie »viele kleine Klagen, die sie mit Verstand und Gerechtigkeit nicht aussprechen konnte«, einträgt, das sie dann aber verbrennt. »Sie faßte immer neue Vorsätze, und immer von neuem geriet sie in Streit mit Cresspahl, fand nicht heraus, wandte sich wortlos ab und blieb für Tage gefangen in einem Schweigen, das sie vor den Arbeitern mit krampfiger Gesprächigkeit verdeckte.«

158-159 Ihr Briefwechsel mit der Mutter. Im November 1932 schreibt Lisbeth ihr von ihrer Schwangerschaft. »Cresspahl will ein Mädchen. Und wenn ich recht bekomme, heißt der Junge Heinrich. / Henry meinst du. Henry mein ich, Cresspahl

180-183 Während Cresspahl glaubt, dass Lisbeth sich eingelebt hat, geht sie mit Reiseplänen um. Ende Januar 1933 bittet sie ihn, ihr eine Schiffspassage nach Hamburg zu buchen. Sie will das Kind in Jerichow zur Welt bringen. Er erkennt, »daß sie sich auf den Streit vorbereitet hatte wie auf eine Arbeit«, und macht nur einen schwachen Versuch, sie zum Bleiben zu bewegen: »Er sagte vorsichtig: Du kannst nicht beides haben, ein Kind bei dir zu Hause und mich auch in Jerichow. Und sie sagte, nicht unfreundlich: Was geht dich das Kind an, Cresspahl.«

193 Ihre Abreise aus Cresspahls Sicht: »Sie hatte hinter der Scheibe gestanden, mit hängenden Armen, als sei ihr das Öffnen des Fensters zu beschwerlich. Sie hatte nichts angesehen als ihn. Es war ein anderes Gesicht. Sie schien jünger, und zu jung für ihre neuen Erfahrungen. Sie hatte wieder ein Mädchengesicht, etwas ungenau um die Augen, ein Weniges starrsinnig.«

202-206 Am 3. März 1933 bringt Lisbeth im Haus ihrer Eltern die Tochter Gesine zur Welt. Cresspahl trifft am Nachmittag in Jerichow ein. Die Eheleute haben keine Gelegenheit, allein zu sein. »Cresspahl hatte einen Blick von seiner Frau erwischt, als er an ihrem Kopfende entlang ins Nebenzimmer ging, einen benommenen Blick, der aus Träumen kam.«

214-217 Zu Cresspahls Verdruss liegt Lisbeth »Staat im Teezimmer und mußte die Aufwartungen der befreundeten Familien hinnehmen«. Es gelingt Cresspahl nicht, »mit Lisbeth unbefangen zu reden (außer in der ersten Nacht, die er auf dem Fußboden neben ihrem Bett verbrachte, die Hände im Nacken verschränkt, leise redend, bis sie ihre plötzliche Angst vergaß und einschlafen konnte). Sie versprach ihm kein Reisedatum, aber sie widersprach ihm auch nicht.« Sie einigen sich auf den Namen Gesine.

246 Sie besteht auf einer kirchlichen Taufe anstelle einer Haustaufe, die Cresspahl vorgezogen hätte, um möglichst rasch mit ihr und dem Kind nach Richmond zurückreisen zu können. Gesine in einem imaginierten Totengespräch mit ihrem Vater: »Sie hat dich reingelegt, Cresspahl

250-253 Imaginiertes Streitgespräch der Eheleute über ihren künftigen Wohnort, nachdem Albert Papenbrock seiner neugeborenen Enkelin das Anwesen am Ziegeleiweg überschrieben hat: Lisbeth möchte in Jerichow bleiben. Sie hat ihren Vater zu der Schenkung veranlasst, um Cresspahl an Jerichow zu binden.

262 Louise Papenbrock hat einen »Zaun« um die Wöchnerin Lisbeth gezogen, »den Cresspahl nicht etwa mit Erlaubnis, sondern auf Anweisung zu übersteigen hatte«. Die Eheleute sind weiterhin kaum allein.

279-282 Hilde Paepcke fährt an Lisbeths Stelle zur Beerdigung von Cresspahls Mutter Berta Cresspahl. Trotzdem bleibt Lisbeth »die Beerdigung ihrer Schwiegermutter nicht erspart. Ihre Schwester Hilde nahm sich einen Nachmittag lang Zeit, davon zu erzählen.« Sie macht ihr ein schlechtes Gewissen. »Als Cresspahl nach Jerichow zurückkam, hatte Hilde ihre Schwester so weit, daß er Lisbeth über sein eigenes Unglück trösten mußte. Jetzt wäre sie mitgegangen zum Bahnhof, hätte er es gesagt.«

286-287 Am 12. November 1967 hält Gesine Cresspahl ihrer Mutter die »jährliche Rede« auf ihren Tod. »Alle Leute in ganz Jerichow, ganz Mecklenburg, ganz Deutschland bestanden nicht vor deinem Hochmut. Für die warst du dir zu gut. [...] Du wolltest nicht alle kränken. Ihn hast du gekränkt. Du hast mich gekränkt. Ein Kind. Wir verzeihen dir gar nicht

300 Cresspahl hatte schon im März 1933 »keine Wahl mehr. Das Kind und dazu die Frau konnte er nur noch in Jerichow behalten, nicht mehr in Richmond, nicht in Lisbeths fremdem Land.«

316-321 Gesines Taufe am 19. März 1933. »Lisbeth, meine Mutter, deine Großmutter, zeigte nicht viel, aber es war an ihren Blicken auf Brüshaver zu sehen, auch an ihrem bereitwilligen, zeitgleichen Einfallen in Gebet und Antwort, daß sie mit einem Fest beging, daß sie alles Gewünschte bekommen hatte.« Am Abend fährt Cresspahl allein nach Richmond zurück. »Nu hest din Willn, Lisbeth. / Nu sast din' all Tied hem, Hinrich.« [Nun hast du deinen Willen bekommen, Lisbeth. / Von jetzt an soll alles nach deinem Willen gehen, Heinrich.] 

349 »Als Perceval begriff, daß die Frau des Meisters nicht in ein paar Tagen und nicht in einigen Wochen nachkommen würde, kündigte er seine Stellung.«

353 »Ende April 1933 stellte Dr. Berling der jungen Frau Cresspahl die Rückreise nach England frei. [...] Sie konnte ihm nicht nachweisen, daß er sich erdreistet hatte, einer verheirateten Tochter eines Albert Papenbrock einen Rat zu geben. Sie war so verdutzt, daß Jemand ein Gegenteil von ihren Wünschen für etwas Vernünftiges ansah, sie sagte ihm nicht Bescheid, nicht einmal als er sagte: Und grüßen Sie den alten Schweden in Richmond!«

354-367 Sie schreibt Cresspahl Briefe nach Richmond. »Am Kind fand sie wenig für Briefe«, aber »das Schreiben stieß sie auf den Wunsch, daß Cresspahl doch selber dem Kind beim Wachsen zusehen sollte, und auf die ärgerliche Erinnerung, daß er aber ihr zuliebe in England beschäftigt war, ein Arbeitsverhältnis und einen Hausstand aufzulösen. Es war nicht etwa, daß sie sich aus ihren Wünschen ein Gewissen machte; nur das Schreiben an Cresspahl fiel ihr nicht bequem.« – Über die Ereignisse in Deutschland schreibt sie ihm wenig, gerät aber seit dem Tag des ›Judenboykotts‹ (1. April 1933) zunehmend in Verwirrung. Sie hat unbestimmte Schuldgefühle und fragt sich, ob angesichts des geschehenden Unrechts nicht doch ein Leben im Ausland besser wäre. Der Konflikt überfordert sie, und insgeheim wirft sie Cresspahl die Nachgiebigkeit ihr gegenüber vor: Er habe sie »an ihren eigenen Wünschen hineingezogen in eine Lage, an der sie ihren Teil hatte. Er nahm einfach nicht die Verantwortung für sich allein. Das mochte Respekt vor ihrer Person sein; das war von ihr zu viel verlangt. Cresspahl wollte von ihr nicht mehr und nicht weniger, als daß sie ihren Gründen sämtlich den Hals umdrehte und mit dem Kind nach England kam. Manchmal schien es ihr möglich, und nicht einmal das Gerede der Jerichower hätte sie zurückhalten können; dann wieder fiel ihr ein, daß sie sich damit etwas von ihrem Stolz vergab.« Es wäre ihr »recht gewesen, hätte Papenbrock ihr befohlen, nach England abzureisen«.

389-392 Im November 1933 kommt Cresspahl endgültig nach Jerichow. 

