Williams, Amanda

Kollegin von Gesine Cresspahl; Leiterin des Schreibzentrums im 11. Stock der Bank.

287-291 Am Abend des 13. November 1967 nehmen Gesine Cresspahl und Amanda Williams denselben Bus für die Heimfahrt, die zum Anlass genommen wird für eine Einführung der Figur.

Amandas unerschöpfliche Freundlichkeit: »Der ganze Tag seit dem frühen Morgen hat ihre Gefälligkeit nicht aushungern können; so wie sie von neun Uhr bis zum Dienstschluß jeden Besucher der Abteilung und durchreisende Vizepräsidenten mit ausbrechender oder gedämpfter Freude begrüßt hat, läuft noch nun wiederkehrendes Lächeln über ihr bloß achtundzwanzigjähriges Gesicht wie eine eingefahrene Gewohnheit, wie ein fortwährend aufgezogener Vorhang, dessen Bewegung in den Anfang zurückspringt, sobald der Anblick der unverstellten Bühne bevorgestanden hätte.« – »Ihre Freundlichkeit ist nicht achtlos.« 

Ihre Tätigkeit: Arbeitet seit eineinhalb Jahren in der Bank. Leitet das Schreibzentrum. »Sie schreibt für Mrs. Cresspahl, sie verteilt selbst Aufträge an ihre Typistinnen; sie verhandelt nach allen Seiten in den Formen der Bitte und gegenseitigen Beratung, außer mit den männlichen Chefs der Abteilung.«

Ihr Umgang mit Privatheit: »Auf Mitteilungen aus dem privaten Leben ist sie so begierig wie sie aus dem eigenen berichtet: mit Maßen, fino a un certo punto.« – »Sie weiß von Mrs. Cresspahl den tatsächlichen Familienstand und gibt ihr vor Dritten den Titel der Verheirateten wie einen Schutz, sie richtet ihr die Einladungen ganz unterschiedlicher Herren zum Mittagessen aus in einer amüsierten Art, der nicht einmal Neugier anzumerken ist, geschweige denn Billigung«.

Ihr Privatleben: »Sie kommt aus einer der Bungalowhorden in der Nähe von St. Paul, sie erzählt von Wintern in Minnesota; sie fliegt zur Beerdigung ihres Vaters und erwähnt den Zwischenfall drei Monate später beiläufig, so daß sie dem Gefühl Fremder entgangen ist. Sie hat einen Studenten geheiratet, der für die städtische Polizei als Psychologe beschäftigt ist; versehentlich hat sie eine Anstellung bei der Polizei empfohlen als ein Mittel gegen die Einziehung zum Krieg in Viet Nam. Sie arbeitet als Chefsekretärin nur, um ihre Wohnung in der Bleeker [recte: Bleecker] Street vollends in skandinavischem Stil auszustatten, oder für die nächste Sommerreise nach Südeuropa; sie würde nicht zugeben, daß sie an eigene Kinder nicht denken mag ohne eine ausreichende Rücklage.«

Ihre Erscheinung: »Die Umstehenden erholen sich an ihrer unermüdlichen, noch mädchenhaften Stimme, billigen ihr kesses Mundwerk, betrachten bedächtig oder mit offenem Bedauern ihre festen, üppigen Beine, dann ihre ausgiebigen Formen in dem engen, soldatischen Mantel, zuletzt ihr weiträumiges, halbwaches Gesicht, das für einfach versteht, wer die gelegentliche Straffung der Lippen, die Verengerung der Augen auf einen einzigen Punkt verpaßt. In der Freundlichkeit, die sie erzeugt, haben mehr Platz als nur sie allein.«

Gesines (vorläufiges) Resümee: »Ist sie keine Freundin? Bitte sie um Geld, und sie wird nachsehen, für wie lange sie es entbehren kann. Lade sie an deinen Tisch, sie wird dir Freude zeigen und nicht Verdruß über den lästigen Verlust an Zeit, bis sie gegangen ist. Packe ihr Besorgungen auf, sie wird jede Mühe abstreiten. Verlang von ihr, für dich zu lügen: sie wird es tun. Woher kommt die Gewißheit, daß wir nur Sprache zwischen uns haben, und nicht Verständigung? Wie ist es möglich, daß da etwas fehlt?«

695-696 Ist entsetzt über die im Nachrichtenmagazin Time vom 9. Februar 1968 veröffentlichten Fotografien von Toten nach dem Überfall auf die amerikanische Botschaft in Saigon.

716 Sorgt am 13. Februar 1968 mit zahlreichen Telefonaten dafür, dass die Pannen bei Gesines Umzug in den 16. Stock in Ordnung gebracht werden. »Die Aufregung hatte ihr wohlgetan. Sie sprach nun mit ganz tiefer Stimme, fühlte sich angenehm durchblutet, schob genußvoll mit beiden Händen ihr[e] schwarzen Haarwolken zurecht. [...] nun konnte sie sagen: Du wirst mir fehlen, Mrs. Cresspahl.«

821 Nach dem Umzug im März 1968: »Amanda war einmal hier, um Umzug und Einrichtung zu beaufsichtigen, sie nannte das neue Büro herrschaftlich, sie ist nicht wieder gekommen.«

1244-1265 Ende Mai 1968 verbringen Gesine und Marie Cresspahl mit Naomi und Clarissa Prince und Amanda Williams ein Ferienwochenende am Sund von Long Island. Beim Frühstück stellen die drei Frauen sich vor, wie »wir alle leben könnten in diesem Haus an der See«. Meinungsverschiedenheiten über die Organisation einer solchen Wohngemeinschaft und Gesines bevorstehende Pragreise stören das Gedankenspiel, und zuletzt sitzen die Drei stumm am Tisch, »von Freundlichkeit gerührt bis zu Feuchtigkeit in den Augenwinkeln, von Enttäuschung gereizt bis zur Wut«. Sie reisen früher als nötig nach New York zurück.»Amanda, unsere Amanda Williams, die Blickfreude, das Entzücken und der Schrecken einzeln reisender Herren, sie versteckte sich noch mit einer schwarzen Spiegelbrille in der halben Dunkelheit, brütete über Nichtgesagtem,
die Lippen aufgeworfen, als ahme sie ein schmollendes Kind nach.« – Amandas Ehe ist am Ende.

1335-1338 Am 10. Juni 1968 kommt Amanda in erschöpftem Zustand in Gesine Cresspahls Büro im 16. Stock, um sich auszuweinen. Sie hat sich mit ihrem Mann versöhnt, was sie für einen Fehler hält, und glaubt, schwanger zu sein. Sie schläft auf Gesines Besuchersofa bis zum Mittag. Beide verbringen den restlichen Tag zusammen. »Geld für eine Abtreibung wollte sie nicht geliehen haben. Nicht von Mrs. Cresspahl. Mehr als Mrs. Cresspahl könne keine beste Freundin für die andere tun.«

1564 Amanda wird bei einer Ehrung der Angestellten der Bank ausgezeichnet, und »zum ersten Mal klatscht der Saal einmütig, ihr ist es gegönnt, und als Amanda an Naomis Seite zurückkehrt, lächelt sie schon versöhnlich im Begreifen, wozu ihr die fünfhundert Dollar Beigabe helfen werden in der Schwangerschaft«.

Vgl. auch 36. 55. 61. 84. 162. 212. 323. 330. 369. 421. 477. 700. 714. 817. 822. 1392.