Engel

Über die »Scharen« wird man in »Höllenfahrt« (IV, 9-55) und im »Vorspiel in Oberen Rängen« (V, 1279-1291) sowie in Jaakobs und Josephs Himmelsträumen (IV, 113, 141-143,459-468) ausgiebig informiert. Die Engel oder immerhin die ältesten unter ihnen, die »Söhne Gottes« und »Gestirnengel«, die schon vor der Erschaffung der Welt existierten und mutmaßlich aus einem früheren »Welt-Äon« stammen, hatten dem göttlichen Schöpfungswerk sowohl »bewundernd« als auch »verwundert« zugeschaut (IV, 18).

In den »Oberen Kreisen und Rängen« (V, 1279) gibt es hierarchische Gliederungen, die man an der Zahl der Flügel erkennt. Über dem einfachen »Himmelsgesinde« (IV, 466) stehen die Seraphim und Cherubim mit sechs Flügelpaaren, die ihren Dienst in der Nähe des Gottesthrons tun. Die »heiligen Tiere«, die die vier Enden der Welt, Morgen, Abend, Mittag und Mitternacht, am Thron bewachen (IV, 37), zählen auch zu den Cheruben. Dann gibt es noch Engel von fürstlichem Rang, von denen zwei namentlich genannt werden: Der große Himmelsfürst Semael mit zwölf Flügelpaaren, der freilich gestürzt wurde, und Michael (›Wer ist wie Gott?‹), der oberste Fürst des vierten Himmels (Sebul), den Joseph in seinem Himmelstraum im Vorüberfliegen sieht (IV, 464). Der höchste aller Engel aber ist der »Engel des Angesichts« (IV, 115), der Metatron, zu dem Joseph sich in seinem hochfahrenden Traum erhöht sieht (IV, 466).

Seit der Erschaffung des Menschen, in die, wie man in den ›oberen Kreisen‹ vermutet, Semael verwickelt gewesen ist (V, 1280 f.), herrschen zwischen Gott und seiner »Umgebung« (IV, 45) gewisse Spannungen. Das »Reich der Strenge« betrachtet diesen Schöpfungsakt als Missgriff, weil mit dem Menschen auch das Böse in die Welt kam, was Gott ihnen wohlweislich verschwiegen hatte (IV, 46). Dass er dieser »Schöpfung der guten und bösen Lebenswelt« dennoch eine besondere Teilnahme entgegenbringt, halten die Engel für eine »majestätische Schrulle« und sind darüber pikiert, weil sie »wahrscheinlich mit mehr Recht als Unrecht« vermuten, dass Gott ihrer »lobsingenden Reinheit« überdrüssig war (IV, 47).

Ihrer Empfindlichkeit wird einiges zugemutet, zumal mit dem göttlichen Befehl an alle Heerscharen, sich vor Adam, »seiner Vernunft wegen und weil er alle Dinge bei Namen zu nennen wußte«, zu verneigen, ein Befehl, dem Semael sich widersetzt hatte, weshalb er gestürzt wurde (IV, 47).

Seit Semaels Sturz sind die »Kämmerer des Lichts« (V, 1280) zwar vorsichtiger mit ihren abfälligen Äußerungen über das »ähnlichste Geschöpf« (V, 1291), beobachten aber Verfehlungen der Menschen jedes Mal mit Befriedigung. Jedes »Überhandnehmen der Sündhaftigkeit auf Erden, wie etwa vor der Flut und zu Sodom und Gomorra«, bedeutet »regelmäßig einen Triumph für die heilige Umgebung und eine Verlegenheit für den Schöpfer«, der sich dann »unter dem moralischen Druck der Himmel« genötigt sieht, »fürchterlich aufzuräumen« (IV, 47 f.).

Gegen den Stamm Israel, den Gott, wie man in den ›Zirkeln der Umgebung‹ munkelt, zu seinem »Wahlstamm« heranzubilden im Begriff steht (V, 1288-1291), steigert sich der ›englische Mißmut‹ zu einer »Extra-Gereiztheit« (V, 1291). Josephs zweite Fahrt in die Grube erregt daher in den Himmeln »spitzig-sanfte Genugtuung und leisetretende Schadenfreude«, über die man sich »unter züchtig gesenkten Wimpern« und mit »gerundet herabgezogenem Munde« verständigt (V, 1279).

Vor der Sintflut sollen sich einige Engel, verführt durch den Anblick der menschlichen Unzucht, mit »Töchtern der Menschen« eingelassen und mit ihnen »Riesen und Gewaltige« gezeugt haben (IV, 432, 543). Der Mann auf dem Felde, mit dem Joseph davon spricht, hält das für Klatsch oder, wenn es denn wahr sein sollte, für einen Ausdruck »übergroßer Verachtung« der Engel für die schamlosen »Töchter Kains« (IV, 543 f.). Ganz ähnlich sehen es die »Zirkel der Umgebung«: Die Geschichte sei nichts als »haltloser Weltenklatsch« (V, 1280).

Neben Semael und Michael haben auch einige andere Vertreter der ›Scharen‹ Eigennamen: Jophiel, ein Cherub, von dem Joseph sich im Traum die »Wettervorrichtungen« des Himmels zeigen lässt (IV, 113), Amphiel, der ihn in seinem großen Himmelstraum in Gestalt eines gehörnten Adlers in den Himmel bringt und sich dann in eine menschenähnliche Gestalt verwandelt (IV, 461, 464), und die beiden Seraphim Aza und Azaël, die gegen Josephs Aufenthalt im Himmel vorsichtigen Protest anmelden (IV, 466).

Die Charakterisierung der Engel und ihrer Eifersucht auf den Menschen ist deutlich an Gorion I angelehnt (vgl. v.a. 75-83, 254-256), ebenso die Klatschgeschichte von der Paarung von Engeln und Menschen (191 f.). – Vgl. auch Semhazai.

An Engel gemahnen einige Hermes- und Botenfiguren, darunter vor allem der Mann auf dem Felde, der dieselbe Verdrießlichkeit über das sterbliche Geschlecht an den Tag legt, oder auch Cha'ma't, der es auf der Reise nach Zawi-Rê bald satt hat, für Joseph den »Knecht und Engel« zu spielen (V, 1303).

Letzte Änderung: 17.08.2013  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück