Sandmann

Nathanael und seine Geschwister sind, wie er in einem Brief an Lothar schreibt, als Kinder oft mit den Worten: »Nun Kinder […] der Sandmann kommt« von der Mutter zu Bett geschickt worden (12).

An eben diesen Abenden habe er stets eine außergewöhnlich bedrückte Stimmung der Eltern bemerkt. Auf seine neugierigen Fragen, wie der Sandmann denn aussehe, habe seine Mutter nur geantwortet: »wenn ich sage, der Sandmann kommt, so will das nur heißen, ihr seid schläfrig und könnt die Augen nicht offen behalten, als hätte man euch Sand hineingestreut« (13). Von der Kinderfrau seiner jüngsten Schwester habe er dann aber erfahren, dass der Sandmann ein »böser Mann« sei, »der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett´ gehen wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, daß sie blutig zum Kopf herausspringen«. Die bringe er dann in den Halbmond, und seine Kinder fräßen dort »der unartigen Menschenkindlein Augen auf« (13).

Von diesen Phantasien in seiner Neugier beflügelt, habe er sich eines Tages im Arbeitszimmer seines Vaters versteckt und den Advokaten Coppelius eintreten sehen, den er von gelegentlichen Mittagessen her gekannt habe und der den Kindern zutiefst zuwider gewesen sei. Fortan habe er Coppelius für den Sandmann gehalten, und durch diese Gleichsetzung mit dem verabscheuten Advokaten sei der Sandmann in seiner Vorstellung auch nicht mehr der »Popanz aus dem Ammenmärchen«, sondern »ein häßlicher gespenstischer Unhold, der überall, wo er einschreitet, Jammer – Not – zeitliches, ewiges Verderben bringt« (16).