Poggenpuhl, Leo Pogge von

Der jüngere Sohn der Familie, »ein junger Dachs von kaum zweiundzwanzig« (1/11) und »Sekondleutnant im Grenadier-Reg[iment] von Trzebiatowski« in Thorn (15/115), in dem schon sein Vater Alfred von Poggenpuhl gedient hat und dem auch sein älterer Bruder Wendelin angehört. Zum Geburtstag der Mutter am 4. Januar reist er, vom Bruder mit dem nötigen Reisegeld versehen, nach Berlin und verbringt zwei Tage mit der Familie. Am ersten Abend geht er mit seinen beiden jüngeren Schwestern aus, am zweiten Abend nimmt er an dem Theaterabend mit Onkel Eberhard teil und reist am darauffolgenden Morgen wieder ab.

Die Hoffnung der drei Schwestern, dass ihre beiden Brüder den »Ruhm der Familie womöglich noch zu steigern« vermögen, hat mit Blick auf Wendelin einige Berechtigung, weniger allerdings mit Blick auf Leo. Denn das »Leochen«, dessen höchstes Ziel »Schneidigkeit« ist, ist ein »Leichtfuß« (9/68), »Thunichtgut« und »Flausenmacher« (9/67), den »das Gespenst der Entlassung wegen beständig anwachsender Schulden« immer begleitet (1/12). Dafür aber hat er »das Herz auf dem rechten Fleck«: »Du taugst nichts, aber du bist ein lieber Kerl«, sagt die Mutter (8/63). Deshalb ist er nicht nur ihr Liebling, sondern der »Liebling aller« und zugleich das »Angstkind« der Familie, das beständig vor finanziellen »Katastrophen« bewahrt werden muss (1/12).

Er selbst hat die Gabe, solche drohenden Katastrophen leicht zu nehmen und immer auf »Wunder« (in Gestalt von Geldspenden des Bruders oder Onkels) zu hoffen: »Wenn das Wunder gestern war, warum soll es nicht auch heute sein oder morgen oder übermorgen« (4/29). Seine eher triste Wirklichkeit nimmt er zwar zur Kenntnis, verschönt sie sich aber kraft seiner Phantasie und malt sich insbesondere die Zukunft in den buntesten Farben aus. Allerdings ist er kein unreflektierter Phantast. Seiner idealisierenden ›Korrekturen‹ am Wirklichen ist er sich vielmehr jederzeit bewusst: »Wer was hat,« erklärt er seiner Mutter, »nun ja, der kann das Leben so nehmen, wie's wirklich ist, der kann das sein, was sie jetzt einen Realisten nennen; wer aber nichts hat, wer immer in einer Wüste Sahara lebt, der kann ohne Fata Morgana mit Palmen und Odalisken und all dergleichen gar nicht existieren. Fata Morgana sag‘ ich. Wenn es dann, wenn man näher kommt, auch nichts ist, so hat man doch eine Stunde lang gelebt und gehofft und hat wieder Kourage gekriegt und watet gemütlich weiter durch den Sand. Und so sind denn die Bilder, die so trügerisch und unwirklich vor uns gaukeln, doch eigentlich ein Glück.« (4/32) Dem Tadel der Mutter, dass er zu wenig für sein Fortkommen arbeite, hält er seinen »heiteren Sinn« entgegen, der sei »besser als alles Arbeiten«, denn: »Heiterkeit zieht an, Heiterkeit ist wie ein Magnet, und da denk‘ ich, ich kriege doch auch noch was.« (4/33) Für den Fall, dass daraus nichts wird, weiß er schon Rat: »dann muß ich nach Afrika« (5/36).

Auch seine Beziehung zu Esther Blumenthal, der »schönen schwarzen Jüdin« in Thorn (5/36), von der er Friederike und Manon erzählt, ist eine solche »Fata morgana«: Eigentlich wisse sie, so gesteht er Friederike, »kein Sterbenswort« von seiner Zuneigung, und er sage »das auch bloß alles so, weil einem immer das Messer an der Kehle sitzt, und da malt man sich denn so was aus und tröstet sich und denkt, ›mal wirst du doch wohl rauskommen aus all dem Elend‹« (5/36; vgl. auch 11/90). Während er in der Küche die letzten Reste aus einem halben, fast nur noch aus roter Schale bestehenden Edamer herausschabt, erklärt er Friederike, dass man genau so leben müsse: »immer so die kleinen Freuden aufpicken«, bis das »große Glück« komme. »Und wenn es nicht kommt, dann hat man wenigstens die kleinen Glücke gehabt.« (5/39)

Den Plänen seiner Schwester Manon, ihn mit Flora Bartenstein zu verheiraten, begegnet er mit freundlicher Gleichmütigkeit, hinter der vielleicht auch ein gut Teil Resignation steckt. – Bei der Abreise schenkt er Friederike, die ihm den Koffer zum Droschkenstand getragen hat, aller Geldknappheit zum Trotz »einen richtigen preußischen Taler« und wehrt ihren Protest ab: »wenn es nach mir ginge, so nähm‘ ich gleich den ausgehöhlten Edamer, der doch wohl noch da ist, und schüttete ihn dir voll lauter Goldstücke« (9/67).

Mit seinen Bemerkungen über die »Realisten« und das »Glück« der Phantasie (4/32), den Trost des ›Ausmalens‹ (5/36) und das ›kleine Glück‹ eines fast ausgehöhlten Edamers (5/38 f.), in denen sich eine kleine Poetik des Realismus (samt der sie fundierenden Lebensanschauung) versteckt, trägt Leo maßgeblich zu dem poetologischen Subtext des Romans bei, wie er ähnlich auch in Sophies Berichten über ihre Malerei oder in Manons und Thereses Disput über den Adamsdorfer Park und den Tiergarten präsent ist.