Jebe, Franz

Franz Jebe ist ein Arzt, der sich auf »Frauenkrankheiten« (III, 581) spezialisiert hat. Er ist der Ehemann von Else Füßli und ein guter Freund der Familie Lenthe. Mit dem Erzähler der Rahmenhandlung, Hans, ist er seit dem Studium befreundet. Die beiden treffen sich drei Jahre nach Elses Tod in Bad Reichenhall, wohin sich Franz zurückgezogen hat, um allein zu sein und über Elses Tod und sein weiteres Leben nachzudenken. Im Kurgarten erspäht Hans Franz, ist sich aber zunächst unsicher, ob er seinen Studienfreund vor sich hat. Die in seiner Erinnerung einst »stattliche Gestalt« des Studienfreundes kann er nicht ganz mit dem Mann in Deckung bringen, den er vor sich sieht: »Grau in grau gekleidet, mit einem breitrandigen Hut von derselben Farbe; er hatte die Hände auf seinen Stock gestemmt und blickte unbeweglich in die heiße Luft, als ob kein Leben in ihm wäre.« (III, 581) Hans schätzt Franz fälschlich anstatt Ende dreißig auf fast fünzig Jahre und hebt auch sein »mageres Gesicht« (III, 582) und »ergrautes Haar« (III, 629) hervor. Schließlich erkennt er ihn aber an einer ihm »eigentümlichen Bewegung« (III, 582) des Kopfes.

Hans beschreibt seinen alten Freund bei dieser Gelegenheit genauer: Sie sind Landsleute, haben sich aber auf der Universität erst wirklich kennen gelernt. Franz gilt schon in dieser Zeit unter seinen Kommilitonen als eine »Autorität« (III, 581) seines Fachs und ist später dann auch ein fähiger »Assistenzarzt auf einer Klinik für Frauenkrankheiten« (III, 581) geworden. Er bejaht grundsätzlich die psychologischen »Arbeiten von Petry und Daumer über die dunklen Regionen des Seelenlebens« (III, 581). Franz hat in jener Zeit fast keine Freunde und erscheint anderen Menschen oft als »hochmütig« (III, 582). Hans erkennt indes »hinter jener Schwäche ein warmes und wahrhaftiges Herz« (III, 582). Die beiden teilen dann auch eine Gemeinsamkeit: »ein von wenigen bemerkter phantastischer Zug« (III, 581). Franz’ offensichtlich schlechte Verfassung veranlasst Hans zu fragen, wie es Franz seit dem Studium ergangen ist. Franz lädt ihn in das Zimmer ein, das er in Bad Reichenhall gemietet hat: ein düsteres Zimmer zu ebener Erde. Vor dessen Fenster hält er eine Dohle, die sein einziger Kontakt zu sein scheint. Hans deutet die »Intimität zu Tieren« (III, 590), die er nie bei Franz vermutet hätte, so, dass Franz »sehr vereinsamt« (III, 590). Im Folgenden erzählt Franz in einem längeren Monolog, der nur sporadisch von Hans’ Reaktionen unterbrochen wird, wie es zu seiner schlechten Verfassung gekommen ist. 

Ausgangspunkt seiner Schilderungen ist ein Kindheitserlebnis. In einem Traum hat er als Junge »ein Gesicht gehabt« (III, 587). Im Morgengrauen einer stürmischen und teils schlaflosen Nacht meint er durch das Fenster im Hof »eine Gruppe von Knaben« (III, 587) zu sehen, in deren Mitte ein etwa dreizehnjähriges Mädchen steht, »ein schlichtes aschfarbenes Gewand zog sich bis an ihren Hals hinauf« (III, 588). Das Mädchen erscheint in einem »Dunst«, den er vorher schon einmal über dem »Hügel eines Frischbegrabenen« (III, 587) gesehen zu haben meint. Franz fragt sich zeit seines Lebens, ob diese Erscheinung nur ein Traum oder eine wirkliche Erfahrung ist. Aus seiner jugendlichen Perspektive ist es ihm jedenfalls »unmöglich, jenes Nachtgesicht nur für ein Erzeugnis des eigenen Innern anzusehen« (III, 589). Dieser Traum – oder, je nach Einschätzung, diese Vision – nimmt, wie sich am Ende seiner Erzählung zeigen wird, Franz’ gesamtes weiteres Leben vorweg.

Nach dem Abschluss des Studiums arbeitet er als Arzt, speziell für Frauenkrankheiten. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung pflegt er eigentlich keinen Verkehr mit der Gesellschaft. Die Ausnahme ist das Ehepaar Lenthe, bei dem er mehrmals in der Woche abends zu Gast ist. Eines Herbstabends lernt er dort eine Frau kennen, die im Gegensatz zu allen anderen mächtigen Eindruck auf ihn macht. Es ist eine »unbekannte junge Dame im aschfarbenen Linnenkleid zugegen« (III, 592), Else Füßli, in die er sich umgehend verliebt und in der er das Mädchen aus seinem Traum wiederzuerkennen meint. Die beiden sind nach wenigen Monaten verlobt, feiern im Anschluss eine »stille Hochzeit« (III, 594) und kaufen ein Haus mit Garten. Die Ehe ist – trotz einer Fehlgeburt im ersten Ehejahr – glücklich. Franz ist lediglich mitunter von Elses Benehmen irritiert: »Es war so manches Eigene, Fremdartige an ihr, das mich im ersten Augenblick verwirrte und mich zugleich entzückte« (III, 594).

Im vierten Ehejahr leidet Else zunehmend unter »Schmerzen« (III, 607). Franz ist zunächst unsicher, weiß dann aber, dass seine Frau Gebärmutterkrebs hat. »Das Leiden galt derzeit in der Wissenschaft für absolut unheilbar, nach leis heranschleichenden, alles Menschliche überbietenden Qualen war stets der Tod das Ende.« (III, 608) Else versucht ihn davon zu überzeugen, dass er ihr Sterbehilfe leisten soll. Franz zögert, tötet seine Frau aber schlussendlich. Im Moment ihres Todes stellt er wieder eine Verbindung zu dem Mädchen aus seinem Traum her: Es »mag ja eine Täuschung gewesen sein, mir aber war es, als säh ich in das Antlitz meines Nachtgesichts, wie es einstmals verschwindend von mir Abschied nahm; jenes und meines Weibes Züge waren mir in diesem Augenblick eins.« (III, 614)

In einem Aufsatz einer Koryphäe seines Faches entdeckt Franz – nach einer Zeit der »Vereinsamung« (III, 617) – eine Methode, mit der Gebärmutterkrebs fortan heilbar und nicht, wie Franz noch vor Else Tod meinte, unheilbar ist. Besonders tragisch ist diese Information, weil Franz diese Zeitschrift schon »vierzehn Tage vor Elsis Tod« (III, 619) bekommen hat. Aus diesem Umstand leitet Franz seine besonders schwere Schuld ab: Franz sieht in sich selbst einen Mörder, weil er nicht den unvermeintlichen Tod beschleunigt, sondern nur seine »eigene gottverlassene Hand« (III, 619) Else getötet hat. Gleichwohl übergibt er sich selbst nicht der Justiz, sondern will – unter Verweis auf seinen protestantischen Glauben – selbst eine »Sühne« (III, 620) finden.

Nachdem er jene Methode erfolgreich bei Frau Etatsrätin Roden angewandt und sich dabei herausgestellt hat, dass er sich aufgrund seiner Schuld nicht mehr in der Lage sieht, eine Ehe mit deren Tochter Hilda einzugehen, findet Franz – auch befreit durch das Gespräch mit Hans – seine Sühne in einem Rückzug nach Afrika. »Dort will ich«, wie er Hans in einem Abschiedsbrief schreibt, »in Demut mit meiner Wissenschaft dem Leben dienen; ob mir dann selber Heilung oder nur der letzte Herzschlag bevorsteht, will ich dort erwarten.« (III, 631) Wie Hans in der eigentlichen Erzählgegenwart, dem Herbst 1884, in einem letzten Brief von Franz erfährt, ist dieser nach dreißig Jahren, einer »Zeit der furchtbaren Einsamkeit« (III, 632), in Afrika gestorben. Hans beurteilt seinen Freund abschließend moralisch nicht, sondern reicht diese Frage auch ein Stück weit an den Leser weiter: »Ob eine solche Buße nötig, ob es die rechte war, darüber mag ein Jeder nach seinem Inneren urteilen; daß mein Freund ein ernster und rechter Mann gewesen ist, daran wird Niemand zweifeln.« (III, 633)