Lexikon zu Uwe Johnsons »Jahrestage« (1970-1983)

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Q

Quade, August

Inhaber der Firma »August Quade, Klempnerei und Installation« in Jerichow, Vater von Otto Quade.

720 Ohrfeigt seinen Sohn Otto, weil der bei der »Reichsstraßensammlung« der Hitlerjugend im November 1938 seinen Gläubiger Albert Papenbrock belästigt hat.

Quade, Bergie

Ehefrau von Otto Quade, »Klempnerei und Installation« in Jerichow.

1033-1034 Urheberin des Spitznamens »Wassergahn«, den Vassarion, Leutnant der Roten Armee, in Jerichow bekommt: Er betritt am 8. Juli 1945 den Laden der Klempnerei und deutet auf die Attrappe eines Wasserhahns. »Wassergahn: hatte die Rote Armee zu Bergie Quade gesagt.« Aber Bergie, die sich aus Angst vor Vergewaltigungen »ältlich angezogen«, das Gesicht beschmutzt und »einen mit Hühnermist beschmierten Unterleibsverband unterm Rock« angelegt hatte, »hatte mit Quadescher Geistesgegenwart zur Antwort gegeben: sie denke nicht daran, ins Wasser zu gehen. Habe sie gar nicht nötig. Wenn er aber wissen wolle, wer hier alles ins Wasser gegangen sei, ob ins Bruch, oder in die Ostsee –? Diese Aufzählung hatte die Rote Armee nicht abgewartet, und war abmarschiert mit einem Kopfschütteln, das für Bergie tadelnd aussah, sie konnte sich nicht helfen.«

1045-1046 Wenig später betritt Vassarion erneut ihren Laden, diesmal in Begleitung Jakobs, der den Dolmetscher macht: Die Firma Otto Quade soll die zerstörten Wasserleitungen in der Ziegeleivilla reparieren, in der sich die Kommandantur der Roten Armee eingerichtet hat. »Der Rotarmist sah beim Sprechen Frau Quade an, und sie kam sich fast appetitlich vor unter seinen erinnernden Blicken.« Bergie führt die Reparatur mit Jakobs Hilfe aus. »Die Rote Armee lernte in den nächsten Stunden von ihr Flüche, die noch eine Zeit lang verquer im Sprachschatz der jerichower Sowjets umherwimmeln sollten«, denn die »letzten deutschen Besitzer der Ziegeleivilla hatten den Sowjets lieber durchgesägte Abflußrohre hinterlassen wollen als heile«. Bei der Bezahlung hat Bergie Quade »die Wahl zwischen einer Rechnung an die Stadtkasse und einer Halbliterflasche Wodka ohne Etikett, nahm ihres Mannes Labsal und trank auch einen unberechneten Schluck mit dem Rotarmisten Wassergahn, weil der bei der Arbeit geholfen hatte«.

1278 Als Gesine Cresspahl und Hanna Ohlerich im Sommer 1946 von den Ferien auf Johnny Schlegels Hof nach Jerichow zurückkehren, fällt ihnen auf, dass die Frauen wieder Kleider (statt Männerhosen) tragen, und Bergie Quade, die ihnen in einer am Hals aufgeknöpften, ärmellosen Bluse begegnet, so dass ihre »schweren Arme [...] blank und unbescheiden« zu sehen sind, gibt ihnen Bescheid: »Die Russen waren weg.« Tatsächlich sind sie nicht »weg«, sondern auf Anweisung von Marschall Sokolowskij kaserniert worden.

1355-1357 Am Totensonntag 1945 lädt Kommandant K.A. Pontij sie und Mining Köpcke zum Kaffee in die Kommandantur ein: Sie sollen eine liberale Partei (die LPDP) gründen. Dafür stellt Pontij ihnen die »beschleunigte Rückkehr des Ehemanns aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft« in Aussicht. Die Parteigründung übernimmt dann aber Böhnhase. Mining Köpcke und Bergie, die ohnehin fürchten, dass man ihnen »Liebedienerei für die Sowjets« nachsagen würde, »gestanden sich ein, daß sie einen männlichen Appetit unterschätzt hatten, auch war Böhnhase zu lange weggewesen vom Trog; sie traten seiner Partei bei, nun nicht mehr Hauptschuldige, Mitläufer bloß«.

Vgl. auch 1044. 1123. 1180. 1232. 1372. 1601.

Zur Kasernierung der sowjetischen Besatzungssoldaten im Sommer 1946, die mit ersten Fraternisierungsverboten einherging, vgl. Jahrestage-Kommentar zu 1278, 24-31.

Quade, Otto

Sohn von August Quade, übernimmt die Klempnereifirma seines Vaters in Jerichow, die nun »Otto Quade, Klempnerei und Installation« heißt. Ehemann von Bergie Quade.

720 Als Hitlerjunge klingelt er bei der »Reichsstraßensammlung« im November 1938 Albert Papenbrock aus dem Mittagsschlaf und kassiert dafür eine Ohrfeige. Zu Hause bekommt er von seinem Vater ebenfalls etwas hinter die Ohren, »weil August Quade, Klempnerei und Installation, bei Papenbrock Geld aufgenommen hatte«.

1356 Befindet sich im Herbst 1945 offenbar noch in Kriegsgefangenschaft: Kommandant K.A. Pontij stellt Bergie Quade und Mining Köpcke die »beschleunigte Rückkehr des Ehemanns aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft« in Aussicht, sofern sie sich bereit erklären, als Gründerinnen der LDPD zu fungieren.

Vgl. auch 964.

R

Rabensteinfeld

Ort in Mecklenburg, am südöstlichen Ende des Schweriner Sees.

1286 Auf dem Fußmarsch von Schwerin ins Lager Fünfeichen Ende Februar 1947 kommt der von den Sowjets inhaftierte Heinrich Cresspahl an Rabensteinfeld vorbei: »Bei Rabensteinfeld ging ihm die Richtung der Reise auf«.

Rahn, Oswald (Ossi)

Gelegenheitsarbeiter und Krimineller aus Gneez, SA-Mann. Gerät am 1. April 1933 vor Dr. Semigs Villa in der Bäk mit Baron von Rammin aneinander.

354 Wird am 1. April 1933, dem Tag des ›Judenboykotts‹, von Kreisleiter Prause zusammen mit Max Breitsprecher nach Jerichow geschickt, um vor Oskar Tannebaums Laden Posten zu stehen. – »Ossi Rahn war im Landgericht Gneez so gut bekannt, daß er seine Personalien nicht mehr angeben mußte, wenn er wieder einmal wegen Körperverletzung oder Alimenten verklagt wurde. Ossi Rahn nannte sich arbeitslos; Breitsprecher hätte ihn nicht einmal zum Hoffegen anstellen mögen.«

355 Wohnt seit 1930 in einer Obdachlosensiedlung am Stadtrand von Gneez; »in den Gastwirtschaften besaß er doch Geld; und für seine Stiefel hatte er in der S.A. sammeln lassen«.

356 Denunziert Breitsprecher, der den Posten vor Tannebaums Laden vor der Zeit verlassen und Tannebaum offenbar geraten hat, das Geschäft zu schließen, bei der Ortsgruppe Jerichow als »feige und judenfreundlich im Dienst« und organisiert mit vier SA-Männern, die Griem ihm zur Verfügung stellt, eine Boykottwache vor der Tierarzt-Praxis von Dr. Semig in der Bäk. Dort hat er einen Zusammenstoß mit dem Kutschgespann des Barons von Rammin, der die Absperrung gewaltsam durchbricht und Ossi Rahn zudem mit einem gezielten Peitschenhieb außer Gefecht setzt.

360-362 Baron von Rammin reicht im Mai 1933 Klage gegen ihn ein. Rahn wird daraufhin zweimal auf Rammins Gut Beckhorst erwischt, das zweite Mal bei dem Versuch einer Brandstiftung. Rammins Anwalt Avenarius Kollmorgen erwirkt beim »Reichsstatthalter« Hildebrandt eine Distanzierung der Nazis von Ossi Rahn, der schließlich zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wird. Allerdings wird er von der SA in das Konzentrationslager Fürstenberg befördert, in dem er, wie ein Gerücht in Gneez und Jerichow wissen will, nicht als Sträfling, sondern als Aufseher arbeitet. Als dann seine Familie nach Fürstenberg umzieht, gilt »das Gerücht als erwiesen«.

375 Aus Deutschland geflohene Sozialdemokraten suchen Cresspahl im Sommer 1933 in Richmond auf und berichten ihm »von einem ›Konzentrationslager‹ bei Fürstenberg, wo ein Kerl namens Rahn als ›Ossi Menschenfreund‹ bekannt war, weil seine Opfer ihm mit dieser Anrede Dank für Prügel und Strafen abstatten mußten«.

Rahn, Roswitha

Frau von Oswald Rahn in Gneez.

362 Als sie nach der Verurteilung ihres Mannes und seiner ›Inhaftierung‹ im Konzentrationslager Fürstenberg im Sommer 1933 mit der Familie nach Fürstenberg umzieht und die Fahrkarten sogar selber bezahlen kann, gilt in Jerichow und Gneez das Gerücht als erwiesen, dass Ossi Rahn seine zweieinhalbjährige Gefängnisstrafe dank seiner Verbindungen zur SA nicht als Sträfling, sondern als KZ-Aufseher zubringt.

Rajakowitsch, Erich

Österreichischer Jurist (1905-1988). Im Krieg SS-Obersturmbannführer, Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Amsterdam. »Rechte Hand« Adolf Eichmanns. 1965 in Wien zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

138 Gesine Cresspahl liest am 3. Oktober 1967 in der New York Times: »Auf Istrien wurde Erich Rajakowitsch gefangen, von 1941 bis 1943 Leiter der Deportationen im Haag. Die Niederlande suchen ihn wegen der Ermordung von 100000 Juden (geschätzt).«

141 Einen Tag später meint die New York Times, Rajakowitsch sei »sicher nach Österreich entwischt. Die jugoslawische Polizei hatte ihn gewarnt, nicht festgenommen.«

Gesine Cresspahl hat sich am 3.10.1967 offenbar verlesen: Die New York Times hat an diesem Tag berichtet, dass Rajakowitsch nicht festgenommen worden sei. Vgl. Jahrestage-Kommentar zu 138, 14. – Die Schreibung ist uneinheitlich: ›Rajakowitsch‹ (138) und ›Rajakovitsch‹ (141).

Ramdohr, Günter

Promovierter Jurist, ehemaliger Landgerichtsrat in Gneez, nach 1933 Anwalt mit dem Spezialgebiet Seerecht.

599 Wurde 1933 »wegen seiner sozialdemokratischen Freunde« vom Richteramt suspendiert. Sein Nachfolger wurde Walther Wegerecht, mit dem er befreundet war, der ihm aber seither aus dem Weg geht. Als Wegerecht, inzwischen Landgerichtsdirektor in Gneez, in der Sache Hagemeister und Warning Rat braucht, sucht er den Kollegen auf, dem er »vier Jahre lang Arbeitslast vorgeschützt« hatte. Ramdohr empfängt ihn, »als sei die Freundschaft seit 1933 ununterbrochen benutzt worden«, lässt aber seine Familie, Frau und vier Töchter, nicht von sich, so dass Wegerecht keine Gelegenheit hat, sein Anliegen zu besprechen. Wegerecht »konnte Günti Ramdohr die Rache nicht einmal verdenken«. – Ramdohr hat sich inzwischen auf Seerecht spezialisiert und scheint damit nach Wegerechts Wahrnehmung »mehr als nötig« zu verdienen, so daß er also »ärgerlicher Weise gar nicht der Strafe ausgesetzt war, die die Entlassung doch hatte sein sollen«.

Rammin, Axel von

Baron auf Gut Beckhorst.

356-358 Am 1. April 1933, dem Tag des ›Judenboykotts‹, besorgt Rammin bei dem jüdischen Tierarzt Dr. Semig im Auftrag seines österreichischen Freundes Graf Naglinsky ein Mittel gegen »Eulwenzwang«, an dem Naglinskys Hund nach dessen Auskunft leidet. Die Blamage um das missverstandene Wort (Ohrenzwang) versetzt ihn so in Rage, dass er beim Verlassen des Semigschen Anwesens mit seiner Kutsche auf die SA-Männer zuhält, die sich vor Semigs Haus postiert haben. Dabei wird Ossi Rahn verletzt. – Offenbar durch Rammins Berichte über den Vorfall in den Adelskreisen des Jerichower Winkels verliert Schlachter Methfessel, den Rammin ebenfalls an der Straße vor Semigs Haus hatte stehen sehen, »binnen einer Woche drei Adelsgüter als Kunden«, während Dr. Semig und seine Frau Dora am Sonntag darauf »von einer Familie Plessen zum Mittagessen gebeten« wird.

360-362 Im Mai 1933 reicht Rammin durch seinen Anwalt Avenarius Kollmorgen Klage gegen Ossi Rahn ein. Rahn wird daraufhin zweimal auf Rammins Gut Beckhorst erwischt, das zweite Mal bei dem Versuch einer Brandstiftung. Er wird zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. »Der Adel hielt es nur für billig, daß er gegen Frechheiten des Pöbels verteidigt worden war, und wollte es der neuen Regierung immerhin zugutehalten.«

545 Vermittelt dem wegen seiner jüdischen Herkunft gefährdeten Tierarzt Dr. Semig eine Stelle als Veterinär bei seinem Freund Graf Naglinsky in Österreich, die Semig im Dezember 1937 annimmt.

805 Nach Pastor Brüshavers Verhaftung im November 1938 und der Vertreibung seiner Frau Aggie aus Jerichow verlässt Rammin »aus ›nationalsozialistischen und religiösen Gründen‹ die Deutsche Glaubensbewegung, öffentlich, per Anzeige«.

Rande

Fischerdorf und Ostseebad mit Steilküste bei Jerichow, in der DDR »Seebad der Werktätigen« (382).

8 Am 20. August 1967 schreibt Gesine Cresspahl einen Brief an die Gemeindeverwaltung von Rande mit der Bitte um Auskunft, »wie viele Sommergäste jüdischen Glaubens vor dem Jahr 1933 in Rande gezählt wurden«. Die Antwort erfolgt am 24.11.1967 (vgl. 382-385).

32 Rande war »schon am Anfang des Jahrhunderts reich genug für Grand Hotels, Erbgroßherzog, Stadt Hamburg«, und Jerichow »war eine Station geblieben auf dem Weg nach Rande«.

579-580 Im September 1937, einen Monat vor dem Prozess gegen Hagemeister und Warning, fährt Lisbeth Cresspahl heimlich nach Rande und schwimmt in selbstmörderischer Absicht weit hinaus. Fischer Stahlbom zieht sie aus dem Wasser.

711 Während der Bauarbeiten am Flugplatz Jerichow Nord von 1935 bis 1938 sind die Hotels in Rande auch außerhalb der Saison voll belegt »mit Lehrgängen, Ehefrauen, Filmabenden der N.S.D.A.P.«.

806 In Rande versieht Vikar Pelzer, der nach Brüshavers Verhaftung im November 1938 für kurze Zeit das Pastorenamt in Jerichow übernimmt, die Stelle eines Hilfspredigers.

867 In Rande trifft Heinrich Cresspahl sich mit Fritz, seinem Verbindungsmann zum Britischen Geheimdienst.

891 Im Herbst 1942 heiratet Ilse Grossjohann einen Fischer in Rande, nachdem sie zwölf Jahre lang als Haushälterin bei Rechtsanwalt Kollmorgen gearbeitet hat. Nach dem Krieg vertritt sie die Fischereigenossenschaft Rande (1102) und wird im Mai 1945 Bürgermeisterin von Rande (1175).

909-910 In Rande bewohnt Cresspahls Verbindungsmann Fritz eine Villa am Deich, in der seit dem Herbst 1942 Leslie Danzmann als seine Hausdame lebt. Er selbst »kam nur an wenigen Wochenenden an die mecklenburgische Ostsee gereist. Bei solchen Gelegenheiten war Cresspahl Gast in der Villa«.

942-944 Im März 1968 berichtet Leslie Danzmann Gesine Cresspahl von der Wirkung ihres Briefes an die Gemeindeverwaltung Rande (vgl. 8 und 382-385).

1102 Im Sommer 1945 schließt Bürgermeister Cresspahl einen Vertrag mit der Fischereigenossenschaft Rande, vertreten durch Ilse Grossjohann, »über tägliche Lieferung von mindestens zwei Kästen Fisch« nach Jerichow.

1175 Im August 1945 beerdigt Julius Kliefoth mit Ilse Grossjohanns Hilfe seine Frau auf dem Friedhof von Rande.

1280 Im September 1946 begleitet Gesine Hanna Ohlerich nach Rande, wo Ilse Grossjohann sie mit ihrem Kutter zu einem Treffen auf See mit ihren Verwandten bringt, mit denen sie in den Westen flieht.

Vgl. auch 48. 70. 93. 164. 246. 262. 359. 367. 392. 471. 474. 495. 780. 807. 834. 981. 1114. 1240. 1242. 1662.

Die Lage des fiktiven Seebads entspricht etwa der von Boltenhagen, vgl. Jahrestage-Kommentar zu 8,20.

Rawehn, Helene

Inhaberin eines Schneidereigeschäfts für »ff. Damen- und Herrenmoden« in Gneez.

1447-1449 Im Herbst 1946 bekommt Gesine Cresspahl hier einen neuen Wintermantel aus schwarzem Kammgarntuch mit Futterstoff in Schottenmuster geschneidert. Über Schnitt, Länge, Knopfleiste und Kragen lässt die »Rawehnsche« nicht mit sich reden: »Alle kennen das as ne Arbeit von uns, wat salln de Lüd denken in Gneez!« So bekommt Gesine am Ende nicht das, was sie sich gewünscht hatte, »ein haltbares Gehäuse«, sondern einen »schwarzen Mantel, der war bloß zeitgenössisch elegant«. – Das Geschäft der Rawehns besteht schon »seit der Franzosenzeit«, die Rawehns »waren einmal lose verwandt gewesen mit den berühmten Ravens von Wismar«. – Helene Rawehn ist »eine dralle kurze Frau von noch nicht vierzig Jahren, so appetitlich wie unangreiflich verpackt in ihrem städtischen Kostüm«. Sie wartet auf ihren »bei Charkow vermißten Mann, den Heini, den Schürzenjäger, den liebestollen Kerl«.

1617 Bei Rawehn lässt Anita Gantlik sich von ihrem bei Emil Knoop verdienten Geld schicke Kleider aus reiner Wolle und Rohseide schneidern.

Vgl. auch 1460. 1829.

Rechlin

Ort an der Kleinen Müritz, einer Bucht im südlichen Teil der Müritz. In der Nähe liegen eine »Luftwaffenerprobungsstelle« (967) und das Konzentrationslager Retzow.

860 Cresspahl soll hier (für die Britische Abwehr) »nachsehen, was es mit der nächtlichen Knallerei auf sich hatte. Hörte sich nach Raketen an.« Im März 1942 nimmt er eine Reise mit Gesine zu Verwandten nach Wendisch Burg (zu seiner Schwester Gertrud Niebuhr) und nach Podejuch (zu den Paepckes) zum Vorwand, um dort ›nachzusehen‹.

967-968 Über Cresspahls Erkundungsreisen für die Britische Abwehr seit Anfang 1944: »Wer in die Nähe der Luftwaffenerprobungsstelle Rechlin fährt, hat dort Verwandte zu besuchen oder nach Ersatzteilen und Holz zu fahnden«. Cresspahl berichtet auch über das Konzentrationslager Retzow südöstlich von Rechlin.

Redebrecht, Gesine

Heinrich Cresspahls Jugendliebe, Enkelin (oder Tochter) des Tischlermeisters Redebrecht in Malchow am See, bei dem er 1900 in die Lehre gegeben wurde (1283). 

216-217 Cresspahl schlägt seiner Frau vor, die gerade geborene Tochter Gesine zu nennen. Lisbeth Cresspahl stimmt zu und schlägt einen weiteren vor: Gesine Henriette.

217 Imaginiertes Zwiegespräch zwischen Gesine Cresspahl und Gesine Redebrecht: »Du bist das, Gesine? / Das bin ich, Gesine. / 1904 in Malchow am See. / Ich war fünfzehn. Er war sechzehn. Ich war die Enkelin von Redebrecht. / Wie hast du ausgesehen Gesine. / Ich trug die Zöpfe um den Kopf. Ich war blond. Er wünschte sich immer, daß ich die Zöpfe aufmachte. [...] / Gesine, bist du auch tot? / Das muß nicht sein, Gesine. Ich wär ja erst neunundsiebzig.«

726-727 Anfang November 1938 reist Heinrich Cresspahl mit der fünfjährigen Gesine nach Malchow und Wendisch Burg. In Malchow quartiert er sich mit dem Kind in einem Hotel am Malchower See ein. Dort trifft er unverhofft Gesine Redebrecht, die in dem Hotel als Bedienerin arbeitet. Kurz vor Mitternacht setzt sie sich für eine halbe Stunde zu ihm. – Ihr Vater ist 1916 gefallen, ihr Großvater hat die Tischlerei in den Inflationsjahren aufgeben müssen. Sie hat einen Zabel geheiratet, der ihr kleines Erbe vertrunken hat. »Sie war jetzt 49 Jahre alt. Das üppige blonde Haar war dünn geworden, mehr sandfarben, auch zu kurz für Zöpfe. Sie hatte jetzt achtzehn Jahre hart arbeiten müssen, und war dazu nicht erzogen. Ihre Augenwinkel waren ganz zerfältelt von vielen verschreckten Blicken.« – Als Gesine ihr am nächsten Morgen auf Geheiß des Vaters zum Abschied die Hand gibt, hat Gesine Zabel Tränen in den Augen.

1286 Auf dem Fußmarsch von Schwerin ins Lager Fünfeichen Ende Februar 1947 kommt der von den Sowjets inhaftierte Heinrich Cresspahl an Malchow vorbei. Er erinnert sich an den Sommer 1904, in dem er als sechzehnjähriger Tischlerlehrling die fünfzehnjährige »Tochter des Meisters« liebte: »Wie im Traum wissentlich verkleinert trat er noch einmal ein in den Sommer 1904, mit den übers Wasser schaukelnden Liedern des Seecorsos am Freitagabend, kam ins Volksfest auf dem Kinderplatz den ganzen nächsten Tag, [...] mitten im behaglichen Gewimmel der Toten stand ein Junge mit der Tochter des Meisters zwischen der Lindenallee und den großen leinenen Zelten, von allen gesehen, von Niemand entdeckt, dat du min Leewsten büst un hest man kein Geld«.

1751 Gesine Cresspahl über ihren Vornamen: »Ich bekam ihn, weil Cresspahl einmal weggehen wollte über Land und Meer mit der Gesine Redebrecht aus Malchow.«

Gesine Redebrecht wird wechselnd als Enkelin (217, 85) und Tochter (1286) des Tischlermeisters Redebrecht bezeichnet.

Regentonnengeschichten

Seit Gesine Cresspahl ihrer Tochter Marie die Geschichte von Lisbeth Cresspahls Mordversuch an der vierjährigen Gesine erzählt hat (615-619), ist das Wort »Regentonnengeschichte« oder »Wassertonnengeschichte« zwischen beiden das Codewort für eine schreckliche Geschichte.

725 Nach Gesines Erzählung vom 9. November 1938 bis zu Lisbeth Cresspahls Ohrfeige für Friedrich Jansen fragt Marie: »Ist das wieder etwas, was du nicht erzählen willst? [...] So eine Wassertonnengeschichte?« Gesine bejaht die Frage, denn in der darauffolgenden Nacht bringt Lisbeth Cresspahl sich um.

1843-1844 Marie will die Geschichte des Endes von »Jakob sin Voss« hören, obwohl Gesine sie warnt, es sei eine Wassertonnengeschichte. Am Ende bereut Marie ihre Entscheidung.

Vgl. auch 671. 1342. 1654. 1867.

Rehberge

Eine erhöhte, kahle Stelle »im Wald« in der Nähe von Jerichow (wohl im Gräfinnenwald).

87 Auf den Rehbergen, wo »du einen Streifen See siehst, zum Steilufer hin«, werden die Verlobten Lisbeth Papenbrock und Heinrich Cresspahl im Sommer 1931 von neugierigen Jerichowern gesehen.

1081 Die zwölfjährige Gesine wartet abends in ihrem Walnussbaum auf Jakobs Rückkehr: »Er konnte auch aus dem Wald kommen, an der kahlen Stelle, wo er die Rehberge heißt.«

1330 Die Herren Wendennych, die Jerichower Stadtkommandanten, reiten abends aus, »zu den Rehbergen hin«.

Vgl. auch 1278.

Rehna

Stadt in Mecklenburg, auf etwa halber Strecke zwischen Schwerin und Lübeck.

1590 Im Sommer 1951 machen Gesine Cresspahl und Pius Pagenkopf einen Ausflug nach Rehna.

Vgl. auch 524. 857.

Rehse, Oma

Frau in Gneez, in deren Haus die sowjetische Familie Shachtev einquartiert ist; zeitweise Zugehfrau bei Bettina Selbich.

1435 Die sowjetische Familie »erzog ihren kleinen Jungen zum Deutschenhaß. Er schmiß Großmutter Rehse den Aufwascheimer um, behandelte sie durchaus wie einen Dienstbolzen. Oma Rehse wäre gern zärtlich zu dem Siebenjährigen gewesen, nun verstand sie ihn nicht.«

1654 Nach der Auseinandersetzung zwischen Gesine Cresspahl und Bettina Selbich um Gesines Badeanzug im Schuljahr 1949/50 kündigt Oma Rehse der Lehrerin ihre Dienste als Zugehfrau auf.

Reiherhorst bei Wöbbelin

Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme (Hamburg) in der Nähe von Wöbbelin, einer Gemeinde bei Neustadt-Glewe, ca. 30 km südlich von Schwerin.

968 »Wo immer es anging«, fügt Heinrich Cresspahl seinen Berichten für die Britische Abwehr »Angaben über die mecklenburgischen Konzentrationslager bei, damit wohl die heinckelschen [recte: heinkelschen] Betriebsauslagerungen getroffen wurden, nicht aber die ausländischen Zwangsarbeiter bei Krakow, in Retzow bei Rechlin, in Neustadt-Glewe, Rövershagen, Reiherhorst bei Wöbbelin und besonders in der Comthurey bei Alt-Strelitz«.

1111-1112 »Die Briten hatten tote Menschen öffentlich gemacht in Jerichow. Es waren die Häftlinge der Nazis aus dem Konzentrationslager Neuengamme, zwanzig Kilometer südöstlich von Hamburg, mit den mecklenburgischen Außenstellen Boizenburg und der Reiherhorst in Wöbbelin.« Die Häftlinge wurden bei Kriegsende in der Lübecker Bucht auf Schiffe gebracht, von denen die Cap Arcona bei einem Bombenangriff der Briten sank. Die Leichen der Ertrunkenen wurden an die Strände der Lübecker Bucht gespült.

Das Außenlager Reiherhorst wurde im Spätsommer 1944 eingerichtet.

Rendtorff

Heinrich Rendtorff (1888-1960), evangelischer Theologe, Landesbischof von Mecklenburg-Schwerin 1930-1934.

425-426 Von Aggie Brüshaver erfährt Lisbeth Cresspahl »mehr von den Streitigkeiten der evangelischen Landeskirche mit dem Österreicher als sonst ein Gemeindeglied«, darunter auch, dass »der Landesbischof Rendtorff aus dem Amt gedrängt« worden ist und der »Gauleiter der ›Deutschen Christen‹«, Schultz, seine Stelle übernommen hat, der »eine Wolke aus Blut und Boden im Kopf hatte«.

Obwohl Rendtorff im Mai 1933 der NSDAP beigetreten war und ein öffentliches Bekenntnis zum NS-Regime abgelegt hatte, wurde er im Januar 1934 gezwungen, sein Amt als Bischof niederzulegen. 1934-45 Pastor in Stettin. Schloss sich später der »Bekennenden Kirche« an. Vgl. auch Jahrestage-Kommentar zu 425, 38 ff. und 426, 3.

Rerik

Ostseebad am nördlichen Ende des Salzhaffs, an der Landenge, die die Halbinsel Wustrow mit dem Festland verbindet, etwa 35 km westlich von Rostock.

928-929 Im Sommer 1943 verbringen die »friedenauer Niebuhrs«, Peter und Martha, mit ihren beiden Söhnen Klaus und Günter hier ihre Ferien, in der zweiten Woche kommt Gesine Cresspahl dazu. Ihr Vater hat sie angewiesen, auf der Reise dorthin »ältere Leute nicht nach ›Rerik‹ zu fragen, sondern nach ›Alt Gaarz‹, wie die Siedlung geheißen hatte, bevor die Nazis sie 1938 zur Stadt erhoben und mit dem neuen Namen erinnern wollten an eine verschollene Handelsstadt, von der nur ein paar Trümmer übrig waren«. – Klaus Niebuhr holt Gesine vom Bus ab und macht den Reiseführer: Es ist eine »Stadt, in deren Mitte strohgedeckte Bauernhäuser standen«; die Kirche ist mit ihrem »wuchtigen Turm« von fast überall zu sehen. Klaus führt Gesine auf die Strandpromenade am Hohen Ufer: »Das Land war kahl unter dem weißen Himmel, baumlos. Von der Höhe konnte man hinuntersehen auf das Salzhaff, auf kräftig lärmende Brandung.«

930-932 Wenige Tage später kommen Peter und Martha Niebuhr bei einem Bombenangriff auf Rerik ums Leben und werden auf Wustrow begraben.

Vgl. auch 995. Anhang IX.

Retzow

Ort in der Nähe von Rechlin, südöstlich der Müritz, Konzentrationslager seit 1943.

968 »Wo immer es anging«, fügt Heinrich Cresspahl seinen Berichten für die Britische Abwehr »Angaben über die mecklenburgischen Konzentrationslager bei, damit wohl die heinckelschen [recte: heinkelschen] Betriebsauslagerungen getroffen wurden, nicht aber die ausländischen Zwangsarbeiter bei Krakow, in Retzow bei Rechlin, in Neustadt-Glewe, Rövershagen, Reiherhorst bei Wöbbelin und besonders in der Comthurey bei Alt-Strelitz«.

Das Lager Retzow war zunächst (1939-1943) ein Barackenlager des Reichsarbeitsdienstes, dessen Belegschaft am Aufbau des zur Erprobungsstelle Rechlin gehörenden Lärzer Flugplatzes arbeitete. Seit 1943 wurde das Lager als KZ-Außenlager benutzt, zunächst für männliche Häftlinge aus Oranienburg, seit Mitte oder Ende 1944 für Frauen aus dem KZ Ravensbrück (vgl. Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Hrsg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel. Band 4, München 2006, S. 592-593).

Rex (King)

Deutscher Schäferhund, den Dr. Semig sich im Frühjahr 1933 kauft. Nach der Emigration der Semigs im Dezember 1937 übernimmt Cresspahl den Hund und nennt ihn ›King‹. Um ihn nicht in die Hände des Nazis Friedrich Jansen fallen zu lassen, verkauft er ihn an einen Ingenieur in Berlin-Grunewald.

431 »Rex hieß der Schäferhund, den die Semigs seit dem Frühjahr hielten.«

656 Drückt sich nach der Abreise der Semigs »verwirrt und verloren« auf Cresspahls Hof herum. »Das war der Hund King, der Rex geheißen hatte, als er noch Hof und Haus eines jüdischen Tierarztes in Jerichow bewachen sollte«.

665 Friedrich Jansen will den Hund kaufen, aber das ›abartige Tier‹, »das die arische Rasse an Juden verraten hatte«, knurrt ihn an. Cresspahl verkauft ihn vorsorglich an einen Ingenieur in Berlin-Grunewald.

1267 Nach Kriegsende bekommt Gesine ein Care-Paket, »abgegeben von einem Mann mit Motorrad aus Berlin«. Erst später erkennt sie an einer beiliegenden Fotografie »dreier strammer Schäferhunde«, dass es eine »Nachricht aus dem Grunewald, von Dr. Semigs Rex« ist.

1527 Gesine über die geringen Chancen für Cresspahl, nach seiner Entlassung aus Fünfeichen im Mai 1948 im Westen Fuß zu fassen: »Zwar im englischen Sektor von Berlin gab es einen Ingenieur für Wasserbau, dem hatte Cresspahl einmal einen Schäferhund mit vorzüglichen Papieren verkauft, den hatte Gesine im vorigen Sommer getroffen auf der Dorfstraße von Ahrenshoop, bei dem wäre er für eine Woche willkommen gewesen. Dafür war er zu beschädigt.«

1849-1850 Imaginiertes Gespräch Gesines mit einem »Sachwalter der ostdeutschen Republik« (1847): Danach hat sie nach ihrer Flucht nach Westberlin 1953 die ersten Monate in der Villa des Ingenieurs im Grunewald verbracht. Sie gibt an, den Hund vor seinem Tod noch einmal gesehen zu haben: »Ein eigensinniger Patriarch von einem Schäferhund, schwarzgrau am ganzen Leibe. Tat beim Ausgehen, als könne er doch noch sehen. Ist 126 Jahre alt geworden nach menschlichem Ermessen.« Daraus schlussfolgert das Gegenüber: »Demnach sind Sie spätestens im Jahre 1951 in Berlin gewesen, um vermittels verbrecherischen Umrechnens in westlichem Bargeld Artikel des Tischlerbedarfs zu erwerben?«

Bei der Berechnung von Rex' Alter folgt Gesine der allgemeinen Faustregel, wonach ein Hundejahr sieben menschlichen Lebensjahren entspricht. Demnach müsste Rex 18 Jahre alt geworden sein.

Ribnitz

Ort am südlichen Ende des Saaler Boddens, etwa 40 km nordöstlich von Rostock.

9 Im Sommer 1942 fährt die neunjährige Gesine Cresspahl allein in die Ferien mit den Paepckes auf dem Fischland: Mit dem Zug von Gneez nach Ribnitz und von dort mit dem Fischlanddampfer nach Althagen.

878-879 Die Paepckes, aus Podejuch kommend, reisen über Stralsund an, verpassen aber den Anschlusszug nach Ribnitz, so dass Gesine allein mit dem Fischlanddampfer nach Althagen fahren muss.

968 Bei Ribnitz liegen die Walther Bachmann-Flugzeugwerke, über die Heinrich Cresspahl für die Briten berichtet, getarnt durch »ein Kind«, das in Ribnitz »aus den Ferien abzuholen« ist.

Vgl. auch 946. 951.

Richmond

Londoner Stadtteil an der Themse im Südwesten der Stadt. Hier verwaltet Heinrich Cresspahl fünf Jahre lang (1928-1933) die Tischlerei »Pascal und Sohn« für den Erben Albert A. Gosling. Nach der Hochzeit im Oktober 1931 lebt Lisbeth Cresspahl hier bis Januar 1933 mit Cresspahl.

17 Heinrich Cresspahl bei seinem Besuch in Mecklenburg im Sommer 1931: »Er hatte noch fünfundzwanzig Pfund in der Tasche und wollte nur wenig davon ausgeben, bis er zurück war in Richmond, in seiner Werkstatt voll teuren Werkzeugs, bei verläßlicher Kundschaft, in seinen zwei Zimmern am Manor Grove, in dem Haus, auf das er ein Gebot gemacht hatte.«

102-106 Im September 1931 besucht Lisbeth Papenbrock ihren Bräutigam Heinrich Cresspahl heimlich in Richmond.

146-147 »Und die tüchtige Stadt Richmond, lieblich in den Arm genommen von einer Windung der südlichen Themse, auch gewürgt zwischen ihr und der Sperre des Berges von Richmond, so daß sie nicht auseinanderlaufen konnte in Spekulationssiedlungen und im Innern einen Stein sorgsam auf den anderen zu setzen hatte, Bürgerhäuser und Paläste in Terrassen angeordnet um den Richmond Hill, eine Marktstadt, Stadt der Gärtner, Sterbeort der Großen Elisabeth, Namenspatron von Städten in aller Welt, Richmond, Kentucky, Richmond, Indiana, Richmond, Virginia...«

147-148 Beschreibung der Stadt mit den Augen der jung verheirateten Lisbeth Cresspahl 1932.

331-335 Über einen Aufenthalt Gesine Cresspahls in Richmond mit Marie und D.E. in den sechziger Jahren.

1527 Gesine über die geringen Chancen für Cresspahl, nach seiner Entlassung aus Fünfeichen im Mai 1948 im Westen Fuß zu fassen: »Nach England traute er sich nie und nimmer. Da war Mr. Smith 1940 umgekommen in einem deutschen Luftangriff. Da lebte kein Arthur Salomon mehr, der für Cresspahl hätte ein Wort einlegen können; der hatte 1946 seinen Tod melden lassen durch die Kanzlei von Burse & Dunaway. Und wohin hätte er gehen wollen als nach Richmond.«

Vgl. die vollständige Auflistung der Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars.

Ritchett, Perceval

Der jüngere der beiden Gesellen in Cresspahls Tischlerwerkstatt in Richmond. Der ältere ist Jim Smith.

129 Die jung verheiratete Lisbeth Cresspahl besteht darauf, dass die beiden Gesellen mit ihr und Cresspahl essen, was die beiden anfangs geniert.

141-142 Lisbeth trifft auf Percevals Eltern, »Leute in Cresspahls Alter, in verwahrloster Kleidung, mit einem fauligen Geruch«; später hört sie, dass Perceval mit seinem Gesellenlohn für seine Eltern und Geschwister aufkommt, und möchte Cresspahl dazu bringen, ihm mehr Lohn zu geben.

192 Perceval schätzt Lisbeth Cresspahl, die ihm, nachdem er ihr eine Stunde lang einen Pfefferkuchenteig durchkneten musste, eine Schüssel mit dem fertigen Gebäck in die Werkstatt gestellt hatte.

349-350 Als Perceval im Frühjahr 1933 begreift, dass Lisbeth Cresspahl nicht mehr nach Richmond zurückkommen wird, kündigt er seine Stellung und verschwindet spurlos.

351 Mr. Smith spricht von Perceval als T.P. Er meint, »T.P. habe im Grunde mehr von dem Kind des Meisters gesprochen als von der Frau. – So ne jungn Leute wollen ne Familie: sagte Mr. Smith«.

Vgl. auch 94. 95. 352. 379. 729. 812.

Riverside Drive

Straße entlang des Hudson River an der Upper West Side Manhattans in New York. Im Haus Nr. 243 an der Ecke 96. Straße, dem »Cliff Dwelling«, Apartment No. 204, wohnt Gesine Cresspahl mit ihrer Tochter Marie. 

13 »Sie wohnt am Riverside Drive in drei Zimmern, unterhalb der Baumspitzen. Das Innenlicht ist grün gestochen. Im Norden sieht sie neben dichten Blattwolken die Laternen auf der Brücke, dahinter die Lichter auf der Schnellstraße. Die Dämmerung schärft die Lichter. Das Motorengeräusch läuft ineinander in der Entfernung und schlägt in ebenmäßigen Wellen ins Fenster, Meeresbrandung vergleichbar. Von Jerichow zum Strand war es eine Stunde zu gehen, am Bruch entlang und dann zwischen den Feldern.«

26 »Wäre sie hier geblieben, wenn nicht in der Wohnung an der Straße am Fluß? Sie wäre kaum geblieben, hätte sie nicht, ohne noch zu suchen, die schmale Anzeige gefunden, die drei Zimmer am Riverside Drive versprach, ›alle mit Blick auf den Hudson‹, zu haben auf ein Jahr für 124 Dollar im Monat.« Der Riverside Drive ist »ein Unikum in Manhattan, eine Veranstaltung von Gartenkunst, eine Straße mit Aussicht auf Bäume, auf Wasser, auf Landschaft«.

27 »Hinter den fülligen Blattwolken hielt sich das blaugraue Bild des jenseitigen Ufers, des meilenbreiten Flusses. Sie standen eine Weile gegenüber dem Haus aus gelben Steinen, um dessen Fuß ein Band exotischer Stiermuster geschlungen war. Zu wohnen an dieser Stelle schien so weit vom Griff, Gesine begann Teile ihres Geldes in Bestechungssummen aufzuteilen«.

28 Beschreibung der Wohnung: Großes Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer, Küche, Bad. Alle Fenster gehen zum Park und zum Hudson. »Im Winter ist durch das kahle Geäst das Steilufer New Jerseys zu sehen«.

52 »Die Häuser an dieser Straße, kaum eines unter zehn Stockwerken, wurden gebaut für die neue Aristokratie des neunzehnten Jahrhunderts, für das junge Geld, Eisenbahngeld, Minengeld, Erdgasgeld, Ölgeld, Spekulationsgeld, das Geld der industriellen Explosion. Riverside Drive, die Straße am Fluß, sollte die Fifth Avenue als Wohngegend übertreffen, mit seinen herrschaftlichen Eingängen, feierlichen Foyers, den Achtzimmerfluchten, den Dienstbotenkammern, versteckten Lieferantenfluren, den Angestellten in der Uniform, mit der reservierten Aussicht auf den Fluß, die wüsten Wolken Wald auf dem jenseitigen Steilufer, auf Natur. Am ganzen Riverside Drive gibt es nicht ein Geschäft, keinen Laden, nur zwei, drei Hotels, allerdings Residenzen für Dauergäste. Wo der Kommerz wohnte, wollte er von Adel sein. [...] Zu ihnen stießen nach dem ersten Weltkrieg jene Juden aus Harlem, denen die ehemals exklusiven Quartiere nicht mehr standesgemäß schienen, und die Immigranten von der unteren Ostseite der Stadt, deren Einnahmen inzwischen ausreichten für das Prestige dieser Adresse, Emigranten, die es geschafft hatten. In den dreißiger Jahren kamen die Juden aus Deutschland, anfangs mit dem Haushalt in Kisten, dann ohne Gepäck, dann aus den von Deutschland besetzten Ländern Europas, und nach dem Krieg kamen die Überlebenden der Konzentrationslager und schließlich die Bürger des Staates Israel«.

53 »Der Riverside Drive hat die Fifth Avenue nicht überflügelt als Residenz, hier wohnt nicht die Witwe des Präsidenten Kennedy. Hier wohnen die Pensionäre, die Leute mittleren Einkommens, die angestellte Klasse, Studentengemeinschaften. Hier wohnt die Gräfin Seydlitz. Hier wohnt der Schriftsteller Ellison. [...] Die meisten Häuser sind sich noch zu fein für dunkelhäutige Bürger als Mieter; Neger dürfen sie verwalten, in Stand halten, den Lift führen, das Messing putzen.«

548 »Noch im Frühjahr 1961 hatte Gesine Cresspahl eine Wohnung gefunden in New York, drei Zimmer und fünf Fenster gegen den Riverside Park, den Hudsonfluß, sie war so erleichtert, sie hielt sich für untergebracht, zur Ruhe gekommen. [...] und tat sich etwas zugute darauf, daß sie wider ihr verwegenstes Erwarten eine Wohnung zu halten vermochte an einer der berühmten Straßen der Welt, dem Riverside Drive, in den Reiseführern nicht nur vermerkt wegen alten Baumbestandes und Aussicht auf die Steilküste von New Jersey, auch mit Baulichkeiten und Denkmälern, vom Hause des ehrenwerten Charles M. Schwab, der seinem Carnegie die Regierung mit schadhaften Panzerplatten betrügen half, bis zur Gruft des achtzehnten Präsidenten der Vereinigten Staaten, Ulysses Grant, der jämmerlich dahinstarb über der Beschreibung seiner Siege im Bürgerkrieg. Es war ihr recht, daß dieser Straße die Zähne des Reichtums allmählich ausfielen, anders als den Wohlstandsburgen von Central Park West und der West End Avenue, wo die Mieter obendrein geschützt waren mit Baldachinen vor den Portalen und durch livrierte Türsteher, die nach Taxis pfeifen.«

548-549 »Um das lederfarben gelbe Haus am Riverside Drive oberhalb der 96. Straße verläuft tief unten, um das dritte von zwölf Stockwerken, ein Fries aus immer noch weißem Sandstein mit Schlangen und Tiergestein. So wenig genau hatte sie hingesehen, sie hielt es bis in den späten Sommer für Ägyptisches, und hatte ihre Fenster unter und sogar in diesem Fries, und sah oft genug zu ihnen hinauf, ob sie denn noch da wären, und nicht einmal eingeschlagen. Jetzt hatte das Land sie auch eingeholt mit dem Haus, in dem sie wohnte. Denn das Haus heißt nicht nur nach seiner Nummer, 243, es hat den Namen Cliff Apartment House, nach Arizonas Felsenbewohnern, und die Berglöwen, die Klapperschlangen, die Büffelschädel sind gemeint als ein Andenken an die Vorfahren des Pueblostammes, an das Volk der Indianer, denen ihr Land weggenommen war, ein Denkmal wie für Tote.«

1664-1668 Der Einbruch in Gesine Cresspahls Wohnung am 29. Juli 1968.

1886 Gesine Cresspahl am Tag ihrer Abreise nach Prag zu Mr. Robinson, der besorgt fragt, ob sie die Wohnung aufgeben will: »Am Klingeln des Telefons können sie hören, daß wir ein Lebensrecht behalten möchten am Riverside Drive.«

Vgl. auch 106. 145. 173. 386. 452. 574-576. 1189-1190.

Vgl. die vollständige Auflistung der Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars. – Gesine und Marie Cresspahls Wohnung am Riverside Drive ist dieselbe, die Uwe Johnson selbst während seiner Tätigkeit als Lektor für den Verlag Harcourt, Brace & World (1966/67) und des gleich anschließenden, von der Rockefeller Foundation unterstützten Aufenthalts in New York 1967/68 bewohnte; vgl. dazu »Begleitumstände« (1980), S. 410 f. – Der Fries und die ihm zu verdankende Bezeichnung des 1914 von Herman Lee Meader (1874-1930) gebauten Hauses (Cliff Dwelling Apartment House) gemahnen an die prähistorischen Höhlenbauten der Pueblo-Indianer, die Cliff Dwellings, im Südwesten Nordamerikas. Zu den bekanntesten zählen die Gila Cliff Dwellings aus dem 13. bis 14. Jahrhundert, heute ein National Monument in New Mexico.

Riverside Park

Langgestreckter Park zwischen Riverside Drive und Henry Hudson Parkway in New York. Alle Fenster der Wohnung von Gesine und Marie Cresspahl in 243, Riverside Drive gehen auf den Park und den dahinter liegenden Hudson.

47 An einem Spielplatz im Park sitzt Gesine Cresspahl öfter mit Mrs. Ferwalter.

177-178 Marie muss einen Aufsatz schreiben mit dem Thema »Ich sehe aus dem Fenster«. Im folgenden wird ihr Blick auf den Riverside Park und den Spielplatz beschrieben. Aber Marie schreibt gar nicht über den Blick aus ihrem Fenster, sondern aus dem Fenster von Charlies ›Gutem Eßgeschäft‹ (vgl. dazu auch 1332-1333).

824 Im Sommer 1961 wird Gesine Cresspahl auf den Parkbänken im Riverside Park von benachbarten Hausfrauen »in die Wissenschaft von den Kakerlaken« eingeführt, die auch ihre Wohnung befallen haben.

873 Im Riverside Park lernten Marie und Gesine Cresspahl 1962 Mrs. Albert Seydlitz kennen, die hier verbotenerweise Tauben fütterte.

1188-1191 Über den Park und seine Geschichte.

1324 Am Abend der Beerdigung von Robert F. Kennedy, die die tief erschütterte Marie Cresspahl gemeinsam mit D.E. im Fernsehen verfolgt hat, macht Gesine Cresspahl mit D.E. einen Spaziergang im Riverside Park und weint sich in einem versteckten Winkel an D.E.'s Brust aus.

1710-1712 Am 3. August 1968 beobachtet Gesine Cresspahl im Park Anselm Kristlein mit seiner Tochter.

Vgl. die vollständige Auflistung der Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars. – Auch Maries Mutter Gesine musste einst (in der Gneezer Brückenschule 1947) einen Hausaufsatz schreiben zum Thema »Ich sehe aus dem Fenster« und sie beschreibt, was sie sieht: »also den grünen Russenzaun mit Stacheldrahtkrone, darüber das Dach der Kommandanturvilla, im geöffneten Tor einen amerikanischen Lastwagen, mit Schußfanggitter vor den Scheinwerfern« usw.; aber »diesen Aufsatz gab Frau Dr. Beese unzensiert zurück und verhängte Nachsitzen« (1332-1333).

Robinson, Mr. (Robinson Adlerauge)

Einer der Fahrstuhlführer und Hauswarte in Marie und Gesine Cresspahls Wohnhaus am Riverside Drive in New York.

107-108 »Mr. Robinson, ›Robinson mit dem Profil des Adlers‹, seit zwei Jahren einer der drei Fahrstuhlführer in diesem Haus, begann bald Mrs. Cresspahl zu grüßen mit Äußerungen, die klangen wie Auff´iddesen oder gudnmong', und fand sich widerwillig ab mit ihren englischen Antworten. Mr. Robinson hat Jugendjahre in Deutschland verbracht.« Er spricht mit einer »dünnen harten spanischen Stimme«, ist ein kubanischer Flüchtling. Durch freiwillige Meldung zur Armee erlangte er das Bürgerrecht früher als andere, erhielt in North Carolina eine Ausbildung zum Niederfrequenztechniker. Während seiner Stationierung in Grafenwöhr in der Oberpfalz hielt ihm die Armee »einen Spiegel vor«: Darin »nahm er seine rote, fast indianische Haut wahr, auch seine schwarzen Haare«. Er musste »erst verwarnt werden wegen einer Schlägerei mit Rosahäutigen vor dem Bahnhof von Bayreuth, bis er lernte mit den Dunkelhäutigen trinken zu gehen in die schmutzigeren Kneipen«. In seinem letzten Jahr in Deutschland ließ er sich nach Westberlin kommandieren. »Auch nach Westberlin, wie in jedes Ausland, exportierte die Armee die Ghettos, die sie in den einheimischen Militärgebieten verbot«. – »Mr. Robinson, Niederfrequenztechniker, Fahrstuhlführer, Installateur, Klempner, Maler, Händler mit gebrauchten Fernsehgeräten, Verwalter des Abstellkellers (der Mrs. Cresspahl nicht erkennt, wenn er ihr auf dem Broadway begegnet [...])«, ist »eine nicht ausfragbare, nicht begreifliche Person«.

705 Missbilligt die Aufnahme Francines bei den Cresspahls.

1668 Nach dem Einbruch in die Wohnung der Cresspahls am 29. Juli 1968 hilft er seinem Kollegen Jason bei der Reparatur der Wohnungstür. »Robinson Adlerauge [...] tastete befangen in seinen harten Haarrillen, der hätte Wachdienst versehen sollen.«

Vgl. auch 25. 40. 44. 67. 106. 131. 145. 441. 443. 451. 478. 564. 565. 581. 640. 708. 972. 1298. 1306. 1579. 1592. 1646. 1665. 1668. 1745. 1749. 1856. 1886.

Roche-Faubourg, Henri

Sohn eines französischen Bankiers, 21 Jahre, hält sich für ein »Pflichtjahr« in Gesine Cresspahls New Yorker Bank auf.

1120 Gesine muss mit ihm in Vertretung de Rosnys in einem Nobelrestaurant essen gehen. Er ist beleidigt, dass er nicht vom Chef selbst empfangen wird, und lässt es Gesine spüren, indem er ihr Französisch absichtlich missversteht.

1121-1122 Vizepräsident de Rosny gibt Gesine ein Gespräch mit dem jungen Mann wieder.

Rockefeller, Nelson A.

Nelson A. Rockefeller (1908-1979), amerikanischer Politiker, 1958-1974 Gouverneur des Bundesstaates New York.

115-116 Schüttelt bei der Steuben-Parade am 23.9.1967 »jede Hand im Umkreis von drei Metern« und klopft westdeutschen Besuchern auf den Rücken.

Vgl. auch 460. 850. 1397. 1424.

Rockety, William

US-Soldat in Vietnam.

85 Lieut. Col. William Rockety berichtet in einem Interview der New York Times vom 14. September 1967 über einen Nordvietnamesen, der bei Dongson »bis zu den amerikanischen Mörserstellungen vordrang und zwei Marineinfanteristen umbrachte, bevor er selbst umgebracht wurde«. Der Mann sei »wirklich voller Mut – oder verrückt«.

Röhl, Heinz

Betreiber der »Renaissance-Lichtspiele« in Gneez.

1497 Wird nach dem Krieg enteignet »wegen Verzählung der Eintrittskarten, als die Sowjetmacht die Ufa-Beutefilme auf ihre hungernden Deutschen losließ«.

Rohlfs, Herr

Hauptmann der Staatsicherheit. 

1866 Durch ihren illegalen Besuch in Jerichow im Herbst 1956 macht Gesine Cresspahl die Bekanntschaft von Herrn Rohlfs, der sie als Spionin anwerben will.

1870 Das Auftauchen von Hauptmann Rohlfs treibt Jakobs Mutter Marie Abs zur Flucht in den Westen.

1890 Beim Treffen mit Julius Kliefoth in Kopenhagen am 20. August 1968 stellt Gesine Cresspahl sich eine Rückkehr in die DDR vor: »[...] aber Herr Rohlfs ist tot, oder auf seine Art gescheitert an der Majorsecke«.

Vgl. auch 464. 

Hauptmann Rohlfs ist eine der Hauptfiguren aus »Mutmaßungen über Jakob«. Zu den 1866 ff. erwähnten Ereignissen vgl. bes. M 273-296.

Ron

Mechaniker in einer der drei Garagen unterhalb von Marie und Gesine Cresspahls Wohnhaus am Riverside Drive in New York.

1549 Bei einem Besuch D.E.'s beauftragt Gesine Cresspahl ihn, Wartungsarbeiten an D.E.'s Bentley vorzunehmen.

Rosny, Mr. de

Vizepräsident der New Yorker Bank, in der Gesine Cresspahl arbeitet. Er gibt ihr den Auftrag, in der ČSSR ein Kreditgeschäft vorzubereiten, und befördert sie vom 10. (11.) in den 16. Stock.

78-82, 84-85 Kommt am 12. September 1967 zurück von einer Dienstreise und bestellt Gesine Cresspahl zum Flughafen Kennedy; sie soll einen Brief übersetzen. Sein Chauffeur Arthur fährt sie zum Flughafen. Sie kennt de Rosny vom Anstellungsgespräch vor drei Jahren und erwartet »einen Weißen, etwa sechzig Jahre alt, ein schwammiggraues, hängendes, undeutliches Gesicht, einen Mann in grauen schlotternden Stoffen«. Der Mann, den sie dann in Empfang nimmt, »ist ein beweglicher Herr in einem Anzug von sehr blauem Leinen, eine hagere bückichte Figur, dem feste Muskeln sein Backenfleisch in Falten aufhängen, ein Sprecher von langen vielförmigen Sätzen«. Gesine begleitet ihn in seine Suite im Waldorf Astoria, wo sie Überstunden macht »für die Übersetzung eines Briefes aus Prag, in polnischem Französisch, über Nachtlokale, Schmalfilm, ein Mädchen namens Maria-Sofia, über Staatskredite auf Dollarbasis«.

419-420 Am 8. Dezember 1967 trifft Gesine den verschlafenen de Rosny im Aufzug. Wenig später übermittelt sein Sekretariat ihr eine Einladung zum Essen.

460-466 Am 16. Dezember 1967 sind Gesine und Marie Cresspahl zu Gast in de Rosnys Privathaus in Connecticut. Arthur holt sie mit de Rosnys Nobelkarosse ab. Sein »Haus ist aufgestellt dicht am Long Island-Sund in einer parkähnlichen Gegend, in der noch die Straßen privates Eigentum sind. [...] Das Haus hat nicht weniger als fünf weiß angestrichene Säulen vor seinen zwei Stockwerken stehen, die nichts halten als den Vorsprung des Daches.« Marie hält »de Rosny, diesen schlaksigen, wetterfesten Herrn, einfach für einen freundlichen Menschen mit besonders glaubwürdigen Umgangsformen. Sie begreift nicht, daß wir von diesem Menschen abhängen.« – Mrs. de Rosny lässt sich nicht sehen, Marie hört sie im ersten Stock »mit ziemlich schwerem Schritt durch ihre Räume« gehen. – Das Gespräch vor dem Essen ist »eine rasante, unbarmherzige Prüfung«, bei der Gesine unter Beweis stellen muss, dass sie »das Finanzsystem der Č.S.S.R. richtig und vollständig verstanden« hat. – Beim Essen interessiert de Rosny sich für Gesines Lebensgeschichte. »Was er abhält, ist ein Verhör. [...] Er will schlicht alles wissen, was ich der Personalabteilung nicht mitgeteilt habe«. – Gesine besteht die Prüfungen: »Offenbar habe ich, alles in allem, die passenden Kenntnisse und das passende Leben für den Fischzug, den unser verehrter Chef de Rosny auf dem osteuropäischen Kreditmarkt vorhat.« – Maries Frage, ob es zutreffe, dass die Banken am Vietnam-Krieg verdienen, stürzt Gesine in Peinlichkeiten; de Rosny beantwortet die Frage mit der »Mühe eines Schauspielers, der den Arzt am Bett eines Schwerkranken darstellen soll«. – Zum Abschied schenkt er Marie eine teure Weihnachtskrippe. Er verpflichtet beide zu Stillschweigen über das Projekt, weist Gesine an, auf Fragen »nach der Haltung der Bank zu Krediten an Länder Osteuropas« zu antworten: »Die Politik des Unternehmens in dieser Richtung ist als nicht aggressiv zu bezeichnen.« – Dabei fällt ihr ein, dass Dmitri Weiszand sie bei einem gemeinsamen Essen am 2. Oktober 1967 zu genau dieser Frage »auszuholen« versucht hat. (Am 30. Januar 1968 versucht er es noch einmal; Gesine gibt ihm die von de Rosny formulierte Antwort; vgl. 658-662).

619-622 Über das tschechoslowakische Projekt.

679-683 Am 5. Februar 1968 ist Gesine in de Rosnys Büro bestellt, das einem Salon gleicht. Er spricht mit ihr über den Vietnam-Krieg statt über das Prager Projekt, äußert Erschütterung über die Erschießung eines gefesselten Vietcong vor laufenden Kameras durch den Polizeichef von Saigon Nguyen Ngoc Loan, die er im Fernsehen gesehen hat. – Gesine informiert ihn über Dmitri Weiszands Versuche, sie über das Prag-Projekt auszuhorchen (vgl. 658-662). De Rosny reagiert auf die Nachricht mit einem bloßen »Tja«, »genüßlich, befriedigt wie über einen gelungenen Plan. Unverhofft war er nicht mehr der gelernte Gastgeber, sondern ein Jäger, der verhängten Blicks, mit listigem Stirnrunzeln die nächste Schlinge auswählt.« Dann gibt er zu, dass er davon weiß, worauf Gesine ihm eine »Standpauke« hält, »sie verbitte sich, daß man sie überwache!«

717-718 Nach Gesines Beförderung und Umzug in ein Büro im 16. Stock der Bank am 13. Februar 1968 besucht de Rosny sie in ihrem neuen Büro, »ein fröhlicher Patenonkel, der an der Freude über seine Geschenke teilnehmen will«.

915-917 Über de Rosnys Charakter, seine Arbeit, seine Sicht auf die Geschäfte mit den Ostblockstaaten, seine Frau.

932-933 Im März 1968 verlangt die Parteizeitung der KPČ von den USA »die Rückgabe von 18,4 Tonnen Gold an die Č.S.S.R.«. Daraufhin reist de Rosny nach Washington und »versucht die Sache sowohl diskret als auch auf Taubenfüßen ins Reine zu bringen«.

980 De Rosnys »Freunde im Finanzministerium scheinen weniger zuverlässig als er wünschen mag. Die Regierung will nicht von sich aus verhandeln über die Rückgabe der tschechoslowakischen 20 Millionen Dollar in Gold«.

1003-1007 Lädt Gesine und Marie Cresspahl am 18. April 1968 zu einem Baseballspiel ins Shea Stadion ein, wo er sich mit einem »Gott namens Rutherford« treffen will. Während er Marie von dem Spieler Willie Mays erzählt, verwandelt er sich »aus dem Mann der Welt in einen kleinen Jungen«. Nachdem er mit Rutherford in einer leeren Loge verhandelt hat, will er den Rest des Spiels nicht mehr ansehen.

1049-1058 Über die Geschichte der Bank, über de Rosnys Werdegang und sein Wirken in der Bank und eine Unterredung über das tschechoslowakische Projekt mit Gesine Cresspahl am 25. April 1968.

1121-1123 De Rosnys Dialog mit dem Praktikanten Henri Roche-Faubourg.

1155-1159 Er beordert Gesine am 13. Mai 1968 zu der Jahresversammlung von Aktionären einer befreundeten Firma, über die sie einen Bericht schreiben soll. Er ist außerordentlich zufrieden mit ihr.

1463-1473 Arbeitsessen mit Gesine Cresspahl und leitenden Angestellten der Bank. »Wie de Rosny es will, läuft es heute wieder einmal ab in der Art einer Prüfung. Ihm scheint kaum tückisch zumute, eher behaglich stellt er sich dar, der Chef, der philosophiert.« – De Rosny aus Gesines Sicht: »Sie sieht da einen Herrn, der hat für seinen Körper gesorgt von Jugend an, an dem wird er nicht sterben. [...] Kaum Falten in der Stirn. Meliertes Haar, aber nicht greisenweiß, dicht, kräftige Bürste. [...] er ist einer von denen, vor denen sind wir gewarnt worden auf der Schule. Er ist das feindselige Geld. Es hat ihn aufgezogen, er dient ihm; er meint nicht die Verbesserung des Sozialismus, wenn er der Č.S.S.R. einen Kredit beschaffen will. Von Politik versteht er, was dem Gelde schädlich ist.«

1516-1521 Lässt Gesine einer Prüfung durch den Lügendetektor unterziehen. »Nie hätte sie für möglich gehalten, daß de Rosny ihr das zumuten würde, es sei denn mit Entschuldigungen. Die Hauptaktionäre mögen es durchgesetzt haben im Vorstand der Bank«. – Am Ende sagt der Mann am Gerät: »In Ihrem Falle habe ich die Erlaubnis, Ihnen die Prozente Ihrer Wahrheitstreue mitzuteilen. Wenn Sie fragen sollten. Ein sehr gebildeter Herr, ein wirklicher Gentleman, so ein französischer Name, de Rosny ...«

1561-1566 Lotst Gesine zu einer Ehrung von Angestellten der Bank, bei der sie selbst ausgezeichnet wird.

1738 Im Zorn über de Rosny, von dem sie sich weiterhin überwacht glaubt, wendet Gesine Cresspahl ihre neu erworbenen Tschechisch-Kenntnisse auf de Rosnys Namen an: »Was alles bedeutet im Tschechischen das Wort hrozný? furchtbar, schrecklich, gräßlich, entsetzlich, schauerlich, grauenhaft, grauenvoll. Und nach welchem Personennamen klingt hrozný? Hrozná doba, die Schreckenszeit. Hrozná bída, namenloses Elend. Hrozná zima, furchtbare Kälte. Hrozné pocasí, schauderhaftes Wetter.«

1745-1746 Nach D.E.'s Tod schickt er Gesine am 7. August 1968 unter dem Vorwand, ihr Büro müsse nach einem Kabelschaden renoviert werden, bis zum 19. August 1968 in den Urlaub (»keine Anrechnung auf Urlaubsanspruch«). Gesines Deutung: »de Rosny hat investiert in diese Angestellte. Für ihn wäre es tatsächlich ein kleiner Verlust, wenn sie kaputt ginge. Eine überlastete Maschine schaltet er für eine Weile ab. [...] Hroznýš, die Riesenschlange! Hrozitánský, ungeheuer!«

Vgl. auch 162. 659. 696. 734. 799. 819-822. 827. 876. 939. 1037-1039. 1132. 1257. 1264. 1312-1314. 1335. 1359. 1446. 1538. 1555-1556. 1579. 1592. 1643. 1734. 1748. 1754. 1766. 1879. 

Ross, Richard

Mordopfer in Brooklyn.

54 Am 5. September 1967 liest Gesine Cresspahl in der New York Times, dass am Abend zuvor ein vierzehnjähriger Schwarzer, Richard Ross, in einem der Ghettos von Brooklyn von Polizisten erschossen wurde, weil er gemeinsam mit mehreren anderen gleichaltrigen Schwarzen einen »alten Weißen« angegriffen habe. 

Rostock

Hansestadt am Unterlauf der Warnow vor ihrer Mündung in die Ostsee. 

102 In Rostock ist Lisbeth Cresspahl mit Leslie Danzmann zur Töchterschule gegangen (vgl. auch 507).

305 Der Rechtsanwalt Avenarius Kollmorgen hatte früher eine Kanzlei in Rostock.

785 Gesine und Marie Cresspahl über Heinrich Cresspahls Möglichkeiten, im November 1938 noch zu emigrieren: Ende 1938 fährt die Reichsbahn noch »jeden Tag mit der ›Schwerin‹ oder der ›Mecklenburg‹ die 42 Kilometer nach Gedser, nach Dänemark«. Und es gab »einen Ausflugsverkehr Warnemünde-Gedser, ohne daß einer einen Paß gebraucht hätte«.

805 Nach seiner Verhaftung im November 1938 sitzt Pastor Brüshaver zunächst im Untersuchungsgefängnis Rostock. Seine Frau Aggi, die früher im Rostocker Krankenhaus als Krankenschwester gearbeitet hat, zieht nach seiner Verurteilung mit den Kindern nach Rostock und arbeitet wieder als Krankenschwester.

880 Bei einem Luftangriff der Royal Air Force auf Rostock am 25. April 1942 kommen Agathe und Wilhelm Brüshavers drei Kinder ums Leben. Aggie überlebt, weil sie in dieser Nacht Dienst in der Klinik hat.

967 In Rostock gibt es Schuljungen, die »Lübeck den ersten Platz in der Bombardierung nicht gönnten [...]. In Wismar, in Rostock gab es einen Handel mit Flaksplittern« (vgl. auch 871).

1491 Aus Rostock ist die Familie Biedenkopf geflohen, die ihm Sommer 1947 bei Ille in Althagen wohnt.

1797 Die Staatssicherheit in Rostock hat sich »das ›Volkshaus‹ unter den Nagel gerissen, schräg gegenüber der Universität, Zellen eingebaut im Keller und in zwei Stockwerken«.

1820 In Rostock stirbt Ernst Barlach 1938. »Den hatten die Mecklenburger, Fiete Hildebrandt immer voran, so getriezt und gequält«.

1890 Gesine träumt manchmal von einer Heimkehr nach Mecklenburg, wie sie ihrem alten Lehrer Kliefoth beim Treffen in Dänemark am 20. August 1968 gesteht: »Die Einfahrt nach Rostock neben dem Alten Strom, Walddurchblicke im Doberaner Forst, der Bahnhof von Wismar und Gneez.« – Julius Kliefoth vermacht seine Möbel dem Museum in Rostock.

Vgl. auch 122. 361. 375. 417. 419. 497. 597. 703. 871. 872. 942. 975. 998. 1030. 1178. 1377. 1381. 1398. 1568. 1618. 1716. 1816. 1837.

Anhang XIV. XV. XVII.

Vgl. die vollständige Auflistung der Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars.

Rostocker Anzeiger

112 Die Hochzeitsanzeige von Lisbeth Papenbrock und Heinrich Cresspahl wird im Oktober 1931 im Gneezer Tagblatt, im Lübecker Generalanzeiger und im Rostocker Anzeiger veröffentlicht.

In der Erstauflage »Rostocker Zeitung«, nach einem Hinweis von Walter Kempowski später geändert; vgl. Jahrestage-Kommentar zu 112, 29.

Rövershagen

Ort in Mecklenburg, nordöstlich von Rostock.

955 Auf dem Weg in die Ferien mit den Paepckes in Althagen im Sommer 1944 passiert »Cresspahls Kind« mit dem Zug Rövershagen. »In Rövershagen war ein Konzentrationslager, dessen Häftlinge für die Ernst Heinckel [recte: Heinkel] Flugzeugwerke A.G. arbeiten mußten. Heute weiß ich es.«

968 »Wo immer es anging«, fügt Heinrich Cresspahl seinen Berichten für die Britische Abwehr »Angaben über die mecklenburgischen Konzentrationslager bei, damit wohl die heinckelschen [recte: heinkelschen] Betriebsauslagerungen getroffen wurden, nicht aber die ausländischen Zwangsarbeiter bei Krakow, in Retzow bei Rechlin, in Neustadt-Glewe, Rövershagen, Reiherhorst bei Wöbbelin und besonders in der Comthurey bei Alt-Strelitz«.

Roy, Blandine

Angestellte der Bank in New York, in der Gesine Cresspahl arbeitet.

1563-1564 Wird bei einer Ehrung für Angestellte der Bank im Juli 1968 ausgezeichnet »für ihre Leistungen in der Postzentrale; dabei ist uns erinnerlich, was für schwere Pannen es gegeben hat allein in der Hauspost, hier wird keine Person geehrt sondern eine Negerin als ein Alibi des Unternehmens«.

Rusk, Dean

Amerikanischer Politiker und Wissenschaftler (1909-1994). Außenminister der USA 1960-1969.

109 »Der Außenminister hat seine Tochter einen Neger heiraten lassen«.

169 »Nach dem innigen Glauben des Außenministers, des ehrenwerten Dean Rusk, bringt ein Rückzug aus den Verpflichtungen in Süd Viet Nam das Land in tödliche Gefahr. Übrigens fürchtet er sich gar kein bißchen vor den kriegsfeindlichen Intellektuellen«.

Vgl. auch 301. 701. 731.

Rutherford

Hochgestellter Banker, mit dem de Rosny während eines Baseballspiels am 18. April 1968 zusammentrifft.

1003-1007 De Rosny lädt Gesine und Marie Cresspahl am 18. April 1968 zu einem Baseballspiel ins Shea Stadion ein, wo er sich mit einem »Gott namens Rutherford« trifft, einem »weißhaarigen, aufrechten Greise, der keinen Blick hat für das Spielfeld, ein Golfer. [...] Die beiden Herren verziehen sich in eine leere rückwärtige Loge [...]. Beide setzen Brillen auf und lesen von kleinen Zetteln ab, etwa zwanzig Minuten lang. Dann hebt de Rosny den Arm, und Arthur wird mit dem hohen Gast zum Flugzeug nach Los Angeles beordert.« 

Vgl. Jahrestage-Kommentar zu 1003, 35.

Rydz, Felix J.

Kinderarzt in New York. Er behandelt Marie Cresspahl nach der Einberufung von Dr. Brewster.

593-596 Spricht »in einem behäbigen Amerikanisch, einem behenden Deutsch mit polnischem Akzent«. Gesine fragt sich: »Wer ist das, dieser würdige Herr in den sechziger Jahren, im Rücken alterssteif bis zur Leibesmitte«. Er hat 1931 in Berliner Kliniken gearbeitet, in Friedenau gewohnt. Dann »vier Jahre in einem französischen Militärlazarett. 1943 Flucht über die Pyrenäen, 1945 zu Schiff nach den U.S.A., wo alle seine Examina nicht galten, wo er erst vor fünf Jahren wieder eine Praxis eröffnen konnte«.

750-753 Als Gesine Cresspahl am 17. Februar 1968, nachdem sie vom Selbstmord ihrer Mutter 1938 erzählt hat, hohes Fieber bekommt, holt Marie Dr. Rydz zu Hilfe.

Vgl. auch 1749.

S

Saatmann, Malchen

Inhaberin einer Konditorei in Althagen auf dem Fischland.

882 In Malchen Saatmanns Konditorei trinkt Alexander Paepcke sein Bier am liebsten. »Im Winter ein Platz für die Einheimischen, war sie im Sommer auch Gartencafé. Malchen war eine propere Frau, fest, stramm; [...] Malchen sprach kein Wort zuviel, nicht einmal zu Kindern, aber sogar Kinder hatten das Gefühl, reell bedient zu werden. Nirgends roch der Kuchen so gut wie bei Malchen Saatmann.«

Vgl. auch 1489. 1494-1495.

Sabatino, Signora

Sekretärin von Dr. Pompa, dem Leiter der italienischen Delegation bei den Vereinten Nationen in New York.

1446 Mit ihrer Hilfe kommt Gesine Cresspahl rasch an den Wortlaut des Manifests der »Zweitausend Worte«.

Salomon, Arthur

Partner in der Anwaltskanzlei Burse, Dunaway & Salomon in Richmond. Vertritt Albert A. Gosling bei seinem Erbstreit um die Tischlerei Pascal und Sohn, die Heinrich Cresspahl von 1928 bis 1933 verwaltet.

95 Er hatte »Gefallen gefunden an dem hartnäckigen Handwerker aus ›Michelinberg‹ [d.i. Mecklenburg], der nicht auf Gesprächen über die Wirtschaftskrise oder die Juden bestand, und er hätte ihm gern zu einer Rückgabe des Auftrags geraten, wäre nicht seine Treue gegen den Mandanten, angesichts Cresspahls hübscher Erträge doch kräftiger geblieben«. – Salomon ist »schamlos stolz [...] auf seinen Oberschulakzent, sein konservatives Schwarz, sein rothölzern eingerichtetes Büro, die juristischen Schwarten hinter seinem kleinen, wachsamen, verbitterten Kopf. Cresspahl beauftragte ihn, ein Kaufangebot für Pascals Grundstück vorzutäuschen, jedoch zu einem niedrigeren Preis. Dann ließ er sich von ihm einen Abfindungsvertrag für Mrs. Elizabeth Trowbridge entwerfen.«

1527 Salomon »hatte 1946 seinen Tod melden lassen durch die Kanzlei von Burse & Dunaway«, ein Grund mehr für Cresspahl, nach seiner Entlassung aus Fünfeichen 1948 eine Übersiedelung nach Richmond nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Vgl. auch 103. 129. 193. 379-380. 812. 1209. Anhang II-III.

Sam

Inhaber der Hauscafeteria im Gebäude der Bank, in der Gesine Cresspahl arbeitet. Er beschäftigt drei Köche, neun Serviererinnen, zwei Kassendamen.

184-186 »Sams Alter kann man ihm nicht ansehen. Manchmal rückt ein vertraulicher Wortwechsel ihn in die Nähe der jugendlichen Schreibkräfte, von denen er nicht nur den Vornamen sondern auch Umstände weiß; öfter macht sein schweres, von Arbeit ausgelöschtes Gesicht ihn fast fünfzig. Er ist untersetzt, stämmig, fett auf eine ganz stramme Art.« Auch wenn er sehr viel zu tun hat, klagt er nicht, »nur wenn er einen Handrücken gegen seinen zurückweichenden Haaransatz drückt, wird so etwas wie Schmerz sichtbar«. Erteilt seinen Kunden meistens den Ratschlag: »Streng dich nicht zu sehr an. Take it easy.« Eine der Damen an der Kasse nennt ihn »Jerome, oder Jeremy. Womöglich will er sich als Sam mehr handlich und tüchtiger machen.«

698-700 Unterhält sich mit einem Gast über die im Nachrichtenmagazin Time vom 9. Februar 1968 veröffentlichten Fotografien von Toten nach dem Überfall auf die amerikanische Botschaft in Saigon (vgl. 695-697).

Vgl. auch 1312. 1446. 1642.

Sass

Zollassistent in Gneez.

293 Einer der Leute, die SA-Mann Horst Papenbrock bei seinen Hetzjagden auf Regimegegner im Frühjahr 1933 ins Gefängnis bringt und von denen vermutet wird, dass sie auf Betreiben seines Vaters Albert Papenbrock schnell wieder freigelassen werden. Sass soll »den neuen Reichskanzler beleidigt haben«.

Schaalsee

See südöstlich von Ratzeburg auf der Landesgrenze zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg.

1238 Bei dem zur Grenzbereinigung vereinbarten Gebietstausch zwischen Briten und Sowjets im Dezember 1945 werden »die Dörfer Bäk, Mechow und Ziethen [...] zu Schleswig-Holstein geschlagen; Dechow, Groß Thurow und das ganze Ostufer des Schaalsees mitsamt dem Stintenburgschen Werder gehörte nun zu Sowjetmecklenburg«. 

Zum Gebietstausch zwischen Briten und Sowjets vgl. Jahrestage-Kommentar zu 1238, 3-16.

Schäning, Herbie

Postzusteller in Jerichow.

