Gottliebchen (Se'ench-Wen-nofre-Neteruhotpe-em-per-Amun; Bes-em-Heb; Schepses-Bes)

Gottliebchen ist neben Dûdu der zweite der beiden »Kleinwüchsigen« in Potiphars Hauswesen. Sein voller Name lautet Se' ench-W en-nofre-Neteruhotpe-em-per-Amun. Das bedeutet: »›Es erhalte das gütige Wesen‹ (nämlich Osiris) ›den Götterliebling‹ (oder den Gottlieb) ›im Hause des Amun am Leben‹« (IV, 789), weshalb Joseph und der Erzähler ihn meistens Gottliebchen nennen. Peteprês Dienerschaft allerdings hält allerlei Spottnamen für den Kleinen bereit. Sie nennt ihn »Wesir«, »Schepses-Bes« oder »Bes-em-Heb«. Der Name Bes ist der »Name eines vom Auslande eingeführten komischen Zwerggottes«, und »Schepses-Bes« heißt »›herrlicher Bes‹, ›Pracht-Bes‹«, während »Bes-em-Heb« soviel wie ›Bes im Feste‹ bedeutet, »womit man auf die ewige Gala des Männchens anspielte« (IV, 786). Denn Gottliebchen ist mit einer »Art von Festtracht« bekleidet, die aber, weil er sie täglich trägt, »zerknittert und unfrisch« ist, dazu trägt er »goldene Spiralringe« um die »embryonischen Handgelenke« und auf dem Kopf »einen Salbkegel, der aber nicht wirklich aus schmelzendem Duftfett, sondern nur aus einem mit Wohlgeruch getränkten Filzzylinder bestand« (IV, 785 f.). Sein Gesicht ist »kindlich-greis, kleinfaltig, verhutzelt und alraunenhaft« (IV, 786) und seine ›dünne und scharfe‹ Stimme (IV, 785) erinnert an die einer Grille (IV, 786, 799, 804 u.ö.).

Bei der Ankunft der midianitischen Karawane auf dem Hof von Potiphars Anwesen kommt er, eine zahme Meerkatze auf der Schulter und voller Sorge, etwas zu versäumen, auf seinen kurzen Beinchen herbeigerannt (IV, 785). Als er seines »Schicksalsgenossen und Bruders im Untermaß«, Dûdus, ansichtig wird (IV, 786), der vor ihm zur Stelle ist, gerät er sogleich in einen Zank mit ihm, und das umstehende »Hofvolk lachte laut über die zankenden Männlein, deren wechselseitige Abneigung ihnen allen eine vertraute Quelle der Lustbarkeit zu sein schien, und trieb sie mit Dreinrufen recht zum Keifen an« (IV, 788). Auch an Joseph scheiden sich die Geister der beiden Zwerge: Während Dûdu sich vom ersten Moment an als Josephs Widersacher erweist, unterbricht Gottliebchen bei seinem Anblick sofort sein Gezeter und »und betrachtete ihn unverwandt, indes sein ältliches HeinzeIgesicht, das eben noch voll kleinen Ärgers gewesen, sich glättete und einen Ausdruck selbstvergessenen Forschens gewann«, selbst seine Meerkatze starrt mit »grell aufgerissenen Augen« in das »Gesicht des Abramsenkels« (IV, 788 f.). Er drängt den Hausmeier Mont-kaw zum Kauf des »Sandknaben« (IV, 804).

»Gottlieb, das Närrchen, war gut und offenbar beseelt und bestellt, ihm zu helfen«: Davon ist Joseph schon am Tag seiner Ankunft in Potiphars Haus überzeugt (IV, 811). Der Eindruck trügt nicht, denn der »Spottwesir« (IV, 815 u.ö.) ist von Anfang an überzeugt, dass mit Joseph »ein Gott ist, stärker als Amun und klüger als er«, von dem er »nimmermehr« glaubt, dass er den Gesegneten in Amuns »Hände geben und Dem in der Kapelle erlauben wird«, Josephs »Wachstum ein Ziel zu setzen, das nicht er ihm gesetzt« (V, 958). Deshalb versorgt er Joseph nicht nur mit besonderen Leckerbissen aus dem Frauenhaus (IV, 840), sondern befördert seinen Aufstieg in Peteprês Hauswesen mit derselben Beharrlichkeit, mit der sein Widersacher Dûdu ihn zu verhindern trachtet. Er verwendet sich für Joseph bei Mont-kaw (IV, 837), besorgt ihm zuerst den Posten als »Stummer Diener« bei Potiphars greisen Eltern Huij und Tuij (IV, 846), dann den als Gärtner in Potiphars Gärten (IV, 879 f.), der »Josephs Wunsch, vor dem Herrn zu stehen«, die »besten Glücksaussichten« verschafft (IV, 880),  und als der sich wenig später tatsächlich erfüllt und Josephs erste Begegnung mit Potiphar überaus vielversprechend verläuft (IV, 883 ff.), ist »Gottliebchen, das Alräunchen, knittrig entzückt über seines Schützlings Erfolg, geschwellt von Genugtuung darüber, wie dieser den Augenblick zu nutzen verstand« (IV, 894).

Vor allem aber beobachtet Gottliebchen Dûdus Intrigen gegen Joseph und bespitzelt dessen Gespräche mit Mut-em-enet, denn er ist »dank seiner Winzigkeit zum Spähen und Horchen außerordentlich geschickt, zur heimlichen Gegenwart wie geschaffen, dort, wo es etwas zu lauschen gab, und Herr von Verstecken, die als solche auch nur in Betracht zu ziehen den Ausgewachsenen nicht einmal in den Sinn kam« (V, 944). So erfährt Joseph »brühwarm und haarklein« von jedem Schritt, den Dûdu gegen ihn unternimmt (ebd.). Früher als alle anderen Beteiligten erkennt Gottliebchen die Gefahr, dass Dûdus böse Absichten wider Willen in ihr Gegenteil umschlagen, nämlich Mut-em-enets Interesse an Joseph wecken und so am Ende weit verderblichere Folgen für seinen Schützling haben könnten, als sein Widersacher sie im Sinn hat. Auch durchschaut er schnell die Koketterie, mit der Joseph die Nachrichten von Muts wachsender Neigung aufnimmt, was seine Befürchtungen nur steigert. Aber der Ertappte wehrt die »Sorgenweisheit« seines kleinen Freundes barsch ab (V, 953). Über Josephs erstes Stelldichein mit Mut-em-enet kann das »Hutzelchen« sich denn auch nicht freuen, sondern bricht vor Sorgen gar in Tränen aus (vgl. 1079-1085). Er fleht ihn »beinahe täglich mit gerungenen Händchen an, […] den Atem des alles verheerenden Feuerstiers zu fliehen«, doch umsonst, »sein vollwüchsiger Freund, der Jungmeier, wußte es besser« (V, 1108). Als der schließlich die Quittung für seinen Hochmut bekommt, weint Gottliebchen um Joseph, dass sich sein »Näschen im Knitterantlitz zinnoberfarben« verfärbt, tut aber einen Freudensprung, als Peteprê ihm die Posten des ebenfalls bestraften Dûdu überträgt (V, 1264).

Nach Erman/Ranke gehörten Zwerge »zu den Belustigungen der Vornehmen« (292); aus der Zeit der 18. Dynastie kenne man ein Paar Zwerge, »die, wie es scheint, im Scherz mit dem Titel ›Wesir‹ angeredet wurden (293). – Die auffallende Ähnlichkeit der beiden Zwerge mit Alberich und Mime aus Wagners »Ring des Nibelungen« ist kein Zufall, sie findet ihre Bestätigung in einer Bemerkung TMs in einem Brief an Jonas Lesser vom 21.3.1946: Die Zankszene zwischen Dûdu und Gottliebchen gehöre »in den Zusammenhang Ihres [Lessers] Vergleiches des Joseph mit dem ›Ring des Nibelungen‹, denn sie erinnert ja entschieden an das zankende Zusammentreffen von Mime und Alberich« (Selbstkommentare, 299). – Der Gott Bes, auf den die Spottnamen anspielen, zählt nach Erman/Ranke zu den »niederen Göttern, die beim Volke sich besonderer Beliebtheit erfreuten« (311); der »aus der Fremde stammende kleine Gott« habe »das Schlafzimmer und was zu ihm gehört unter seiner Verwaltung« und gelte »noch in ganz später Zeit als Liebesgott« (511).

Abb.: Kalksteinstatue des Bes (Louvre).

Letzte Änderung: 25.02.2015  |  Seitenanfang   |  pfeil Zurück