398-402 Lisbeth beträgt sich, »als sei mit seiner Ankunft etwas Gefürchtetes eingetreten«. In den Wintermonaten 1933/34 lebt das Ehepaar bei Papenbrocks, weil das Haus am Ziegeleiweg erst im Frühjahr bewohnbar wird. – Lisbeth verfällt oft »unverhofft aus einer spaßlustigen Laune in düsteres Brüten«, wehrt aber Cresspahls Nachfragen ab. »Manchmal auch war sie so fahrig, ungeduldig, empfindlich, daß er sie darauf ansah, ob sie Erzählungen von Elizabeth Trowbridge überhaupt vertragen werde. Er schob das auf später, nicht gerne.«

409-412 Cresspahl baut die Scheune des Anwesens am Ziegeleiweg zu einer Tischlerwerkstatt aus. Lisbeth bringt ihm jeden Tag das Mittagessen. Im Ort wird viel über beide geklatscht. – Im Mai 1934 zieht das Paar mit dem Kind in den Ziegeleiweg. 

415-416 Zu Cresspahls ›Wünschen an das Jahr 1934‹ gehört, dass »Lisbeth aufhören würde, ihm Angst zu machen«, und dass sie »ihm wieder sagen würde, was sie in ihren Gedanken hin und her schob. Sie konnte ihr Gesicht so verschließen, es sah wütend aus, und war nicht erreichbar. Und sie hatte sich angewöhnt, vor dem Herd zu stehen und für Minuten in die Flammen zu starren. [...] Wenn er in die Küche kam, bewegte sie sich wie eine Aufwachende.« Weiter wünscht er sich, »daß sie ihre Empfindlichkeit wieder aufgab. Ein hart abgesetzter Wassereimer, eine vom Wind ins Schloß geworfene Tür, und sie betrug sich, als sei auf sie geschossen worden.«

417 Lisbeths Mutter Louise Papenbrock kommt nicht wegen des Kindes ins Haus, sondern »um ihre frommen Sprüche zu verbreiten. [...] Nach solchen Belehrungen war Lisbeth gefaßt in eine Sicherheit, so still fröhlich, daß ihr nicht zu trauen war; und es hielt nicht an.«

424-425 »Bis Weihnachten 1934 war Lisbeth Cresspahl mit ihrer Kirche längst wieder im Benehmen und half aus beim religiösen Unterricht für Kinder [...]. Und mit Pastor Brüshavers Frau war sie schlankweg befreundet. Sie hatte die Familie der eigenen Schwester gegenüber ihrem Haus wohnen, aber ihr nachbarschaftlicher Umgang war mit Aggie Brüshaver.« – »Durch Aggie aber erfuhr Lisbeth mehr von den Streitigkeiten der evangelischen Kirche mit dem Österreicher als sonst ein Gemeindeglied in und um Jerichow wissen konnte.« – »Cresspahl mochte es nicht, daß sie sich das Gewissen so voll lud mit den Sorgen der Kirche.«

433 Lisbeth entwickelt eine Abneigung gegen Fleisch. »Wir essen die Tiere, und wir töten sie dazu: Es ist nicht recht. [...] Also kam bei Cresspahls nur Fleisch auf den Tisch, wenn er darauf bestand, und sie aß nicht mit.«

470 Lisbeth weigert sich, Cresspahl bei seinen Arbeiten für den Flugplatz Jerichow Nord zu unterstützen. »Aber ich werd doch mitschuldig, Heinrich! / Woran wirst du mitschuldig. / Am Krieg! Die Kasernen sind doch für den Krieg.«

504-508 Rückblick auf die Ansiedelung der Papenbrocks in Jerichow und ihren Einzug in den »Palast« der Adelsfamilie Lassewitz am Markt im Dezember 1923 aus der Sicht der Jerichower. – Lisbeth wurde auf die Töchterschule nach Rostock geschickt, von der sie erst im Juni 1928 nach Jerichow zurückkehrte. – Sie »sollte nach Lübeck heiraten«. – Die Jerichower Ende 1936 über Lisbeth: »Die sieht nicht aus wie 30; wer das nicht weiß, gibt fünf Jahre zu. Fromm ist sie immer gewesen; aber wenn jetzt die Kinder aus ihrer Christenlehre zurückkommen, die bringen ein Gewissen mit, das kann Einer gar nicht brauchen am täglichen Tag. [...] Ihr ist immer alles so anzusehen gewesen. Heut magst sie gar nicht ansehen. Verkniffen. Vertückscht. Nein, vertückscht nicht; als ob sie eingesperrt wäre. [...] Ihre großen Augen jetzt, daran erkennst sie noch. Am Blick nicht; sieht dich an, als wärst nicht da, als träumte sie was Ängstliches.«

