Rehbein, Stine (Ernestine)

Jüngere Schwester von Pauline Pittelkow, die sich in den jungen Grafen Haldern verliebt, seinen Heiratsantrag aber zurückweist und nach seinem Freitod krank wird. Sie wohnt wie ihre Schwester in der Invalidenstraße 98e, wo sie bei den Polzins im dritten Stock ein »Chambre garnie« gemietet hat (2/9). Anders als ihre Schwester ist sie flachsblond, und ihre leicht geröteten Augen geben ihrer »sonst blühenden Erscheinung« einen kränklichen Akzent (2/12). Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt als Angestellte eines Woll- und Stickereigeschäfts, für das sie auch zu Hause Stickarbeiten anfertigt. »Arbeit« ist das Schlüsselwort ihres Lebensentwurfs, der zugleich Gegenentwurf zum Leben ihrer Schwester ist (2/14), für das sie zwar beim jungen Grafen Haldern mit wärmsten Worten um Verständnis wirbt (vgl. 8/44-48), das sie aber selbst um keinen Preis führen möchte. Stine ›hält auf sich‹, wie sie es ihrer Mutter auf dem Sterbebett geschworen hat (vgl. 8/49), lässt sich auf keine voreheliche Liebschaft ein und besteht darauf, allein von ihrer eigenen Arbeit zu leben.

Das der Mutter gegebene Versprechen hält sie auch, als Waldemar um sie wirbt und sie regelmäßig in ihrem Zimmerchen bei Polzins besucht. Er liebt sie aufrichtig und sieht in ihr »nichts […] als Wahrhaftigkeit, Natürlichkeit und Güte« (12/79). Auch sie liebt ihn, er ist ihr »der beste Mensch von der Welt«, »ohne Falsch und ohne Hochmut, aber auch ohne Glück«, was ihrer Liebe wohl auch Mitleid beimengt (10/55). Ähnlich wie ihre Schicksalsgenossin Lene Nimptsch (in »Irrungen, Wirrungen«) ist sie gewiss, dass es »nicht ewig dauern würde«, drängt aber Gedanken an die Zukunft beiseite und will sich ihres Glückes freuen, solange es geht (14/92). Als Waldemar ihr dann aber seine Absicht kundtut, sie zu heiraten und mit ihr, um die Konfrontation mit Familie und Gesellschaft zu vermeiden, nach Amerika zu gehen, ist ihr Glück dahin, »viel, viel schneller als nötig, bloß weil Du wolltest, daß es dauern solle« (ebd.). Denn obwohl sie ihn liebt und seine Liebe als ihres »Lebens höchstes Glück« empfindet, lehnt sie seinen Antrag ab in der Gewissheit, dass er ein Leben jenseits seiner Gesellschaftssphäre, womöglich gar ein »armes und einfaches Leben« (14/95) nicht auf Dauer würde leben können und sie am Ende eine »Kette« für ihn sein würde, »an der Du Dein Leben lang herumschleppst« (14/93).

Wie Stine die Nachricht von Waldemars Freitod aufnimmt, wird nicht erzählt, und bei seiner Beerdigung in Groß-Haldern ist von ihr nur »ein heftiges und beinah krampfhaftes Schluchzen« hinter einem Pfeiler zu hören (16/107). Auf dem Weg von der Kirche zum Bahnhof Klein-Haldern überkommt sie Todessehnsucht (16/108). Während der Rückfahrt nach Berlin schüttelt sie ein Fieber, und Pauline, entsetzt über ihr Aussehen (»Dir sitzt ja der Dod um die Nase«), steckt sie sofort ins Bett (16/109). »Die wird nicht wieder«, meint die Polzin ungerührt und setzt hinzu: »Das kommt davon.« (16/111)