674 Bringt Cresspahls regelmäßig den Lübecker Generalanzeiger.

Scharrel, Frau

Mieterin beim Totengräber Budniak am Friedhof, Nachbarin von Dieter Lockenvitz und seiner Mutter bis 1949.

1729 »Frau Scharrel wohnte im ersten Stock und war eine Schieberin; von Beruf.« Sie nötigt den zwölfjährigen Dieter Lockenvitz, für sie zu lügen. Dieter findet, Kindern sollte das Lügen erspart bleiben.

Schenk, Fritz

Bis 1945 Standesbeamter, danach Polizist und 1945-1946 Bürgermeister in Jerichow. 

244 Als Heinrich Cresspahl bei ihm im März 1933 die Geburt seiner Tochter meldet, »war Fritz Schenk aufgestanden beim Überreichen der Geburtsurkunden und hatte Cresspahl mit Handschlag beglückwünscht zu den herrlichen Zeiten, in die er ein Kind gesetzt habe, Fritz Schenk der Kaninchenforscher, dem seine Mutter nicht gesagt hatte, wie die Kinder in die Welt kommen. Nahm die Hacken zusammen und sah Cresspahl bieder in die Augen und sagte: Man lebt doch ganz anders. Man hat doch wieder eine Freude am Beruf! [...] Cresspahl gab ihm die Hand stumm zurück. Ihm fiel nichts ein.« 

1180-1183 Auf Vorschlag von Peter Wulff macht Bürgermeister Cresspahl Fritz Schenk 1945 zum Polizeichef von Jerichow. – Schenk, 1928 in die SPD eingetreten, wurde 1932 »zu seiner Befriedigung« aus der Partei ausgeschlossen, war nach 1933 »immer mit dem Maul voran für seinen geliebten Führer und Reichskanzler«, wusste sich aber vor einer Mitgliedschaft in der NSDAP ebenso zu drücken wie vor der Einziehung zur Wehrmacht, vor der er sich von Kriegsbeginn an bis zum Ende »mit Attesten, Eingaben, Zeugnissen« erfolgreich bewahrt hatte. – Peter Wulff »empfahl diesen eher, damit er sich reinritt«. – Die Berufung zum Polizisten behagt ihm sichtlich nicht. – »Sie sind der Dienstherr! rief er aus, ergriffen von Gehorsam, stand gerade, damit er ja nicht geradestehen mußte für seine Aufträge.«

1372 Wird im Herbst 1945 für kurze Zeit Nachfolger von Cresspahl als Bürgermeister, 1946 löst Alfred Bienmüller ihn in dem Amt ab (vgl. 1414).

Vgl. auch 1185. 1208. 1221. 1231. 1348-1349.

Schettlicht

Lehrer und Mitglied des Gemeinderats im Seebad Rande in den sechziger Jahren. In den späten vierziger Jahren Bürgermeister von Jerichow.

385 Einer der Unterzeichner des Briefes, mit dem der Gemeinderat von Rande am 24.11.1967 auf Gesine Cresspahls Anfrage vom 20. August 1967, die »Anzahl der jüdischen Kurgäste in den Jahren vor 1933« betreffend (vgl. 8), antwortet.

943 In ihrem Brief an Gesine Cresspahl vom März 1968 gibt Leslie Danzmann Auskunft über die Unterzeichner des Briefes: »Schettlicht ist Schullehrer in Rande, aus Meißen«.

1602 War in den später vierziger Jahren Nachfolger von Bienmüller als Bürgermeister von Jerichow. Er verweigerte Pastor Brüshaver eine Räumlichkeit für seinen Konfirmandenunterricht: »Die Bürgermeisterei von Jerichow untersagte die Nutzung weltlicher Räume für religiöse Propaganda. (Das war der nach Bienmüller, Schettlicht, der blankäugige Agnostiker aus Sachsen.)«

Schlegel, Frau

1274 Frau von Johnny Schlegel, »Johnny sin Olsch«.

Schlegel, Inge

Tochter von Johnny Schlegel, Verlobte und später Ehefrau von Cresspahls Altgesellen Alwin Paap.

808-809 Seit Ende 1938 mit Alwin Paap befreundet, den sie mit Cresspahls Erlaubnis auf seinem Giebelzimmer in Cresspahls Haus besuchen darf.

1269-1270 Im Sommer 1946 schickt Jakob Gesine und Hanna Ohlerich auf Johnny Schlegels Hof zur Erntehilfe. Dort werden sie auch gleich angestellt, »aber zum Essen von Dickmilch mit Zucker, und gewiß durften wir mit Inge zu allen ihren Arbeiten über den Hof ziehen, nur keine anfassen. Erdbeeren pflücken hätte sie uns erlaubt, jedoch nur so viel wir essen konnten«. – Inge »war gar nicht ängstlich, ganz allein auf dem Hof zu sein mit einem höflichen Dobermann und noch zwei halbwüchsigen Mädchen«.

1272 In diesem Sommer 1946 trägt Inge Schlegel »nach wie vor den Ring von Alwin Paap am Finger, sie hätte recht wohl Besonderes über Cresspahl mitteilen können, obendrein wo er nicht mehr war«.

1510 Bei Cresspahls Rückkehr aus Fünfeichen im Mai 1948 schleppt Inge regelmäßig Eimer mit frischem heißem Wasser an für das stundenlange Bad, das Cresspahl in einem Wassertrog in Johnny Schlegels Blumengarten nimmt. Dabei ist von »Inge Paap, geb. Schlegel« die Rede. Demnach hat sie Alwin Paap zwischen 1946 und 1948 geheiratet.

1843 Nach Johnny Schlegels Verhaftung im Februar 1953 versucht sie, den Hof allein weiterzuführen, und sorgt mit Paketen für Axel Ohr, der ebenfalls im Gefängnis sitzt. Als dann auch das letzte Pferd, das man ihr gelassen hatte, »Jakob sin Voss«, im Mai 1953 getötet wird, verlässt sie den Hof.

Vgl. auch 1522. 1525. 1552. 1869.

Schlegel, Johnny

Landwirt im Jerichower Winkel. Vater von Inge Schlegel, Freund von Heinrich Cresspahl. Gründet nach dem Krieg auf seinem 150 ha-Hof mit Flüchtlingen eine landwirtschaftliche »Kommune«, die von den DDR-Behörden zerschlagen wird. 1953 wird er angeklagt und zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt.

1269-1271 Im Sommer 1946 schickt Jakob Abs Gesine und Hanna Ohlerich auf den Schlegel-Hof zur Ernte. – Beschreibung des Hofes (1270 f.) und der Gründung der »Kommune« mit den Flüchtlingen: »Johnny Schlegel hatte dem Hof eine Verfassung gegeben, die Neuankömmlinge waren am Ertrag beteiligt, nach den mitgebrachten Pferden wie der geleisteten Arbeit, so wie er das nach Büchern über Gutsaufsiedlung angefangen hatte, bis die nationalsozialistischen Deutschen es verboten.« 

1271-1272 Johnny Schlegel aus der Sicht der beiden Mädchen: Sie »erwischten den Eindruck eines alten Herrn (er war achtundfünfzig), der sein Lebtag draußen gearbeitet hatte, einarmig, lächerlich lang gewachsen (er war abends einen Meter zweiundneunzig groß), turmschädelig, kahl (ihm saß noch lange ein kleines Beet krülliger blonder Haare auf der Schädelspitze), ein studierter Mensch, weil er manchmal eine märchenhaft kleine Brille aus ovalen Scheiben vor die Augen tat. Während die übrige Gesellschaft harmlos gleichberechtigt hin und her redete über den Tisch [...], schwieg Herr Dr. Schlegel, finster rechnend sah er aus, und die Mädchen [...] fürchteten sich vor ihm.«

1273 Sowjetische Offiziere von Gut Beckhorst, die abends gelegentlich zu Besuch kommen, haben offenbar geholfen, Johnnys Hof vor der Enteignung zu bewahren.

1274 Die Mitglieder der »Kommune« sind neben Johnny Schlegel, seiner Frau und seiner Tochter Inge: Herr Sünderhauf, Frau Sünderhauf, Frau von Alvensleben, Herr Leutnant, Frau Lakenmacher, Frau Schurig, Frau Bliemeister, Frau Winse, Anne-Dörte, Jesus, Axel Ohr, Huhn und Häuneken, Inglischminsch, Epi »und dann noch die Kinder unter dreizehn«, später kommt noch Frau Sünderhaufs Bruder dazu (vgl. 1841).

1275 Johnny erntet im Sommer 1946 mehr als vierzig Doppelzentner Weizen, die er an das Sowjetgut Beckhorst liefert; »nun standen die Herren ihm hübsch in der Kreide mit Bindegarn, Rohöl und Leumund«.

1276 Den Rest der Ernte zerstört ein unwetterartiger Regen am 27. August 1946.

1403 Johnny liefert im Ziegeleiweg zwei Sack Weizen an als Lohn für Gesines und Hanna Ohlerichs Erntearbeit.

1510-1516 Im Mai 1948 kommt der aus Fünfeichen entlassene Cresspahl auf Johnnys Hof und badet einen ganzen Tag lang in einem Wassertrog in Johnnys Blumengarten. Inge Schlegel bringt immer neue Eimer mit heißem Wasser, und Axel Ohr muss Cresspahls verlauste Kleidung hinter der Scheune verbrennen. Johnny Schlegel sitzt größtenteils schweigend neben dem Wassertrog. »Da Johnny nicht weniger aufgeregt war als sein Gast, hatte er seine liebe Not mit dem Schweigen.« Er brennt darauf, Cresspahl alle Ereignisse der zurückliegenden Jahre zu erzählen, aber Cresspahl schweigt und stellt keine Fragen. Johnny macht sich Luft, indem er Axel Ohr anbrüllt. Schließlich erzählt er ungefragt und macht mit Cresspahl »einen Schnellkurs in den Sachen, die der seit dem Herbst 1945 verpaßt hatte«, und liest ihm aus seinem Tagebuch vor, das er sich »für gutes Rapsöl bei Richard Maass« hatte anfertigen lassen. Mittags schickt er Axel Ohr zum Bahnhof Jerichow, um Gesine abzuholen, am Abend lässt er beide im Gummiwagen nach Hause bringen.

Johnnys »Förderer« vom Gut Beckhorst (vgl. 1273) sind inzwischen abkommandiert. Seitdem hat er häufiger Kontrollen von den »Volkskontrollausschüssen« auf dem Hof, und dem Gneezer Staatsanwalt ist die betriebliche Organisation des Schlegel-Hofes »ein Dorn im Auge«.

Johnnys Tagebuch »lag fünf Jahre später zu schlecht versteckt, und da er es frecher Weise für einen Roman ausgab, kam er erst 1957 wieder frei« (vgl. 1842-1843).

1550-1554 Im Juli 1948 ist Gesine Cresspahl erneut als Erntehelferin auf Johnny Schlegels Hof. – Johnny Schlegel beobachtet mit ihr die Sprengung des Flugplatzes Jerichow Nord von einer Anhöhe hinter dem Gräfinnenwald aus. – Das nahegelegene Kinderheim hatte Johnny Schlegel früher unterstützt mit Schrot und Fleisch, aber dann hatte die neue Leiterin »Anstoß genommen an einer ›gottesfeindlichen‹ Bemerkung Johnnys, da war er selber böse. So war Johnny auch; wenn Einer ihn dumm anredete, vergaß er den, und mochte das Kindern schaden.«

1840-1844 Über das Ende seiner »Kommune«: Die DDR-Behörden befördern den Ruin des Hofes, indem sie alle Mitglieder der Kommune einzeln als »Mittelbauern« veranlagen, so dass sie »ein Vielfaches« abliefern müssen »von dem, was den Siedlern, den Kleinbauern, auferlegt war«. Dennoch steht der Hof noch 1952 gut da. Bei der Prüfung seiner Bücher wird festgestellt, dass er ein den Maltzahns abgekauftes Stück Land bis 1950 abbezahlt hatte durch Überweisungen »über Westberlin auf deren Auslandskonto in Schleswig-Holstein. Privater Devisenverkehr.« Er wird im Februar 1953 verhaftet, kurz danach auch Otto Sünderhauf, Frau Bliemeister und Frau Lakenmacher. Johnny bekommt 15 Jahre Zuchthaus, die anderen Angeklagten »von acht bis zwölf. Einzug des Vermögens. Im April stand Johnnys Genossenschaft ausgeräumt. Die Mitglieder waren mit allen Kindern in die Flüchtlingslager von Westberlin abgehauen.«

Johnnys Tochter Inge versucht, den Hof noch weiterzuführen und für den wegen Schmuggels verhafteten und zu 5 Jahren verurteilten Axel Ohr zu sorgen. Nachdem das letzte Pferd auf dem Hof, Jakobs Fuchs, getötet wird, verlässt auch sie den Hof.

Vgl. auch 1277. 1402. 1437. 1522. 1537. 1678. 1848. 1855. 1863.

Schmidt, Johannes

Elektriker und Inhaber des Musikhauses »Johs. Schmidt« in Jerichow.

205 Überträgt am Tag von Gesine Cresspahls Geburt, 3. März 1933, mit Lautsprechern in der Stadtstraße und am Markt »die Hitlerrede aus Hamburg«.

412 Installiert im Frühjahr 1934 die Elektrik in Cresspahls Haus am Ziegeleiweg. Neugierige Jerichower fragen ihn aus, wie es in dem Haus aussieht, sind mit seinen Auskünften aber nicht zufrieden, »er hätte sich besser umsehen dürfen«.

474 Bürgermeister Friedrich Jansen ärgert sich: »Das Musikhaus Johs. Schmidt verlangte immer noch Geld, wenn die Partei Lautsprecher anforderte für nationale und nationalsozialistische Veranstaltungen; die würden es noch lernen.«

701 Fährt am 25. Oktober 1938, dem Tag vor der Einweihung des Flugplatzes Jerichow Nord, mit Lautsprecherwagen durch Jerichow und die umliegenden Dörfer, um den Festakt bekannt zu machen und die Bürger zur Beflaggung ihrer Häuser anzuhalten. Er tut das sogar auf eigene Rechnung: »Johannes Schmidt wollte dies als seinen Beitrag zur nationalen Ehre verstanden wissen.«

1458 Nach dem Krieg stellt die Firma »Johannes Schmidt Erben« der SED kostenlos Lautsprecher für ihre Wahlkämpfe zur Verfügung.

Vgl. auch 216. 225. 1534.

Schmoog, Erna (geb. Lübbe)

Bäuerin in dem zu Gut Bobzin gehörenden Dorf bei Malchow am See, Freundin von Cresspahls Mutter Berta.

279-282 Cresspahls Mutter »war seit 1873 mit Erna Lübbe befreundet gewesen, auch weiterhin, als Erna einen Hoferben heiratete«. Nach einem Besuch auf Gut Bobzin im März 1933, bei dem sie zusammenbricht, lässt Berta Cresspahl sich zu Erna Schmoog bringen, in deren Haus sie zwei Tage später stirbt. Die Schmoogs bahren sie an einem »Ehrenplatz« auf und richten das Haus für die Trauergäste her. Erna Schmoog »hatte nun ihrem Mann wie dem Gesinde zeigen können, wie sie ihren eigenen Tod begangen wünschte«. Ihr Mann ist einer der Sargträger bei der Beerdigung in Malchow.

767-768 Die Schmoogs sind Trauergäste bei Lisbeth Cresspahls Beerdigung im November 1938. Sie werden von Louise Papenbrock als zweitrangige Gäste behandelt.

Vgl. auch 1275.

Schönberg

Stadt in Mecklenburg, auf etwa halber Strecke zwischen Lübeck und Grevesmühlen gelegen.

1590 Im Sommer 1951 machen Gesine Cresspahl und Pius Pagenkopf einen Ausflug nach Schönberg.

Vgl. auch 71. 857. 1141. 1243. 1297. 1559.

Schröder, Wauwi

Inhaber eines Musikalien- und Elektro-Geschäfts in Gneez. 

1458 In einem seiner Schaufenster »hing bis Februar 1947 ein Schild in Zierschrift, mit Goldleisten gerahmt: Wir rechnen uns an als eine Ehre / jetzt und hinkünftig / der Roten Armee und der ihr verbündeten Partei / unsere Verstärker im Dienste der antifaschistischen Sache / sowie auch ohne Rechnung zur Verfügung zu stellen, / mit dem Zusatz: / Das am 19. September in Vergessenheit geratene Mikrofon / betrachten wir als ein Zeichen unseres guten Willens. / Dazu zwei mittlere Töpfe Azaleen.«

Schultz

Walther Schultz (1900-1957), deutscher Theologe, Mitglied der NSDAP und der »Deutschen Christen«; nach der Absetzung des Bischofs Heinrich Rendtorff am 23. Mai 1934 zum Landesbischof gewählt.

425-426 Von Aggie Brüshaver erfährt Lisbeth Cresspahl »mehr von den Streitigkeiten der evangelischen Landeskirche mit dem Österreicher als sonst ein Gemeindeglied«, darunter auch, dass »der Landesbischof Rendtorff aus dem Amt gedrängt« worden ist und der »Gauleiter der ›Deutschen Christen‹«, Schultz, seine Stelle übernommen hat, der »eine Wolke aus Blut und Boden im Kopf hatte, und beim Abendmahl berief er sich doch reinweg auf den Österreicher und erklärte das symbolische Blut des Herrn für das Blut der Märtyrer der faschistischen Bewegung«.

Vgl. auch 473-474.

Laut Jahrestage-Kommentar zu 426, 4 f. war Schultz zwar Mitglied der NSDAP, aber nicht Gauleiter: »Johnson verwechselt ihn mit dem Gymnasialprofessor Walther Schultz (1874-1953), der 1926 bis 1928 Gauleiter von Hessen-Nasssau war.«

Schulz, Erich

Junger Schuster aus Jerichow-Ausbau, Mitglied der Hitlerjugend.

164-165 Wird 1932 auf der Straße nach Rande brutal verprügelt. Die Jerichower Behörden machen keine Anstalten, die Täter ausfindig zu machen. »Wer schwängert, soll auch schwören«, soll der Gutspächter und Stadtverordnete Kleineschulte gesagt haben. – Die Jerichower Ortsgruppe der NSDAP stilisiert den mit einem gebrochenen Arm im Krankenhause liegenden Schulz zum Märtyrer, und »als er sein Bild zum zweiten Mal im Gneezer Tageblatt gesehen hatte, ließ er sich nachts an zwei Laken auf die Straße hinunter und verzog sich aus der Gegend«.

474 Erich Schulz ist seit dem Vorfall nicht nach Jerichow zurückgekehrt. 1935 heißt es, er sei bei der Marine.

Schumann, Gerd

Junger Kommunist, Werber für die KPD im Sommer 1945, später Landrat von Gneez. Im Oktober 1946 verhaftet und in ein Straflager in der Sowjetunion deportiert. 1962 ist er wieder in Mecklenburg. Gerd Schumann ist sein Deckname.

1186-1187 »Auf dem Lande um Jerichow war inzwischen ein junger Mann unterwegs, Gerd Schumann nannte er sich, ehemals beim Nationalkomitee Freies Deutschland in der Sowjetunion, nach einem Lehrgang für Verwaltungstechnik in Stargard/Pommern abgesandt in diesen Winkel als Werber für die Kommunistische Partei. Cresspahl hatte mit ihm gesprochen, er fand ihn umgänglich«. – 23 Jahre alt, »stämmig und schon ein wenig speckig«, man nennt ihn trotz seiner weißblonden Haare »Rotkopf«. – Die Mitgliederzahl der KPD wächst zwischen Juni und August 1945 von eintausend auf achttausend. – Cresspahl lädt ihn nach Jerichow ein, hofft insgeheim darauf, dass er das Bürgermeisteramt an ihn abgeben kann, aber Schumann lehnt ab.

1343 Wohnt in Gneez im Hotel Stadt Hamburg bei Alma Witte. Verliebt sich dort in Slata, hängt an ihr »mit spöttisch verwirrten Blicken [...], mit schwermütig betonter Miene, als sei er nicht der künftige Landrat von Gneez«.

1375 Marie fordert Gesine auf, ihr von einem zu erzählen, dem der Aufbau des Sozialismus in der Sowjetisch Besetzten Zone »Spaß« gemacht hat: »Der das freiwillig tut. So einen. Der Bescheid weiß. Der glücklich ist damit. Einen mußt du doch wissen.« Gesine erzählt ihr an diesem Tag (18.6.1968) und den folgenden Tagen Gerd Schumanns Geschichte.

1375-1382 Im Sommer 1946 ist er Landrat von Gneez. – Über seinen Werdegang und seine Arbeit für den Wiederaufbau Mecklenburgs. – Über seine Auseinandersetzungen mit alten Parteimitgliedern über die Politik der Sowjets und die politische Ausrichtung der Partei. – Über seine tägliche Arbeit als Landrat, seinen Kampf mit einzelnen Amtsträgern, mit den Eigenheiten der Mecklenburger und ihrer Sprache. Er stammt aus dem Badischen. – Über sein Verhältnis zu Slata.

1394-1399 Sein Wahlkampf für die Gemeindewahlen am 15. September 1946. – Über die weitreichende Unterstützung des SED-Wahlkampfs durch die Sowjets. – Nachdem ihm der Stadtkommandant von Gneez, Jenudkidse,  ›Nachhilfe‹ in Sachen Wahlkampf erteilt hat, absolviert er bis zu zehn Wahlveranstaltungen am Tag. – Trotzdem »verliert« er die Wahl, bekommt »nur« 66 Prozent der Stimmen. »Mehr als ein Viertel der Leute in Mecklenburg vertraute ihm nicht. Überdies hatte er die Freunde enttäuscht. Jetzt glaubte er das Gefühl der letzten Wochen zu erkennen: Angst vor dem Versagen, Ahnung der Niederlage.«

1408 Kurz darauf Wahlkampf für die Landtagswahlen in Mecklenburg am 20. Oktober 1946. Schumann ist »mit unsicherem Gefühl unterwegs«. Besucht am letzten Tag vor der Wahl Jerichow, wo Bürgermeister Bienmüller den Wahlkampfredner mit subversiven Plakaten angekündigt hat und ihn ohne die gewohnte Ehrerbietung empfängt. Er besucht Peter Wulff, der ihn abblitzen lässt und die Rückkehr des verhafteten Cresspahl fordert. Er beschwert sich bei den Stadtkommandanten, den Herren Wendennych, die barsch reagieren, ihm die Pistole abnehmen lassen. Er verlangt im Haus gegenüber ein Zimmer, um sich vor der Wahlkampfrede auszuruhen, wird aber von einem dreizehnjährigen Mädchen (Gesine Cresspahl) abgewiesen. Fällt mit seiner Rede durch. Auch diese Wahl »verliert« Schumann, seine Partei bekommt noch weniger Stimmen als bei den Gemeindewahlen.

1420 Nach dem Wahlsonntag lässt Jenudkidse ihn festnehmen. Bei den Verhören bittet Schumann »unverhofft, ihm selbst nicht erklärlich, um die Adresse von Slata. (Nur um ihr zu schreiben.) J. J. Jenudkidse galt als ein ruhiger Kommandant, ohne Neigung zu gehässigen oder gar unüberlegten Einfällen. Er ließ den jungen Mann an eine solche Adresse befördern«, d. h. in ein sowjetisches Straflager bringen.

Sechzehn Jahre später, im Frühling 1962, trifft Gerd Schumann eine Frau im Schweriner Burggarten und erklärt ihr, »daß dies der Abschluß seiner Erziehung war, die endgültige Abkehr von privaten Wünschen, das vollständige Aufgehen in der Partei«. Er heiratet später und nimmt seinen richtigen Namen wieder an. »Nach Gneez kam er nie wieder. Ich habe ihn nie wieder gesehen.«

Vgl. auch 1362. 1409. 1410. 1419. 1437.

Schumann, Klothilde

Vermieterin von D.E. in Ostberlin 1953.

815 D.E. erwähnt sie in einem Brief an Gesine vom März 1968: Sie habe ihm Anhänglichkeit nachgesagt, »weil sie einmal ohne zu klopfen hereinkam und Eva Mau mit mir von Klothildes Sofa fiel«.

Schürenberg, Dr.

Kreismedizinalrat in Gneez.

1479 Eintrag in Gesine Cresspahls Tagebuch aus dem Jahr 1947: »›Weißbrot‹. Drei Zeichen des Ausrufs. Das war Dr. Schürenbergs aufrechter Widerstand gegen die kommunistische Besatzung. Da es öffentlich kein Weißbrot gab, verordnete er das auf manchen Rezepten.«

1501 Rührt Emil Knoop zu Tränen durch seine Berichte von Mangelerkrankungen der Kinder, um ihn zu Spenden zu veranlassen. »Es war kurz vor Weihnachten 1947. – Jedem Kind eine Apfelsine: sagte Dr. Schürenberg. Denn er war ein studierter Mann und wollte einmal dies unerhörte Renommee eines gewöhnlichen Handelsmenschen abschaffen. – Und jedem, der arbeitet, einen Salzhering! schluchzte Emil.«

1614 Auf Veranlassung seines ›Saufkumpans‹, des Kommandanten Jenudkidse, besorgt er für die kranke Anita Gantlik im Sommer 1949 einen Platz im Krankenhaus von Gneez.

1689 Auf Betreiben von Aggie Brüshaver schreibt er Heinrich Cresspahl im Dezember 1950 dauerhaft »arbeitsunfähig, in die Rente«.

1731 Bescheinigt Dieter Lockenvitz, dem im Januar 1951 die Einziehung zur NVA droht, »vegetative Dystonie«.

Schurig, Frau

1274 Mitglied von Johnny Schlegels »Kommune«.

1843 Nach Johnny Schlegels Verhaftung und Verurteilung im Frühjahr 1953 flieht sie mit den meisten anderen Mitgliedern der Kommune in ein Flüchtlingslager nach Westberlin.

Vgl. auch 1848.

Schürmann, Inge

Bürgerin von Jerichow.

410 Klatschbase, die zu den Gerüchten beiträgt, die Ende 1933 über Heinrich Cresspahl im Umlauf sind. Hat Cresspahl mit Dr. Semig in dessen Auto wegfahren sehen. »Konnte das sein, daß Arthur dem das Fahren beibrachte?«

Schustek

Schlachterei in New York am oberen Broadway in der Nähe von Gesine und Marie Cresspahls Wohnung.

23 Ist Marie Cresspahl »tributpflichtig […] mit Scheibenwurst«.

25 Marie zählt ihn zu ihren besten Freunden.

67 Bedient Marie Cresspahl persönlich, »und sie kostete drei Sorten von seiner Wurst, bevor sie kaufte«.

175 In den Läden am oberen Broadway sind die Cresspahls bekannt und werden »gefragt nach unserer Gesundheit, nach unseren Ferien, nach der Schule, und auch wir benutzen dies Schmiermittel der Warengesellschaft und äußern Bewunderung für Schusteks geschickte Hackschläge zwischen die Schweinerippen oder klagen über das Wetter. Bei Schustek sind wir angesehene Kunden, er würde uns Wochen lang ohne Bargeld beliefern. Mr. Schustek kann noch etwas von dem westfälischen Deutsch, und seine beiden puertorikanischen Gehilfen verstehen und sprechen genug Jiddisch für die Kunden dieses Ladens.«

Vgl. auch 23. 25. 53. 529. 1023. 1427.

Schützenhaus

Gaststätte in Jerichow, geführt von Prasemann

704 Am Abend der Einweihung des Flugplatzes Jerichow Nord am 26. Oktober 1938 gibt es in den Jerichower Gaststätten Festbälle. »Die Cresspahls waren zu dem im Schützenhaus gegangen. Uns' Lisbeth ließ zweieinhalb Stunden keinen Tanz aus.«

719 Im Saal des Schützenhauses führt die Gaufilmstelle Anfang November 1938 zwei Propagandastreifen vor, »Schwert des Friedens« und »Juden ohne Maske«, die bei dem Publikum nicht recht ankommen. Viele gehen vor Schluss, was Gastwirt Prasemann verdrießt, weil er dem Publikum »hinterher hätte Bier und Korn verkaufen wollen«.

Schwenzin, Gut

858 In Jerichow und Umgebung macht man sich 1941 Sorgen um die polnischen Zwangsarbeiter: »Auf Gut Schwenzin hatte einer dem Inspektor das Lohnbuch ins Gesicht geworfen, ihn angeschrien, mit der Forke geschlagen.«

Es gibt bei Waren an der Müritz einen Ortsteil Schwenzin, ein Gut dieses Namens in der Jerichower (Klützer) Gegend scheint es nicht zu geben.

Schwerin

Stadt am Schweriner See. Bis 1918 Residenz der mecklenburgischen Herzöge, danach Hauptstadt des Landes Mecklenburg. – In »Jahrestage« spielt die Stadt in erster Linie als Sitz verschiedener übergeordneter Landesbehörden und Parteizentralen eine Rolle.

525 In Schwerin lebt Dr. Berlings Frau mit einem ›Goldfasan‹ (NS-Funktionär) zusammen.

532 Lisbeth Cresspahls älterer Bruder Robert Papenbrock macht nach seiner Rückkehr aus Übersee 1935 Parteikarriere in der NSDAP, siedelt sich in Schwerin an, wo er ein hohes Parteiamt innehat. 

652 Die Eltern von Dora Semig, Geheimrat Köster und seine Frau in Schwerin, vergiften sich 1938 mit Schlaftabletten.

873 Die Gräfin Seydlitz, wohnhaft am Riverside Park in New York, »kennt sich befremdlich aus in Schwerin-Vorwerk, und sie könnte wohl da zur Welt gekommen sein, nicht aber am Schweriner Jungfernstieg«.

1218 Nach dem Krieg Sitz des Sowjetischen Militärtribunals für Mecklenburg, vor das Heinrich Cresspahl 1946 gebracht wird.

1574 Der Vater von Pius Pagenkopf wird nach 1945 zur Landesverwaltung in Schwerin versetzt, wo er fortan überwiegend lebt und Amouren mit »aparten Damen« hat.

1674 Die Verhöre der Schüler der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez nach der ›Flugblattaffäre‹ 1950 nimmt Herr Lehmann vom Ministerium für Staatssicherheit in Schwerin, Geschwister Scholl-Straße, vor.

Anhang XIV Alexander Paepckes Familie, die »großmächtigen Paepckes«, stammen aus Schwerin.

Vgl. die vollständige Auflistung der Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars.

Schweriner See

Großer See im Osten der Landeshauptstadt Schwerin; in seinem nördlichen Teil liegt die Insel Lieps.

632 Auf ihrer Reise zu den Paepckes in Podejuch Ostern 1938 steigen Heinrich, Lisbeth und die fünfjährige Gesine Cresspahl in Gneez in den Schnellzug Hamburg-Stettin ein, der nach einer Viertelstunde Fahrt drei Minuten oberhalb des Schweriner Sees hält, und sie »konnten nahe in dem kalten Wasser die nördliche Spitze der Insel Lieps sehen, nicht völlig kahl, sondern mit bräunlichem verfilzten Baumwerk bestanden«.

1018 Zu den Seen, in denen Gesine Cresspahl geschwommen hat, zählt auch der Schweriner See: »Allein, auf dem Wege von Jerichow, Nordwesten, nach Wendisch Burg, Südosten Mecklenburgs: im Schweriner See bis zur Insel Lieps«.

1218 Bei der Verbringung vom Untersuchungsgefängnis Gneez nach Schwerin vor das Sowjetische Militärtribunal im Frühjahr 1946 fährt der geschwächte Cresspahl an dem See vorbei: »am verwischten Saatgrün vor dem Schweriner See lernte er wieder sehen«.

Schweriner Volkszeitung

Nachfolgerin des Gneezer Tageblatts nach 1945.

944 In ihrem Brief an Gesine Cresspahl vom März 1968 schreibt Leslie Danzmann, es habe in der Zeitung gestanden, dass der Ziegeleiweg in Jerichow in »Cresspahlweg« umbenannt werden soll, weil Heinrich Cresspahl für die Briten und gegen die Nazis spioniert habe. »Es hat in der Zeitung gestanden. In unserer Volkszeitung, was früher das gneezer Tageblatt war, sie machen das jetzt aber in Schwerin, und in Gneez ist bloß noch die Auslieferung.«

Sedenbohm

1146-1149 Aus der Lebensgeschichte D.E.'s: Als Jugendlicher ist er bei der Marine-HJ in Wendisch Burg. Eine Meldung an die Bannführung lautet: »Rottenführer Erichson aufgefallen beim Abgeben von Lebensmitteln bei den Sedenbohms (Mischehe, nicht privilegiert, Sternträger).« – Später, bei der Flieger-HJ, hängt ihm »die Sache Sedenbohm« immer noch an. – Im Mai 1945 geht in der Gegend um Wendisch Burg das Gerücht, die Rote Armee werde das Gymnasium in Wendisch Burg wieder öffnen und Sedenbohm als Direktor einsetzen.

In »Ingrid Babendererde« gibt es an der Oberschule in Wendisch Burg den Englischlehrer Dr. phil. Ernst Sedenbohm, den die Schüler sehr schätzen und »Sir Ernest« nennen (vgl. IB 75-86). Er war früher Direktor der Schule, wurde zugunsten von Robert Siebmann abgesetzt (IB S. 159). »Das Benehmen des früheren Direktors Herrn Sedenbohm nahm von dieser Zeit an zu an Unzugänglichkeit und Sachlichkeit, die sich nur zu höflicheren Formen lockerten in den Segelkursen, die er in der Sportvereinigung ›Empor‹ abhielt und auf die sich sein ausserdienstlicher Umgang mit den Schülern nun beschränkte.« (IB 160 f.; vgl. A 117). – In »Begleitumstände« ist von ihm die Rede als »dem einzigen Lehrer, den die Klasse achtete, von dem sie Rügen annahm, dessen Lob noch etwas galt, wie es auch schon üblich gewesen sei zu Erichsons Zeiten in der Schule: Sir Ernest« (B 80).

Seeger, Pete

Amerikanischer Folk-Sänger (geb. 1919).

63 Marie meint: »von Pete Seeger muß man mindestens eine Schallplatte kaufen, weil die Fernsehanstalten ihn für ein antimilitaristisches Lied auf die schwarze Liste gesetzt haben«.

1072-1073 Am Tag der Loyalty Day Parade, an dem Marie und Gesine Cresspahl zu einer Gegendemonstration, einem Friedensmarsch am Central Park gehen, entdeckt Marie den Sänger auf einem Lastwagen für Prominente, »und sie winkte ihm zu (Where have all the Flowers Gone; If I had a Hammer; Turn, Turn, Turn). Weil Pete Seeger die Demonstration mitmachte, wurde sie von neuem fast heil für Marie, aber sie war zu bescheiden, gleich hinter Pete Seegers Leibwächtern in die Kolonne zu gehen.«

Vgl. auch 1877.

Selbich, Bettina (geb. Riepschläger)

Lehrerin für Deutsch an der Gneezer Brückenschule (dort noch »Fräulein Riepschläger«), später, nach Heirat und Scheidung, kommissarische Leiterin der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez im Schuljahr 1949/50; ein Jahr später abgesetzt; Lehrkraft für Deutsch und Gegenwartskunde.

1475-1476 In Gesine Cresspahls Tagebuch von 1947 wird sie »Rips« genannt. »Rips war Bettina Riepschläger, vertretende Fachkraft für Deutsch an der gneezer Brückenschule, wenig älter als die Schülerinnen der Sieben b, vom eigenen Abitur nach zwei Monaten Lehrerkurs mit humanistischer Bildung betraut, ein fröhliches Mädchen, ohne Verlangen nach standesgemäßer Würde. Wir machten während ihres Unterrichts, wonach uns zumute war; sie desgleichen. Oft sah es aus, als redete sie uns dazwischen.« – Gesine hält es für besser, Jakob nichts von ihrer Deutschlehrerin zu sagen, denn sie ist hübsch und blond. »Blond, das hatte die Erfahrung gelehrt, war Jakobs Farbe. Im Gegensatz zu dunkleren Tönungen.«  – Sie stammt aus Ludwigslust. – Als Junglehrerin an der Brückenschule ist sie noch liberal und bei den Schülern beliebt.

1528 Während die älteren Lehrerinnen an der Brückenschule Gesines Wesensänderung nach der Rückkehr ihres Vaters aus sowjetischer Haft im Mai 1948 »verdächtig« finden, hat »Fräulein Riepschläger« keine Bedenken. »Sie hat ihren Vater wieder, von mir aus kann Gesine sich krumm freuen: sagte Bettina«.

1647-1651 Nach Kliefoths Absetzung als Direktor der Fritz Reuter-Oberschule gegen Ende des Schuljahres 1949/50 wird Bettina, nun geschiedene Selbich, kommissarische Leiterin der Schule. Sie hat sich in eine harte, humorlose Lehrerin und linientreue Parteisoldatin verwandelt. Trägt jeden Tag das Blauhemd der FDJ, »komplett mit Achselklappen und Schild am Ärmel«.

1651-1657 Die ›Badeanzugaffäre‹ im Mai 1950: Als Bettina Selbich entdeckt, dass Gesine Cresspahl ihren Badeanzug am offenen Klassenfenster zum Trocknen aufgehängt hat, beleidigt sie sie mit anzüglichen Unterstellungen. Es entstehen Gerüchte, die den Vorfall aufbauschen, und da die Schüler nichts unternehmen, um die Dinge richtigzustellen, schlägt die Geschichte sehr zu Bettina Selbichs Nachteil aus: Ihre Zugehfrau Oma Rehse sagt ihr ihre Dienste auf, ihr Vermieter versucht ihr zu kündigen, Mülleimer werden im Treppenhaus so hingestellt, »daß Bettina ein bißchen hinfiel«, und die von Jakob informierten Eisenbahner kontrollieren die Reisende Selbich »mit offen gezeigtem Verdacht«. – Der Abiturient Dicken Sieboldt macht sich an sie heran, besucht sie spätabends in ihrer Wohnung im Domhof (vgl. auch 1660, 1719).

1657-1662 Beim Pfingsttreffen der FDJ in Berlin im Sommer 1950 fotografiert Gesine Cresspahls Freund Pius Pagenkopf Bettina Selbich bei einem heimlichen Besuch in Westberlin vor einem Schuhgeschäft. Sie versucht erfolglos, ihm die Kamera wegzunehmen. Mit dem Foto haben Gesine und Pius sie in der Hand (machen aber keinen Gebrauch davon). – Die Schüler nennen sie »Das blonde Gift, D.B.G.«. Bettina erfährt von ihrem Spitznamen durch Julie Westphal.