509-513 Lisbeth wird am ersten Weihnachtsfeiertag 1936 von Dr. Berling ins Kreiskrankenhaus Gneez eingeliefert, weil sie ihr zweites Kind verloren hat. »Für Cresspahl ging es so unverhofft, es kam ihm erst mittags planmäßig vor.« Dr. Berling, der ihre Fieberreden im Krankenhaus gehört hat, meint, sie habe »gehofft, mit dem zweiten Kind auch das eigene Leben zu verlieren, um zu entkommen aus der Schuld. Sie wußte, auf dieser Fahrt durch den Schnee und während der Operation, viele Arten von Schuld, und manche gehörten ihr gar nicht, und gehörten doch zu den ihren.« – Weiteres über Lisbeths Schuldgefühle. »Um so viel Schuld nicht zu behalten, und nicht zu vermehren, hatte sie eine der größten begehen wollen: zwar ein ungeborenes Kind vor Schuld bewahren, aber das eigene Leben weggeben.«

523-528 Lisbeth und das Zusammenleben mit ihr aus Cresspahls Sicht. Über die Wirkung der »blind frommen Erziehung«, mit der Louise Papenbrock nur bei Lisbeth Erfolg gehabt hat; über Lisbeths rasch wechselnde Zustände. »Und so oft er verglich und sich einprägte, wie ihre Zustände umschlugen, er fand nicht, was sich da in Gang setzte, oder ob er das tat. Das kam von einem Tag auf den anderen«.

530 Die Papenbrock-Töchter aus der Sicht der Jerichower. »Uns' Lisbeth, unnötig kirchenzahm, war von denen die beste.«

540 In dem Bett, das Cresspahl nach Lisbeths Wünschen getischlert hatte, will Lisbeth nun allein schlafen.

568 Sie beginnt sich zu vernachlässigen. Den Entschluss ihres Bruders Horst im Sommer 1937, sich zur Wehrmacht zu melden, nimmt sie als erneutes Indiz dafür, dass ihre Familie »Cresspahl behilflich war, ihr Schuld in den Nacken zu legen«.

570-571 Horst Papenbrock erzählt »vor Zeugen [...], was Lisbeth Cresspahl am vorigen Sonnabend in der Eisenbahn, an der Station Wehrlich, von dem Gespräch zwischen dem Landarbeiter Warning und dem Forstaufseher Hagemeister mitbekommen hatte«, – Ausgangspunkt des Prozesses gegen Warning  und Hagemeister im Oktober 1937, in dem Lisbeth aussagen muss. – Im September bekommt sie die Vorladung des Landgerichts Gneez. Die Anzeige gegen Warning und Hagemeister hat ihr Bruder Robert erstattet.

577-580 Cresspahl versucht, Lisbeth vor ungebetenen Besuchern zu beschützen, die ihr im Vorfeld des Prozesses »ins Gewissen reden« wollen. Nachdem Dr. Semig Ende September im Zusammenhang mit dem Prozess in Untersuchungshaft genommen worden ist, macht Lisbeth einen erneuten Selbstmordversuch: Sie schwimmt auf die Ostsee hinaus. Fischer Stahlbom bemerkt ihre weiße Badekappe und zieht sie aus dem Wasser. »Die Badekappe, das war mein Fehler: sagte Lisbeth am nächsten Morgen, fast behaglich in ihrer Müdigkeit liegend, mit einem spielerischen, gedankenlosen Lächeln, das dann hinter wütend gestrafften Lippen verschwand.«

601-608 Der Prozess gegen Hagemeister und Warning. Lisbeth sagt wahrheitsgemäß aus. Auf die Frage, warum sie nicht selbst Anzeige erstattet habe, antwortet sie: »weil es dumm Tüch sei. Unsinn, Quatsch. Nonsense. Nicht klug im Kopf. Nur jemand, der von Jerichow nichts kenne, sei zu solchen dowen Vermutungen über Dr. Semig oder Griem imstande, und Hagemeister wisse das so gut wie sie.« – Nach der Urteilsverkündung bedankt Hagemeister sich bei Lisbeth. »Er bestand darauf, Lisbeth die Hand zu geben. – Dat wier je ne düre Ünnerhollunk [Das war ja eine teure Unterhaltung]: sagte er.«

