Adam

Auf seiner Gedankenreise durch die ›Dünenkulissen‹ der Urgeschichte zu den allerersten Anfängen der Menschheit hat der Erzähler mit dem biblischen Adam, dem Gefährten Hevas und dem Vater von Kain und Habel, augenscheinlich noch nicht »das letzte ›Zurück‹« (IV, 42) erreicht, das er sucht. Denn »die Geschichte des Menschen ist älter als die materielle Welt, die seines Willens Werk ist, älter als das Leben, das auf seinem Willen steht« (IV, 39). Ihren wahren Uranfang erzählt der »Roman der Seele« (IV, 40-44), der in einer allegorischen Legende überliefert ist, in der Geschichte von dem »vor Weltbeginn« geschaffenen Lichtwesen, das die Hebräer ›adam qadmon‹ nennen und das in einem frühen Stadium der Schöpfung (IV, 39) eine ›Affäre‹ mit der Materie hatte, aus der es von einem »zweiten Abgesandten« Gottes befreit werden musste (IV, 39 f.).

Adams Erschaffung und seine Geschichten gehören also offenbar zu einem »sekundären und schon irdischen« Geschehen. Adam ist »aus der Erkenntnis der Materie durch die Seele« (IV, 45) oder, in der Vorstellungswelt der Allegorie vom uranfänglichen Lichtmenschen ›adam qadmon‹, aus den Teilen des Lichts entstanden, die dieser bei seiner Befreiung zurückgelassen hat und die dann »zur Bildung der materiellen Welt und der Erdenmenschen mitbenutzt« worden sind (IV, 39). Daraus erkläre sich, so die Überlieferung, »die Doppelnatur des Menschen, welche die Merkmale göttlicher Herkunft und wesentlicher Freiheit mit schwerer Verfesselung in die niedere Welt unentwirrbar vereinige« (IV, 40).

Den Engeln war Adams Erschaffung von Anfang an ein Dorn im Auge: »Was ist der Mensch, o Herr, daß du sein gedenkest?« (IV, 47). Das »Reich der Strenge« betrachtet diesen Schöpfungsakt als Missgriff, weil mit ihm das Böse in die Welt kam, und vermutet, dass Semael, der Erfinder des Bösen, dabei seine Hand im Spiel gehabt hat (V, 1280 f.). Dass Gott dieser fragwürdigen Schöpfung dann auch noch eine besondere Teilnahme entgegenbringt, halten die Engel für eine »majestätische Schrulle« und sind pikiert (IV, 47). Eines Tages hatte er gar von ihnen verlangt, »sich vor Adam, seiner Vernunft wegen und weil er alle Dinge bei Namen zu nennen wußte, zu verbeugen«, was sie nur gezwungenermaßen, »teils mit heimlichem Lächeln, teils mit zusammengezogenen Brauen«, taten. Semael aber weigerte sich, »vor dem aus Staub und Erde Gemachten« niederzusinken, und wurde daraufhin gestürzt (IV, 47).

Die Geschichte vom »Baum der Erkenntnis ›Gutes und Böses‹« und von Adams Sündenfall hält der Erzähler für eine fromme Konstruktion, für einen »wohlgemeinten, aber unzutreffenden Zusatz« zum »reinen Texte«, und zwar schon deshalb, weil Gott sich schwerlich die Blöße gegeben haben wird, ein Verbot zu erlassen, dessen Übertretung er ebenso sicher sein konnte wie der Schadenfreude seiner »englischen Umgebung« (IV, 45). Vor allem aber deshalb, weil jener fromme »Zusatz« den Vorgang, um den es hier geht, viel zu spät datiert. Denn »nicht am Anfange von Zeit und Raum wurde die Frucht vom Baume der Lust und des Todes gebrochen und gekostet«, sondern vorher (IV, 38). Es war die abenteuernde Seele (allegorice: der Lichtmensch ›adam qadmon‹), die die Frucht der Erkenntnis brach und Sehnsucht hatte, sich mit der Materie zu verbinden. Und diese Sehnsucht war, wie der ›reine Text‹, der ›Roman der Seele‹, lehrt, kein Gegenstand göttlichen Zorns, sondern ganz im Gegenteil ein Gegenstand göttlichen Mitleids, wenn nicht gar der Sympathie, denn Gott war der Seele ja sogleich zu Hilfe geeilt, indem er die »Todeswelt der Formen« erschaffen hatte, »damit die Seele ihre Lust daran finden könne« (IV, 45 f.). »Alles mit Ruhe betrachtet«, kann also »von einem Sündenfall der Seele oder des uranfänglichen Lichtmenschen nur bei starker moralischer Überspitzung die Rede sein« (IV, 45). Und von dem ersten, »aus Staub und Erde« gemachten Erdenmenschen Adam ist dabei überhaupt nicht oder nur insoweit die Rede, als er neben »Staub und Erde« eben auch Spuren jenes Lichtmenschen in sich trägt.

Für Jaakob und Joseph allerdings hat jener »Zusatz«, ungeachtet solcher diffizilen Unterscheidungen zwischen Adam und ›adam qadmon‹, Bestand und Geltung, so dass Adam, besonders in Fällen moralischer Bedrängnis, als Vergleichsinstanz heranzitiert wird, und zwar bevorzugt in seiner Rolle als Opfer der Versuchung. In Jaakobs von Todesfurcht getriebenem Redeschwall vor Eliphas etwa wird die Mutter Rebekka zur Verführerin und er selbst zum verführten Adam, der den Segensbetrug nie und nimmer gewollt habe, vielmehr ein Opfer sei »von des Weibes List, Adam, verführt von Heva, der Schlange Freundin!« (IV, 138). Und Joseph erscheinen die »verschwiegenen Wünsche der armen Mut als züngelnde Versuchung [...], zu erfahren, was Gut und Böse sei, und Adams Torheit zu wiederholen« (V, 1138 f.).

Wie es zuging, als Gott seinem ersten Erdenmenschen aus dessen Rippe die Gefährtin Eva schuf, wird im Zusammenhang mit Josephs Hochzeit erzählt (V, 1512).

Zu den Quellen, aus denen TM für den »Roman der Seele« geschöpft hat, vgl. adam qadmon. – Die Charakterisierung der Engel und ihrer Eifersucht auf den Menschen, die Geschichte von ihrem Kniefall vor Adam und dessen Fähigkeit, Begriffe zu bilden, stützen sich auf Gorion I (v.a. 75-78 und 254-256).

Letzte Änderung: 17.08.2013  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeilZurück