Rostowa, Natalja Iljinitschna (Natascha, Natalie)

Jüngere Tochter von Graf Ilja Rostow und Gräfin Rostowa, Schwester von Vera, Nikolai und Petja, Cousine und enge Vertraute von Sonja, später (1813) Ehefrau von Pierre Besuchow und unverkennbar Lieblingsfigur des Erzählers. Zu Beginn der Geschichte ist sie 13 Jahre alt, ein temperamentvolles und lachlustiges Mädchen mit schwarzen Augen, schwarzen Locken (1/I,VIII,68f.) und einer schönen Stimme, für deren Schulung die Eltern einen italienischen Gesangslehrer engagiert haben (1/I,IX,74).

An ihrem Namenstag 1805 nimmt sie ihrem Ziehbruder Boris Drubezkoi in kindlichem Übermut das Versprechen ab, um sie anzuhalten, sobald sie sechzehn Jahre alt ist (1/I,X,78), doch er lässt sich dann jahrelang nicht mehr bei den Rostows sehen, und auch Natascha hat ihn schon bald vergessen (2/I,I,527f.; 2/III,XII,785). Zwei Jahre später macht Denissow ihr einen Heiratsantrag, den sie ablehnt (2/I,XVI,603). Weitere zwei Jahre später, beim Silvesterball 1809 in Petersburg, begegnet sie Andrej Bolkonski (2/III,XVII,806f.). Beide verlieben sich und verloben sich wenig später. Wegen der Warte- und Trennungszeit von einem Jahr, die der alte Fürst Bolkonski – die Verbindung missbilligend – über das Paar verhängt (2/III,XXIII,833f.), wird das Verlöbnis nicht öffentlich gemacht (2/III,XXIV,841). Andrej reist ins Ausland, Natascha leidet zunehmend unter der langen Trennung.

Kurz vor Ablauf der Wartezeit, im Januar 1811, stattet sie ihrem künftigen Schwiegervater und ihrer künftigen Schwägerin in Moskau einen Antrittsbesuch ab, der gründlich misslingt; der alte Fürst empfängt sie nicht, und Prinzessin Marja lässt sie, wenn auch wider Willen, ihre Antipathie spüren (2/V,VII). Am Abend desselben Tages lernt sie in der Oper Anatole Kuragin kennen (2/V,X,989), eine Begegnung, bei der ihr sonst so gutes Gespür für den Charakter von Menschen (vgl. z.B. 2/I,X,577) versagt. Sie fühlt sich von ihm angezogen und stellt erschrocken fest, dass zwischen ihr und ihm »jene Schranke der Schamhaftigkeit« fehlt, »die sie immer zwischen sich und anderen Männern gespürt« hat (2/V,X,990). Sie willigt in eine Entführung und sagt Bolkonski in einem Brief an seine Schwester ab (2/V,XV,1014). Marja Dmitrijewna verhindert die Entführung (2/V,XVII,1027), und Natascha erfährt von Pierre, dass Anatole schon verheiratet ist. Von Schamgefühlen gepeinigt, versucht sie sich mit Arsen das Leben zu nehmen (2/V,XXI,1041). Es folgt eine lange Zeit der Krankheit und Schwermut, in der Pierre ihr beisteht (3/I,XVII,105); als er spürt, dass sie seine Liebe zu erwidern beginnt, zieht er sich zurück (3/I,XX,128).

Anderthalb Jahre später, im August 1812, ist sie wieder gesund (3/III,XII,444). Vor der Abreise der Familie aus dem vom Einmarsch französischer Truppen bedrohten Moskau sorgt sie dafür, dass verletzte russische Soldaten in dem leergeräumten Haus untergebracht werden (3/III,XIII,446f.), darunter auch, was sie nicht weiß, Andrej Bolkonski (3/III,XIV,453). Am Tag der Abreise setzt sie durch, dass ein großer Teil der mit dem Hab und Gut der Familie beladenen Fuhrwerke für den Transport von Verletzten freigemacht wird (3/III,XVI,462). Dass auch der schwerverletzte Andrej Bolkonski dem Wagenzug der Rostows folgt, erfährt sie erst einige Tage später (3/II,XXXI,554) und geht in der darauffolgenden Nacht heimlich zu ihm (3/III,XXI,558f.). Sie erbittet seine Verzeihung, er antwortet ihr mit der Erklärung, dass er sie jetzt »mehr« und »besser« liebe (3/III,XXXII,566). Fortan übernimmt sie seine Pflege (3/III,XXXII,567). Kurz vor seinem Tod kommt Prinzessin Marja dazu, mit der sie rasch eine innige Freundschaft verbindet (4/I,XIV-XVI). Nach Andrejs Tod versinkt sie in Schmerz. Die Nachricht vom Tod ihres Bruders Petja und die Verzweiflung der Mutter reißen sie aus ihrem Unglück (4/IV,II)

Ende Januar 1813 begleitet sie Prinzessin Marja nach Moskau (4/IV,III,847), wo sie Pierre wiedersieht, der inzwischen Witwer ist (4/IV,XV,900). Der Epilog berichtet, dass beide noch im selben Jahr heiraten (E/I,V,944). Sieben Jahre später (1820) haben sie drei Kinder und führen eine glückliche Ehe (E/I,X,975-978; XVI,1007-1013). Dass Natascha fortan ganz und gar in ihrer Aufgabe als Ehefrau und Mutter aufgeht, die Gesellschaft meidet, wenig Wert auf ihr Äußeres legt und jedes Verständnis für frauenemanzipatorische Ideen vermissen lässt, rühmt der Erzähler als Musterbeispiel wahrhaften Frauentums und als Garanten einer gelingenden Ehe (E/I,X,972-978).