613-615 Nach dem Prozess glaubt sie »sich nun im Streit auch noch mit Jerichow [...]. Sie wollte gar nicht verziehen haben, daß sie vor einem Gericht gegen andere ausgesagt hatte; blieb ihr so doch die Schuld erhalten.« – Sie scheint ruhig und ausgeglichen, »und Cresspahl glaubte wiederum eine Zeit mit Vernunft an der Reihe (an Krankheit mochte er nicht denken). Es war eher so, daß Lisbeth nicht mehr in reinlichem Nacheinander von ihrer Verwirrung und dann der Ungestörtheit überkommen wurde; oft muß ihr eine Mischung aus beiden Zuständen im Kopf gehangen haben.« Sie zieht sich weiter zurück, vermeidet Gänge in die Stadt, erledigt Einkäufe in Lübeck statt in Gneez, um keine Jerichower zu treffen. Tatsächlich denken die Jerichower gut von ihr.

615-619 Als die vierjährige Gesine in die Regentonne fällt, schaut Lisbeth tatenlos zu. Gesine am 19. Januar 1968 zu Marie: »Sie hätte das Kind sicher gewußt, fern von Schuld und Schuldigwerden. Und sie hätte von allen Opfern das größte gebracht.« Marie: »Du willst sagen, sie liebte dich.« Gesine: »Das will ich sagen.« – Imaginierter Dialog zwischen Cresspahl und Lisbeth: »Lisbeth ick schlå di dot. / Schlå mi dot Hinrich. Mi is kein Helpn mihr.« [Lisbeth, ich schlag dich tot. / Schlag mich tot, Hinrich. Mir ist nicht mehr zu helfen.]

625 Abschied von den Semigs, die ihre Auswanderung beschlossen haben. Lisbeth liegt Dora Semig »im Arm wie ein Kind, das sich ausgeweint hat«.

631-635 Über Ostern 1938 besuchen Cresspahls die Paepckes in Podejuch. »Cresspahl war es recht, daß Lisbeth einmal etwas verlangt hatte, was zu machen war [...]. Er versprach sich von Hilde, daß sie die Jüngere mit Fragen auf einen anderen Weg brachte«. Hilde »fand Lisbeth wenig verändert, wenn sie ihre Müdigkeit nicht rechnen wollte. Ihr ging die Arbeit so fix durch die Hände wie früher, nur daß es jetzt ohne Eifer ging und ohne Spaß.« – Gesine in einem ›Totengespräch‹ mit Lisbeth: »Du hast nachgesehen, ob da ein Platz wäre für mich.«

643, 646 »Im April 1938 hörte Wilhelm Brüshaver, evangelischer Pastor in Jerichow, seine Frau von einer Behauptung Lisbeth Cresspahls erzählen, wonach die Heilige Schrift an keiner Stelle den Selbstmord verbiete.« Er vergisst seiner Frau zu sagen, »was er im Seminar gelernt hatte«, nämlich dass Selbstmord »Abfall von Gott« sei. »Hätte Lisbeth erfahren, daß es diesen Zaun gab, sie hätte vielleicht nicht daran gedacht, ihn zu übersteigen.«

652 Nach Dora Semigs brieflichem Bericht über ihre schwierige Lage im Exil spricht Lisbeth »von der Schuld, die Dora Semig ihr auflegen wolle«.

684-686 Zur Vorbereitung auf den Krieg schickt Cresspahl Lisbeth zu Hamsterkäufen nach Lübeck und Schwerin, von denen sie oft vergnügt zurückkommt. An anderen Tagen, »an denen sie schon müde anfing«, meidet sie die Geschäfte und geht ins Kino. »Noch wenn sie abends in Jerichow ankam, war sie benommen, unaufmerksam, aber doch erholt von den anderthalb Stunden Vergessens, von der Abwesenheit in einer Welt aus Spiel und Vortäuschung, ohne eine Spur von Cresspahls Krieg.«

692-695 Lisbeth lässt ihr Kind hungern. »Nicht nur das Essen, auch das Vergnügen wollte sie dem Kind verweigern. Wenn sie das Kind vorerst nicht opfern durfte, so wollte sie ihm doch mit Leiden Gutes tun.« 

704 Am Tag der Einweihung des Flugplatzes Jerichow Nord (26. Oktober 1938) gehen Cresspahl und Lisbeth abends auf einen der Festbälle. »Uns' Lisbeth ließ zweieinhalb Stunden keinen Tanz aus. Sie war so munter, lachlustig locker, ganz anders als die Leute von ihr erzählten. Wenn sie einmal saß, so doch immer neben Cresspahl, eine Hand wie vergeßlich aber fest auf seiner Schulter.«

712-713 Gespräch mit Cresspahl über einen Zeitungsbericht zum Tod Ernst Barlachs am 27. Oktober 1938.