1670-1680 Am ersten Schultag nach dem Pfingsttreffen ist die Fritz Reuter-Oberschule mit regimekritischen Flugblättern beklebt. Bettina Selbich alarmiert das Ministerium für Staatssicherheit in Schwerin und weist die Schüler über Lautsprecher an, in ihren Klassenzimmern zu bleiben, bis sie zu den Einzelverhören gerufen werden. »Bettinas Stimme im Lautsprecher, heiser, verzagt, verzweifelt, in brüchiger Härte.« Bei Gesines Verhör verliert sie die Fassung: »Die nimmt euch auf den Arm, Genossen, diese Göre, dieses ... Biest! kreischte Bettina Selbich«.

1681 Wird mit Beginn des Schuljahrs 1950/51 als kommissarische Leiterin der Schule abgesetzt. Neuer Direktor ist Dr. Kramritz. Bettina Selbich bekommt ihren »Wartestand als Kandidatin« um ein Jahr verlängert, unterrichtet weiterhin Deutsch und Gegenwartskunde.

1684-1685 Während einer Ehekrise macht Direktor Kramritz ihr Avancen. »Damit er für den Fall einer Scheidung doch wisse wohin und eine Zuflucht.« Klaus Böttcher beobachtet das ›verheulte‹ Paar auf einem Waldweg. Kurz darauf wird Bettina aus ihrer Wohnung am Domhof geklagt, die von der wieder versöhnten Familie Kramritz bezogen wird. Bettina findet nur noch in Dänschenhagen, einem Arbeiterviertel von Gneez, ein einzelnes Zimmer.

1782 Bei dem Verhör der Schüler nach dem »Kartoffelkäfer-Aufstand« im Frühjahr 1952 fliegt »über der reuigen Schülerin Cresspahl [...] ein Schutzengel im Kreis; der hatte Bettina in Westberlin fotografiert«.

Vgl. auch 1682. 1686. 1687. 1694. 1714. 1715. 1719. 1724-1725. 1732. 1760. 1761. 1780. 1784-1785. 1818-1819. 1821.

Selenbinder, Grete

Witwe in Jerichow; Haushälterin bei Cresspahls nach Lisbeth Cresspahls Tod.

125 Gesine Cresspahl vergleicht die Placierung der Nachrichten in der New York Times vom 29. September 1967 mit dem Verhalten ihrer früheren Kinderfrau: »Erst mach die Schularbeiten, dann darfst du spielen: sagte Grete Selenbinder, die Nenntante, die Schlüsseltante, die Weinetante.«

855 Ist nach Oma Klug und Frieda Dade die dritte Haushälterin. »Sie war Witwe, ihr Sohn bei der Marine; sie hatte Zeit, sie wollte das Geld. Um die vierzig Jahre alt, unermüdlich im Arbeiten, unbedingt aus auf Gehorsam, Lob und gute Formen.« Hängt die Hakenkreuzfahne heraus, bringt das Haus »in Schick«. Cresspahl hat sie im Verdacht, dass sie seine Papiere durchsieht und einen Schlüssel zu Lisbeths Sekretär hat. »Grete Selenbinder wollte herrschen. [...] Wenn das Lob ausblieb, kam das Weinen.« – Als sie Gesine zwingen will, eine Haferflockensuppe zu essen, isst Cresspahl die Suppe für sie auf, worauf Grete Seelenbinder dem Kind vorwirft, die Suppe weggeschüttet zu haben. »Weil sie auch von einer Lüge sprach, mußte sie gehen.«

Vgl. auch 619. 853.

In »Karsch und andere Prosa« (1964) wird von ihrer späteren Ausreise in den Westen erzählt (K 18-22).

Semig, Arthur

Dr. med. vet., Tierarzt in Jerichow, bis 1933 Fleischbeschauer. Verheiratet mit Dora, geb. Köster. Wohnt in der Bäk in Jerichow. Freund von Heinrich Cresspahl. Er ist jüdischer Herkunft, emigriert auf Drängen seiner Jerichower Freunde im Dezember 1937 zunächst nach Österreich, dann in die Tschechoslowakei, schließlich über die Schweiz nach Paris und Cannes, zuletzt verschollen.

70-71 Heinrich Cresspahl lässt sich bei seinem Besuch in Mecklenburg im Sommer 1931 zum Missfallen seines künftigen Schwiegervaters Albert Papenbrock »sehen auf der Terrasse des Hotels Erbgroßherzog in Rande mit einem Dr. Semig. Mochte Dr. Semig doch zwei Diplome an der Wand haben und zu Kaisers Geburtstag seine Kriegsauszeichnungen durch die Stadtstraße tragen. Papenbrock hielt es für ausreichend, Semig seine Rechnungen zu bezahlen, und zwar postwendend. Aber Semig saß vor einem christlichen Hotel unterm Sonnenschirm und trank den Kurgästen Cognac vor und erklärte Fremden die Welt.«

114-115 Auf einem Foto von Heinrich und Lisbeth Cresspahls Hochzeit im Oktober 1931 sieht man »Semig mit dem Hasenkopf, Semig mit der breiten flachen Bürste vorn an seinem geschorenen Hasenkopf, Semig mit den krummen Lippen und der gekrausten Nase, er muss aber gar nicht niesen, er möchte liebenswürdig erscheinen«. – Semig verlässt das Fest recht früh, »und bei Bothmers wie bei Papenbrocks galt sein Verhalten noch lange als erstaunlich taktvoll für einen Juden, und für einen Akademiker«. Nur Pastor Methling ist »sauer auf Semig, weil er nun nicht mit Anstand sitzen bleiben konnte«.

298-299 Gesine Cresspahls Taufpate. Heinrich Cresspahl zerstreut die Bedenken von Pastor Brüshaver: »Herr Semig ist kein Jude, schon sein Großvater hat die Taufe genommen«.

317 Bei Gesines Taufe am 19. März 1933 ist er »ohne jede Scham vergnügt« und »angetan von dem Kind«.

356-358 Am 1. April 1933, dem Tag des ›Judenboykotts‹, organisiert Ossi Rahn vor Semigs Haus eine Boykottwache mit vier SA-Männern und wird von dem erbosten Baron von Rammin, der bei Semig ein Arzneimittel abgeholt hatte, fast über den Haufen gefahren. Am Sonntag nach diesem Vorfall »wurde das Ehepaar Semig von einer Familie Plessen zum Mittagessen gebeten«.

359-360 Aufgrund des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom April 1933 verliert Dr. Semig seine Stelle als amtlicher Fleischbeschauer und damit den wesentlichen Teil seiner Einkünfte. Er protestiert beim Kreisveterinär in Gneez unter Berufung auf Paragraph 3, Absatz 2, der Frontkämpfer des 1. Weltkriegs von der Entlassung ausnimmt. Der Kreisveterinär zieht sich auf das Argument zurück, dass der Posten inzwischen neu besetzt sei, und weist Semig nach erneutem Protest die Tür. Semig »hielt es alles für persönliche Intrige, nur auf seine Person bezogen«. Sein Nachfolger als Fleischbeschauer wird Hauschildt (vgl. 429-430).

363 Lisbeth Cresspahl meidet im Sommer 1933 Besuche bei den Semigs, unter anderem auch weil Semig »fremd« aussieht, seit er »sich das kleine viereckige Bärtchen unter der Nase abgenommen« hat. Seine Praxis bleibt meistens leer. »Die Semigs faßten alles als Mitleid auf, ob es nun der Besuch war oder ein Angebot von Hilfe.«

418 Zu Cresspahls ›Wünschen an das Jahr 1934‹ zählt auch der, »daß Dora und Arthur sich besinnen möchten und außer Landes gehen. Er war nun fast befreundet mit dem Mann, so weit es eben gehen konnte mit einem Studierten [...]. Es war nicht gut anzusehen, wie Semig ohne Arbeit zusammenschnurrte, wie zacher Weizen. Und Dora wurde immer stiller und sich selbst nur ähnlich, wenn sie die Gesine im Arm hatte. Er wünschte, sie wären in Sicherheit. Er konnte ihnen das nicht sagen.«

428-433 Im Herbst 1934 beklagt Schlachter August Methfessel sich über die nachlässige Arbeit des neuen Fleischbeschauers Hauschildt bei Dr. Semig und bringt ihm ein Stück Fleisch, das Semig nach anfänglichem Sträuben dann doch an das Kreisveterinäramt nach Schwerin schickt. Die Probe ist mit Salmonellen verseucht.

431 Hält sich seit dem Frühjahr 1933 einen Schäferhund, Rex.

472 Sitzt »noch Ende 1935 in seinem gediegenen Haus an der Bäk von Jerichow und bekam seine Dienstbezüge im Ruhestand und fand es ordentlich«, obwohl die Diskriminierung von Juden inzwischen weit fortgeschritten ist. »Arthur brachte es einfach nicht fertig, wegzugehen aus einem Lande, in dem alle so sprachen wie er, wenn sie auch in Manchem anders dachten.«

544-547 Er stammt aus der »griesen Gegend« um Ludwigslust, »Arthur hatte dazugehört«, deshalb bemühen sich einige Jerichower, ihn zur Emigration zu bewegen, wozu neben Heinrich Cresspahl auch Albert Papenbrock, Axel von Rammin und Avenarius Kollmorgen zählen. Papenbrock weigert sich allerdings, bei der Rettung von Semigs Vermögen behilflich zu sein, was Semig gerade recht ist, denn er »sah es nicht ein. Er verbat sich die Einmischung« und schlägt alle Hilfsangebote aus.

570-572, 579, 598-592, 596-599, 601-607 Ein Gespräch zwischen Hagemeister und Warning, das Lisbeth Cresspahl zufällig mithört, setzt das gegenstandslose Gerücht in die Welt, der Reichsarbeitsdienstführer Griem habe vor 1933 illegale Geschäfte mit Dr. Semig gemacht. Semig soll ihm eine kranke Kuh »zum Abdecker begutachtet« haben, so dass Griem Ersatzzahlungen aus der Versicherung habe kassieren können (605). Lisbeths Bruder Robert Papenbrock bringt den Vorgang hinter dem Rücken der Familie zur Anzeige. Daraufhin werden Warning und Hagemeister wegen übler Nachrede (nach dem »Heimtückegesetz«) angeklagt und Dr. Semig, obwohl zunächst nur Zeuge, im Untersuchungsgefängnis in Gneez festgehalten. Für seine Festnahme haben seine Schwiegereltern, die Kösters in Schwerin, gesorgt, »der Tochter zuliebe« (589).

623-626 Anfang Dezember 1937 verlassen die Semigs Jerichow. Dr. Semig selbst hat weiterhin keine Einsicht in seine Gefährdung, er willigt in die Emigration seiner Frau zuliebe, die zunehmend unter den Anfeindungen leidet, und beharrt »darauf, daß sie von einer Reise sprechen wollten, nicht von einer Auswanderung«. Er nimmt eine durch Baron von Rammin vermittelte Stelle als Gutsveterinär bei Rammins Freund Graf Naglinsky in Österreich an.

650-652 Bei Graf Naglinsky halten die Semigs es wegen antisemitischer Anfeindungen im Dorf nur kurze Zeit aus. Im März 1938 gibt Semig die Stelle auf, Naglinsky zahlt ihm »in seiner Erleichterung« sein Geld aus, »obwohl er den Gegenwert noch gar nicht in Deutschland abgeholt hatte«. Kurz vor dem Anschluss Österreichs gehen sie nach Prag, wo Dora Semig bei reichen Auswanderern mit Flickschneidereien Geld verdient und Semig als Pfleger in einer Tierklinik arbeitet. – Dora Semigs Eltern nehmen sich um diese Zeit in Schwerin das Leben.

656 Semigs Schäferhund Rex ist bei Cresspahl untergekommen und heißt jetzt King.

750 Die im Februar 1968 erkrankte Gesine Cresspahl hält den von Marie geholten Kinderarzt Dr. Rydz in ihren Fieberphantasien für Dr. Semig: »Sie sollten sich doch im Amtsgericht Hamburg melden, Herr Semig. [...] Sie können nämlich widrigenfalls für tot erklärt werden, Herr Semig« (vgl. dazu 1872).

891-893 Im November 1942 erhält Cresspahl einen in Leipzig abgestempelten Brief von Dora Semig in französischer Sprache, den er sich von Dr. Kliefoth übersetzen lässt: Die Semigs sind nach der Besetzung der Tschechoslowakei in die Schweiz gegangen, von dort nach Paris, wo sie ihr letztes Geld verbraucht haben. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich sind sie ins unbesetzte Gebiet entkommen. Leben in der Nähe von Cannes mit falschen Papieren, Semig arbeitet als Schlachter.

1872 Zwanzig Jahre später lässt Dora Semig »ihren Mann aufbieten; er möge sich vor dem Amtsgericht Hamburg melden bis zum 2. September 1960; widrigenfalls er für tot erklärt werde«. Gesine Cresspahl scheint davon auszugehen, dass Semig nach dem Krieg in Westdeutschland Opfer einer antisemitisch motivierten Gewalttat geworden ist.

Vgl. auch 86. 112. 205. 225. 231. 238-239. 294-295. 319-320. 361. 364. 410-411. 425. 467. 529-530. 533. 555. 562. 584. 645. 665. 671. 712. 729. 807. 831. 965. 981-982. 999. 1044. 1218. 1267.

Semig, Dora

Ehefrau von Tierarzt Dr. Arthur Semig in Jerichow, geb. Köster aus Schwerin. Emigriert mit ihrem Mann im Dezember 1937 nach Österreich, dann in die Tschechoslowakei, schließlich über die Schweiz nach Paris und Cannes, zuletzt in Hamburg.

294-295 Sie ist »ihrem Mann so ähnlich, daß ihr Anblick den ihres Mannes gleich mit vor Augen brachte, beide groß gewachsen, schmal und fest am ganzen Leibe, mit etwas steifen, trockenhäutigen Gesichtern, die doch zu ganz behenden, weichen, freundlichen Bewegungen imstande waren«. Nach den ersten Übergriffen auf Juden im Frühjahr 1933 kündigt ihr Dienstmädchen. »Dora Semig war mit Dienstmädchen aufgezogen worden.«

418 Zu Cresspahls ›Wünschen an das Jahr 1934‹ zählt auch, »daß Dora und Arthur sich besinnen möchten und außer Landes gehen. Er war nun fast befreundet mit dem Mann, so weit es eben gehen konnte mit einem Studierten [...]. Es war nicht gut anzusehen, wie Semig ohne Arbeit zusammenschnurrte, wie zacher Weizen. Und Dora wurde immer stiller und sich selbst nur ähnlich, wenn sie die Gesine im Arm hatte. Er wünschte, sie wären in Sicherheit. Er konnte ihnen das nicht sagen.«

589 Ihre Eltern, die Kösters in Schwerin, sorgen »der Tochter zuliebe« dafür, dass ihr Schwiegersohn im Zusammenhang mit dem Prozess gegen  Hagemeister und Warning in Untersuchungshaft genommen wird. Ihre Mutter hat »Freunde in Kreisen des Herzoghauses, der Vater Kollegen aus seiner Zeit in der DEPO, der Mecklenburgischen Depositen- und Wechselbank. Das waren die Kösters.«

623-626 Dora besticht Wachtmeister Fretwust, um Hafterleichterungen für ihren Mann zu erreichen. Während seiner Inhaftierung erleidet sie zunehmende Anfeindungen: Bürgermeister Friedrich Jansen beschlagnahmt das Haus mehrere Stunden, um es zu vermessen (er will es kaufen); auf dem Gneezer Bahnhof wird sie von Frieda Klütz bespuckt (worauf sie den beschmutzten Mantel auszieht und der »keifenden Altjungfer« in den Arm legt). Ihr zuliebe willigt Semig in die Emigration ein, beharrt aber darauf, »daß sie von einer Reise sprechen wollten, nicht von einer Auswanderung«. Er nimmt eine durch Baron von Rammin vermittelte Stelle als Gutsveterinär bei Rammins Freund Graf Naglinsky in Österreich an.

650-652 Bei Naglinsky halten die Semigs es wegen antisemitischer Anfeindungen im Dorf nur kurze Zeit aus. Im März 1938 gehen sie nach Prag, wo Dora Semig bei reichen Auswanderern mit Flickschneidereien Geld verdient und Semig als Pfleger in einer Tierklinik arbeitet. – Doras Eltern nehmen sich um diese Zeit in Schwerin das Leben.

891-893 Im November 1942 erhält Cresspahl einen in Leipzig abgestempelten Brief von Dora Semig in französischer Sprache, den er sich von Dr. Kliefoth übersetzen lässt: Die Semigs sind nach der Besetzung der Tschechoslowakei in die Schweiz gegangen, von dort nach Paris, wo sie ihr letztes Geld verbraucht haben. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich sind sie ins unbesetzte Gebiet entkommen. Leben in der Nähe von Cannes mit falschen Papieren, Semig arbeitet als Schlachter.

982 Offenbar mit Bezug auf Dora Semigs letzten Brief (891-893) stellt Gesine Cresspahl sich am 12. April 1968 bei einer Begegnung mit Mrs. Ferwalter die Frage: »Was mag Dora Semig gemeint haben, als sie sich erklärte zu einer ›Jüdin, die ich bin‹? Ist sie bei den Tschechen oder den Franzosen zum Glauben der Juden übergetreten? Hat Semig am Ende in der Fremde versucht, wie die Juden zu leben?«

1872 Zwanzig Jahre später lässt Dora Semig »ihren Mann aufbieten; er möge sich vor dem Amtsgericht Hamburg melden bis zum 2. September 1960; widrigenfalls er für tot erklärt werde«.

Vgl. auch 317. 357. 358. 363-364. 428. 431. 472. 529. 546. 547. 591.

Semmelweis, Fiete

Inhaber des Salons für »Herren- und Damenfrisuren, f.f. Rasuren« in Jerichow. 

457 Um der zweijährigen Gesine die Angst vorm Haareschneiden zu nehmen, nimmt Cresspahl sie zu einem Besuch bei Semmelweis mit, »und das Kind sah, daß das Geschäft des Haareschneidens für die beiden Männer eine vergnügliche, eine lustige Sache war«.

1618 In Gneez betreibt sein Sohn, Fiete Semmelweis jr., nach dem Krieg einen Friseursalon, in dem Anita Gantlik sich die Haare schneiden lässt.

Senkpiel, Emma

Inhaberin einer Milch- und Eierhandlung am Markt von Jerichow, unverheiratet. 

1173 Als Dr. Kliefoth im August 1945 seine Frau begraben muss, überlässt sie ihm den Sarg, den sie für sich selbst als »Vorratsstück« gekauft hatte, gegen etwas Hausrat der Verstorbenen. Nun sorgt sie sich, »unverhofft nackt dazustehen vor dem Tode. Ihr Sarg war nicht einer, den Kliefoth freiwillig ausgesucht hätte.« Das Kruzifix auf dem Deckel, unter dem »Fräulein Emma Senkpiel in ein anderes Leben hinübergehen« wollte, schraubt er ab.

1653-1654 Nach Bekanntwerden des Badeanzug-Konflikts zwischen Gesine Cresspahl und Bettina Selbich lässt sie Gesine, in der Milch versteckt, ein Dutzend Eier zukommen.

1774 Bei ihrem »Ausflug« nach Jerichow und Gneez im Mai 1968 bekommt Anita Gantlik in Emma Senkpiels Laden ein Glas Milch eingeschenkt. Vor dem Laden ist eine »R.F.T.-Säule« (ein großer Lautsprecher) aufgestellt.

Vgl. auch 1140. 1494. 1534.

Seydlitz, Gräfin (Mrs. Albert Seydlitz)

Alte Dame, lebt am Riverside Drive in New York; Bekannte von Marie und Gesine Cresspahl.

75 »Mrs. Albert Seydlitz« bezeichnet Gesine Cresspahl als naiv, weil sie die Berichterstattung der New York Times für halbwegs unabhängig hält. Sie meint, »daß Gesine in ihrem Mißtrauen gegen bürgerliche Traditionen versehentlich auch bloß mißbrauchte, im Grunde menschennötige schwarz malt. Wir müssen unser Leben nicht nur mit Brot ernähren; auch mit Beweisen, Kind.«

628 Marie Cresspahl verdankt ihren geschätzten Kinderarzt Dr. Brewster einer Empfehlung der Gräfin Seydlitz.

873-878 Rückblick auf den Beginn der Bekanntschaft mit Mrs. Albert Seydlitz im Riverside Park im Jahr 1962. »Sie war einmal eine Deutsche, sie kennt sich befremdlich aus in Schwerin-Vorwerk, und sie könnte wohl da zur Welt gekommen sein, nicht aber am Schweriner Jungfernstieg. Eisgraue Augen hat sie, schmale Lippen, wie ein Mann. Von einem Grafen Seydlitz ist nichts bekannt. Manche nennen sie eine geborene Emma Borsfeld, andere sagen ihr als Mädchennamen Erna Bloemsdorf nach.« – Nachdem sie sich »mehrmals streng Belehrendes ohne Gegenwehr angehört« hatte, bekam Gesine Cresspahl »die Einladung zu jedem dritten Sonnabend im Monat (außer im Sommer, den verbringt sie in Cannes)«.

Am 16. März 1968 ist Gesine zum vierten Mal Gast im Penthouse der Gräfin am Riverside Drive. Die Gastgeberin macht Anselm Kristlein mit Norman Podhoretz bekannt. – »Die Getränke besorgt ein dunkelhäutiger Herr, den die meisten mit Joseph anreden, er heißt aber nicht so. Das Gerücht will von ihm, er sei Boxer gewesen, Liebhaber der Gräfin Seydlitz, Zugführer bei den Marineinfanteristen, Barmann.« – Zu den Gästen gehört auch Dr. Weiszand, der Mrs. Cresspahl sein Erstaunen darüber ausdrückt, »ihr in diesem Abbild einer verrottenden Gesellschaft zu begegnen«. Gesine verlässt die Gesellschaft frühzeitig.

Vgl. auch 53. 648. 1449. 1663. 1739.

Die Figur ist ein verstecktes Porträt von Hannah Arendt, die seit 1967 bis zu ihrem Tod 1975 am Riverside Drive wohnte; zu den Hintergründen der Namengebung vgl. Jahrestage-Kommentar zu 53, 14. – Auf dem Umweg über ein Zeitungszitat erscheint sie einmal auch mit ihrem eigenen Namen (467).

Shachtev, Familie

Sowjetische Familie in Gneez, Nachbarn von Oma Rehse.

1435 »Eine andere sowjetische Familie, beschäftigt im Bahnhof der Stadt, erzog ihren kleinen Jungen zum Deutschenhaß. Er schmiß Großmutter Rehse den Aufwascheimer um, behandelte sie durchaus wie einen Dienstbolzen.« Die Shachtevs beschimpfen die (Handel treibende) Gesine als »Faschistenbrut«.

Shaks, Bill (Shakespeare)

Hauswart und Fahrstuhlführer in dem Haus am Riverside Drive, in dem Gesine und Marie Cresspahl wohnen.

449 Gesine in einem Brief an Anita Gantlik: »Shakespeare heißt von Hause Mr. Shaks, und mit Vornamen wie du rätst Bill, ein unerschöpflich freundlicher schwarzer Herr aus Brooklyn, ein Künstler in der Klempnerei mit den Manieren eines Hoteldirektors. Und er hat sich seinem Namen gefügt und kann nicht nur den Hamlet halb auswendig, sondern auch Richard the Fourth. Sammelt unsere europäischen Postwertzeichen.«

957, 960 Am Tag nach der Ermordung Martin Luther Kings versucht Gesine Cresspahl vergeblich, Bill Shaks ihre Erschütterung glaubhaft zu machen. »Nichts wissen Sie. Sie sind nicht schwarz.«

Vgl. auch 443. 1545.

Shuldiner, James R.

Jüdischer Steuerfachmann in New York, 31 Jahre alt, Zufallsbekanntschaft Gesine Cresspahls seit 1966, beide verbringen hin und wieder gemeinsam die Mittagspausen in Schnellrestaurants, besonders in Gustafssons Sandwichstube an der Zweiten Avenue.

62-65 Beim Mittagessen in Gustafssons Sandwichstube am 8. September 1967 lobt er Gesines Gedächtnis – »Sie haben ein Gedächtnis wie ein Mann, Mrs. Cresspahl!« – und löst damit bei der so Belobigten (und ihrem ›Genossen Schriftsteller‹) Reflexionen über Gedächtnis und Erinnern aus, aus denen sie mit der Erinnerung an eine Bemerkung ihres Vaters im Jahr 1937 über eine Katze wieder auftaucht, die Mr. Shuldiner irritiert: »Dor kan se ruich sittn gån.« [Da kann sie sich ruhig hinsetzen.] Gesine entschuldigt sich: »Es war ein Tagtraum, Mr. Shuldiner.«

Mr. Shuldiner ist »ein schmächtiger Herr, feuchtäugig, vergrübelt, von ungelenken Bewegungen, steif, unter schwärzlichem Schopf noch dem Oberschüler ähnlich, der er vor elf Jahren war, ein Junge aus Union City«. Er ist nun ein »versorgter Steuerfachmann«. 

88 Beim Beginn des Sechs-Tage-Kriegs spricht Mr. Shuldiner »ein ganzes Mittagessen über den jüdischen Imperialismus«.

572-576 Rückblick auf den Beginn ihrer Bekanntschaft. – Die Treffen zur Mittagspause kommen immer auf seine Initiative zustande, aber er hat nie einen besonderen Grund für die Treffen. – Das ist am 10. Januar 1968 anders, denn bei diesem Treffen teilt er Gesine mit, dass er heiraten wird, und erbittet von ihr Rat bei der Wohnungssuche. Die Erörterung der Frage, in welchem Viertel er sich mit seiner Frau niederlassen soll, ergibt eine Revue verschiedener Wohnviertel New Yorks. Mr. Shuldiners Braut stammt aus Rapid City, South Dakota.

697-698 Gespräch über die im Nachrichtenmagazin Time vom 9. Februar 1968 veröffentlichten Fotografien von Toten nach dem Überfall auf die amerikanische Botschaft in Saigon (vgl. 695-697). Mr. Shuldiner hält die Bilder für ein »Beweisstück Nummer Eins der Verteidigung« in künftigen Verfahren gegen Wehrdienstverweigerer.

1884 Erneuter Rückblick auf den Beginn der Bekanntschaft. Inzwischen ist Mr. Shuldiner verheiratet und wohnt mit seiner Frau in einer »piekreinen Wohnung am Broadway, mit Flügel und Gitarre«. Bei einem Besuch mit Marie bereitet die »dürre, hochmütige Mrs. James Shuldiner« ihrem Mann peinliche Momente. »Seine seitlichen Blicke, die uns aufrufen sollten zu einer Mitschuld, wir übersahen sie.«

Vgl. auch 477. 615. 803. 980. 1465. 1543.

Sieboldt (Dicken Sieboldt)

Schüler an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez, zwei Klassen über Gesine Cresspahl. Befreundet mit seinem Mitschüler Gollantz, mit dem zusammen er die Schule nach Pfingsten 1950 mit regimekritischen Flugblättern beklebt. Dafür werden beide wenige Monate nach ihrem Abitur 1950 zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, aber schon nach 5 Jahren in den Westen entlassen, wo sie gemeinsam in Bonn und Heidelberg Jura studieren. Seit 1962 Anstellung im Auswärtigen Amt mit Aussicht auf einen Posten als Botschafter der Bundesrepublik.

1557 Die »Herren Sieboldt und Gollantz, Elfte Klasse«, wollen von Gesine wissen, »was die Leute in Jerichow dachten über die Sprengung von Kasernen und Unterkunft für Flüchtlinge«. Gesine kommt nicht dazu zu antworten, Lise Wollenberg kommt ihr zuvor und vermasselt ihr die Gelegenheit zu einem Flirt mit den begehrten »Herren«, die schon lange Hosen tragen.

1654-1655 Er ist Organisations-Sekretär der Zentralen Schulgruppenleitung der FDJ. »Dicken hieß er, weil er etwas Bulliges an sich hatte, bedrohlich für den Fremden, der unversehens sich in seiner Koppel sieht; für ihn war ich Cresspahl sin Gesin. Nahm es gern ungenau: wußte sein Leumund.« – Im Zusammenhang mit der ›Badeanzug-Affäre‹ zwischen Bettina Selbich und Gesine Cresspahl im Mai 1950 zieht er Gesine beiseite und bedeutet ihr, dass sie gut daran tue, ihre Beschwerde gegen Bettina Selbich zurückzuhalten. Er nutzt den Vorfall, um sich an Bettina Selbich heranzumachen, besucht sie unter dem Vorwand, »Fragen der F.D.J.-Verwaltung« besprechen zu wollen, abends in ihrer Wohnung, wird »mehrmals im Domhof beobachtet zu nächtlicher Zeit« (vgl. auch 1660).

1682 Abitur 1950. Bei der Eröffnung des Schuljahres 1950/51 übergeben Gollantz und Sieboldt ihre Ämter in der ›Zentralen Schulgruppenleitung‹ der FDJ an ihre Nachfolger: »Übergang in Semestergruppen der Universität Rostock.«

1713-1721 Im Oktober 1950 werden Gollantz und Sieboldt angeklagt, für die Flugblattaktion an der Schule (vgl. 1669-1680) verantwortlich zu sein. Am 30. Oktober wird die Gerichtsverhandlung in der Aula der Fritz Reuter-Oberschule geführt, zu der die Schüler als Zuschauer antreten müssen. Gollantz und Sieboldt werden unter Polizeibewachung hereingeführt: »Zwei Jungen im Alter von Neunzehn und Zwanzig, verkleidet in den Sonntagsanzügen ihrer verstorbenen Väter.« Die beiden geben die Aktion zu. Gollantz soll sich »als verführt bekennen durch Sieboldt«, besteht aber »auf seinem eigenen Kopf, damit er genau so viele Jahre bekam wie der Freund«.

Sieboldt verzichtet darauf, Bettina Selbich bloßzustellen, die, in Erinnerung an »die nächtlichen Besuche des F.D.J.-Amtsträgers Sieboldt«, eine stammelnde Zeugin abgibt, »und wenn ihm das schwer fiel, so war es doch wie er später von sich zu denken wünschte«.

Gollantz und Sieboldt werden zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Davon müssen sie nur 5 Jahre absitzen: Nach der Mission Adenauers in Moskau zur Übergabe der letzten Kriegsgefangenen wurden sie zusammen mit den Kriegsgefangenen ausgeliefert. Sie studierten dann gemeinsam in Bonn und Heidelberg Jura und »sind seit 1962 übernommen vom Auswärtigen Amt«, und die »Lisette, die hat gewartet ihre sieben Jahr. Die hat ihren Gollantz geheiratet, bei denen geht Sieboldt zu Besuch als Pate.«

1779 Hatte Gesine Cresspahl die Autobiographie von Viktor Kravtschenko »im Vertrauen« geliehen.

Vgl. auch 1559. 1631. 1632. 1660.  1677. 1759. 1797. 1854.

Nicht »Lockenvitz und Gollantz« (1682), sondern Sieboldt und Gollantz übergeben am Beginn des Schulfahres 1950/51 ihre FDJ-Ämter: Lockenvitz gehört zu Gesines Jahrgang und übernimmt bei dieser Gelegenheit überhaupt erst ein Amt.

Sinatra, Frank

Amerikanischer Sänger und Schauspieler (1915-1998).

82 Am 13. September 1967 meldet die New York Times, Frank Sinatra habe sich »frech gegen einen Arbeitgeber« betragen und sei daraufhin zu Boden geschlagen worden.

Vgl. Jahrestage-Kommentar zu 82, 19.

Sister Magdalena

Ordensschwester und Lehrerin an der Privatschule am Riverside Drive, die Marie Cresspahl besucht.

312-315 Nachdem Marie »Bugs Bunny for President« an die Tafel geschrieben hat, bestellt Sister Magdalena ihre Mutter zu einem Gespräch ein. Sie trägt ihre »Klage« über Marie vor »als Sorge um das Kind, als Mitleiden, in jener pädagogischen Sprache, die Befunde und Absichten verbirgt hinter Ausdrücken des Lebens außerhalb der Schule, mit Umwegen und Querverbindungen, in denen eine direkte Frage eingesponnen wird wie die gefangene Fliege im Spinnenfaden«. Sie bemängelt eine »Hinneigung der Schülerin zur Parteinahme, zur fast moralischen Solidarisierung mit Unterlegenen in geschichtlichen Vorgängen« und ist überzeugt, dass ein Kind, das »Erregung über feststehende Tatsachen« an den Tag lege, »zu einer Gefahr [...] für die Gemeinschaft im Lernen und Leben« werden könne. Auch hält sie es für bedenklich, wenn Kinder ihre Eltern mit dem Vornamen anreden, und lässt sich über die Probleme alleinerziehender Elternteile aus. »Schwester Magdalena wurde kein Mal konkret«.

Vgl. auch 179. 1302. 1321. 1331. 1543.

Slums in New York

841-847 Am 9. März 1968 sucht Marie Cresspahl in den Slums der Oberen Westseite nach ihrer Mitschülerin Francine, um sich mit ihr »ins Reine zu bringen«, – Gelegenheit für ausgiebige Informationen über die Slums in New York. »Der Slum ist ein Gefängnis, in das die Gesellschaft jene deportiert, die sie selbst verstümmelt hat.«

Smith, Jim

Der ältere der beiden Gesellen in Cresspahls Tischlerwerkstatt in Richmond. Der jüngere ist Perceval Ritchett.

129 Die jung verheiratete Lisbeth Cresspahl besteht darauf, dass die beiden Gesellen mit ihr und Cresspahl essen, was die beiden anfangs geniert.

192 Smith ist ein Trinker, »ausgemergelt vom Trinken«, hat aber »viel zähe Kraft in seinen langen Armen übrig«, mit der er Perceval in Ordnung hält.

351 Nach Lisbeth Cresspahls Rückkehr nach Jerichow im Januar 1933 und Percevals Verschwinden im Frühjahr 1933 essen Smith und sein Meister Cresspahl mittags Sandwiches aus einem Pub. Kochversuche von Mr. Smith, der in seinen jüngeren Jahren zur See gefahren ist, enden rasch. Manchmal lädt Cresspahl ihn abends zum Trinken ein.

653-657 Cresspahl, inzwischen in Jerichow, denkt, wenn er sich nach Richmond zurückdenkt, auch an Mr. Smith, »an das kleine verschwiegene Gesicht, in dessen schrundigen Falten der Sägestaub sich festsetzte, an den mageren flinken Mann, der die Tage hinter sich brachte für die Abende zum Trinken, wenn nicht wie an einen Freund, so doch wie an jemand, der ihm hinter dem Kanal geblieben war«. – Er stellt sich vor, wie Mr. Smith Nazi-Deutschland im Mai 1938 wahrnehmen würde.

762-768 Im November 1938 kommt Mr. Smith tatsächlich nach Jerichow: Zu Lisbeth Cresspahls Beerdigung. Er ist einer der sechs Männer, die ihren Sarg tragen. Bei der Kondolenz am Grab sagt er »verlegen, hilflos: You know –; und ihm gab Cresspahl eine Antwort und sagte: I do.« Beim Leichenschmaus in Papenbrocks Haus unterhält er sich mit Martha Niebuhr, erfreut über ihr »Oberschulenglisch«.

1527 Mr. Smith kommt 1940 bei einem deutschen Luftangriff ums Leben, ein Grund mehr für Cresspahl, nach seiner Entlassung aus Fünfeichen 1948 eine Übersiedelung nach Richmond nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen: »Nach England traute er sich nie und nimmer.«

Anhang III »Der einzige in England, den Cresspahl nach 1945 hätte treffen mögen, ohne Sorge vor Befangenheit. Zufällig unter deutschen Bomben umgekommen, am Mecklenburgh Square in London, den er wohl zum ersten Mal in seinem Leben betrat. Begraben am 18. September 1940 in North Sheen.«

Vgl. auch 94. 95. 349. 352. 376. 379. 416. 746. 812.

Smoekbarg (Smœkbarg)

Bewaldeter Höhenzug bei Gneez.

1434 Beschreibung von Gneez: »Umgebung: Wälder an allen außer der südlichen Seite, im Osten ein Bergzug von 98 Meter Höhe, bewaldet unter der gütigen Aufsicht der Herzogin Anna Sophie von Mecklenburg. Dortselbst 1676 die letzte Hexenverbrennung; daher der zweite Name Smœkbarg« (d.h. soviel wie ›Rauchberg‹).

Vgl. auch 1684. 1686. 1782.

Smrkovský, Josef

Tschechoslowakischer Politiker (1911-1974). Führender Reformpolitiker des Prager Frühling, 1968-1969 Präsident der Nationalversammlung. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings kaltgestellt.

1510 Die New York Times vom 8. Juli 1968 berichtet, dass Smrkovský kritische Briefe aus Moskau, Polen und der DDR bekommen, sich aber die Einmischung anderer Staaten in die inneren Angelegenheiten der ČSSR verbeten hat.

1522 Am 10. Juli 1968 wird berichtet, dass Smrkovský und Dubček auch Mahnbriefe der Kommunistischen Parteien Bulgariens und Ungarns bekommen haben.

Vgl. auch 1366.

Sokolowskij, Wassilij Danilowič

Sowjetischer Militär (1897-1968). General der Roten Armee, seit 1946 Marschall. 1946-1949 Oberbefehlshaber der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, Militärgouverneur der sowjetischen Besatzungszone. 1949-1953 stellvertretender Verteidigungsminister; 1952-1960 Generalstabschef der UdSSR und des Warschauer Pakts.

1278-1279 Im Sommer 1946 beginnt die von Sokolowskij verfügte Kasernierung der sowjetischen Besatzungssoldaten, was Gesine Cresspahl und Hanna Ohlerich bei ihrer Rückkehr aus den Ernteferien bei Johnny Schlegel daran merken, dass die Frauen wieder Röcke tragen und sich »wieder n büschn hüpsch machn« können, wie Bergie Quade ihnen berichtet.

Vgl. auch 1148.

Zur Kasernierung der sowjetischen Besatzungssoldaten im Sommer 1946, die mit ersten Fraternisierungsverboten einherging, vgl. Jahrestage-Kommentar zu S. 1278, 24-31.

Sokorsky, Ted

Landpolizist am Patton Lake, verwahrt die Schlüssel des Ferienhauses, in dem Gesine und Marie Cresspahl das Wochenende vom 20./21. April 1968 verbringen.

