Seidentopf

Pastor in Hohen-Vietz, »ein Sechziger, mit spärlichem weißen Haar, von würdiger Haltung und mild im Ausdruck seiner Züge« (I, 5/47). Er hält patriotische Predigten, die ihm zu lang geraten. Napoleons Scheitern in Russland gilt ihm als Gottesgericht. Nach seiner Weihnachtspredigt unterhalten sich die Bauern im Dorfkrug über ihn (vgl. I, 7/69).

Seidentopf hat seine »Studirstube« in zwei Hälften geteilt; die eine Hälfte, sichtlich stärker verstaubt als die andere, dient den theologischen Studien und Predigtvorbereitungen, die andere der Sammlung archäologischer Funde aus der Umgebung. Seidentopf ist »archäologischer Enthusiast« und »Tendenzsammler«, der es für erwiesen ansieht, dass die Mark Brandenburg »von Uranfang an ein deutsches Land« und die wendische Besiedlung nur eine Episode war (I, 11/100 f.), eine These, über die er seit Jahr und Tag mit seinem ältesten Freund Turgany in heftigem, gleichwohl freundschaftlichem Streit liegt (vgl. I, 11/102 f.). Anders als Turgany ist er den aus der gemeinsamen Studienzeit in Göttingen herrührenden Idealen des ›Hainbunds‹ und seiner Begeisterung für das Nordisch-Germanische treu geblieben (vgl. I, 11/103).

Für Marie hegt er von Anfang eine tiefe Sympathie und ist überzeugt, dass sie eine Segensbringerin ist. Als Othegraven um ihre Hand anhalten will, erschrickt er und rät ihm ab, weil ihrer beider Naturen zu verschieden seien (vgl. II, 18/328 f.). Anfang Februar verliest er den »Aufruf« der preußischen Regierung und predigt über Jeremia 18, 7-8 (IV, 14/355 f.). Er gibt Hoppenmarieken einen Platz auf dem Kirchhof und ein christliches Begräbnis (IV, 26/483). Zwei Frauen vom Forstacker amüsieren sich über sein Gebet am Grab: Alle wolle er (in den Himmel) hineinbeten. »Joa. Awers Hoppenmarieken beet’t he nich rinn.« (IV, 26/483).

Nach dem Krieg traut er Lewin und Marie in der Bohlsdorfer Kirche seines Amtsbruders Lämmerhirt, mit dem er bei dieser Gelegenheit Freundschaft schließt. Seine Hochzeitspredigt – »nie hat er besser gesprochen« – dreht sich um die Zeile »Und kann auf Sternen gehen« (IV, 28/495 f.).

Renates Tagebuch berichtet von seinem Tod und Begräbnis, bei dem sein Amtsbruder Zabel die Trauerpredigt hält, »gutgemeint und alltäglich«, und von Turganys Trauer um den Freund: »Nun kann ich diesen Landestheil unangefochten für wendisch erklären; aber ich thät es lieber nicht.« (IV, 28/496 f.)