721 Lisbeth schlägt Cresspahl vor, Gesine auf die Reise nach Malchow und Wendisch Burg mitzunehmen, die er am 8. November 1938 antritt. Sie winkt ihrem Kind nach.

721-725 Am darauffolgenden Abend, in der Pogromnacht des 9. November 1938, »wurde meine Mutter noch zweimal gesehen«, zuerst in Gneez an der brennenden Synagoge, dann in Jerichow vor Oskar Tannebaums Laden, in dem die SA unter Leitung von Bürgermeister Friedrich Jansen wütet. Nach dem Mord an der achtjährigen Tochter der Tannebaums ohrfeigt sie Friedrich Jansen. »Sie schlug wie ein Kind, ungeschickt, als hätte sie es nicht gelernt. Friedrich Jansen hielt ihr einfach die Hände fest.« Der Polizist Ete Helms führt sie zum Schein ab und lässt sie vor dem Haus ihrer Eltern gehen.

730 Am frühen Morgen des 10. November 1938 bekommt Cresspahl in Wendisch Burg die telefonische Nachricht von Lisbeths Tod.

738-744 Imaginiertes Gespräch zwischen Cresspahl und Kriminalkommissar Vick in Gneez am Donnerstag, 10. November 1938. Vick hat den aus Wendisch Burg zurückkehrenden Cresspahl in Güstrow aus dem Zug holen und nach Gneez zum Verhör bringen lassen. Von ihm erfährt Cresspahl einige nähere Umstände von Lisbeths Tod. 

747-750 Am nächsten Morgen, Freitag, 11. November 1938, besichtigt Cresspahl die Reste seiner niedergebrannten Werkstatt und sucht in Haus und Garten nach Spuren, die ihm Aufschluss über Lisbeths letzte Wege geben könnten. Sie muss sich, nachdem sie in der Werkstatt den Brand gelegt hat, in der Futterkammer eingeschlossen und mit Stücken ihrer Wäscheleine die Füße zusammengebunden haben.

754-761 Pastor Brüshaver berichtet Cresspahl über die Bergung von Lisbeths Leiche. – Er fühlt sich mitschuldig an ihrem Tod. »Die Bibel verbietet an keiner Stelle ausdrücklich den Selbstmord. Die junge Frau Cresspahl hatte danach gefragt, als sie noch am Leben war. Wenn man es recht besah, hatte sie unüberhörbar um Hilfe gebeten. Es mochten andere in der Stadt sein, von denen sie Beruhigung, Stütze, Auskunft erhofft hatte; die mußten das nicht zugeben. Der Pastor hatte die Pflicht, das einzugestehen.« – Er spricht noch einmal mit Cresspahl, der als einziger von Selbstmord gesprochen hatte. »Brüshaver betrachtete mit einer Art Entsetzen den Mann, der seiner Frau solchen Tod nachsagte, der den Verlust der Versicherungssumme für Werkstatthaus und Maschinen in Kauf nehmen wollte, damit sie diesen ihren Tod für immer behielt.« – Am Sonnabend, 12. November 1938, erscheint die von Cresspahl aufgegebene Todesanzeige im Gneezer Tageblatt. »Da war keine Rede von tragischem Geschick, von Gottes (unerforschlichem) Ratschluß oder davon, daß Lisbeth aus dem Leben genommen (gerissen) worden sei. Da stand: Lisbeth Cresspahl ist aus dem Leben gegangen.« – Am Sonntag, 13. November 1938, hält Brüshaver die Predigt, »die Cresspahl am Grab nicht hatte hören wollen«. Lisbeth Cresspahl habe »ein Opfer angeboten für ein anderes Leben, den Mord an sich selbst für den Mord an einem Kind [Marie Tannebaum]«.

761-768 Am Montag, 14. November 1938, wird Lisbeth beerdigt. Brüshaver liest die von Cresspahl ausgewählten Passagen aus Psalm 39 (vgl. 754 f.) und verrichtet auch die liturgischen Handlungen, die Cresspahl bestellt hat (vgl. 755), die die Kirche Selbstmördern aber nicht gewährt.

Vgl. auch 559. 561. 691-692. 808. 837. 838. 893. 898. 945. 952. 1062. 1178-1179. 1194. 1481. 1856. Anhang III-IV, V, VII, IX.