1028 Er behandelt Gesine Cresspahl mit ausgeprägter Höflichkeit; »nie wieder wird Marie ihn sehen, und auf Jahre hinaus wird sie in einem Gespräch über Polizei auf einen kommen, heißt Ted Sokorsky, nicht bullig sondern fast schmächtig, und mit welcher Ehrerbietung der meine Mutter behandelt hat, ich würd es Ihnen vorführen«.

South Ferry

Öffentliches Verkehrsmittel in New York, »Staten Island Ferry«, Fährschiff zwischen dem Battery Park im Süden von Manhattan durch die Upper Bay nach der Insel Staten Island. Die Samstage sind bei den Cresspahls reserviert für Fahrten mit der South Ferry, sofern Marie es möchte.

90-92 »Sonnabend ist der Tag der South Ferry. Der Tag der South Ferry gilt als wahrgenommen, wenn Marie mittags die Abfahrt zur Battery ankündigt. Die Fähren zwischen der Südspitze von Manhattan und Staten Island sah sie zum ersten Mal vom Touristendeck der ›France‹ aus, da mußte sie noch über die Reeling gehoben werden. Sie starrte feindselig auf den Hochhauskaktus Manhattans, der zu Riesenmaßen wuchs, statt zu menschlichen abzunehmen; mit Neugier betrachtete sie die Fährboote, die neben dem Überseeschiff das new yorker Hafenbecken ausmaßen, mehrstöckige Häuser von blau abgesetztem Orange, rasch laufend wie die Feuerwehr.« – »Die South Ferry war ihr erster Wunsch an New York [...]. Damals beschrieb sie New York in Zeichnungen für düsseldorfer Freunde als einen bloßen Hafen für orange vielfenstrige Schwimmhöhlen, in denen neben reichlich Autos ein Kindergarten versammelt war.«

»In den Rauchsalons unten und auf dem Hauptdeck sucht sie nach dem Schuhputzer, auf den sie ihre Sonntagsschuhe abonniert hat und mit dem sie ein durchlaufendes, mißtrauisches Gespräch unterhält über seine Konzession und sein Leben auf der Fähre.« – »Um jene Bank, auf der ihre Mutter die Zeitungsseiten wendet, streicht sie nur gelegentlich, in rücksichtsvollem Abstand. Sie weist mit fremdem Nicken darauf hin, daß sie nicht stört. In den fünfundvierzig Minuten der Fahrt nach Staten Island und zurück nach Manhattan hat sie die neunzig Meter von Bug zu Bug mehrere Male unter ihren Sohlen gehabt.«

585-588 Am 13. Januar 1968 zeigt Marie den Kindern von Annie Fleury ihr New York und führt ihnen die South Ferry vor.

1369 Am 15. Juni 1968, eine Woche nach der Beerdigung von Robert F. Kennedy, fährt Marie zum ersten Mal allein mit der South Ferry.

1454-1455 Am 29. Juni 1968 erinnert sich Gesine während der Fahrt auf der South Ferry an das Gedicht »Recuerdo« von Edna St. Vincent Millay, das sie in Gneez auswendig lernen mußte und das mit den Zeilen beginnt: »We were very tired, we were very merry – / We had gone back and forth all night on the ferry« (vgl. auch 93 und 588). – »Marie mißtraut Geschichten, die in allem zusammenpassen«.

1721 »Auch Sonntag ist der Tag der South Ferry, wenn Marie ihn dazu erklärt.«

Vgl. die vollständige Fundliste im Register des Jahrestage-Kommentars.

Sowjetische Militärtribunale (SMT)

1218 Der im Oktober 1945 verhaftete Heinrich Cresspahl wird vor das SMT in Schwerin gebracht.

1524 »Ein S.M.T. in Deutschland gab in der Regel fünfundzwanzig Jahre Strafarbeitslager«, erklärt Gesine Cresspahl ihrer Tochter. »Im August [1948] verurteilte das Schweriner Tribunal einen Rostocker namens Gustav Cub und acht andere wegen Verbindung zu einem ausländischen Nachrichtendienst zu insgesamt 185 Jahren Arbeitslager.«

Zu den Sowjetischen Militärtribunalen vgl. Jahrestage-Kommentar zu 1218, 26.

Spellman, Francis J.

Amerikanischer Theologe (1889-1967), Erzbischof von New York (seit 1939) und Kardinal (seit 1946).

402-404 Die New York Times vom 3. Dezember 1967 berichtet anlässliches seines Todes am Vortag über sein Wirken und seine Haltung zum Vietnamkrieg, den er als einen »Krieg für die Zivilisation« bezeichnet hat.

Vgl. auch 406. 420. 460. 582. 1316.

Spiegel, Der

Westdeutsches Nachrichtenmagazin seit 1947, erscheint wöchentlich (montags) in Hamburg.

167 In einem Brief an Marie schreibt D.E. im Oktober 1947: »In dem westdeutschen Nachrichtenmagazin haben sie doch ohne den Blick niederzuschlagen unsere dowe alte Tante Hallelujah [d.i. Stalin-Tochter Svetlana Allilujeva] abgedruckt was die so Memoiren nennt«.

1338-1339 Gesine möchte die nach Robert F. Kennedys Ermordung erscheinende Ausgabe des »Spiegel« für Marie kaufen, aber der Zeitungsmann bedeutet ihr, dass Marie sich schon selbst ein Exemplar gekauft hat. Zu Hause legt Marie das Heft auf den Tisch »mit umgeschlagenem Titelblatt, es wird jenen Kennedy zeigen vor Trauerfarbe«.

1874 Über Franz-Josef Strauß und die ›Spiegel-Affäre‹ 1962.

Vgl. auch 175. 211. 476. 1304. 1748.

Der S. 167 erwähnte Vorabdruck der Erinnerungen von Swetlana Allilujewa erschien (nach einem Vorbericht in Heft 37/1967, 4.9.1967) vom 11.9. bis 2.10.1967 unter dem Titel »Dein armer J. Stalin« in den Heften 38 bis 41/1967 (vgl. Spiegel-Archiv, Heft 38/1967 und ff.). – Bei der S. 1338-1339 erwähnten Ausgabe handelt es sich um Heft 24/1968, dessen Titelblatt ein Porträt Kennedys auf schwarzem Grund zeigt (vgl. Spiegel-Archiv, Heft 24/1968).

Spiegel, Dr.

Dr. iur Wilhelm Spiegel (1876-1933), Rechtsanwalt in Kiel, SPD-Mitglied, Mitglied der Stadtverordnetenversammlung, stellvertretender Vorsitzender der Israelitischen Gemeinde in Kiel; wurde am 12. März 1933 von Nationalsozialisten in seiner Wohnung ermordet.

294-295 Am 14. März 1933, nachdem die Nachricht von Spiegels Ermordung bekannt geworden ist, kündigt Dora Semigs Dienstmädchen.

Vgl. auch 720.

Spitzel der Staatssicherheit

Junger Mann, der Gesine Cresspahl 1952 in ihrem ersten Semester in Halle observiert.

1832-1835 Er gibt sich als ihr Verehrer aus, »er verdient keinen Namen«. Gesine durchschaut ihn schnell, lässt sich von ihm in teure Lokale ausführen. Schließlich kommt Jakob nach Halle und verscheucht ihn.

Springer

Axel Caesar Springer (1912-1985), deutscher Zeitungsverleger, Gründer der Axel Springer GmbH 1946.

988-989 Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke (11. April 1968) ruft Gesine Cresspahl am 14. April 1968 Anita Gantlik in Berlin an, die ihr von den Demonstrationen in West-Berlin im Anschluss an das Dutschke-Attentat berichtet. Gesine fragt, warum die Studenten »Ho! Ho! Ho-tshi-minh!« riefen, da es doch um »Herrn Dutschke« gehe. Darauf Anita: »Um Rudi Dutschke, und um Herrn Professor Dr. Springer. Der soll es mit seinen Zeitungen gemacht haben.« Da Gesine nicht gleich versteht, ergänzt sie: »Der Präsident der Republik Nord-Viet Nam als Symbol des revolutionären Befreiungskrieges, und ein Zeitungsverleger als Symbol der Unterdrückungsmacht. So ungefähr, Gesine.«

Vgl. auch 991.

Stahlbom

Fischer in Rande.

579-580 Im September 1937, einen Monat vor dem Prozess gegen Hagemeister und Warning, fährt Lisbeth Cresspahl heimlich nach Rande und schwimmt in selbstmörderischer Absicht weit hinaus. Fischer Stahlbom entdeckt ihre weiße Badekappe und zieht die schon stark geschwächte Schwimmerin aus dem Wasser.

Stalin, Jossif Vissarionovič (Jossif Wissarionowitsch Stalin, Jossif W. Stalin)

Sowjetischer Politiker (1879-1953); Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU seit 1922, Vorsitzender des Ministerrats der UdSSR seit 1946 und von 1941 bis 1945 Oberster Befehlshaber der Roten Armee. Vater von Swetlana Stalina.

1331 »Die Schule 1947. In den Räumen der siebten Klasse war nun Jossif Vissarionovič aufgehängt, sehr viel höher als die Bilder des Österreichers. So mußte darunter ein verblichenes Viereck auffallen, jedoch konnte Niemand eine kleine Statur des neuen Führers erwarten. Nur daß der Titel erweitert war. Weiser Führer der Völker, Gütiger Vater der Völker, Generalissimus, Bewahrer des Weltfriedens, Schöpfer des Sozialismus, Hüter der Gerechtigkeit, Im Kreml Ist Noch Licht, Garant einer wahrhaft menschlichen Zukunft. Mit dem Garanten stimmt etwas nicht.«

1332 Gesine Cresspahl erinnert sich: »Nie hab ich ein Porträt von ihm gesehen mit Blick auf den Betrachter, immer piel kurz seitweg hinunter, als wär da jemand aus der Reihe getreten oder hätte geniest. So, physiognomisch oder anders human, durften die Schüler von ihm nicht sprechen«.

Vgl. die Auflistung sämtlicher Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars.

Stalina, Swetlana (Swetlana Dshugashwili, Svetlana Stalina Allilujeva, Swetlana A. Stalina, Swetlana Hallelujah)

Tochter Stalins (geb. 1926) aus dessen zweiter Ehe mit Nadeschda Allilujewa, deren Mädchennamen sie nach Stalins Tod 1953 annahm; wanderte 1967 in die USA aus, wo sie im selben Jahr ihre Erinnerungen unter dem Titel »Twenty Letters to a Friend« publizierte; die deutsche Ausgabe (»20 Briefe an einen Freund«) erschien nach einem Vorabdruck im ›Spiegel‹ ebenfalls 1967 im Fritz Molden Verlag.

29 Über die Berichterstattung der New York Times vom 27. August 1967: »Diese ungeratene Tochter Etzels saß demnach bei den Goten auf Long Island [...] und sagte: Sie sei im allgemeinen für die Freiheit.« Sie trug dabei ein schlichtes weißes Kleid und beigefarbene Schuhe. »Die New York Times hält für nötig, daß wir dies wissen.«

73-77 Gesine Cresspahl nimmt ihrer »Tante« New York Times übel, dass und wie sie über Swetlana Allilujewa berichtet, und betrachtet die Stalin-Tochter als »ein mit 41 Jahren nicht erwachsenes, apperzeptiv defektes Kind, das vom zwanzigsten Jahrhundert nichts deutlicher begriffen hat als seine privaten Lebensumstände, eine nicht heilbare Tochter, die wie nur je ein abhängiges Kind den Vater entlasten will von den gefühllosen Feststellungen der Geschichtsbücher«.

92 »Zum ersten Mal seit sechs Tagen erspart uns die New York Times das bittende Gejaul von Swetlana Dshugashwili.« (16. September 1967)

167 In einem Brief an Marie schreibt D.E. im Oktober 1947: »In dem westdeutschen Nachrichtenmagazin haben sie doch ohne den Blick niederzuschlagen unsere dowe alte Tante Hallelujah abgedruckt was die so Memoiren nennt«.

601 »›Wir dürfen angesichts der Unterdrückung fundamentaler Menschenrechte nicht schweigen, wo immer sie stattfindet‹: hat Swetlana Hallelujah der Tagesschau des Columbia Broadcasting System gesagt; soll sie doch über Dial-A-Flower Blumen schicken auf die Gräberfelder, wo die Genossen ihres Vaters begraben sind, wenn sie begraben sind.«

Vgl. die Auflistung sämtlicher Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars. – »Allilujevna« (S. 1770) ist ein Druckfehler, recte: Allilujeva.

Stample, James F. (Shorty)

213 Bekannter von Gesine Cresspahl, der sie am 23. Oktober 1967, an dem sie eigentlich den ganzen Tag schweigen möchte, auf dem Nachhauseweg am Grand Central zum Reden nötigt.

Staten Island

Insel südwestlich von Manhattan, einer der fünf Stadtbezirke New Yorks, mit Manhattan verbunden durch die South Ferry (Staten Island Ferry), mit der Gesine und Marie Cresspahl an Samstagen oft fahren.

1223-1226 Am 25. Mai 1968 führt Marie Cresspahl ihre Mutter über die Insel: »Hier hast du Leben auf dem Lande, Mecklenburg, California; bleib hier, Gesine. Hier, sobald ich kann, kauf ich dir ein Haus.« Über die Geschichte von Staten Island.

Vgl. die Auflistung aller Fundstellen zum Stichwort im Register des Jahrestage-Kommentars.

Steinbeck, John

Amerikanischer Schriftsteller (1902-1968)

51 Gesine Cresspahl bezweifelt die Zuverlässigkeit einer Meldung der New York Times vom 4. September 1967: »Das sollen wir glauben? Daß mehr als 300 tschechoslowakische Intellektuelle in der Welt um Hilfe bitten gegen die eigene Zensurbehörde, und in aller Welt den Schriftsteller John Steinbeck? Das glauben wir lieber nicht. Steinbeck hat den Krieg in Vietnam besucht, und es hat ihm dort nicht übel gefallen.«

Wie sich später herausstellt, war das Misstrauen berechtigt: Tatsächlich handelte es sich bei dem ›Manifest‹ der tschechoslowakischen Schriftsteller um eine Fälschung (vgl. Jahrestage-Kommentar zu 51, 9-15). – Zu Steinbecks Besuch in Vietnam 1966 vgl. Jahrestage-Kommentar zu 51, 11-14.

Stelling, Johannes

Deutscher Politiker (1877-1933), Sozialdemokrat; 1919-1921 Innenminister und 1921-1924 Ministerpräsident in Mecklenburg; in der sog. ›Köpenicker Blutwoche‹ im Juni 1933 von den Nationalsozialisten in Berlin ermordet.

366 Anfang Juli 1933 erhält Albert Papenbrock die Nachricht, dass der frühere Ministerpräsident von Mecklenburg-Schwerin, Johannes Stelling, ermordet aufgefunden worden ist. »Papenbrock sagte nicht zu, an der heimlichen Trauerfeier für Stelling teilzunehmen«. Später entschließt er sich doch zu einer Teilnahme (vgl. 400).

472 Über Stelling und die Gründe für Papenbrocks Verbundenheit mit dem Sozialdemokraten: Als Ministerpräsident hatte Stelling »die Freikorps nicht behindert, die auf den mecklenburgischen Gütern saßen und auf die Arbeiter losgingen. Ohne ihn hätte Papenbrock seine Pacht in Vietsen leicht noch früher verloren.«

Stellmann, Horst

Photograph in Gneez, nach dem Krieg in Jerichow.

96 Lisbeth Papenbrock schickt ihrem Verlobten Heinrich Cresspahl im Herbst 1931 »ein Werk des gneezer Lichtbildners Horst Stellmann, Porträts seine Spezialität: [...] Lisbeth Papenbrock mit den Händen vor dem Bauch aufgebaut vor Stellmanns eigenartig gerafften Vorhängen.«

702-704 Macht Aufnahmen bei der Einweihungsfeier des Flugplatzes Jerichow Nord.

1659-1661 Im Sommer 1950 leihen Gesine Cresspahl und Pius Pagenkopf bei ihm eine Kamera aus, mit der Pius während des Pfingsttreffens der FDJ in Berlin ihre Klassenlehrerin und kommissarische Schulleiterin der Fritz Reuter-Oberschule Bettina Selbich vor einem Schaufenster in Berlin-West fotografiert. Stellmann entwickelt das Foto, ohne Bettina zu erkennen, aber »freute sich schlicht an der Heimlichkeit, unter der er den Film entwickeln sollte«.

Vgl. auch 113-114. 937. 1558.

Nach dem Krieg hat er offenbar seinen Laden von Gneez nach Jerichow, Stalinstraße, verlegt (vgl. 1659).

Sternberg am See

Gemeinde in Mecklenburg an der Bahnstrecke nach Malchow am See.

263 Am 12. März 1933 fährt Cresspahl »über Blankenberg und Sternberg und Goldberg nach Malchow« zu seiner sterbenden Mutter.

725 Am 8. November 1938 fährt die fünfjährige Gesine mit ihrem Vater auf derselben Strecke nach Malchow und von dort weiter nach Wendisch Burg zu den Niebuhrs. »Das Kind lernte: Blankenberg am See, Sternberg am See, Goldberg am See, Malchow am See, und noch heute ist der Name Karow im Gedächtnis eine trockene Stelle, weil da nichts war als Bahnhof und Straße und der Gasthof Habben.«

1286 Auf dem Gefangenenmarsch nach Fünfeichen kommt Cresspahl vorbei an der »Abzweigung nach Sternberg und Wismar und Jerichow, von nun an versäumt«.

Stintenburgscher Werder

Insel im Schaalsee mit dem Herrenhaus Stintenburg der Adelsfamilie Bernstorff.

1238 Bei dem zur Grenzbereinigung vereinbarten Gebietstausch zwischen Briten und Sowjets im Dezember 1945 werden »die Dörfer Bäk, Mechow und Ziethen [...] zu Schleswig-Holstein geschlagen; Dechow, Groß Thurow und das ganze Ostufer des Schaalsees mitsamt dem Stintenburgschen Werder gehörte nun zu Sowjetmecklenburg«.

Zum Gebietstausch zwischen Briten und Sowjets vgl. Jahrestage-Kommentar zu 1238, 3-16.

Stoffregen, Otto (Ottje)

Hauptlehrer in Jerichow, sozialdemokratischer Stadtverordneter in Jerichow bis März 1933, danach dient er sich den Nazis an.

215 Nach Gesines Geburt im März 1933 lassen Albert Papenbrock und Cresspahl sich in Jerichow zur Enkelin und Tochter beglückwünschen, und sogar »Stoffregen lief nicht davon, als Papenbrock ihn am Mantelknopf packte und sich eine Gratulation ausbat. Cresspahl begriff nicht, warum der Mann sich so wand in Verkniffenheit und Trauer.« Er weiß nicht, dass Stoffregen um Lisbeth Papenbrock geworben hatte und bei ihr abgeblitzt war (vgl. 87 und 898).

225 Tritt nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 mit den übrigen sozialdemokratischen Stadtverordneten von Jerichow von seinem Amt zurück.

239 Für das von Pastor Methling gegründete Gemeindeblatt schreibt er »kleine Aufsätze über Ortsgeschichte in der Umgebung von Jerichow«.

302-303 Das Empfangsritual, das die Haushälterin von Gesines Tschechisch-Lehrer Anatol Kreslil in New York jedes Mal veranstaltet, erinnert sie an Ottje Stoffregen, der nach dem Krieg in einem Zimmer über der Apotheke wohnt, »und in der Küche hielt er sich eine pommersche Umsiedlerin, die mit ihm über die Zulassung von Besuchern verhandeln mußte, als säße er an seinem löwenfüßigen Schreibtisch über Arbeit und nicht über den Bänden von Zeitschriften, in denen er vor 1938 hatte veröffentlichen dürfen.« – Man hatte ihm die Zähne ausgeschlagen, »er trug die Lücken wie eine Auszeichnung«.

413-414 Jerichower Gerede über Ottje Stoffregens Namen 1933: »Stoffregen klingt auch nicht arisch. Klingt dir das arisch? Stoffregen. Und dann hat er noch Glück gehabt, daß dieser Kliefoth Bescheid wußte. [...] Und Dr. Kliefoth sagt zu Ottje: Das ist Mittel-Nieder-Deutsch, früher mit ein langen o gesprochn, und es kommt von stôven, und das heißt schnell jagen und bezieht sich auf das Wetter zur Zeit der Geburt. [...] Was heißt denn Stoffregen nu! Das ratet ihr nicht. Dem geb ich einen aus, der das rät. Na? Wolkenbruch heißt es. Platzregen heißt es. Siehst du wohl. Ottje Platzregen.«

724 Hat Marie Tannebaum schon vor den Novemberpogromen 1938 von der Schule gewiesen.

762 Betrinkt sich am Tag von Lisbeth Cresspahls Beerdigung: »Ottje Stoffregen is all dun

805 Bei den Kindern des von den Nazis verhafteten Pastors Brüshaver macht »Hauptlehrer Stoffregen einen von seinen unerfindlichen Unterschieden«: Er sorgt dafür, dass sie »in der Schule in Ruhe gelassen« werden.

898-900 Sein Verhalten als Lehrer an der Hermann-Göring-Schule in Jerichow in den dreißiger Jahren: »Ottje Stoffregen schlug.« Kinder, die zu spät kommen, kassieren mindestens drei Stockschläge. Gegen Gesine Cresspahl beträgt er sich in einem »Wechsel von Strenge und Nachsicht«, weil er nicht vergisst, dass sie das Kind Lisbeths ist, »der er mit Gedichten und Briefen die Heirat angetragen hatte, bis er lächerlich war in ganz Jerichow«. – Er vergisst auch nicht, »daß von Rechts wegen er Rektor hätte werden sollen, nicht der ›fremdstämmige Beutedeutsche‹ Gefeller«, dem er gleichwohl gehorcht. – Nachdem Gesine Cresspahl dem Rektor wegen ungerechten Verhaltens vor die Füße gespuckt und eine Vier in Betragen bekommen hat, wollen Gefeller und Stoffregen sie in eine Sonderschule schicken, »am besten gleich ins Rauhe Haus in Hamburg«. Kliefoth verhindert das.

1372 Auf den Abriss von Gutshäusern durch die KP nach 1945 reagiert Stoffregen mit einem »feinsinnigen Vortrag über den Einfluß italienischer und englischer Baustile auf Profanbauten Mecklenburgs, ›die wir am vorigen Sonntag zum letzten Mal erblicken durften‹«.

1409 Weil seine »Redereien« dem Landrat Schumann missfallen, wird er zu Strafarbeiten verurteilt: »der schraubte an diesem Tage [d.i. der 19.10.1946] Schienen der Strecke Gneez-Herrnburg ab und trug sie mit seinen feinen Lehrershänden zum Abtransport in die Sowjetunion«.

Anhang XVII-XVIII Hat in der Schule auf dem Klavier »die ersten vier Töne einer Sinfonie von Beethoven angeschlagen, das Erkennungszeichen der British Broadcasting Corporation, und die Klasse gefragt, wer diese Tonfolge kenne«. Gesine hat sich daraufhin gemeldet, und wenig später hatten die Cresspahls Gestapo im Haus.

Vgl. auch 87. 236. 496. 504. 781-783. 806. 858-859. 868. 1243. 1375. 1381. 1402-1403. 1450-1451.

Strauß, Franz Josef

Deutscher Landes- und Bundespolitiker (1915-1988).

1872-1874 Seine politische Karriere gibt Gesine Cresspahl als einen der Gründe an, der sie aus der Bundesrepublik vertrieben hat. – Stationen dieser Karriere von der NS-Zeit bis 1966. – »Hätt ich je Heimweh nach der westdeutschen Politik, ein Bild hängt ich mir auf von dem.«

Der Name wird im Roman nicht genannt: »Der kriegt keinen Namen?«, fragt Marie, darauf Gesine Cresspahl: »Der verdient den Namen, den er sich macht« (1874).

Subway (New York)

New Yorker Untergrundbahn.

367-374 Am Sonntag, 26. November 1967, ist Marie Cresspahl »seit dem frühen Vormittag« mit der U-Bahn unterwegs, um die am selben Tag veränderten Linienführungen bei acht der 36 Routen »wenigstens in Manhattan nachzuprüfen«. Es folgt eine ausgiebige Beschreibung der New York City Subway.

Vgl. auch 1227-1230.

Suhrkamp, Peter

Deutscher Verleger (1891-1959).

4 Ihm und Helen Wolff ist der Roman gewidmet: »Peter Suhrkamp / Helen Wolff / Sollen bedankt sein«.

Sünderhauf, Frau

1274 Mitglied von Johnny Schlegels »Kommune«, Frau von Otto Sünderhauf

1841 Als Ersatz für Frau von Alvensleben holt sie ihren Bruder aus dem Westen in die Kommune, der im Ruhrgebiet als Bergmann gearbeitet hat.

Vgl. auch 1848.

Sünderhauf, Otto

1274 Mitglied von Johnny Schlegels »Kommune«, Mann von Frau Sünderhauf

1842-1843 Wird im Februar 1953 mit Johnny Schlegel und zwei weiteren Mitgliedern der »Kommune« verhaftet und angeklagt. Johnny Schlegel wird zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. »Für die übrigen Angeklagten: von acht bis zwölf. Einzug des Vermögens.«

Susemihl, Manning

Ehemaliger Kurier der sozialdemokratischen Gauführung Schwerin. Einer der aus Deutschland geflohenen SPD-Genossen, die im Sommer 1933 bei Cresspahl in Richmond auftauchen.

376-377 Er ist »ein Junge von fünfundzwanzig Jahren, dem noch das zutrauliche und rührende Kind anzusehen war, das ihm besser gestanden hatte als die weißlich verheilten Striemen quer über seine prallen Backen«. Er macht sich in Cresspahls Haus und Wirtschaft nützlich und möchte bleiben. Als er erfährt, dass Cresspahl im November 1933 nach Deutschland zurückgehen will, sucht er sich eine andere Bleibe: »Ick hev dat vesöcht. Öwe nè. Ick vestå Se nich« [Ich habe es versucht. Aber nein. Ich verstehe Sie nicht]: sagte Manning Susemihl.«

385 Einer der Unterzeichner des Briefes, mit dem der Gemeinderat von Rande am 24.11.1967 auf Gesine Cresspahls Anfrage vom 20. August 1967, die »Anzahl der jüdischen Kurgäste in den Jahren vor 1933« betreffend (vgl. 8), antwortet, heißt Susemihl. Ob es sich um Manning Susemihl handelt, bleibt offen.

389-390 Kurz vor Cresspahls Abreise aus Richmond im November 1933 versucht er, Cresspahl dazu zu überreden, illegale Flugschriften der SPD nach Deutschland einzuschmuggeln. Beide geraten in Streit über die Rolle der SPD bei der Machtergreifung der Nazis. Nach einer beleidigenden Äußerung streckt Cresspahl den naseweisen jungen Mann mit einem Faustschlag nieder und wirft ihn hinaus.

Svoboda, Ludvík

Tschechoslowakischer Politiker (1895-1979). Präsident der ČSSR von 1968 bis 1975.

927-928 Wird nach dem Rücktritt Antonín Novotnýs im März 1968 für das Amt des Präsidenten vorgeschlagen. »Die Ernennung Ludvík Svobodas gilt als ein Versuch, die Sowjets zu besänftigen«.

937-938 Wird am 30. März 1968 im Vladislavsaal des Hradschin zum Präsidenten gewählt.

Swantenius, Eike

Mitschülerin Gesine Cresspahls im Gustaf Adolf-Lyzeum in Gneez.

1251 »Eike Swantenius war tot, die hatte ein Brite erschossen, im Vorüberfahren.«

Swantenius, Georg

Kreis- und Ortsgruppenleiter der NSDAP in Gneez.

703 Bei dem Festakt zur Einweihung des Flugplatzes Jerichow Nord auf dem Jerichower Marktplatz dankt er »im Namen der Ortsgruppe und der Kreisleitung dem Führer für den stolzen Tag [...], etwas sauersüß vor Neid«.

781 Hat dem Jerichower Bürgermeister Friedrich Jansen »gute Dienste [...] beim Obersten Parteigericht geleistet«.

911 Versucht am 2. November 1942, Julius Kliefoth für die Partei zu werben. Er »fand es nicht gerecht, daß Einer nicht in der Partei war, und daß am Ende er allein verantwortlich sein werde.« Außerdem meint er: »Wir haben ja man bloß den Schurrmurr in der Partei.«

Swantenius, Propst

Propst in Mecklenburg.

236 Er führt Pastor Methling im Herbst 1927 als Pastor der Kirchengemeinde Jerichow ein.

Swantenius, Theo

Jurist in Schwerin.

601 Einer der »schweriner Freunde« von Landgerichtsdirektor Wegerecht, die ihm bei dem Prozess gegen Hagemeister und Warning im Herbst 1937 aus der Klemme helfen, indem sie und »insbesondere Theo Swantenius, der Jurist unter den vier Brüdern«, ihrerseits (wie, mit anderen Zielen, Peter Niebuhr) Verbindungen zu einem Reichsministerium aufnehmen.

Swenson

Fuhrunternehmer in Jerichow.

111 In einem seiner »schwarzen Leihwagen« fahren Heinrich Cresspahl und Lisbeth Papenbrock am 31. Oktober 1931 zu ihrer Trauung in der Jerichower Petri-Kirche.

235 Hat in seinem Fuhrpark auch den Leichenwagen.

497 Seit dem Baubeginn in Jerichow Nord betreibt er eine Omnibuslinie vom Bahnhof nach Jerichow Nord und hat daran »so ›mäßig‹ verdient, daß er sich nun den zweiten Lastwagen hatte zulegen können, und Swenson bezeichnete seinen Anteil am Bau des Flugplatzes als ›Verantwortung‹«.

757 Bekommt am 10. November 1938 von der Gestapo den Auftrag, die von der SA ermordete Marie Tannebaum am Abend »zu einer nächtlichen Beisetzung nach Gneez« zu bringen, aber als er am Abend vorfährt, steht das Haus leer, die Tannebaums haben Jerichow mit dem Sarg ihres Kindes Richtung Lübeck verlassen.

1358 Wird nach dem Krieg Mitglied der CDU in Jerichow.

Vgl. auch 413.

Szymczak, Jan

New Yorker Bürger.

88 Am 15. September 1967 liest Gesine Cresspahl in der New York Times, daß Jan Szymczak aus Brooklyn die Frau weggelaufen ist, »die erst im Februar aus Polen zu ihm zog; nun wird er auch nicht ihre Schulden bezahlen, und zwar ab heute«.

T

Tägliche Rundschau

In der Sowjetischen Besatzungszone seit Mai 1945 erscheinende Tageszeitung.

1353-1354 Über die Besatzungspolitik der Sowjetischen Militäradministration (SMA): »Sie redeten durch eine eigene Zeitung mit den Deutschen, die hätten sie nennen dürfen S.M.A.-Nachrichten, Antifa-Umblick, Rotfront Frei, sie benutzten aber den Titel Tägliche Rundschau, Frontzeitung für die deutsche Bevölkerung, die Front ließen sie schon im Juni 1945 beiseite. Das war immer noch kein beliebiger Titel, so hatte einmal ein christliches Blatt firmiert, mit wilden nationalistischen Gewohnheiten, den nahmen die Sowjets aus der von den Nazis geschluckten Beute in Besitz, nach juristischen Umständen korrekt.«

1821 Ein unter den Schülern der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez offenbar umlaufender Spottvers: »Tägliche Rundschau! Neueste Ausgabe! / Klägliche Rundschau; alles Angabe.«

Vgl. auch 518. 1396. 1631.

Der Spottname »Klägliche Rundschau« war in der SBZ, besonders in Berlin, allgemein üblich. Vgl. David Clay Large: Berlin. Biographie einer Stadt. München 2002, S. 354.

Tamms, Eduard

Nachfolger von Friedrich Jansen im Amt des Bürgermeisters in Jerichow seit 1941; von den Briten 1945 abgesetzt und verhaftet, lebt später in Hamburg.

857 Sein Kommentar zum Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941: »Die strahlende Flagge des Nationalsozialismus...«. Aber im Februar 1942 meint er: »Das hätte er nu nich noch riskieren müssen.«

858 »Tamms' Amtliche Bekanntmachungen« Anfang des Jahres 1942.

868 »Ed. Tamms hatte nach drei Wochen Jansens Hinterlassenschaft im Rathaus aufgeräumt, danach erwarb er sich Willkommen auch aus eigenem Verdienst. Es gab auf dem Rathaus nun keine Gefälligkeiten mehr, die Gutscheine wurden nach dem Bedürfnis ausgegeben, und unter Tamms gelang es keinem mehr, eine Reparatur am Haus umzubauen zu einem neuen Haus. Seit Ete Helms einen Bürgermeister Tamms in seinem Rücken wußte, war ihm mit einer Zugehörigkeit zur Partei weniger bequem Angst zu machen«.

869 »Tamms galt als ›gläubiger Nationalsozialist‹, sprach aber selten davon. Ende Dreißig, Studium der Nationalökonomie ohne Abschluß, verheiratet, drei Kinder. Im Gespräch ruhig, nicht langsam, ohne Ausflüchte. Manche störte es, daß er sich nicht die Zeit ließ für die mecklenburgischen Umständlichkeiten; es galt ihnen doch, daß er nicht nur seine Zeit sparte, auch ihre. Er war aus Mecklenburg, aus Olden Mochum«. – Am Abend des 30. April 1942 trifft er Cresspahl beim gemeinsamen Abendessen mit seinen französischen Kriegsgefangenen an. »Es war bei Strafen verboten, mit Kriegsgefangenen an einem Tisch zu essen; Tamms erwähnte den Verstoß nicht, gab zwar den Franzosen nicht die Hand, bot ihnen jedoch die Tageszeit in ihrer Sprache.«

986 Nach der Besetzung Jerichows durch die Briten wird Tamms abgesetzt, Cresspahl zum Bürgermeister und Tamms zu seinem Stellvertreter bestimmt.

993 Nach einer Überprüfung der Bürgermeister durch die Britische Abwehr wird Tamms in ein Gefangenenlager transportiert, »trotz Cresspahls Bitten«.

1527 Er meldet sich 1948 aus Hamburg bei Cresspahl und bittet ihn um einen »Persilbrief; in Hamburg waren sie noch nicht fertig mit der Entnazifizierung«.

Anhang XIII Wird von den Briten 1945 verhaftet, weil seine Frau mit SS-Leuten verwandt ist. »Er hatte solchen Anhang nicht einmal benutzt, um an einen anderen Platz zu kommen als Jerichow.«

Tannebaum, Frieda

Frau von Oskar Tannebaum, Mutter von Walter und Marie Tannebaum in Jerichow. Nach Maries Ermordung im November 1938 verlässt sie mit ihrem Mann und Sohn Jerichow; die Familie kann sich nach Schweden retten, lebt später in London (vgl. 1703 f.).

724 In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 trägt sie ihre von SA erschossene Tochter Marie aus dem Haus und stellt sich neben ihren Mann mit dem Rücken an die Wand, gleitet dann zu Boden »und fiel über ihr zusammen. Sie hielt ihr Kind immer noch wie eins, das bloß schläft und nicht aufwachen soll.«

Tannebaum, Marie

Tochter von Frieda und Oskar Tannebaum in Jerichow.

724 Sie wird in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 im Haus ihrer Eltern von SA ermordet, »acht Jahre alt, ein wildes, verschlossenes Mädchen, das sich im Gräfinnenwald umhergetrieben hatte, seit Lehrer Stoffregen sie nicht mehr in seine Schule gelassen hatte«. Sie hat lange schwarze Zöpfe. Ihre Mutter trägt sie aus dem Haus und sinkt mit ihr zu Boden. »Sie hielt ihr Kind immer noch wie eins, das bloß schläft und nicht aufwachen soll.«

740 Kriminalkommissar Vick: »Da ist ein Judenbalg erschossen worden. [...] Marie Sara Tannebaum.«

756-757 Am nächsten Tag schickt die Gestapo einen Sarg und beauftragt Fuhrunternehmer Swenson, ihn am Abend zu einer nächtlichen Beisetzung nach Gneez zu fahren. Aber Tannebaums laden den Sarg auf ihren Ackerwagen und verlassen Jerichow mit Maries kleinerem Bruder Walter Richtung Lübeck. Auch Pastor Brüshavers Angebot, das Kind auf dem Jerichower Friedhof zu beerdigen, schlagen sie aus: »Sie is nu gestorben wie ne Jüdin; so soll sie denn ne jüdische Beerdigung kriegen«, gibt Oskar Tannebaum ihm Bescheid.

Tannebaum, Oskar

Inhaber eines Ladens für Arbeitskleidung in Jerichow, Kurze Straße. Verheiratet mit Frieda Tannebaum, zwei Kinder: Marie und Walter. Nach Maries Ermordung am 9. November 1938 verlässt er mit Frau und Sohn Jerichow; die Familie kann sich nach Schweden retten, lebt später in London.

238 Der Theologe, Rassist und Antisemit Methling, Pastor in Jerichow von 1927 bis 1932, überlässt den beiden Judenfamilien des Ortes, Semig und Tannebaum, »Kaufgräber auf seinem Friedhof nur mit 100% Aufpreis«.

350 Am 1. April 1933, dem Tag des ›Judenboykotts‹, stehen Leute aus Jerichow »in einem Halbkreis« um Oskar Tannebaums Laden, »an der Tür zwei Arbeitslose in Uniform und dazwischen Ete Helms, der als Stadtpolizei darauf achten mußte, daß alles ordentlich ablief«.

354 Als Posten werden zwei ortsfremde SA-Leute nach Jerichow geschickt, denn einheimische Posten »hätten doch weich werden können unter dem Zureden von Freunden, von Verwandten«. Kreisleiter Prause schickt Max Breitsprecher und Ossi Rahn aus Gneez. Breitsprecher ist die Sache unangenehm: Er rät Oskar Tannebaum, seinen Laden über das Wochenende zu schließen, und verlässt seinen Posten. Am Montag danach öffnet Tannebaum seinen Laden wieder und macht »so schlechte Geschäfte [...] wie vorher auch«.

722-724 In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstört SA unter Führung von Bürgermeister Friedrich Jansen Tannebaums Laden und tötet die achtjährige Tochter Marie. SA-Mann Demmler zwingt Tannebaum, das Geld seiner Registrierkasse, die zuvor auf die Straße geschleudert wurde, auf den Knien einzusammeln und Friedrich Jansen auszuhändigen. Während Jansen auf dem Geld herumtrampelt, kommt Lisbeth Cresspahl dazu und gibt Jansen eine Ohrfeige.

756-757 Am nächsten Tag schickt die Gestapo einen Sarg für die tote Marie und beauftragt Fuhrunternehmer Swenson, ihn am Abend zu einer nächtlichen Beisetzung nach Gneez zu fahren. Aber Tannebaums laden den Sarg auf ihren Ackerwagen und verlassen Jerichow mit Maries kleinerem Bruder Walter Richtung Lübeck. Auch Pastor Brüshavers Angebot, das Kind auf dem Jerichower Friedhof zu beerdigen, schlagen sie aus: »Sie is nu gestorben wie ne Jüdin; so soll sie denn ne jüdische Beerdigung kriegen«, gibt Oskar Tannebaum ihm Bescheid.

1528 Im Juni 1948 schreibt Heinrich Cresspahl einen Brief an »Herrn Oskar Tannebaum, Pelzhandlung in Stockholm«, und bedankt sich für ein Paket, das Tannebaum ihm geschickt hat.

1703-1704 Oskar Tannebaum schickt Gesine Cresspahl einen »›Petticoat‹ aus Paddington«.

Vgl. auch 719.

Tante von Anita Gantlik

Eine Schwester von Anita Gantliks Mutter.

1610 Um sich der Vormundschaft ihres rücksichtslosen Vaters zu entziehen, lässt Anita Gantlik die Tante über das Rote Kreuz ausfindig machen, »eine Witwe mit zwei Kindern, die hungerte im Ruhrgebiet, der klangen die Namen Gneez und Mecklenburg nach Fleischtöpfen«. Sie zieht (wohl 1946) nach Gneez um und fungiert »auf dem Papier« als Haushaltsvorstand in »Anitas Haushalt am Stadtgraben«.

Nach der »Abtrennung der westlichen Zonen von der sowjetischen« (1947) »fing sie an, in einer jammernden Tonart sich zu rühmen wegen des Opfers, das sie für ihre Nichte Anita bringe in einer Gegend, für deren Geld weniger zu erwerben war, von der Butter bis zur Armbanduhr. Sie vergaß bequem, daß Anita ihr ein Dach über dem Kopf verschafft hatte, daß Anita in die gemeinsame Kasse zusteuerte aus ihren Honoraren, daß Anita es war, die ihre zwei Jungen, um die elf Jahre alt, annahm zu einer Erziehung.«

Vgl. auch 1616.

Taxifahrer in New York

1884-1885 »Ein jeder in New York City hat seine Geschichte mit einem Taxifahrer; Mrs. Cresspahl verfügt über deren zwei.« Die erste betrifft einen jüdischen Taxifahrer, den sie von seinen Erektionsstörungen erlösen soll, der zweite verweigert ihr seine Hilfe beim Transport der erkrankten Marie, ruft ihr stattdessen nach: »Möge dein Kind verrecken, du deutsche Sau!«

Teterow

Stadt in Mecklenburg, östlich von Güstrow, ca. 35 km nördlich von Waren an der Müritz.

58 Lisbeth Cresspahl erinnert sich an ihre Kinderzeit auf Gut Vietsen bei Waren an der Müritz: Als ihr Bruder Robert Papenbrock, der vorher schon ein Pferd bei einem Wettrennen mit einem Auto totgeritten hatte, »in einer Stunde nach Teterow reiten wollte«, nahm seine kleine Schwester ihm das Pferd ab und führte es zurück in den Stall.

633 Auf der Reise der Cresspahls zu den Paepckes nach Podejuch im Frühjahr 1938 fährt der Zug auch durch Teterow, und Heinrich Cresspahl erzählt der fünfjährigen Gesine die Geschichte »von dem Hecht, den die Teterower in ihren See zurücksetzten, da sie sicher waren, ihn nach der Kerbe im Bootsrand wieder finden zu können«.

Zu der Geschichte vom Hecht vgl. Jahrestage-Kommentar zu 633, 20-22.

Thälmann, Ernst

Deutscher Politiker (1886-1944); von 1924 bis 1933 Mitglied des Reichstages, seit 1925 Vorsitzender der KPD; 1933 von der Gestapo verhaftet; im August 1944 im KZ Buchenwald ermordet.

197-198 Im März 1933 machen Sozialdemokraten in Lübeck sich Gedanken darüber, »ob die Sozialdemokratie nunmehr eine Hilfe für die Kommunisten mit ihrer Würde vereinbaren könne. Denn [...] es stand zu befürchten, daß demnächst Ernst Thälmann an der Tür klingelte. Es gab Berichte, nach denen Thälmann nach Dänemark unterwegs war. Jedoch hatten die Kommunisten mit den Nazis gegen die Sozialdemokratie paktiert. War ihnen das Schlagwort ›Sozialfaschisten‹ je zu vergeben?«

202 Am 3. März 1933, dem Tag von Gesine Cresspahls Geburt, wurde Ernst Thälmann in Berlin verhaftet. »Und er hatte keine Fahrkarte nach Dänemark bei sich.«

Timm, Marlene

Mitschülerin von Gesine Cresspahl in der Elf A Zwei an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez. 

1703 »Marlene Timm, unausweichlich ›Tiny Tim‹ benamst trotz durchschnittlichen Wuchses, bekam eine amtliche Erlaubnis für die Ausreise zu Tantenverwandtschaft in Dänemark, viel bestaunt, und saß bei uns wie ein Gast nur«.

Tiny Tim ist eine Figur aus Charles Dickens' »A Christmas Carol« (1843).

Tito

Josip Broz Tito (1892-1980), jugoslawischer Politiker, 1945 Ministerpräsident, 1953 bis zu seinem Tod 1980 Staatspräsident.

1556 Die New York Times zitiert am 15. Juli 1968 Titos Äußerung, wonach niemand in der Sowjetunion so kurzsichtig sein könne, die Bewegung des Prager Frühlings mit Gewalt zu beenden.

Gesine Cresspahl erinnert sich bei dieser Gelegenheit an den Herbst 1948, in dem sie zur Fritz Reuter-Oberschule wechselte: »Auf Tito haben wir ungemein böse sein müssen. Es wurde uns gleich bei der feierlichen Aufnahme in die Fritz Reuter-Oberschule hingestellt als eine unserer Hauptbeschäftigungen, und oft sind wir in jenem Herbst in der Kolonne von vierhundert Oberschülern durch Gneez vors Rathaus gezogen mit Spruchbändern, auf denen wir den Sturz Titos verlangten«.

Vgl. auch 1560. 1562. 1857.

Tkatschenko

Russischer Physiker.

93 Bericht der New York Times am 17. September 1967: Ein junger sowjetischer Physiker namens Tkatschenko, der seit 8 Monaten in Birmingham studiert, sollte offenbar gewaltsam in die Sowjetunion zurückgebracht werden. Die britische Polizei befreite ihn aus einer Maschine der Aeroflot auf dem Flughafen Heathrow.

99 Bericht der New York Times am 19. September 1967: »Die Briten haben den Sowjets ihren entlaufenen Physiker zurückgegeben. Jetzt sind beide Seiten noch darin einig, daß er ein kranker Mensch ist, und beide Mächte halten einander Mangel an Benehmen vor.«

Vgl. dazu Jahrestage-Kommentar zu 93, 19-32.

Tollense See

See südlich von Neubrandenburg. In seiner Nähe liegt das Lager Fünfeichen. Er wird denn auch stets im Zusammenhang mit Cresspahls Wahrnehmungen seiner Haftzeit in Fünfeichen erwähnt.

Vgl. 1287. 1288. 1297.

Tonja

Frau des Eisenbahners Feliks in Olmütz. Bei ihnen wohnt Jakob Abs im Herbst 1955 für einige Wochen, als er die Eisenbahner von Olmütz in die Technik des Dispatchens einführen soll.

1807-1811 Gesine erinnert sich an Jakobs Erzählungen von Feliks und Tonja. – »Tonja: Noch in Besorgnis gütiger Blick hinter der ungeschickten Brille; ein Dutt.« – Gesine und Marie wollen die beiden während ihres Aufenthalts in Prag aufsuchen.

Trowbridge, Elizabeth

Freundin von Heinrich Cresspahl in Richmond bis zur Trennung im August 1931; Mutter seines Sohnes Henry (geb. Mai 1932); junge Weltkriegswitwe; ihretwegen ging Cresspahl 1925 nach England. Sie und der Sohn sterben bei einem deutschen Bombenangriff am 14. November 1940.

95-96 Als Cresspahl sich im August 1931 in Lisbeth Papenbrock verliebt, trennt er sich von Elizabeth Trowbridge und lässt von Anwalt Arthur Salomon einen Abfindungsvertrag für sie entwerfen.

380-381 Im Juli 1933 fährt Cresspahl, heimlich verfolgt von Albert A. Gosling, in den Norden Londons in die Seven Sisters Road, wo Elizabeth Trowbridge nach der Trennung von Cresspahl zwei Zimmer gemietet hatte. Er trifft sie nicht an und erfährt, dass sie ausgezogen sei, weil sich die anderen Mieter über das Geschrei des Kindes beschwert hätten. Auf diese Weise erfährt Cresspahl, dass er einen Sohn hat. Elizabeth Trowbridge ist danach zu Verwandten in der Gegend von Bristol gezogen.

527 In Deutschland beichtet Cresspahl seiner Frau, »daß von dem in England verwahrten Geld monatlich etwas abgehen werde für einen Jungen, den Mrs. Elizabeth Trowbridge ohne sein Wissen in die Welt gebracht habe«. Lisbeth erfragt das Geburtsdatum: »Mai 1932, es schien sie nicht zu kränken.«

812 Ende 1938 hätte Cresspahls englisches Konto »eigentlich leer sein müssen von den monatlichen Zahlungen an Mrs. Elizabeth Trowbridge. Die wollte ihr Kind aber großziehen ohne die Hilfe von einem, der dann eine andere geheiratet hatte, und schickte die Überweisungen pünktlich zurück, bis Salomon es aufgab.«

1209 Im September 1945 erhält Cresspahl von Anwalt Salomon die Nachricht, daß »Mrs. Trowbridge und Henry Trowbridge [...] am 14. November 1940 bei einem Angriff auf die britischen Midlands ums Leben gekommen« seien.

Anhang I-III Cresspahls Erinnerungen 1949: nach England sei er »einem Mädchen zuliebe« gegangen, 1925. »Elizabeth. Weltkriegswitwe. Sehr jung. Vielleicht vermögend. [...] Beiden habe es nicht an einer Ehe gelegen, sondern an freiwilligem Zusammenkommen, gelegentlich und verabredet. Sie habe ihm geschäftlich geholfen, mit einem Darlehen; es sei pünktlich zum Termin zurückgezahlt worden. Leider sei der Termin übereingefallen mit seinem Entschluss, eine andere zu heiraten [...]. Es sei Elizabeth gewesen, die für jeden das Recht auf ungehinderte Trennung einrichtete; nicht nur habe sie ihm ihren Wunsch nach etwas weniger Unabhängigkeit verschwiegen, auch ihre Schwangerschaft. Von dem Kind, geboren im Mai 1932, habe er erst ein Jahr später erfahren, gegen ihren Willen. Henry Trowbridge.«

Vgl. auch 94. 104. 130. 399. 657. 1284.

Tschombe

Moïse Tschombé, kongolesischer Politiker (1919-1969). 

88 Am 15. September 1967 hält Gesine Cresspahl einen Rückblick auf den Sommer 1967: »In diesem Sommer ist der milliardenfache Revolutionsgewinnler Tschombe nach Algerien entführt worden, und seine ehemaligen Freunde schärfen das Fallbeil.«

Tulpanov

Sergei Iwanowitsch Tulpanow (1901-1984); Oberst der Sowjetischen Militäradministration von 1945 bis 1949.

1371 Im Dezember 1945 schickt die Ortsgruppe der CDU in Jerichow Oberst Tulpanov ein auch von Louise Papenbrock unterschriebenes Telegramm mit der Mitteilung, »daß er nicht schlicht nach Belieben den Vorsitz ihrer Partei austauschen dürfe«.

U

U Svatého Václava

Tschechoslowakisches Restaurant in New York, sein Name bedeutet ›Zum Heiligen Wenzel‹.

134-137 Am 2. Oktober 1967 lädt Dmitri Weiszand Gesine und Marie Cresspahl in dieses Restaurant ein. Es liegt »versteckt auf der Ostseite Manhattans, in den siebziger Straßen«. Vertreter der ČSSR bei den Vereinten Nationen, »die Verwalter wie die Spione der neuen Macht«, sitzen hier »unbefangen neben den Entmachteten und Flüchtlingen ihres Landes«, die »das gleiche Heimweh nach böhmischer, tschechischer, auch europäischer Küche abfüttern«. Marie fühlt sich hier nicht wohl.

1662 Im Juli 1968 gesteht Marie ihrer Mutter, dass ihr die tschechoslowakische Reise »der Maßen« bevorstehe, und fragt: »Ob wir noch noch einmal eine Probe machen könnten in dem Restaurant auf der Ostseite, wo die Leute tschechisch sprechen und sich benehmen.« Gesine stimmt zu: »In dein vielgehaßtes Svatého Václava wollen wir gehen!«

Ulbricht, Walter (Der Sachwalter)

Deutscher Politiker (1893-1973). Erster Sekretär des ZK der SED 1950-1971; Staatsratsvorsitzender der DDR 1960-1971.

1262 Die New York Times berichtet am 31. Mai 1968 über die Sprengung der Leipziger Universitätskirche am 30. Mai 1968; Walter Ulbricht habe dabei von »alten Zähnen« gesprochen, »die der Sozialismus zieht. Mr. U. is a native of Leipzig.«

1687-1688 Über Thomas Manns Appell an den »Sachwalter« vom Juli 1950 zu den sog. Waldheim-Prozessen (denen auch Albert Papenbrock zum Opfer fällt). »Aber der Sachwalter benötigte seine Macht für die Vorbereitung solcher Vorführungen von Gerichtsbarkeit, die sein weiser Führer und Lehrer Stalin ihm gezeigt hatte in Bulgarien, Ungarn und der Tschechoslowakei.«

1755 Gesine Cresspahl liest spät abends in der New York Times vom 7. August 1968, dass Presse, Rundfunk und Fernsehen der DDR »urplötzlich« aufgehört haben, »die Tschechoslowakei mit ihrem Dreck zu bewerfen. Zwar unterschlagen sie, daß der Sachwalter ausgebuht wurde in Bratislava, auch angeregt: Damoi! ab nach Hause! Von Amtes wegen heißt es: ›Vorüberkommende Passanten winkten und riefen ihm wieder und wieder nette Grüße zu.‹«

1847-1849 »Am 9. Juni 1953 machte der Sachwalter der ostdeutschen Republik seiner Bürgerin Gesine Cresspahl einige Vorschläge, ihre Rückkehr unter seine Fuchtel betreffend.« Es geht um die an diesem Tag vom ZK der SED veröffentlichte Ankündigung einer Politik des ›Neuen Kurses‹ (vgl. dazu Jahrestage-Kommentar zu 1847, 21 f.).

Vgl. die vollständige Auflistung der Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars.

Upahl

Sozialdemokratischer Stadtverordneter in Jerichow bis März 1933.

225 Tritt wie alle anderen Sozialdemokraten (Stoffregen, Piep und Piepenbrink) im Jerichower Stadtrat nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 zurück. Daraufhin verlässt Bürgermeister Dr. Erdamer die Sitzung.

Utpathel, Georg

Bauer in Alt Demwies.

1796 Um seinen Fall ergänzen Gesine Cresspahl und/oder der Genosse Schriftsteller Dieter Lockenvitz' vorläufige Liste der Opfer der Justiz in Mecklenburg nach 1945: Utpathel wurde mit »Entzug des Vermögens« und zwei Jahren Zuchthaus bestraft, weil er der »sollgemäßen Ablieferung von Fleisch, Milch, Wolle, Ölsaaten« nicht nachkommen konnte. Der Hinweis auf »seine dreiundsiebzig Jahre, auf die minderwertige Qualität des vom Staat gelieferten Saatgutes, auf den Verlust seines gesamten Viehbestandes an die Rote Armee 1945, auf die Viehseuche von 1947« half ihm dabei nicht. Das Kreisgericht Gneez erkannte diese »objektiven Schwierigkeiten« zwar an, hielt ihm aber vor, »als fortschrittlicher Landmann habe er eben seine Wirtschaft belasten müssen und auf Kredit sich Vieh beschaffen, damit seine Verpflichtungen gegen Staat und Volk zu erfüllen«.

»Nun stand Georg Utpathels Hof unbewirtschaftet, von den Nachbarn ausgeschlachtet; offenbar eine Lappalie für jemand, dem das Vorgehen von Strafkammern gegen Oberschulen näher ging, der nur die rein politischen, die ideologischen Bestrafungen eines Mitteilens für wert erachtet; daran würden sie ihn fangen, dazu seine Abschreiber: sagte Jakob, nahm Cresspahls Tochter solche Notizen weg, vorgeblich um sie zu besprechen mit seinem Freunde Peter Zahn.«

Vgl. auch 1840. 1848.

V

Vassarion (Herr Wassergahn)

Leutnant der Roten Armee in Jerichow, rechte Hand des sowjetischen Stadtkommandanten K.A. Pontij

1033-1034 Wie Vassarion zu seinem Spitznamen »Herr Wassergahn« kam: Er betritt am 8. Juli 1945 den Laden der Klempnerei Quade, die Bergie Quade in Vertretung ihres noch kriegsgefangenen Mannes führt, und deutet auf die Attrappe eines Wasserhahns. »Wassergahn: hatte die Rote Armee zu Bergie Quade gesagt.« Aber Bergie »hatte mit Quadescher Geistesgegenwart zur Antwort gegeben: sie denke nicht daran, ins Wasser zu gehen. Habe sie gar nicht nötig.«

1045-1046 Wenig später betritt Vassarion erneut ihren Laden, diesmal in Begleitung Jakobs, der den Dolmetscher macht: Die Firma Quade soll die zerstörten Wasserleitungen in der Ziegeleivilla reparieren, in der sich die Kommandantur der Roten Armee eingerichtet hat. »Der Rotarmist sah beim Sprechen Frau Quade an, und sie kam sich fast appetitlich vor unter seinen erinnernden Blicken.« Bergie führt die Reparatur mit Jakobs und Vassarions Hilfe aus und hat bei der Bezahlung »die Wahl zwischen einer Rechnung an die Stadtkasse und einer Halbliterflasche Wodka ohne Etikett«. Sie nimmt den Wodka »und trank auch einen unberechneten Schluck mit dem Rotarmisten Wassergahn, weil der bei der Arbeit geholfen hatte«.

1081-1082 Die zwölfjährige Gesine Cresspahl beobachtet von ihrem Walnussbaum aus ein nächtliches Treffen Jakobs und Vassarions, bei dem »eine Faust voll blauweißer Scheine« den Besitzer wechselt: Jakob steckt das »Alliiertengeld« in den Hemdsärmel. (Jakob betreibt mit ihm Schwarzhandelsgeschäfte).

1233 Jakob »hatte seine Einsätze nicht zurückgezogen vom Schwarzen Markt, als die Pontijsche Mannschaft abkommandiert war, sogar kam Herr Wassergahn noch zu Besuch. Jakob hatte ein Zimmer für sich, nur weil er da ab und an deutsch-sowjetische Konferenzen abhielt«.

Vgl. auch 1062. 1066. 1198. 1204-1205. 1254. 1267. 1330. 1351. 1356. 1370. 1452. 1531.

Vick, Herbert

Kommissar der Kriminalpolizei in Gneez.

738-744 Nach Lisbeth Cresspahls Selbstmord am 9. November 1938 ist er mit den kriminalpolizeilichen Ermittlungen beauftragt und verhört den aus Wendisch Burg zurückgekehrten Heinrich Cresspahl.

745-750 Folgt Cresspahl am Abend des 10. November 1938 nach Gneez, wo Cresspahl Holz für den Sarg seiner Frau bei Wilhelm Böttcher kauft, und lässt sich die Telegramme zeigen, die er im Hotel Stadt Hamburg aufgibt. Legt Wert auf die Feststellung, dass er nicht von der Gestapo ist. Verbringt den Abend im Hotel Stadt Hamburg, sitzt »bei seinem dienstlichen Bier, ein behaglicher kleinwüchsiger Dicker, knetete sich das mollige Kinn und starrte entrückt in Richtung der Tür, wenn er die Nase nicht in seinem fetten Notizbuch hatte«. Am nächsten Tag folgt er Cresspahl nach Jerichow, möchte ihn dazu bewegen, eine Anzeige zu erstatten.

1597 Wird nach dem Krieg in die politische Polizei (Kommissariat 5) übernommen. Als er stirbt, verweigert Pastor Brüshaver ihm »eine Beisetzung nach kirchlichem Ritus«. Brüshaver habe sich, wie seine Frau Aggie später Cresspahl und Gesine erzählt, erinnert, »wie jener verdiente Ordnungshüter sein Lebtag sich enthalten habe von Gottesdienst und Abendmahl, als Deutscher wie als Antifaschistischer Christ«.

Vgl. auch 756. 759. 913. 1346. 1656.

Vietsen

Landgut in der Nähe von Waren an der Müritz, das Albert Papenbrock bis 1922 gepachtet hatte.

56-57 Während des Kapp-Putsches 1920 beherbergt Papenbrock Soldaten und Waffen der Reichswehr in seinem Haus. Nachdem Waren durch den Baron Stephan le Fort unter Beschuss genommen worden ist, wobei es fünf Tote gegeben hat, suchen aufgebrachte Landarbeiter die umliegenden Güter nach Waffen ab. Als sie in Vietsen anrücken, schickt Papenbrock die Soldaten durch den Garten weg. Aber die vierzehnjährige Lisbeth verrät arglos das Waffenversteck, so finden die Arbeiter »neun Infanteriegewehre und zweihundertzehn Schuß Munition in Gurten«.

57-58 In einem der Zwiegespräche Gesines mit ihrer toten Mutter spricht Lisbeth über die Zeit in Vietsen: »In Vietsen hatten wir Mädchen jedes für sich ein Dienstmädchen. / Dann gab es noch die von der Plättstube, der Küche, der Waschküche, die zum Saubermachen, und die Mamsell. / [...] Wenn Papenbrock verreisen wollte, telefonierte er mit dem Vorstand des Dorfbahnhofs und ließ ihn den gewünschten Zug auf freiem Feld beim Gut anhalten. Der Mann sagte: Ja, Herr. Für zwei Weihnachtshühner. / Und wenn Papenbrock zurückkam, zog er beim Gut die Notbremse und zahlte die zweihundert Mark Strafe und stieg in den Kutschwagen, mit dem Fritz nach dem Fahrplan auf dem Feldweg angefahren kam. / [...] Papenbrock hat Vietsen aufgegeben, weil die Adligen ihn seit März 1920 schnitten.«

Vollbrecht, Dr.

Dr. phil., Lehrer in Gneez, nach 1945 Rektor der Brückenschule in Gneez, die Gesine Cresspahl von 1946-1948 besucht.

1333 Gesine Cresspahl wird mit einer Hausarbeit, der Nacherzählung einer russischen Novelle, zum Direktor geschickt, weil sie darin von den »Russen in ihrer wilden Natur« gesprochen hatte. Der Direktor, »Sozialdemokrat, Lehrer seit 1925 und ab 1945«, ist darüber so entsetzt, »er konnte das Unheil nicht einmal erklären«, schneidet stattdessen die inkriminierten Wörter mit einer Nagelschere aus und gibt ihr das Heft zurück: »Das geht doch nicht, Kind.«

»Dr. Vollbrecht hieß er. Der, der beinahe nicht Direktor geworden wäre. In der Eröffnungsrede sollte er die Rote Armee als Bringerin wahrer Menschheitskultur begrüßen, seiner Frau waren einundzwanzig Rotarmisten mit Waffengewalt über den Leib gegangen. Sie behielten ihn drei Tage im Landgericht Gneez, dann erzählte er in der Stadt von einer Reise aus familiärem Anlaß, gab schließlich die Verhaftung zu, aber nur als eine ›irrtümliche‹. Dann hielt er die Ansprache.«

Vosnessenskij

Andrei Andrejewitsch Wosnessenski (1933-2010), russischer Dichter.

1368-1369 Gesine liest am 17. Juni 1968 in der New York Times, dass Vosnessenskij ein Gedicht zum Tod Robert F. Kennedys veröffentlicht hat: »Schon wieder ein sowjetischer Dichter hat Gefühle geäußert, Vosnessenskij ist sein Name. Er tut das nicht für den sechsundsechzigjährigen Arzt, der bei einem Hausbesuch Freitag nacht in Brooklyn erschossen und beraubt wurde, nein anläßlich eines weniger gewöhnlichen Todesfalls: Wilde Schwäne. Wilde Schwäne. Wilde Schwäne. / Nach Norden. Nach Norden. Nach Norden! / Kennedy ... Kennedy ..., / er beklagt die Einsamkeit der Apfelbaumwurzeln auf Kennedys Balkon im 30. Stockwerk, wobei er sich nach Meinung der New York Times einer poetischen Lizenz bedient sowie auch eines Defekts in der Erinnerung, Mrs. Kennedy wohnt im 15. Stock«.

Voss

Eines der ersten Opfer der Nazis im Jerichower Winkel nach der Machtergreifung, wurde Anfang März 1933 erschlagen.

246 »Voss in Rande, den die Nazis zu Tode geprügelt haben«. Pastor Brüshaver segnet ihn am 8. März 1933 aus.

260 Cresspahl hat im Krug gehört, »der junge Papenbrock habe das Auto gesteuert, aus dem Voss in Rande auf die Straße geworfen wurde, übrigens nicht mit Knüppeln, sondern mit Peitschen kaputtgeschlagen. [...] Horst hatte Voss in Rande abgestritten. Er befasse sich nicht mit Kroppzeug.«

Anhang VIII Cresspahl hält es nicht für erwiesen, eher für unwahrscheinlich, dass Horst an der Ermordung von Voss in Rande beteiligt war.

W

Wagenführ, Elli

Bedienung in Peter Wulffs Krug in Jerichow.

295 Im März 1933 ist sie seit etwa einem halbem Jahr bei Peter Wulff angestellt. Wenn es nötig ist, kann sie ihrem Chef über den Mund fahren oder der Kundschaft auf die Finger schlagen.

1641 In Gesine Cresspahls Abschiedsbrief an Jonas Blach vom Juli 1968, in dem sie ihm vorwirft, ihre Erinnerungen an ihn zu missbrauchen, ist auch von Elli Wagenführ die Rede: »Elli Wagenführ. (Namen auswechseln. Wie aber könnte Irgend Jemand Elli Wagenführ ersetzen.) Daß wir dir von ihr erzählt haben, es war fehlerhaft. Wie sie aus Peter Wulffs Küche witschte, beide Hände voller Teller, – Heiß: rief sie, und: Fettich!«

Wallschläger

Pastor in Jerichow von 1939-1945, Nachfolger des ins KZ verschleppten Wilhelm Brüshaver, der das Amt nach dem Krieg wieder übernimmt.

806-809 »Dann kam Wallschläger. Wallschläger, der Strahlende. Wallschläger, der Retter. Wallschläger, Verkünder der Freude, gerade mit Adolf Hitler zusammen und gleichzeitig ein Christ zu sein. Er tobte ein wenig, und die staatstreue Kirchenleitung hatte ihn schon von anderen Plätzen wegtun müssen. In Jerichow blieb er sechseinhalb Jahre. An dem Mann war nichts zu sehen. Er war schwer zu merken; Halbglatze, Hakennase, Breitmund halfen da nicht.« – Über seine antisemitische ›Theologie‹. – Stößt bei den Jerichowern auf wenig Gegenliebe. »Mit den Juden waren sie durch. [...] Davon wollten sie nichts wissen. Es war ihre Sache, und ging einen hergelaufenen Jubelpastor nichts an.« – Zunehmende Kirchenaustritte. »Wallschläger rief noch feurig Heil Hitler, wenn er in ein Zimmer trat, in dem Leute um ein Bett herumstanden, in dem einer gestorben war. Auf die Güter wurde er nur zu Nottaufen gerufen.« – Sogar Kirchendiener Pauli Bastian kündigt zum 1. Januar 1940. – Cresspahl und sein Altgeselle Alwin Paap weisen ihm die Tür, als er sich über das Zusammenleben von Paap mit Inge Schlegel unter Cresspahls Dach erregt. »Er war um die Fünfzig, grauhäutig, bekam oft Schaum auf die Lippen.« 

Vgl. auch 871. 1598. 1777.

Waren

Stadt in Mecklenburg an der Müritz.

56-57 Ereignisse während des Kapp-Putsches 1920 in Waren und auf dem nahegelegenen Gut Vietsen.

729 Aus Waren stammt Peter Niebuhrs Frau Martha, geb. Klünder.

1030 Nach dem Krieg: »In Waren hatte ein Gegner der Nazis, bis zuletzt der ›rote Apotheker‹ genannt, eine ganze Nacht gefeiert mit seinen Befreiern aus der Sowjetunion, bis sie doch allen Frauen im Haus Gewalt antaten und die Familie sich ums Leben brachte«.

Vgl. auch 70. 1288. 1890.

Vollständige Auflistung der Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars.

Warnemünde

Ostseebad nördlich von Rostock; Ortsteil von Rostock.

785 »Warnemünde?« fragt Marie. Gesine erklärt: »Wo die Warnow mündet. Ein Vorhafen von Rostock, damals. Da ging der Schnellzug aus Berlin aufs Schiff« nach Gedser in Dänemark.

995 In Warnemünde lebt »Fischerverwandtschaft« von Ohlerichs, die ihre Tochter Hanna kurz vor Kriegsende dorthin schicken, bevor sie Selbstmord begehen.

Vgl. auch 886. 1231. 1236. 1280. 1398. 1623.

Warning

Landarbeiter in Jerichow, verheiratet, 2 Kinder.

570 Ein von Lisbeth Cresspahl zufällig mitgehörtes Gespräch zwischen Warning und Hagemeister, in dem Reichsarbeitsdienstführer Griem nachgesagt wird, dass er sich vor 1933 »mit Hilfe eines jüdischen Akademikers [Tierarzt Dr. Semig] einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschafft« habe, führt aufgrund einer Denunziation zu einer Anklage gegen Hagemeister und Warning. Denunziant ist Lisbeths Bruder Robert Papenbrock. Warning und Hagemeister werden wegen übler Nachrede (nach dem »Heimtückegesetz«) angeklagt. Lisbeth Cresspahl muss in dem Prozess als Zeugin aussagen.

578 Verwandte von Hagemeister und Warning versuchen, auf Lisbeth Cresspahl einzuwirken, dass sie ihre Aussage zurückzieht. 

601-608 Der Prozess, in den auch Peter Niebuhr von Berlin aus einzugreifen versucht hat, findet unter dem Vorsitz von Landgerichtsdirektor Wegerecht am 29. Oktober 1937 statt und endet glimpflich: Warning bekommt 120 Tage Gefängnis, die er in Bützow-Dreibergen absitzen muss, Hagemeister bekommt eine Geldstrafe.

1362-1364 Nach Verbüßung der Haft hat er die Kühe der Stadt gehütet, die Stelle gab man ihm seiner Frau zuliebe, ansonsten wurde er gemieden, man verachtet ihn wegen der »Sache mit uns' Lisbeth«. Nach 1945 bekommt er vier Hektar Land, »ihm wäre Arbeit unter Aufsicht besser bekommen«. Gastwirt Peter Wulff versucht, ihn sozial zu integrieren, indem er ihn zu einem Treffen ehemaliger Sozialdemokraten mitnimmt. Warning wird Weihnachten 1945 vom NKWD abgeholt und vier Tage lang (über das SPD-Treffen) verhört. Er gibt nichts preis, aber weil er anschließend nichts über die Verhöre sagen will, misstrauen ihm die SPD-Genossen. Als er eine Vorladung zur Kommandantur von Gneez bekommt, hängt er sich auf.

Vgl. auch 614.

Warnke

Johannes (Hans) Warnke (1896-1984), deutscher Politiker. 1924-1933 Landtagsabgeordneter für die KPD in Mecklenburg, 1933-1935 Zuchthaus Dreibergen-Bützow, 1939-1945 KZ Sachsenhausen. 1945 Oberbürgermeister von Güstrow, 1946-1949 Innenminister in Mecklenburg; 1949-1963 Abgeordneter der Volkskammer; 1949-1952 Staatssekretär im Innenministerium der DDR u.a.

197-198 Im März 1933 machen Sozialdemokraten in Lübeck sich Gedanken darüber, »ob die Sozialdemokratie nunmehr eine Hilfe für die Kommunisten mit ihrer Würde vereinbaren könne. Denn die mecklenburgischen Landtagsabgeordneten Warncke, Schröder, Quandt, Schuldt, waren auf der Flucht [...]. Jedoch hatten die Kommunisten mit den Nazis gegen die Sozialdemokratie paktiert. War ihnen das Schlagwort ›Sozialfaschisten‹ je zu vergeben?«

295 Einige Tage später weiß Peter Wulff zu erzählen, dass Warnke in Neustrelitz verhaftet worden ist.

1627 Im Mai 1949 macht Schuldirektor Julius Kliefoth sich beim Innenminister Warnke unbeliebt, weil er sich weigert, als Wahlleiter bei den Wahlen zum 3. Deutschen Volkskongress Wahlfälschungen vorzunehmen. Auf Warnkes persönliche Aufforderung, leere Stimmzettel als Voten für die SED zu zählen, beurlaubt er sich selbst »aus philologischen Gründen« vom Amt des Wahlleiters; »wie konnte dem kämpferischen und parteiischen Minister W. ein Beamter gefallen, der nimmt sich fast einen ganzen Montag frei, aus eigenem Gutdünken und Ungehorsam?« Der Vorgang ist vermutlich einer der Gründe für Kliefoths bald darauf folgende Absetzung als Direktor der Fritz Reuter-Oberschule.

Der Name erscheint im Roman in wechselnder Schreibung: ›Warncke‹ und (recte) Warnke.

Wegerecht, Brigitte

Tochter von Landgerichtsdirektor Walther Wegerecht, Mitschülerin von Gesine Cresspahl am Gustaf Adolf-Lyzeum in Gneez und an der Brückenschule in Gneez.

1252 Erkrankt im Januar 1946 an Fleckfieber, kommt im März 1946 wieder in die Schule mit einer Mütze auf dem Kopf und wird gehänselt, »und die Schülerin Cresspahl verabredete sich mit ihr als Nachbarin für das neue Schuljahr«.

1253-1254 Gesine zu Marie: »Hier kriegst du deinen Antifaschismus: der Wegerecht wurde ihr Vater vorgehalten, als eine persönliche Schuld. [...] Wegerecht blieb Landgerichtsdirektor bis 1940, wurde 1942 von Partisanen in Griechenland erschossen. Brigitte fand das Strafe genug für ihren Vater, sie selbst wollte davon nichts, und obendrein war ihr, als hätte er sie gemacht, nicht sie ihn. Sie sah mich an, im Zweifel wegen unserer Verabredung, und ich nickte, nun gerade.«

1437 Im Herbst 1946 bekommt Gesine Cresspahl Post von Brigitte Wegerecht aus Uelzen. Sie ist offensichtlich mit ihrer Mutter in den Westen gegangen.

Vgl. auch 1251.

Wegerecht, Irmgard (geb. von Oertzen)

Ehefrau von Landgerichtsdirektor Walther Wegerecht in Gneez, Mutter von Brigitte Wegerecht und weiterer Kinder. Sie erscheint im Roman vornehmlich in den Reflexionen ihres Mannes.

596 Kommt aus Schwerin aus reichem Hause; liegt ihrem Mann »mit der Langeweile der Kreisstadt in den Ohren« und erwartet von ihm eine Karriere, die sie mindestens zurück nach Schwerin oder noch besser in eine »Dienstwohnung am berliner Tiergarten« bringen soll.

598 Sie nimmt an den Sorgen ihres Mannes keinen Anteil, hält sie vielmehr für eine Zumutung. In schwierigen beruflichen Situationen »sah er wenig von Irmi, und sie rechnete ihm nicht einmal an, daß er sich blind stellte gegen Herrenbesuche aus der Garnison, die dann zunahmen«. – Bei der Vorbereitung des Prozesses gegen Warning und Hagemeister reflektiert Wegerecht auch die möglichen gesellschaftlichen Folgen für seine Frau: »Wenn es untunlich war, Griem anzugehen, kam Irmgard nie zurück nach Schwerin, oder ohne ihn. Wenn er etwas gegen Papenbrock anfing, verlor Irmi eine Menge Umgang im jerichower Winkel«.

606 Als Wegerecht nach dem glücklich überstandenen Prozess Hagemeister/Warning den Staatsanwalt Kraczinski zum Mittagessen mitbringt, fängt »Irmi von Oertzen« sofort an, mit dem Gast zu schäkern.

Vgl. auch 601.

Wegerecht, Walther

Dr. iur., Landgerichtsdirektor in Gneez, verheiratet mit Irmgard, geb. von Oertzen, Vater mehrerer Kinder, darunter Gesine Cresspahls Mitschülerin Brigitte. Leitet die Verhandlung im Prozess gegen Hagemeister und Warning im Oktober 1937, zu diesem Zeitpunkt ist er 48 Jahre alt.

