Straaten, Melanie Van der

Ehefrau Ezechiel Van der Straatens, 27 Jahre alt, Mutter von Lydia und Heth, eine dunkelhaarige Schönheit von »heitere[r] Grazie«, »Esprit« und »Liebenswürdigkeit« (I/7). Sie ist eine geborene de Caparoux, älteste Tochter eines Adeligen aus der französischen Schweiz, der lange als Generalkonsul in Berlin lebte, früh starb und nur Schulden hinterließ. Bei der Hochzeit mit dem damals 43-jährigen Van der Straaten war Melanie 17 Jahre alt. Seither sind 10 Jahre vergangen.

Ihre Ehe mit Van der Straaten ist vordergründig glücklich, sie weiß sich von ihrem Mann geliebt und kennt sein gutes Herz, leidet allerdings an seinem geringen Feingefühl und seinen derben, oft verletzenden Umgangsformen, die »alles […] treffen, was kränkt und bloßstellt und beschämt« (X/76). Der Umgang mit ihm, zumal in Gesellschaft, fordert ihr ein so hohes Maß an Selbstkontrolle ab, dass sie die Sommermonate, die sie regelmäßig allein mit ihren Töchtern und zwei Gesellschafterinnen in der Tiergarten-Villa verbringt, als große Befreiung erlebt. Dort hat sie »Ruhe vor seinen Liebesbeweisen und seinen Ungenirtheiten«, und das bereitet ihr ein »unendliches Wohlgefühl« (VII/46). Auch kann sie dort die Natur genießen, »deren Sprache sie wohl verstand« (ebd.), vor allem aber die Musik, die sie liebt, anders als ihr Mann, dessen Leidenschaft für die Malerei sie umgekehrt nicht teilt.

Seit der Ankunft Ebenezers Rubehns verstärkt sich ihr Leiden an den Umgangsformen ihres Mannes. Nun schämt sie sich seiner (vgl. IX/71), und auf der Bootsfahrt von Stralau nach Treptow bringt sie diese Scham Rubehn gegenüber sogar offen zum Ausdruck (vgl. X/76 f.). Eine Woche später, bei einem Besuch des Palmenhauses im Park der Tiergarten-Villa, gestehen beide sich ihre Liebe (vgl. XII/94). Nach ihrer Rückkehr in das Stadthaus Ende September (1875) treffen sie sich heimlich in Anastasia Schmidts Wohnung (vgl. XIV/105). Als sie schwanger wird, reift ihr und Rubehns Entschluss zur Flucht, den sie am 31. Januar (1876) in die Tat umsetzen.

Ihrem Mann erklärt Melanie: »Ich will fort, nicht aus Schuld, sondern aus Stolz, und will fort, um mich vor mir selber wieder herzustellen. […] Und das kann ich nur, wenn ich […] mich offen und vor aller Welt zu meinem Thun bekenne. […] Alles ist eitle Selbstgerechtigkeit. Und ich weiß auch, es wäre besser und selbstsuchtsloser, ich bezwänge mich und bliebe, freilich immer vorausgesetzt, ich könnte mit einer Einkehr bei mir selbst beginnen. Mit Einkehr und mit Reue. Aber das kann ich nicht. Ich habe nur ein ganz äußerliches Schuldbewußtsein, und wo mein Kopf sich unterwirft, da protestiert mein Herz.« (XVI/117 f.) Dieselbe Ehrlichkeit und ein feines Gespür für falsche Gefühle leiten sie auch bei der Entscheidung, vor ihrem Weggang nicht noch einmal nach ihren Kindern zu sehen (vgl. XVI/118 f.; XX/141).

Melanie und Rubehn reisen nach Italien, kommen Ende Februar in Rom an, wo sie einige Monate später, nachdem Van der Straaten in Berlin die Ehescheidung vollzogen hat, heiraten. Melanie ist für einige Zeit »glücklich, unendlich glücklich« (XVII/121), fällt aber bald wieder »in ihre frühere Melancholie« zurück (XVII/126). In Venedig kommt sie mit einer Tochter nieder, danach gewinnt sie wieder Lebensmut (vgl. XVII/127 f.). Nach einem längeren Aufenthalt in der Schweiz kehrt das Paar im Dezember (1876) nach Berlin zurück und bezieht eine »reizende Mansarde« in der Nähe des Tiergartens (vgl. XVIII/128 f.).

Melanies Hoffnung, bald wieder in die ›gute Gesellschaft‹ aufgenommen zu werden, wird enttäuscht. Sie wird geschnitten. Rubehn hilft ihr mit seiner heiteren Gelassenheit über die »tiefe Niedergedrücktheit« hinweg (XX/138). Auch in dieser Situation bewahrt sie die für sie charakteristische Ehrlichkeit, nimmt die Reaktion der Menschen als »Sühne« für ihre »Schuld« oder doch immerhin als »Ausgleich«, denn: »Es braucht nicht alles Tragödie zu sein.« (XX/139) Das unglückliche Wiedersehen mit ihren Kindern trifft sie allerdings tief (vgl. XX/146).

Als Rubehn im darauffolgenden Jahr (1877) durch den Konkurs des väterlichen Bankhauses sein Vermögen verliert, bewährt sich Melanies Liebe. Während Rubehn als »amerikanischer Correspondent« in einem Bankhaus arbeitet, nimmt sie eine Stellung als Französisch- und Musiklehrerin in »ein paar großen, schlesischen Häusern« an, »die gerade vornehm genug waren, den Tagesklatsch ignoriren zu können« (XXII/158). Beide richten sich in einer bescheideneren Wohnung ein und gewinnen schon bald die Anerkennung der Gesellschaft zurück, die sie vorher verurteilt hatte. Nun nennt man sie die »Inséparables« und freut sich, »über ihre ›treue Liebe‹ sentimentalisiren zu können« (XXII/160).