L’Hermite, Camille

Mitglied von Obadja Hornbostels Hauswesen, ein »hagere[r] Mann von Mitte Fünfzig, mit Zwickelbart und Käppi« (20/162), mit dem Lehnert Menz sich nach anfänglicher Abneigung anfreundet und der ihm »mit jedem Tage teurer« wird (22/174). Er hat, wie Lehnert, »ungesühntes Blut« (20/163) an seinen Händen. Seine Tat war allerdings politisch motiviert: Als Führungsmitglied der Pariser Kommune (1871) ließ er einen Erzbischof füsilieren. Obwohl er weiterhin an seiner kommunistischen »Menschheitsbeglückungsidee« festhält und ihr alles zu opfern bereit ist (20/163), leidet er wie Lehnert an Schuldgefühlen (vgl. 20/163, 23/185 f.) und ist überzeugt, dass »Leute wie wir« – Lehnert und er – ihren Anspruch auf persönliches Glück verwirkt haben und vom Schicksal »zermalmt« werden, »wenn sie glücklicher sein wollen, als sie noch dürfen« (32/267). »In seinen Ideen ist er ein Fanatiker und thut das Aeußerste, sonst aber ist er wie ein Kind« und »der Friedliebendste von uns allen« (20/163).

L‘Hermite ist Franzose, aber stolz darauf, »die nationalen Vorurteile hinter sich« gelassen zu haben (20/162). Geboren in einem Bergwerksort im Département Creuse, hatte er schon als Kind in Bergwerken gearbeitet, ging mit 19 Jahren nach Paris und schloss sich dort den »Rothen« an, mit denen er an der »Junischlacht« teilnahm (22/179). Nach Verhaftung und Gefangenschaft wurde er Soldat, kämpfte im Krimkrieg (1853-56) und im Sardinischen Krieg bei Solferino (1859), nahm dann seinen Abschied, und »mit der Rückkehr in die bürgerliche Gesellschaft« war auch »sofort der ›Rothe‹ wieder da« (22/180). Nach dem Ende der Pariser Kommune wurde er verhaftet und nach Neu-Kaledonien deportiert, konnte fliehen und »kam bis hierher« (20/163).

Er hält Freundschaft mit Gunpowder-Face, eine Sympathie, die Obadja damit erklärt, dass beide »Ordensbrüder« seien, deren »gemeinsames Gelübde [...] das Groteske« sei (28/231). Sein Zimmer ist ein »unordentliches Durcheinander von Schlosserwerkstatt und chemischem Laboratorium, von physikalischem Cabinet und Mineraliensammlung« (22/175), denn er ist ein »Entdecker und Erfinder« (22/179). Für die Kommune baute er »Höllenmaschinen und Dynamitbomben«, aber auch »Pencils mit Mechanik, neue Tornisterschnallung, Apfelschälmaschinen und ähnliches« (22/180). Auch in Nogat-Ehre ist sein »Düftelgenie« (ebd.) gefragt, das neben allerlei technischen Vorrichtungen für den Haushalt an dem »Plan einer ›Exploitierung‹ der Ozark-Mountains auf Blei« arbeitet (22/181).

Auch deshalb schätzt der geschäftstüchtige Obadja Hornbostel seinen wunderlichen Hausgenossen, obwohl der weder seine Lebensprinzipien noch auch seine religiösen und politischen Anschauungen teilt, denn L‘Hermite raucht und trinkt viel, ist »schlechtweg Atheist« (21/167) und kennt »nichts Lächerlicheres als jene ›Halbheitszustände‹ […], die sich Republik nennen« (25/216). Auch wenn ihn die feierliche Stimmung des Weihnachtsfestes wider Willen anrührt, besteht er darauf, dass Erlösung nicht von Christus, sondern nur von der politischen Idee zu erhoffen ist: »Heiland, Erlöser. Bah! Le grand Sauveur c'est l' idée.« (29/251)

Bei der Datierung von L’Hermites Leben ist Fontane ein Fehler unterlaufen: Wenn er 1849 nach Paris gegangen ist (22/179), kann er nicht an der »Junischlacht«, d. h. an dem (auf die Februarrevolution 1848 folgenden) Juniaufstand, teilgenommen haben, denn der hat ein Jahr zuvor stattgefunden (22.-26. Juni 1848).