596-600 Er gilt als »freimütig und verschlagen«, genießt Ansehen »wegen einer wundersamen Laufbahn und einer reichen Frau«, die ihn allerdings betrügt und vorrangig an seiner Karriere interessiert ist. Wegerecht liebt seine Kinder, besonders das jüngste, die vierjährige Brigitte, ein Nachzügler; er ist ein »Schmusevater«. Wegen seiner frischen Gesichtsfarbe »galt er für ›das blühende Leben‹«, ist aber nicht gesund. – Wegerecht, »mecklenburgischer Rundkopf, Rasurglatze, pyknisch veranlagt«, ist spät und »eher pflichtgemäß« der NSDAP beigetreten, war vorher DNVP, aus der er eine »volkswirtschaftlich« begründete Abneigung gegen Juden mitbringt. – Der Prozess gegen Hagemeister und Warning macht dem jederzeit anpassungsbereiten Juristen zu schaffen, weil er widerstreitende Informationen von höherer Stelle darüber hat, gegen wen es dabei gehen soll: gegen die beiden Angeklagten oder, wie ihm (offenbar aufgrund der Intervention Peter Niebuhrs von Berlin aus) bedeutet wird, gegen den Reichsarbeitsdienstführer Walter Griem. »In den Reichsarbeitsdienst war so schwer hineinzublicken. Das war ja wie nachts im Wald, wo hinter jedem Baum einer stehen konnte mit einer Keule.« Wegerecht weiß nur, dass er um jeden Preis »mit fliegenden Fahnen aus dieser Sache herauskommen« muss, »damit ihm die Einstellung im Fall Zentner vergessen wurde«, ein Fall, bei dem er die Klage eines SA-Manns abgewiesen hatte. – Seine Anpassungsbereitschaft speist sich zu guten Teilen aus dem Wunsch, den Ansprüchen seiner Frau gerecht zu werden, und aus der Furcht, sie könnte ihn bei einem Misserfolg verlassen.

601-608 »Wegerecht wurde gerettet«: Kurz vor Prozessbeginn bekommt er über Freunde, vor allem über Theo Swantenius, Orientierungshilfe von einem anderen »Reichsministerium« (als dem Landwirtschaftsministerium, über das Peter Niebuhr sich eingeschaltet hatte). Wegerecht verurteilt Warning und Hagemeister moderat und lässt Griem und Dr. Semig ungeschoren. Eine Ordnungsstrafe für Griem wegen »mangelnder Achtung vor der Würde des Gerichts« wurde vom Staatsanwalt Kraczinski beantragt, so dass er sich auch darin gedeckt fühlen kann.

1253 Seiner Tochter Brigitte wird später in der DDR-Schule der »Vater vorgehalten, als eine persönliche Schuld. [...] Wegerecht blieb Landgerichtsdirektor bis 1940, wurde 1942 von Partisanen in Griechenland erschossen. Brigitte fand das Strafe genug für ihren Vater, sie selbst wollte davon nichts, und obendrein war ihr, als hätte er sie gemacht, nicht sie ihn.«

Vgl. auch 745.

Wehmke, Herbert

Jugendliebe von Lisbeth Cresspahl, damals Fähnrich zur See.

131 Von ihm bekommt Lisbeth in Richmond einen in London abgestempelten Brief, den sie Cresspahl nicht zeigt. »Den behielt sie für sich. Sie hatte ihm von Herbert Wehmke, Fähnrich zur See, nicht einen Ton gesagt. Sie wollte es ihm nicht für immer verschweigen, aber noch für eine Weile.«

365 Lisbeth hatte von dem achtzehnjährigen Fähnrich verlangt, dass er sie aus ihrem Elternhaus entführt, wohl wissend, dass er sie dann verlassen würde.

Wehrlich

Dorf bei Jerichow; Eisenbahnstation an der Strecke Gneez-Jerichow.

1215 In einem Hühnerstall am Bahnhof Wehrlich muß Heinrich Cresspahl nach seiner Verhaftung durch die Sowjets am 22. Oktober 1945 die Nacht verbringen, weil es in der Kommandantur in der Försterei in Wehrlich keine Zellen gibt.

1400 Die bei Cresspahls einquartierte Lehrerin aus Marienwerder zieht im Herbst 1946 mit ihrem Kind in die Försterei Wehrlich um.

1605-1606 Bei einem Bauern in Wehrlich wird die elfjährige Anita Gantlik von ihrem Vater nach der Flucht aus Ostpreußen untergebracht und sich selbst überlassen.

1799 An der Station Wehrlich wird Gesine Cresspahl am 2. Januar 1952 aus dem Milchholerzug nach Gneez geholt und für 10 Tage verhaftet. Es geht um die Ermittlungen gegen Dieter Lockenvitz.

Vgl. auch 570. 604. 1380.

Weidling, Frau Dr.

Dr. phil., Gesine Cresspahls Englischlehrerin an der Gneezer Brückenschule und später an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez; Ehefrau von Dr. Weidling.

777 Übernimmt für den durch seinen Direktorposten ausgelasteten Kliefoth den Englischunterricht an der Fritz Reuter-Oberschule, »bis die sowjetische Spionageabwehr herausgefunden hatte, daß ihr Mann nicht Hauptmann bei den Panzern, sondern bei der Abwehr gewesen war und sie ihre Beherrschung der Sprache den Auslandsreisen verdankte, auf die Weidling sie mitgenommen hatte«.

1454-1455 Im März 1947 an der Brückenschule hospitiert ein junger Russe in ihrem Unterricht, den sie für einen angehenden Lehrer hält, der aber vermutlich von der sowjetischen Spionageabwehr gesandt wurde, die ihr bzw. ihrem Mann zu dieser Zeit schon auf den Fersen ist. In einer Englischstunde lässt sie Gesine ein englisches Gedicht mit einer »schädlichen, [...] systemreformistischen Botschaft« (»Recuerdo« von Edna St. Vincent Millay) rezitieren in dem Englisch, das Gesine nicht bei ihr, sondern von ihrem Vater seit 1943 gelernt hat. Als Gesine bemerkt, dass der Hospitant ein Russe ist, fürchtet sie, ihrem von den Sowjets internierten Vater geschadet zu haben.

1528-1529 Ist sich mit Frau Dr. Beese einig, dass auf Gesine Cresspahl »ein Augenmerk gehalten werden« müsse, da sie sich seit der Rückkehr ihres Vaters aus Fünfeichen im Mai 1948 so auffällig anders benehme. Über die pädagogisch-psychologische Beurteilung des Falles allerdings gerät sie mit der Beese in Streit. – Gesines Frage, ob sie auch manchmal den BBC höre, versetzt sie in Unruhe: »War es denkbar, mit einem Kind einen Schweigevertrag zu schließen?«

1606-1607 Im November 1948 wird sie verhaftet »wegen ihrer unbeschwerten Reisen mit einem Mann in schwarzer Uniform in den deutsch besetzten Ausländern«.

Vgl. auch 1332. 1536. 1616.

Weidling, Herr Dr.

Dr. phil., vor dem Krieg Lehrer am Gymnasium von Gneez, dann offiziell als Panzerhauptmann im Krieg, tatsächlich für die Abwehr tätig; verheiratet mit Gesine Cresspahls Englischlehrerin Frau Dr. Weidling.

777 Die sowjetische Spionageabwehr findet in den ersten Nachkriegsjahren heraus, dass Weidling »nicht Hauptmann bei den Panzern, sondern bei der Abwehr gewesen war« und dass Frau Dr. Weidling die Beherrschung des Englischen »den Auslandsreisen verdankte, auf die Weidling sie mitgenommen hatte«.

918 Sitzt im Februar 1943 mit seinem ehemaligen Schüler Klaus Böttcher im Hotel Stadt Hamburg in Gneez zusammen, der ihm »seine Niederlage am gneezer Gymnasium verdankte«. Nun ist er ihm gleichberechtigt, denn »zwar kam Dr. Weidling von irgend wo als Panzerhauptmann, er durfte sich über seine Aufträge von der Abwehr nicht auslassen«.

1606-1607 Im November 1948 wird seine Frau verhaftet »wegen ihrer unbeschwerten Reisen mit einem Mann in schwarzer Uniform in den deutsch besetzten Ausländern«.

Weintraub, Bernard

Amerikanischer Journalist (New York Times).

1502-1506 Berichtet 1968 als »Sonderkorrespondent« der New York Times aus Saigon, Süd-Vietnam. Am 6. Juli 1968 bringt die Zeitung einen längeren Artikel von Weintraub unter dem Titel »Die amerikanische Auswirkung auf die Wirtschaft, Politik und Kultur Viet Nams ist durchschlagend«. Der Eintrag vom selben Tag besteht fast ausschließlich aus längeren Zitaten aus diesem Artikel.

Weiszand, Dmitri W.

Soziologe an der Columbia University in New York, gebürtiger Pole.

135-137 Er lädt Gesine und Marie Cresspahl am 2. Oktober 1967 zum Essen in das tschechische Restaurant »U Svatého Václava« ein. – Seine Geschichte: Geboren in Ostpolen, das durch den deutsch-russischen Nichtangriffspakt von 1939 an die Sowjetunion fiel. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion fällt er den Deutschen in die Hände und überlebt mehrere Konzentrationslager. Nach dem Krieg ausgewandert in die USA. Ist jetzt (1967) »in seinen Vierzigern«.

145 Drei Tage später schreibt Gesine Cresspahl an D.E.: »Am Montag lud uns D. W. zu den Tschechen ein, und ich gebe dir recht, immer von neuem verwechselt er die Person mit der staatlichen Herkunft. Für ihn bin ich Deutschland, das vorige und die beiden jetzigen, für ihn habe ich manchmal kein Gesicht am Kopf sondern nationales Pigment, ihm bin ich verantwortlich für die westdeutsche Bundesbahn und für die westdeutschen Nazis. Es ist aber nicht Mangel an Hygiene, aus dem ich an seinen Tisch gehe, du mit deiner Hygiene. Ich möchte wissen was er außer dem von mir will.«

323 Wohnt an der 110. Straße.

466 Bei den Absprachen mit de Rosny über das tschechoslowakische Projekt am 16. Dezember 1967 fällt Gesine ein, dass Weiszand an dem Abend im tschechischen Restaurant versucht hat, ihr Einzelheiten über das tschechoslowakische Projekt zu entlocken.

658-662 Bei einem Treffen am 30. Januar 1968 versucht Weiszand noch einmal, sie über das tschechoslowakische Projekt auszuholen; Gesine gibt ihm die von de Rosny vorformulierte Antwort (vgl. 466).

680-683 Als Gesine de Rosny über Weiszands Fragen informiert, stellt sich heraus, dass de Rosny davon schon weiß und Weiszand sie offenbar in de Rosnys Auftrag auf die Probe stellen sollte. Dass Weiszand im Auftrag der Sowjets agiert, wie D.E. in einem Telefongespräch mutmaßt, hält Gesine für ausgeschlossen.

793 Weiszand hat Mrs. Ferwalter erzählt, Gesine habe ein Verhältnis mit de Rosny und sei deshalb befördert worden. Das erfährt Gesine am 28. Februar 1968 von Mrs. Ferwalter selbst, die ihr auch berichtet, dass Weiszand vor etwa drei Monate begonnen habe, »solche Gespräche« mit ihr zu führen.

876 Am 16. März 1968 trifft Gesine ihn beim Jour fixe der Gräfin Seydlitz und drückt ihr sein Erstaunen darüber aus, »ihr in diesem Abbild einer verrottenden Gesellschaft zu begegnen«.

1340 Am 11. Juni 1968 erzählt Marie: »Dmitri Weiszand wollte wissen, ob ich mitfahre nach Prag.«

Vgl. auch 492.

Welch, Mr.

Portier im »Mediterranean Swimming Club« des Hotels Marseille in New York.

847-848 Bei ihm hat die verschwundene Francine zweimal nach Gesine und Marie Cresspahl gefragt, aber Mr. Welch hat sie abgewiesen: »Es ist doch ein schwarzes Mädchen.« Er bekommt Auftrag, sie auf Kosten der Cresspahls hereinzulassen, falls sie noch einmal auftauchen sollte.

Welles, Orson

Amerikanischer Schauspieler und Regisseur (1915-1985).

719 Reflexionen über ein von ihm inszeniertes und »Anfang November« (recte: 31. Oktober) 1938 ausgestrahltes Hörspiel, das eine Massenpanik in New York auslöste.

Gemeint ist Orson Welles' Hörspielbearbeitung von H. G. Wells Roman »Krieg der Welten« (1898), die am 31. Oktober 1938 gesendet wurde.

Wendell, Wilbur N.

Angestellter in der Abteilung der Bank im 16. Stock, in die Gesine Cresspahl im Februar 1968 versetzt wird.

820 Er gehört neben Anthony Milo, James Carmody und Henri Gelliston zu dem neuen Kollegenkreis, mit dem Gesine nach ihrer Beförderung bekanntgemacht wird.

1312-1313 Wie Gesine Cresspahl und die anderen »Herren« der Abteilung auch, liest er am 7. Juni 1968 gebannt die Berichterstattung über die Ermordung Robert F. Kennedys: »Von Wilbur N. Wendell aus können die Finanzgeschäfte Südamerikas samt und sonders ersticken unter seiner ausgebreiteten Times, er muß auf einem Foto das Friedhofspersonal beobachten, das in Arlington das Grab für morgen ausmißt.«

1467-1472 Arbeitsessen mit de Rosny, Gesine Cresspahl und leitenden Angestellten der Bank am 1. Juli 1968. Die »jungen Herren«, die »noch vor einer Stunde recht herrenhafte Briefe an Banken in vielen Kontinenten diktiert haben«, benehmen sich hier »treu wie junge Hunde«. 

Wendennych, Die Herren (Die Zwillinge)

Offiziere der Roten Armee, Sowjetkommandanten des Gutes Alt Demwies im ehemaligen Fürstentum Ratzeburg. Im Sommer 1946 treten sie (nach einem dreiwöchigen Interim mit dem ungenannten »Platzhalter«) die Nachfolge von K.A. Pontij als Stadtkommandanten von Jerichow an.

1126 Als Kommandanten von Gut Alt Demwies sind sie die Vorgesetzten des als Gutsverwalter eingesetzten Albert Papenbrock. Sie haben seinen Namen nicht verstanden und nennen ihn den »Popen«.

1329-1330 Die »Zwillinge« bleiben von allen Stadtkommandanten Jerichows am längsten. Sie treten wie Herren auf. »Sie hätten recht gut welche von den Plessens sein können. Gutsbesitzer von Adel, und wie einmal die Plessens verwalteten sie Jerichow. Nicht vor neun gemeinsames Frühstück, beiden wurde vom eigenen Diener serviert, Leinen und Silber auf dem Tisch, Bestrafung für den geringsten Fleck. Um zehn Uhr Ausfahrt zum Rathaus, regieren. Den Bürgermeister hielten die in einer Aktenkammer, da durfte er unterschreiben, in seinem Zimmer saßen sie, auch hinter dem Schreibtisch gemeinsam, Deutsche hatten drei Schritt Abstand zu halten, wie ehedem die Tagelöhner von der gnädigen Familie. Gleichmäßige Laune, niemals Tobsucht, niemals Schnaps. Keinen Schritt gingen die in der Stadt zu Fuß. Brüder waren sie nicht, das wußte Jerichow als einzige private Bewandtnis von ihnen, sogar Ähnlichkeit fehlte ihnen, das Gerücht kaute an ihrem Spitznamen und bekam ihn nicht heraus.«

Sie ekeln sich vor den Deutschen. Die Bälle in Louise Papenbrocks Saal hören unter ihrem Regiment auf. Kinder scheuchen sie weg »wie Federvieh«. Erhöhen den Zaun um die Kommandantur um zwei Fuß.

»Am Feierabend, immer noch in faltenloser Uniform, die gebügelten Mützen auf dem Kopf, ritten die Herren Wendennych aus, zu den Rehbergen hin, bei dieser Gelegenheit ohne Adjutanten. Von zehn bis elf hörten wir noch die Schallplattenmusik mit, Tschaikowski, Mussorgski, Glinka, Brahms.«

1412-1414 Sie bereiten Landrat Gerd Schumann, der auf seiner Wahlreise im Oktober 1946 nach Jerichow kommt und sich über die ungenügende Vorbereitung seines Wahlauftritts beschweren will, einen unsanften Empfang, nehmen ihm die Waffe ab und verlangen von ihm seine Wahlrede in Stichworten, bevor sie ihn auftreten lassen.

1531-1532 Sie lassen nach Cresspahls Maschinen und Werkzeugen suchen, die nach dessen Verhaftung verschwunden sind, und stellen fest, dass K.A. Pontij und sein Assistent Leutnant Vassarion dabei ihre Hände im Spiel gehabt haben müssen. Bei einem Brand in der Ziegelei sorgen sie dafür, dass Cresspahls Wohnhaus verschont bleibt.

1606 Wenn sie »über Land fahren wollten als herrscherliche Reussen«, fahren sie über Wehrlich, um Anita Gantlik als Dolmetscherin mitzunehmen. Als Vergütung bekommt sie einen Bezugsschein für ein Fahrrad. Sie sorgen außerdem dafür, dass Anita im Herbst 1948 ihre Unterkunft bei dem ausbeuterischen Bauern in Wehrlich verlassen kann und ein Zimmer in Gneez (in der Wohnung von Frau Dr. Weidling) bekommt.

1615 Sie besuchen Anita im Sommer 1949 im Krankenhaus, »Konfekt zu überreichen und einen Band Gedichte von Alexandr Blok«.

Vgl. auch 1279. 1420. 1602. 1612.

Wendisch Burg

Fiktive Stadt in der Mecklenburgischen Seenplatte, die man mit der Eisenbahn »auf einer südwestlichen Nebenstrecke« erreicht (728). In Wendisch Burg ist D. E. aufgewachsen und zur Schule gegangen wie später auch Klaus Niebuhr und Ingrid Babendererde. In der Nähe liegt die Havelschleuse, an der Martin und Gertrud Niebuhr wohnen. Aus Wendisch Burg stammt auch Hanna Ohlerich.

975-979 Die Geschichte der Einnahme der Stadt durch die Rote Armee im April 1945: Sie wird in der »Neufassung der Geschichte der Stadt Wendisch Burg, zum 800. Jahrestag der Gründung 1965 herausgegeben von der Kommission für die Jubiläumsfeierlichkeiten bei der Bezirksleitung der Sozialistischen Einheitspartei«, ganz anders erzählt als Heinrich Cresspahl sie zu erzählen weiß. In seiner Fassung waren es nicht zwei ruhmreiche Mitglieder der KPD, später SED, die die Stadt vor einem Bombardement gerettet haben, sondern es war sein Schwager Martin Niebuhr, der, um die Havelschleuse vor einer Sprengung durch die SS zu bewahren, mit der ersten Schleuse bei Wendisch Burg telefoniert und dann nicht den Schleusenwärter Ewert, sondern einen Offizier der Roten Armee an der Strippe hat, dem er alle nötigen Informationen für eine kampflose Einnahme der Stadt gibt.

Vgl. die Auflistung aller Fundorte im Register des Jahrestage-Kommentars. – Wendisch Burg ist der Hauptschauplatz in »Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953« (posth. 1985). – Zu den möglichen realen Vorbildern (Krakow, Güstrow, Wesenberg) vgl. Jahrestage-Kommentar zu 9, 29.

Wes

Besitzer einer irischen Bar in New York, Dritte Avenue, die zu D.E.'s Stammlokalen gehört.

905-908 Am Abend des 23. März 1968 nimmt D.E. Gesine in die Bar mit und stellt sie Wes vor. Es folgt eine ausführliche Charakterisierung der Figur, ihrer Hantierungen mit den Getränken, ihres Umgangs mit den Gästen.

971-972 Am 9. April 1968 essen Gesine und Marie Cresspahl bei Wes zu Mittag. Er erkennt sie nicht, »und Marie fragte nicht, warum wir diesen Laden besucht haben«.

1744 Am 6. August 1968, nachdem Gesine die Nachricht von D.E.'s Tod erhalten hat, geht sie in Wes' Bar. Anstelle eines Drinks besorgt er ihr ein Taxi.

1746-1748 Am nächsten Tag geht sie erneut zu Wes, um dort den letzten Brief von D.E. zu lesen. »Hier hat D.E. Stücke seines Lebens verbracht, die er mochte. Hier waren wir zusammen. Hier ist der beste Platz, den Brief aus Finnland noch einmal zu lesen.« Wes bewirtet sie auf Kosten des Hauses.

Weserich, Mathias

Diplomierter Germanist von der Universität Leipzig, absolviert im Schuljahr 1950/51 ein Praktikum an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez, übernimmt den Deutschunterricht in Gesine Cresspahls Klasse Elf A Zwei. 

1681-1882 Sein Gruß nach der Vorstellung durch den neuen Direktor Kramritz »fiel aus wie ein Diener vom Nacken her, mit einem fast viereckig aufgerissenen Mund voller knallweißer Zähne«. Er ist kriegsversehrt, »noch ein Humpelmann«.

1694 Gesine Cresspahl und Pius Pagenkopf kennen Weserich schon von einem zufälligen Treffen am Stadtsee in den Ferien, wo er sich auf einer Bank seine Beinprothese richtet. Er entschuldigt sich für den erschreckenden Anblick. »Das wäre das: sagte er gelassen, als er sich von der Bank ins Stehen drückte. – Für Führer und Reich; geglaubt hab ich's auch: fügte er hinzu, anheim stellend, voll Vertrauen auf unsere diplomatischen Künste.«

1694-1705 Er liest mit der Klasse Fontanes »Schach von Wuthenow«. Da es keine Ausgabe des Romans gibt, organisieren die Schüler vervielfältigte Abschriften, die ihnen Mitte September zur Verfügung stehen. Weserich nötigt sie zu höchst genauer Lektüre. Die Klasse benötigt bei vier Wochenstunden Deutsch »für die ersten sechs Seiten der Erzählung an die drei Wochen«, was Weserich nicht ungewöhnlich findet. »Uns läuft die Zeit davon! rief er aus, und es war später Oktober, und wir standen im zweiten Kapitel.« Die Lektüre zieht sich bis Ostern 1951 hin.

1705-1707 Die Arbeit an der Erzählung nimmt ein jähes Ende, als Dieter Lockenvitz nach den Osterferien eine Zeitschrift mitbringt, »die Botschaft der ostdeutschen Staatskultur an den Rest der Welt« (d. i. die Zeitschrift »Sinn und Form«), in der »der amtierende Fachmann für sozialistische Theorie in der Literatur« (d. i. Georg Lukács) einen Aufsatz über »Schach von Wuthenow« veröffentlicht hat, der Weserichs akribische Arbeit zunichte macht mit der Behauptung, die Erzählung sei ein bloßes »Geschenk des Zufalls«. Weserich bleibt der Schule für eine Woche fern. »Der zurückkam, dem waren wir widerlich.« Er setzt die »Schach«-Lektüre ab, für den Rest des Schuljahres »raste er mit dieser Klasse durch den Roman ›Frau Jenny Treibel‹« und lässt sich nicht mehr auf Gespräche ein. »Der Ofen war aus«.

Der geknickte Lockenvitz schreibt einen zwanzigseitigen Aufsatz über »Schach von Wuthenow« und schickt ihn Weserich nach Leipzig nach. Er bekommt keine Antwort.

Einige Zeit später erscheint Weserichs Dissertation über »Schach von Wuthenow«, sie »wurde in Göttingen gedruckt, jenseits der Grenze«.

Gesines Resümee: »wir hatten bei ihm das Deutsche lesen gelernt.«

Vgl. auch 1710.

Westmoreland, William C.

General der U.S. Army (1914-2005). Oberbefehlshaber der Truppen in Vietnam 1964-1968.

90 »In Viet Nam fallen mehr Amerikaner als Südstaatsoldaten, und General Westmoreland hat mehr davon bestellt.«

335 Am 22. November 1968 meldet die New York Times: »Der Oberbefehlshaber der U.S.A. in Viet Nam, General William C. Westmoreland, hat dem Viet Cong ein stetiges Abnehmen der Kampfkraft vorausgesagt, mochte aber keinen militärischen Sieg ›im klassischen Sinne‹ ankündigen«.

Vgl. auch 40. 878.

Westphal, Julie (Jule)

Organistin in Jerichow, Lehrerin für Mathematik am Gustav Adolf-Lyzeum in Gneez, später für Musik an der Fritz Reuter-Oberschule in Gneez.

316 Spielt beim Gottesdienst am 19. März 1933, Gesines Tauftag, in der Jerichower Petrikirche. Unter »den verschlafenen Orgelklängen« am Ende des Gottesdienstes blieben einige Besucher zur anschließenden Taufe sitzen.

386 Der Schülerin Cresspahl attestiert sie eine Stimme wie »ein Glas mit einem winzigen Sprung«.

762 Bei Lisbeths Cresspahls Beerdigung im November 1938 sagt sie voraus, dass Pastor Brüshaver nicht den Mut haben wird, am Grab der Selbstmörderin den Segen zu sprechen: »Den Segen traut er sich nich. Den traut er sich nich.« Sie bekommt zur Antwort: »Wer sich hier nichs traut, bist du, Julie.«

934-935 Eine Ohrfeige, die sie Gesine gibt, weil sie das Rechenheft vergessen hat, kränkt Gesine »heute noch, und, und ich will sie Julie Westphal nicht vergeben. Sie hat nicht verstanden, es mir zu erklären: warum keine Hefte vergessen werden dürfen. Ich hatte bloß Angst vor ihr, nicht Achtung.« – Wird »nicht durch Verdienst, sondern wegen des Lehrermangels« von Jerichow nach Gneez versetzt.

1251 Unter sowjetischer Besatzung tritt sie gar nicht erst als Lehrerin an. Ist ab Juli 1945 zweite Vorsitzende des »Kulturbunds« in Gneez. »Da gab sie musikalische Abende mit Sprüchen aus dem siebzehnten Jahrhundert, sie soll von innen heraus zerflossen sein am Flügel, den Hals hoch wie ein schluckendes Huhn, und Karten für Schwerarbeiter bezog sie als Künstlerin.«

1629 Lässt sich dann 1949 doch noch ausbilden »für den Beruf eines Neuen Lehrers«.

1631 Bei der Schulfeier zu Stalins 70. Geburtstag am 21. Dezember 1949 übernimmt sie die Choreographie der Rezitationen und dirigiert einen Mädchenchor aus Schülerinnen der 9. und 10. Klasse mit einem sentimentalen Lied. »Julie Westphal, von starrer Innigkeit beengt in den Augenhöhlen, die Stirn mit steinernen Fransen verhängt, bebenden Busens in männlich geschnittenem Jackett, die Olsch auf der schlimmen Seite der Fünfzig hatte in Güstrow sich verjüngen lassen in künstlerischer Leitung«.

1815 Gesine Cresspahl bekommt von ihr eine Zwei in Musik, unter anderem weil ihr von Gabriel Manfras zugetragen worden ist, dass Gesine eine ihrer »Lehrmeinungen« als »dumm Tüch« [dummes Zeug] bezeichnet hat. Diese »Lehrmeinung« besagt, dass das Lied »Der Mond ist aufgegangen« aus dem Repertoire der »demokratischen Musikpflege« verschwinden müsse, weil die »Bitte, auch unser kranker Nachbar möge ruhig schlafen dürfen [...] die ideologische Wachsamkeit des klassenbewußten Menschen unterhöhle, indem der Nachbar durchaus ein getarnter Volksfeind sein könne, den ruhig schlafen zu lassen ein Vergehen wäre«.

Vgl. auch 1659.

Widmann, Albert

Dr. Ing., Chemiker, SS-Sturmbannführer (1912-1984). Entwickelte für die »Aktion T4« (Euthanasieprogramm) und vergleichbare Programme in den besetzten Gebieten Techniken der Vergasung. 1959 verhaftet, 1961 zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, die 1962 in einem Revisionsurteil zu dreieinhalb Jahren geändert wurden. Ein weiterer Prozess vor dem Landgericht Stuttgart führte am 15. September 1967 zu einer Verurteilung zu sechseinhalb Jahren Gefängnis, deren Verbüßung gegen Zahlung von 4000 DM ausgesetzt wurde.

90 In der New York Times vom 14. September 1967 ist einer »der Erfinder der Gaskammer, ein deutscher fetter Mittfünfziger, [...] beim Betreten des Anklagepodiums in Stuttgart zu sehen«.

92 Die New York Times vom 16. September 1967 meldet, dass der »deutsche Chemiker Albert Widmann, beteiligt an Bau und Erprobung fahrbarer Gaskammern«, in Stuttgart freigelassen worden ist.

Wiebering, Dr.

Paul Wiebering (1881-1966), bis 1945 Direktor der Mecklenburgischen Hypotheken- und Wechselbank, 1945-50 Leiter der neuen Landesbank Mecklenburg.

1378 Der wirtschaftliche Wiederaufbau in der Sowjetischen Besatzungszone nach 1945 aus der Sicht des Landrats Gerd Schumann: »Damit nicht genug, du mußt vorerst Bürgerliche in die Verwaltung lassen, da genügt schon, daß sie wenigstens nicht in der Nazipartei waren, daß sie einmal eingesperrt waren wegen eines verweigerten Hitlergrußes; zu oft ist noch wichtiger, daß sie etwas vom Wirtschaften verstehen. Der Präsident der Landesbank Mecklenburg-Vorpommern ist Dr. Wiebering, bürgerlicher Antifaschist, ja, Vizepräsident ist Forgbert, Kommunist, der soll das Bankgeschäft erst noch lernen. Wird er das?«

Vgl. Jahrestage-Kommentar zu 1378,14.

Wiederholung

Reflexionen über die Wirkung von Wiederholungen auf Gemüt und Bewusstsein kehren über den Roman verteilt in verschiedenen Zusammenhängen wieder.

85-86 Cresspahls Werbung um Lisbeth: »Cresspahl muß sich geekelt haben vor der Wiederholung. Mit sechzehn Jahren ja, da konnte die Welt noch zugestellt werden von der Nähe, dem Atem, dem Blick, dem Hautgefühl, der Stimme eines Mädchens [...]; aber 1931, in Jerichow bei Gneez, mit 43 Jahren? Ist nicht die Wiederholung unerträglich: daß immer wieder das Bedürfnis nach einer Person das Bewußtsein wie zum ersten Mal nach dem alten Raster preßt, daß längst ausgedachte Empfindung wiederkehrt wie frisch, daß die Vorstellung unermüdet von neuem die bloße Außenseite einer Person ausdeutet und ausbaut zu allen denkbaren Entsprechungen zwischen ihr und ihm, daß die Leerstellen in der wirklichen Person ungewarnt verdeckt werden von dem Bild der Person, daß der Herzschlag anzieht nur bei ihrem Anblick so lebensängstlich wie nur beim Anblick einer anderen Person schon vor fünf, vor zwölf, vor achtundzwanzig Jahren, als wäre hier unerhörte Wirklichkeit zu entdecken, noch nie Berührtes, noch nie Gefühltes? er muß sich vergessen haben.«

521 »Erblindung durch Wiederholung. Man heißt in einem Laden Antipasto, im anderen Gauloise, in noch einem Kaffee, schwarz, groß.«

913-1915 »Wie oft noch mauert Hoffnung sich ein Fundament aus nichts als rationalen Bausteinen und spart mit irrationalen Wänden den Raum aus, in dem später die Enttäuschung bequeme Wohnung findet. Warum macht Wiederholung nicht feuerfest. Kinder unterhalten sich mit der Wiederholung, eben da sie nicht vollständig gelingt. Das Neue ist noch nicht das Gleiche. Das Gleiche sollen sie, wollen sie so dringend erlernen: einen Löffel, eine Miene, ein Leben so halten wie die Erwachsenen, die über die Abweichungen lachen können: sie versprechen noch andere Möglichkeit als die der Wiederholung. [...] Die Wiederholung spart am Bewußtsein, daß es verhungert. [...] Wann wird Marie festgehalten sein in der Wiederholung? Wie oft noch einmal?«

Vgl. auch 63. 344. 917. 1408.

Williams, Amanda

Kollegin von Gesine Cresspahl; Leiterin des Schreibzentrums im 11. Stock der Bank.

287-291 Am Abend des 13. November 1967 nehmen Gesine Cresspahl und Amanda Williams denselben Bus für die Heimfahrt, die zum Anlass genommen wird für eine Einführung der Figur.

Amandas unerschöpfliche Freundlichkeit: »Der ganze Tag seit dem frühen Morgen hat ihre Gefälligkeit nicht aushungern können; so wie sie von neun Uhr bis zum Dienstschluß jeden Besucher der Abteilung und durchreisende Vizepräsidenten mit ausbrechender oder gedämpfter Freude begrüßt hat, läuft noch nun wiederkehrendes Lächeln über ihr bloß achtundzwanzigjähriges Gesicht wie eine eingefahrene Gewohnheit, wie ein fortwährend aufgezogener Vorhang, dessen Bewegung in den Anfang zurückspringt, sobald der Anblick der unverstellten Bühne bevorgestanden hätte.« – »Ihre Freundlichkeit ist nicht achtlos.« 

Ihre Tätigkeit: Arbeitet seit eineinhalb Jahren in der Bank. Leitet das Schreibzentrum. »Sie schreibt für Mrs. Cresspahl, sie verteilt selbst Aufträge an ihre Typistinnen; sie verhandelt nach allen Seiten in den Formen der Bitte und gegenseitigen Beratung, außer mit den männlichen Chefs der Abteilung.«

Ihr Umgang mit Privatheit: »Auf Mitteilungen aus dem privaten Leben ist sie so begierig wie sie aus dem eigenen berichtet: mit Maßen, fino a un certo punto.« – »Sie weiß von Mrs. Cresspahl den tatsächlichen Familienstand und gibt ihr vor Dritten den Titel der Verheirateten wie einen Schutz, sie richtet ihr die Einladungen ganz unterschiedlicher Herren zum Mittagessen aus in einer amüsierten Art, der nicht einmal Neugier anzumerken ist, geschweige denn Billigung«.

Ihr Privatleben: »Sie kommt aus einer der Bungalowhorden in der Nähe von St. Paul, sie erzählt von Wintern in Minnesota; sie fliegt zur Beerdigung ihres Vaters und erwähnt den Zwischenfall drei Monate später beiläufig, so daß sie dem Gefühl Fremder entgangen ist. Sie hat einen Studenten geheiratet, der für die städtische Polizei als Psychologe beschäftigt ist; versehentlich hat sie eine Anstellung bei der Polizei empfohlen als ein Mittel gegen die Einziehung zum Krieg in Viet Nam. Sie arbeitet als Chefsekretärin nur, um ihre Wohnung in der Bleeker [recte: Bleecker] Street vollends in skandinavischem Stil auszustatten, oder für die nächste Sommerreise nach Südeuropa; sie würde nicht zugeben, daß sie an eigene Kinder nicht denken mag ohne eine ausreichende Rücklage.«

Ihre Erscheinung: »Die Umstehenden erholen sich an ihrer unermüdlichen, noch mädchenhaften Stimme, billigen ihr kesses Mundwerk, betrachten bedächtig oder mit offenem Bedauern ihre festen, üppigen Beine, dann ihre ausgiebigen Formen in dem engen, soldatischen Mantel, zuletzt ihr weiträumiges, halbwaches Gesicht, das für einfach versteht, wer die gelegentliche Straffung der Lippen, die Verengerung der Augen auf einen einzigen Punkt verpaßt. In der Freundlichkeit, die sie erzeugt, haben mehr Platz als nur sie allein.«

Gesines (vorläufiges) Resümee: »Ist sie keine Freundin? Bitte sie um Geld, und sie wird nachsehen, für wie lange sie es entbehren kann. Lade sie an deinen Tisch, sie wird dir Freude zeigen und nicht Verdruß über den lästigen Verlust an Zeit, bis sie gegangen ist. Packe ihr Besorgungen auf, sie wird jede Mühe abstreiten. Verlang von ihr, für dich zu lügen: sie wird es tun. Woher kommt die Gewißheit, daß wir nur Sprache zwischen uns haben, und nicht Verständigung? Wie ist es möglich, daß da etwas fehlt?«

695-696 Ist entsetzt über die im Nachrichtenmagazin Time vom 9. Februar 1968 veröffentlichten Fotografien von Toten nach dem Überfall auf die amerikanische Botschaft in Saigon.

716 Sorgt am 13. Februar 1968 mit zahlreichen Telefonaten dafür, dass die Pannen bei Gesines Umzug in den 16. Stock in Ordnung gebracht werden. »Die Aufregung hatte ihr wohlgetan. Sie sprach nun mit ganz tiefer Stimme, fühlte sich angenehm durchblutet, schob genußvoll mit beiden Händen ihr[e] schwarzen Haarwolken zurecht. [...] nun konnte sie sagen: Du wirst mir fehlen, Mrs. Cresspahl.«

821 Nach dem Umzug im März 1968: »Amanda war einmal hier, um Umzug und Einrichtung zu beaufsichtigen, sie nannte das neue Büro herrschaftlich, sie ist nicht wieder gekommen.«

1244-1265 Ende Mai 1968 verbringen Gesine und Marie Cresspahl mit Naomi und Clarissa Prince und Amanda Williams ein Ferienwochenende am Sund von Long Island. Beim Frühstück stellen die drei Frauen sich vor, wie »wir alle leben könnten in diesem Haus an der See«. Meinungsverschiedenheiten über die Organisation einer solchen Wohngemeinschaft und Gesines bevorstehende Pragreise stören das Gedankenspiel, und zuletzt sitzen die Drei stumm am Tisch, »von Freundlichkeit gerührt bis zu Feuchtigkeit in den Augenwinkeln, von Enttäuschung gereizt bis zur Wut«. Sie reisen früher als nötig nach New York zurück.»Amanda, unsere Amanda Williams, die Blickfreude, das Entzücken und der Schrecken einzeln reisender Herren, sie versteckte sich noch mit einer schwarzen Spiegelbrille in der halben Dunkelheit, brütete über Nichtgesagtem,
die Lippen aufgeworfen, als ahme sie ein schmollendes Kind nach.« – Amandas Ehe ist am Ende.

1335-1338 Am 10. Juni 1968 kommt Amanda in erschöpftem Zustand in Gesine Cresspahls Büro im 16. Stock, um sich auszuweinen. Sie hat sich mit ihrem Mann versöhnt, was sie für einen Fehler hält, und glaubt, schwanger zu sein. Sie schläft auf Gesines Besuchersofa bis zum Mittag. Beide verbringen den restlichen Tag zusammen. »Geld für eine Abtreibung wollte sie nicht geliehen haben. Nicht von Mrs. Cresspahl. Mehr als Mrs. Cresspahl könne keine beste Freundin für die andere tun.«

1564 Amanda wird bei einer Ehrung der Angestellten der Bank ausgezeichnet, und »zum ersten Mal klatscht der Saal einmütig, ihr ist es gegönnt, und als Amanda an Naomis Seite zurückkehrt, lächelt sie schon versöhnlich im Begreifen, wozu ihr die fünfhundert Dollar Beigabe helfen werden in der Schwangerschaft«.

Vgl. auch 36. 55. 61. 84. 162. 212. 323. 330. 369. 421. 477. 700. 714. 817. 822. 1392.

Williams, David

Freund von Marie Cresspahl im Kindergarten in New York.

24 Marie zählt ihn zu ihren besten Freunden.

1483 Die vierjährige Marie beeindruckte David mit Erzählungen von ihren Reisen in ihr Traumland Cydamonoe. »Du fliegst dahin?« fragte er, »ganz steif im Gesicht von der Meinung, dies ausländische Kind wolle ihn hereinlegen [...]. – Durch das Fensterglas –? faßte er nach, noch bereit, sie mit Gelächter zum Krüppel zu machen.« Aber auch David »kannte an sich Fähigkeiten, die waren Niemandem bewußt als ihm. Er nickte ernst und sagte: Ach so. [...] David Williams wurde ein Freund des Hauses Cresspahl.«

Vgl. auch 436. 487. 1488.

Winnie-the-Pooh

Kinderbuch von Alan Alexander Milne, zuerst 1926, erste deutsche Übersetzung (»Pu der Bär«) 1928.

455-456 Gesine Cresspahl bekommt das Buch 1939 (Ausgabe 1938) von ihrer Tante Hilde Paepcke geschenkt. 1959 hat sie ihrer Tochter Marie daraus vorgelesen.

Winse, Frau

1274 Mitglied von Johnny Schlegels »Kommune«.

1843 Nach Johnny Schlegels Verhaftung und Verurteilung im Frühjahr 1953 flieht sie mit den meisten anderen Mitgliedern der Kommune in ein Flüchtlingslager nach Westberlin.

Vgl. auch 1848.

Wismar

Hafen- und Hansestadt an der Ostsee in Mecklenburg, am südlichen Ende der Wismarer Bucht, etwa 30 km nördlich von Schwerin und auf halber Strecke zwischen Lübeck und Rostock gelegen.

30 Zwischen Lübeck und Wismar, »einwärts der Ostsee«, liegt Jerichow.

305 In Wismar ist Rechtsanwalt Avenarius Kollmorgen zur Schule gegangen.

858 In der Wismarer Papierfabrik rebelliert im März 1941 ein polnischer Zwangsarbeiter und flüchtet über das Eis der Wismarschen Bucht.

986 Die Einnahme des westlichen Mecklenburg durch die Engländer im April/Mai 1945: »Die 6. Luftlandedivision kam am 2. Mai durch Gneez und beeilte sich in Richtung Wismar. Nach Jerichow schickten die ein paar Mann auf Lastwagen.«

995-996 Die Irrfahrt des Kutters von Hanna Ohlerichs Onkel im Mai 1945 endet im Wismarer Hafen.

1243 »Wenn Jerichow zum Westen gekommen wäre«: »Freunde in Wismar müßten über 65 sein, um Leute in Jerichow zu besuchen.«

1377 Genosse Gerd Schumann rechtfertigt im Sommer 1946 die sowjetischen Demontagen, obwohl Mecklenburg dadurch »seine proletarischen Zentren in Rostock und Wismar« verliert.

1398 Genosse Gerd Schumann rühmt die brüderliche Hilfe der Sowjetunion: Bei der Erweiterung der Wismarer Hansawerft um das Gelände der ehemaligen Dornierwerke schafft sie »Werftausrüstungen aus Szczecin« (Stettin) herbei.

1728 Im November 1950 wird auf der Wismarer Werft ein Bruder von Frau Lockenvitz verhaftet, »Anklage auf Sabotage, Spionage«.

1777 Schüler der Elf A Zwei über Gauleiter Hildebrandt: Es geht das Gerücht, dass er 1945 »auf freier Feldmark bei Wismar« erschossen worden sei; Gesine Cresspahl weiß von ihrem Vater, dass er 1948 in Landsberg hingerichtet wurde.

1862-1863 Im Jahr 1954 feiert die »See- und Handelsstadt Wismar« ihren 725. Geburtstag. Heinrich Cresspahl schickt seiner Tochter im Westen die Festschrift, »ein dickes Heft auf Kunstdruckpapier mit viel berichtigter Geschichte«.

Vgl. die vollständige Auflistung der Fundstellen im Register des Jahrestage-Kommentars.

Witte, Alma

Inhaberin des Hotels Stadt Hamburg in Gneez.

745 Die auf Lisbeth Cresspahls Tod folgende Nacht vom 10. auf den 11. November 1938 verbringt Heinrich Cresspahl im Hotel Stadt Hamburg, beobachtet von Kriminalkommissar Vick. »Was Cresspahl aufs Zimmer bestellte, erfuhr Vick nicht, weil Alma Witte sich nicht einschüchtern ließ.«

935-936 Von 1943 an ist Gesine Cresspahl Fahrschülerin, besucht das Gustaf Adolf-Lyzeum in Gneez und isst in Alma Wittes Hotel Stadt Hamburg zu Mittag: »Pünktlich war ich im Hotel Stadt Hamburg, wo Elise Bock mir das Stammessen (ohne Marken) hinsetzte.« Das Essen »war nicht so gut wie auf dem Fliegerhorst, aber ich war doch Gast in einem Hotel.«

1343 Nach dem Krieg wird das Hotel beschlagnahmt, die Privatwohnung im obersten Stock bleibt Alma Witte erhalten. Dort lässt sie Slata mit ihrem Sohn Fedja wohnen.

1344 Slatas Verhaftung im Herbst 1945 verstört Alma Witte nachhaltig. Sie zeigt Gesine Cresspahl, die sie zufällig an diesem Tag besucht, wortlos die durchwühlten Zimmer; unfähig zu sprechen, macht sie sich mit Deutbewegungen ihres »lahmen Fingers« verständlich.

1345 Durch Slatas Verhaftung »hatte Frau Witte etwas verloren. Das war Fedja, der zu ihr hatte Oma sagen lernen [...]. Verloren hatte sie die Mutter zu dem Kind.«

1346-1347 »Verloren hatte Alma Witte noch, was die Bürger Stolz nennen. Es braucht mehr als Tüchtigkeit, in einer mecklenburgischen Landstadt ein Hotel auf dem zweiten Platz nach dem Erbgroßherzog zu halten, in deutlichem Abstand von den anderen. Bei ihr hatte das Landgericht gesessen, die Herren vom Gymnasium, die Reichswehr aus gutem Hause. Wenn sie abends durch den Speisesaal ging, waren die Herren aufgestanden zur Begrüßung. [...] Frau Witte, ob sie nun leutseliges oder ergebenes Betragen für angemessen hielt, angemessen fiel es aus. Nur, alle ihre Schicklichkeit war darauf angewiesen, daß sie galt, anerkannt wurde, erwidert. Solche Partnerschaft war ihr durch den Überfall in ihrer Wohnung abgeschafft, sie vertraute nicht mehr auf den Austausch gleicher Manieren, die Verabredung auf hergebrachte Formen.« – »Frau Witte wurde nicht wieder, bis aufs Äußere.«

1348-1349 Bei einem Zwischenfall mit einem im Eingang des Hotels randalierenden Rotarmisten überfällt sie dieselbe Starre wie bei Slatas Verhaftung, wieder kann sie sich nur mit ihrem »gelähmten Zeigefinger« verständigen. Sie verzichtet auf eine Anzeige, sie »war nicht ängstlich geworden, nicht schadenfroh. Nur den Stolz, den hatte sie eingebüßt.«

1375 Seit dem Sommer 1945 wohnt Gerd Schumann in Alma Wittes Hotel.

1382 Schumann hat in seinem Zimmer bei Alma Witte noch 1946 ein Foto hängen, auf dem Slata mit dem Kommandanten Jenudkidse und dessen Adjutant zu sehen ist. Alma Witte zeigt es Gesine »zum Zeichen, daß er tapfer war. Damit ich keine dummen Bemerkungen machte, wenn er an uns vorbeiging. Auch sie wollte mich erziehen. Ich sollte einsehen, daß so einer einen Kummer haben kann wie ein gewöhnlicher Mensch.«

1428 Im Schuljahr 1946/47: Wenn die Züge nach Jerichow ausfallen, übernachtet Gesine bei Alma Witte »in dem Zimmer, aus dem Slata verlorengegangen war«.

Anhang X Cresspahls Erinnerungen: »Später habe er sich Alma Witte, Hotel Stadt Hamburg in Gneez, erkenntlich zeigen müssen für die Beköstigung des Kindes über Mittag.«

Vgl. auch 1351. 1397. 1434. 1435. 1475. 1682.

Wittenberg, Harry

Ein Freund von D.E., Mitglied im »Club der Carola Neher«.

340 »Der andere lebt in England, Prof. Dr. Dr. Harry Wittenberg, aus einer jüdischen Familie, die 1934 aus dem Deutschland der Nazis floh; der in D.E.'s Testament genannt ist.«

Wohl, Wieme

Arbeiterin in der Fischfabrik Gneez nach dem Krieg.

1461-1462 Will Leslie Danzmann helfen, ein bisschen Fisch aus der Fabrik mitgehen zu lassen. »Wieme Wohl aus dem Dänschenhagen, stadtbekannt, die hatte mehr als einmal zum Arbeitsschluß gesagt, vor der Taschenkontrolle: Du, Danzmann, komm her, hier hast'n Aal. Bind ihn dir um den Bauch. Wenn dich das ekelt, mach ich dir das. Is doch bloß für zehn Minuten, Danzmann! Nu sei doch nich so stolz ... Die Danzmann war fest geblieben.«

1685 Als Bettina Selbich nach ihrer Absetzung als kommissarische Leiterin der Fritz Reuter-Oberschule in ein Zimmer im Dänschenhagen zieht, wird sie »von ihrer Parteigruppe belobt für Annäherung zur Arbeiterschaft und hatte Angst vor Wieme Wohl«.

Wohlenberger Wiek

Westlicher Teil der Wismarbucht.

1114 Die Toten der im Mai 1945 versenkten Cap Arcona werden noch bis in die Wohlenberger Wiek an den Strand gespült.

Vgl. auch 1511. 1552.

Wolff, Helen

Verlegerin (1906-1994), Witwe von Kurt Wolff, Johnsons Verlegerin in USA.

4 Ihr und Peter Suhrkamp ist der Roman gewidmet: »Peter Suhrkamp / Helen Wolff / Sollen bedankt sein«.

Wollenberg, Gerda

942 Leslie Danzmann in ihrem Brief an Gesine vom März 1968: »Wenn sie Gerda Wollenberg verknacken, weil sie mit einer Reisegenehmigung für Westdeutschland nach Italien fährt; hätt sie doch wissen sollen. Was soll ich Angst vor Schafen haben, wenn mir ein Hund in der Tasche sitzt.«

Ob und wie Gerda Wollenberg mit Heinz und Lise Wollenberg zusammenhängt, ist nicht ersichtlich. Von Lise Wollenbergs Mutter ist nur einmal als »Frau Wollenberg« die Rede (1462).

Wollenberg, Heinz

Inhaber einer Handlung für Eisenwaren und landwirtschaftlichen Bedarf in Jerichow, Vater von Lise Wollenberg.

31 Sein Eisenwarenlager befindet sich am Marktplatz in Jerichow.

778 Gilt 1949 »noch als Stütze der Gesellschaft«.

1207 Als am 1. Oktober 1945 der Schulunterricht wieder aufgenommen wird, hält er seine Tochter Lise zu Höflichkeit gegenüber Gesine Cresspahl an, weil Cresspahl nun Bürgermeister ist.

1240 »Wenn Jerichow zum Westen gekommen wäre«: »Zwar, bei Wollenberg könnte man immer noch Dochte und Zylinder für Petroleumlampen kaufen, Zentrifugenfilter, Kutschpeitschen, Achsenfett und jene Kette, auf die die Kuh tritt, so daß sie nicht davonlaufen kann, wenn die Bauern im Gran Turismo-Wagen zum Melken angefahren kommen. Und beim Kauf würde gehandelt, das wäre geblieben.«

1559 Schickt seine Tochter 1948 in die »Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion [...] der wollte sich noch anderswo absichern als in der L.D.P.D.«.

1560 Nach den Weihnachtsferien (1948) »fand Heinz Wollenberg es doch unter der Würde eines Geschäftsmannes, seine einzige Tochter morgens wie mittags auf dem schmutzigen, kalten Zug zu wissen; für Leute vom Schlage der Wollenbergs fand das Wohnungsamt in Gneez ein Zimmer für Lise, bei einer ›Verwandten‹«.

Vgl. auch 1267. 1402. 1627.

Wollenberg, Lise

Tochter von Heinz Wollenberg in Jerichow; Mitschülerin von Gesine Cresspahl im Gustaf Adolf-Lyzeum in Gneez, an der Gneezer Brückenschule und an der Fritz Reuter-Oberschule.

778 Junglehrer Knick, Nachfolger von Frau Dr. Weidling an der Fritz Reuter-Oberschule, entschuldigt sich bei Lise für einen Wutanfall, den er auf eine kesse Bemerkung von ihr bekommt. »Heinz Wollenberg galt noch als Stütze der Gesellschaft, und Lise bekam von dem jungen Mann die Entschuldigung für seinen Wutausbruch.«

935 Geht gemeinsam mit Gesine Cresspahl von 1943 an ins Gustaf Adolf-Lyzeum in Gneez. Ihretwegen kann Gesine Verspätungen nicht auf den Zug schieben, »denn Lise Wollenberg war auch damit und pünktlich gekommen«.

963 Im Januar 1945 geht Lise Wollenberg »durch den ganzen Zug und suchte nach einer gewissenlos weggeworfenen Kippe für ihren Vater, denn auf die Raucherkarten hatte es wieder nur 10 Zigaretten auf sechs Abschnitte gegeben«.

1207 Als am 1. Oktober 1945 der Schulunterricht wieder aufgenommen wird, hält ihr Vater sie zu Höflichkeit gegenüber Gesine Cresspahl an, weil Cresspahl nun Bürgermeister ist.

1332 An der Gneezer Brückenschule 1947 wird sie verpetzt, weil sie über den Scheitel in Stalins Oberlippenbart gelacht hat: »ihr Schreck war Strafe genug, sie bekam eine Fünf in Russisch und eine Fünf in Betragen.«

1462 Geht mit Gesine Cresspahl im Frühjahr 1947 in die Tanzstunde von Herrn Knaak im Hotel Sonne in Gneez. Bei den Jungen heißen die beiden »die Helle und die Dunkle aus Jerichow«. Während Gesine den Tanzunterricht hasst, verfolgt Lise, »die schöne, die lustige, die langbeinige Lise« Herrn Knaaks Sprünge »mit selbstvergessenem Lächeln [...]; Lise wußte in allem so Bescheid«. Sie hält Gesine vor: »Wie willst du denn einen Mann kriegen, wenn du nich tanzen lernst!«

1556-1560 Über Gesine Cresspahls gespanntes Verhältnis zu Lise Wollenberg. Lise macht sich überall lieb Kind, passt sich an, wickelt die Lehrer um den Finger, »blond wie sie war, befangen-mädchenhaft wie sie blicken konnte in Augenblicken der Gefahr, scherzhaft-vertraulich, wenn es ans Einschmeicheln gehen sollte«. Sie drängt Gesine aus einem Gespräch mit den begehrten »Herren« Sieboldt und Gollantz aus der elften Klasse, benutzt die stillere Freundin als ›Kontrast‹, der ihre eigenen Vorzüge hervortreten lässt, und als »Anstandsdame« bei Spaziergängen mit Verehrern. Die Jungen verlieben sich reihenweise in sie, aber sie fertigt sie schnippisch ab, so dass sie Gesine als Vermittlerin bemühen. Sie schenkt Gesine ein Kleid, »da sie aus den neuen Staatsläden moderne bekam«, aber Gesine zieht es nie an. – Auf Anraten ihres Vaters tritt Lise der »Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion« bei. – Als ihr Vater ihr nach den Weihnachtsferien (1948) ein Zimmer in Gneez besorgt und damit die gemeinsamen Zugfahrten zur Schule entfallen, ist Gesine erleichtert.

Lise Wollenberg »hatte ein Ziel vor den Augen; sie ist heute Steuerberaterin im Sauerland, Bundesrepublik«.

1585 Da Gesine sich im Januar 1949 von ihr weg an einen Tisch mit Pius Pagenkopf setzt (vgl. 1576 f.), holt Lise Monika Lindsetter an ihren Tisch, denn deren kurzes Haar »nahm sich apart aus neben Lises langen Locken«. Gesines Entscheidung für Pius als Tischnachbarn kommentiert sie gehässig: »bei so einem Vater sei die Cresspahl ja klug beraten, sich an die neue Herrschaft zu hängen«.

1701-1702 Lehramtsanwärter Weserich weist Lise Wollenberg gründlich zurecht, nachdem sie sich über sein Aussehen mokiert hat.

1800 Bei den Verhaftungen im Zusammenhang mit Dieter Lockenvitz' Briefaktion wird Lise bei Buchbinder Maaß auf dem Dachboden versteckt und soll, falls die Staatssicherheit nach ihr fragt, von Frau Maaß nachts in den Gräfinnenwald gebracht werden »zu einem Auto, mit dem sie gerettet worden wäre nach Berlin«. Die ganze Aktion ist müßig, denn die Staatssicherheit interessiert sich nicht für sie. »Als ob sie ganz ohne Behuf sei, eine unergiebige Lise Wollenberg.«

Vgl. auch 1018. 1251. 1278. 1476. 1578. 1608. 1610. 1649. 1671. 1672. 1679. 1705. 1723. 1728. 1820.

Wright Brothers

Kaufhaus in der George Street von Richmond.

181 Hier lässt die schwangere Lisbeth Cresspahl 1932 eine »Kinderausstattung« zum Ausverkaufs-Sonderpreis zurücklegen.

Wulff, Meta

Frau von Gastwirt Peter Wulff in Jerichow.

87-88 Sie warnt Heinrich Cresspahl vor einer Verbindung mit Lisbeth Papenbrock: »Eine hat ihn gewarnt. Meta Wulff setzte sich nach der Polizeistunde zu Peter und Cresspahl und fing an zu reden von Pastor Methling und von Lisbeth, die an jedem Kirchtag in der zweiten Reihe unter der Kanzel saß. Wulff versuchte sie mit Knurren aufzuhalten, aber Meta, Fischerstochter von der Dievenow, gab ihm einen Schlag unter die Schulterblätter und rieb ihm den Rücken und sprach weiter von den Bibelstunden für Kinder, die Papenbrocks Tochter über die Christenpflicht hinaus im Gemeindehaus abhielt. Cresspahl hat nicht mehr verstanden als: sie kann auch noch gut mit Kindern.«

170 Cresspahls Sympathie für Peter und Meta Wulff: »Cresspahl hatte sein schweigendes Vergnügen gehabt, wenn Meta Wulff ihrem Mann vor Wohlwollen und Billigung den Rücken rieb«.

205 Am Tag von Gesines Geburt sucht der allenthalben überflüssige Kindsvater dem Gerede seines Schwagers Horst zu entkommen und geht in Wulffs Krug. »Mit Meta Wulff kam er in ganz argloses Reden, ihr erzählte er von der Nacht im Polizeigefängnis von Lübeck.«

467 Sie hilft im Frühjahr 1935 mit bei der Einrichtung eines Gartens auf Cresspahls Grundstück am Ziegeleiweg.

857 Im Sommer 1941 versucht sie in dem (vermeintlichen) Zerwürfnis zwischen Heinrich Cresspahl und Peter Wulff zu vermitteln.

Wulff, Peter

Gastwirt im Krug von Jerichow, »Gastwirtschaft und Kaufhandlung Wulff«. Sozialdemokrat. Verheiratet mit Meta Wulff, Freund von Heinrich Cresspahl.

33 Bei seinem ersten Aufenthalt in Jerichow sitzt Cresspahl häufig in Peter Wulffs Krug. »Peter Wulff war in seinem Alter, weniger prall damals, ein nicht beflissener, maulfauler Wirt, der Cresspahls geduldiges Warten beobachtete wie der ihn.«

87-88 Versucht seine Frau Meta »mit Knurren« davon abzuhalten, Cresspahl vor einer Verbindung mit Lisbeth Papenbrock zu warnen, »aber Meta, Fischerstochter von der Dievenow, gab ihm einen Schlag unter die Schulterblätter und rieb ihm den Rücken und sprach weiter«. 

112 Cresspahl besteht gegenüber den Papenbrocks »zwar auf Dr. Semig, aber nicht auf den Wulffs als Gästen« seiner Hochzeit am 31. Oktober 1931.

163 Im November 1932 bekommt Cresspahl viele Briefe zur politischen Lage in Deutschland und im Jerichower Winkel, die in Peter Wulffs Hinterzimmer (d. h. von Sozialdemokraten) geschrieben werden.

169-171 Peter Wulffs Briefwechsel mit Cresspahl in Richmond Anfang 1933. – Gesine Cresspahl mutmaßt über die Gründe ihrer wechselseitigen Sympathie: »Vielleicht konnten sie auskommen wegen ihres ähnlichen Alters. Sie waren beide Mittelstand, beide waren für ein paar Jahre Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei gewesen. Vor allem, sie konnten einer des anderen Nähe ertragen, bei einander sitzen, auch ohne Gespräch. Das sah nur aus wie Intimität. Und beide hatten Spaß am gegenseitigen Aufziehen, und konnten es ertragen. Cresspahl hatte sein schweigendes Vergnügen gehabt, wenn Meta Wulff ihrem Mann vor Wohlwollen und Billigung den Rücken rieb, und der hatte vor Cresspahls Augen den Kopf etwas gequält verkanten müssen. Cresspahl hatte Meta Wulff reden lassen müssen über Ehen mit sehr großem Unterschied im Alter, und Peter Wulff hatte ihn offenbar gleichmütig beobachtet, mit Genuß an seinem wehrlosen Zustand.« – Über ihre Gemeinsamkeit durch ähnliche Erinnerungen.

172 Schreibt Cresspahl über den Auftritt von Elisabeth Lieplow mit ihren BDM-Mädchen auf Gut Beckhorst; von ihrem Verehrer Horst Papenbrock »sagte er in diesem Brief nichts, weil er wußte, daß Lisbeth mitlas«.

295-296 Bei Cresspahls Abschiedsbesuch im März 1933 lässt er seiner Enttäuschung über die geringe Gegenwehr der Kommunisten gegen die Nationalsozialisten freien Lauf. »Es war, als mache er eine Trennung wirklich, die vorher nur in Worten gegolten hatte.«

532 Ortsgruppenleiter Friedrich Jansen nennt Peter Wulffs Krug »ein sozialdemokratisches Rattennest«.

678 Im Herbst 1938 wird Cresspahl von den Lübecker SPD-Genossen ohne Angabe von Gründen aufgefordert, »den Umgang mit Peter Wulff abzubrechen, am besten mit einem Streit unter Zeugen«.

762 Peter Wulff ist einer der Sargträger bei Lisbeth Cresspahls Beerdigung im November 1938.

765 Bei der Kondolenz an Lisbeths Grab sagt er zu Cresspahl: »Dat harr se nich verdeint [Das hat sie nicht verdient]; er meinte nicht den Tod allein, sondern auch was Cresspahl den Pastor hatte riskieren lassen. Nun mußte Wulff sieben Jahre lang glauben, es sei diese Bemerkung schuld daran, daß Cresspahl nicht mehr in seinen Krug kam, ihn auf der Straße nicht grüßte, ihn nicht einmal sah.«

857 Im Sommer 1941, nach dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion, versucht Meta Wulff zwischen Cresspahl und Peter Wulff zu vermitteln: »In solchen Zeiten, Cresspahl. Wollen wir uns nicht wieder vertragen?«

1180 Zwei Tage nach dem Krieg sprechen Peter Wulff und Cresspahl sich aus über die siebenjährige Zwangspause ihrer Freundschaft. »Es war genug übrig, beide begingen gerne den Feierabend gemeinsam, bald nicht mehr nur den früheren Zeiten zuliebe, auch verbündet in der Absicht, das verrutschte Jerichow auf anderen Kurs zu kriegen. Wulff war es recht, daß die Briten den anderen zum Bürgermeister gemacht hatten, unter den Sowjets war er ihm weiterhin behilflich mit Spaß und Ratschlägen, ihm den Rücken decken als Polizei wollte er nicht.«

1280 Im Sommer 1946 werden Peter Wulff, Julius Kliefoth, Pastor Brüshaver, Leslie Danzmann und Frau Uhren-Ahlreep für einige Stunden festgenommen und verhört. Der Zweck dieser Aktion bleibt undeutlich. Eine der Fragen, die ihnen gestellt werden, deutet darauf hin, dass man Cresspahl in einen Zusammenhang mit Waffengeschäften des Geheimrats Hähn in den zwanziger Jahren bringen möchte.

1359-1362 Peter Wulff nimmt an einem Treffen ehemaliger Sozialdemokraten mit Erwin Plath kurz vor Weihnachten 1945 teil, »zwanzig Minuten im Stehen im Trockenschuppen der Ziegelei«.

1362-1364 Peter Wulff fühlt sich schuldig an Warnings Freitod am Neujahrstag 1946. Er hatte Warning zu dem SPD-Treffen kurz vor Weihnachten mitgenommen, weil er »dem gestauchten Kerl auf die Beine helfen« wollte. An Weihnachten wurde Warning verhaftet und über das Treffen verhört. Er gab nichts preis, aber weil er anschließend nichts über die Verhöre sagen wollte, misstrauten ihm die SPD-Genossen. Nachdem er eine erneute Vorladung zur Kommandantur von Gneez bekommen hatte, beging er Selbstmord.

1411-1412 Im Oktober 1946 bekommt Peter Wulff Besuch von Landrat Gerd Schumann, der am Abend eine Wahlkampfrede in Jerichow zu halten hat. Schumann weiß aus Unterlagen der SPD, was der Leser bis hierhin noch nicht weiß: Dass Peter Wulff 1937, während des Mussolini-Besuchs, in Bützow-Dreibergen und »von 1939 auf 1940« in Sachsenhausen inhaftiert war. – Wulff fertigt Schumann maulfaul ab, fordert ihn auf, für Cresspahls Freilassung zu sorgen, und empfiehlt ihm, da er nicht versteht, in der Kommandantur nachzufragen, und setzt hinzu: »Orre gå tau din Slata, de weit dat ook!« Erschüttert von der Anspielung auf Slata beschwert Schumann sich in der Jerichower Kommandantur, wird aber von den Herren Wendennych unsanft abgewiesen.

1795-1796 Wegen angeblicher Steuerhinterziehung wird er im Juli 1950 zu 7000 Mark Geldstrafe und drei Monaten Gefängnis verurteilt.

Anhang XII Aus Cresspahls Erinnerung: »Auf Verlangen der lübecker S.P.D. habe Cresspahl 1938 den Umgang mit Wulff aufgeben müssen, öffentlich, so daß die Stadt an einen dauerhaften Streit glauben sollte. Zwei Tage nach dem Krieg habe er Wulff abgepaßt, und wie er habe Wulff den Grund nicht gekannt. Offenbar war die Sache schlicht vergessen worden, und auch Wulff habe der S.P.D. solche Personalpolitik nicht vergeben mögen, auch nicht unter den Bedingungen der Illegalität.«

»In den Jahren der angeblichen Verfeindung habe Cresspahl nur ahnen können, daß Wulff nächtens die Fahnenstange vor Friedrich Jansens Haus umgesägt hatte, schon damit Cresspahl Arbeit bekam. Wulff gab es mit Vergnügen zu, und obendrein, daß tatsächlich er in jedem März Blumen auf das Grab von Friedrich Laabs geschmuggelt hatte, den die Kapp-Putschisten im Keller des Hotels Erbgroßherzog in Gneez umgebracht hatten«.

Da Peter Wulff »sich bei den Sowjets nicht meldete als Mitglied der S.P.D., habe er auch nicht über die Vereinigung mit der K.P.D. in die S.E.D. müssen und sei so um den Austritt gekommen, der nach der Schließung seines Ladens doch wohl fällig geworden sei. Das Leben mit Wulff sei eins mit gegenseitigem Spaß, und beide seien es leid, fast sieben Jahre versäumt zu haben.«

Vgl. auch 70. 165. 236. 458. 496. 723-724. 1032. 1034. 1076. 1140. 1163. 1181. 1182. 1220. 1240. 1402.

In »Mutmaßungen über Jakob« (1959) hat Peter Wulff seine Kaufhandlung aufgegeben, aber seinen Krug gibt es 1956 noch (vgl. M 303-304; vgl. auch M 36).

Wutheridge, R.W.T.

Titularpräsident der New Yorker Bank, in der Gesine Cresspahl arbeitet.

1563 Bei einer Ehrung von Angestellten der Bank am 16. Juli 1968 (bei der auch Gesine Cresspahl mit einer Ehrung bedacht wird) hält er die Eröffnungsansprache. Die Angestellten der Bank nennen ihn ›bäuerlich‹, aber, denkt Gesine Cresspahl, »er muß einer von den gottergebenen Bauern sein, den ahnentreuen, den ungeschickten, so ängstlich kommt er ihr vor; an diesem kleinen alten Körper sehen die Maßanzüge zu kurz aus; diesem blauwangigen Haarverlierer haben die siebzig Jahre eine Würde vorenthalten«.

Y

Yakubowsky, Ivan I.

Iwan Ignatjewitsch Jakubowskij, Marschall der Sowjetunion (1912-1976), Oberbefehlshaber der Truppen des Warschauer Pakts, leitete den Einmarsch in die ČSSR am 20. August 1968.

1393 In der New York Times vom 21. Juni 1968 liest Gesine Cresspahl: »Gestern begannen von Amts wegen die Manöver der Sowjets, Ungarn, Ostdeutschen und Polen mit den Tschechoslowaken auf deren Boden. Nach Auskunft von Ivan I. Yakubowsky, Marschall der Sowjetunion, sind nur Kommandostäbe, Signal-, Transport- und Hilfstruppen beteiligt. Über die Dauer ist nichts gesagt.«

Yastrzemski

Carl Michael Yastrzemski (geb. 1939). Amerikanischer Baseballspieler der American Major League Baseball; spielte für die Boston Red Sox.

145 Gesine Cresspahl in einer ›Phonopost‹ an ihren Freund D.E.: »Eben meldet die Rundfunkstation der New York Times eine Nachricht für dich: Im zweiten Spiel der Weltserie schlugen deine Boston Red Sox, dank Yastrzemski, die Kardinäle von St. Louis Fünf zu Null. Du wirst ausrechnen können, was das bedeutet.«

Die Boston Red Sox gewannen 1967 den Titel der American League. Die »Kardinäle von St. Louis«: St. Louis Cardinals.

Yepishew, Alexej A.

Alexej Alexejewitsch Jepischew (1908-1985). General und seit 1962 Leiter der Politischen Hauptverwaltung der Sowjetischen Streitkräfte.

1110-1111 Die New York Times zitiert am 5.5.1968 einen Bericht aus Le Monde, wonach Yepishew gesagt haben soll, die Rote Armee sei jederzeit für eine Intervention in der Tschechoslowakei bereit, sobald sie von treuen Kommunisten gebeten wird, den Sozialismus zu beschützen. Gesine Cresspahl will es nicht glauben.

1187 Bericht der New York Times vom 18. Mai 1968: Am Tag zuvor sei Yepishew in Prag angekommen und habe auf die Frage, »ob die Rote Armee tatsächlich bereitstehe, auf einen Hilferuf aus Prag dahin zu marschieren« geantwortet: »Was für ein Quatsch. Was für ein Quatsch.«

Z

Zátopek, Emil

Tschechoslowakischer Leichtathlet und Weltrekordler (1922-2000), mehrfacher Goldmedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1948 und 1952, genannt ›Die tschechische Lokomotive«. Oberst der tschechoslowakischen Armee. Mitunterzeichner des Manifests der »Zweitausend Worte«.

1456 Verteidigt nach einem Bericht der New York Times vom 30. Juni 1968 das Manifest der »Zweitausend Worte«: »Emil Zátopek, der sich jene zweitausend Worte an alle Leute in seinem Land gewünscht hat, er versteht nun nicht den Ärger der Partei über den Wunsch, es möchten die Schuldigen endlich behandelt werden als Schuldige. – Daran seh ich nichts Konterrevolutionäres: sagt er. Er sagt: Allen Unterzeichnern des Aufrufs geht es um den raschen Aufbau des demokratischen Sozialismus und die Freiheit des Menschen. Sagt er.«

Zelck

Adelsfamilie im Jerichower Winkel. Besitzer der Ziegelei mit Villa. Pächter ist zu Beginn der dreißiger Jahre Alexander Paepcke. Dann kauft Friedrich Jansen das Anwesen. Nach 1945 ist die Villa Sitz der sowjetischen Kommandantur.

666 Die »Zelcks hatten den Besitz nur geopfert, um eine zerstrittene Erbengemeinschaft unter einen Hut von barem Gelde zu bekommen. Das war, wie sie sagten. In den Jahren nach Paepckes Pacht waren die Aufträge zurückgegangen, weil inzwischen fast alles mit Ziegeln hochgemauert war, was die Großdeutschen für den Krieg brauchten, und für den Rest Ausführungen in Beton geplant waren. Das sagten sie Friedrich Jansen nicht.«

1352 Das »Ausbleiben einer Einladung zu der Zelckschen Doppelheirat 1942« kränkt Louise Papenbrock; nach 1945 will sie von ihrem Adelsspleen nichts mehr wissen.

Vgl. auch 782. 1198. 1362.

Ziethen

Dorf östlich von Ratzeburg.

1238 Bei dem zur Grenzbereinigung vereinbarten Gebietstausch zwischen Briten und Sowjets im Dezember 1945 werden »die Dörfer Bäk, Mechow und Ziethen [...] zu Schleswig-Holstein geschlagen; Dechow, Groß Thurow und das ganze Ostufer des Schaalsees mitsamt dem Stintenburgschen Werder gehörte nun zu Sowjetmecklenburg«. 

Zum Gebietstausch zwischen Briten und Sowjets vgl. Jahrestage-Kommentar zu 1238, 3-16.

Zoll, Heinz

Bis 1933 Tischlermeister in Jerichow. Heinrich Cresspahls Schwiegervater Albert Papenbrock kauft seine Tischlerei 1933 auf, um Cresspahl nach Jerichow zu ziehen.

32 Bei seinem ersten Besuch in Jerichow im August 1931 steht Heinrich Cresspahl »eine Weile auf dem Weg hinter dem Hof von Heinz Zoll, der hier die besseren Tischlerarbeiten machte, und besah sich das Holzlager im offenen Schuppen«.

72-73 Schon nach Cresspahls und Lisbeth Papenbrocks Verlobung spricht Albert Papenbrock davon, Heinz Zoll ›auszukaufen‹, um Cresspahl nach Jerichow zu ziehen. Aber Lisbeth gibt ihm zu verstehen, dass sie in Richmond leben werden.

215 Als Cresspahl nach Gesines Geburt im März 1933 mit seinem Schwiegervater durch Jerichow geht, fällt ihm auf, »daß Heinz Zoll sich in die Post verdrückte, als sie näherkamen«.

251 Wenig später erfährt Cresspahl von Lisbeth, dass Albert Papenbrock Heinz Zoll nun tatsächlich ausgekauft hat. »Zoll geht nach Gneez in die Partei.«

416 Ende 1933 richtet Cresspahl seine Werkstatt in Jerichow ein. »Von Heinz Zoll hatte er übernommen eine Fräsmaschine, eine kombinierte Dicktenhobel- und Abrichthobelmaschine, eine Bandsäge, eine Langlochbohrmaschine, eine Kreissäge, alle in einem Zustand, daß er tatsächlich nur über die Hobelmaschine ein freundliches Wort sagen mochte. Und es war nicht billig gewesen. Und er konnte die Maschinen nicht ausnutzen.«

Vgl. auch 506. 511.

Zweitausend Worte, Manifest der

Aufruf von siebzig tschechoslowakischen Wissenschaftlern, Arbeitern und Künstlern zur Fortsetzung der Reformpolitik des ›Prager Frühlings‹. Veröffentlicht unter dem Titel »Dva tisíce slov« (Zweitausend Worte) am 27. Juni in der Zeitschrift des Schriftstellerverbands »Literárni Listy« und in vier Tageszeitungen. 

1437-1446 Der Wortlaut des Dokuments. 

1446-1447 Gesine Cresspahl hat sich den Text mit Hilfe von Signora Sabatino, der Sekretärin der italienischen Delegation der Vereinten Nationen in New York, besorgt. »Dann hat sie die Bank um einen ganzen Arbeitstag betrogen; da hätte selbst unser Vizepräsident de Rosny vergebens gefragt, was solch tschechische Schrift denn zu tun hat mit einer Reise nach Prag. [...] Wenn ihr wissen wollt, was an Sozialismus möglich ist zu unseren Zeiten, lernt Tschechisch, Leute!«

1456 Zwei Tage später verteidigt einer der Unterzeichner des Manifests, der Leichtathlet Emil Zátopek, das Manifest gegen die Kritik der KPČ.

1528 In der New York Times vom 11. Juli 1968 liest Gesine Cresspahl, dass die russische Literaturzeitschrift »Literaturnaja Gasjeta« das Manifest als konterrevolutionär bezeichnet hat. Und Alexander Dubček habe es »immerhin spalterisch genannt, als einen Grund zur Sorge hat er sie empfunden, weit ist er von ihnen abgerückt«.

1537-1538 Einen Tag später berichtet die New York Times über Stellungnahmen der »Pravda«: »Die Kommunistische Partei der Sowjetunion antwortet mit der Stimme ihrer Wahrheit immer noch einmal auf die tschechoslowakischen Zweitausend Worte, als wär sie gefragt.«

1579-1582 Am 19. Juli 1968 bringt die New York Times den Wortlaut einer Stellungnahme des Präsidiums des ZK der KPČ zu einem Brief von fünf Parteien des Ostblocks vom 15.7.1968 (vgl. 1561 f.). Darin distanziert sich das ZK erneut von dem Manifest: »Jene ›Zweitausend Worte‹ haben wir zurückgewiesen. Gefährlich waren sie nie. Aber da ihr so böse wart darüber, sagen wir dies öffentlich zu euch, mit lauter Stimme, damit alle Tschechen und Slowaken hören und verstehen: Das darf nicht wiederholt werden, denn es könnte den Zorn unserer sowjetischen Freunde erregen, von denen wir aber keinen bösen Willen brauchen, sondern Geduld. Nichts dieser Art wird noch einmal vorkommen.« – Die tief enttäuschte Gesine Cresspahl beklagt sich bei ihren Toten (1582).

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