Effinger, Paul

Drittältester Sohn des Uhrmachers Mathias Effinger und seiner Frau Minna in Kragsheim, geboren 1861, gestorben 1942. Bruder von Benno, Karl, Helene, Willy und Bertha Effinger, Ehemann von Klärchen Oppner, Vater von Lotte und Fritz Effinger.

Paul, ein »kleiner, unscheinbarer, hellbraunhaariger« Mann (8), absolviert eine Lehre in einem Eisenwerk im Rheinland (7, 13). Danach möchte er in Kragsheim eine Schraubenfabrik gründen, stößt aber bei dem konservativen Bürgermeister auf wenig Gegenliebe (21f.). Er geht nach Berlin, wo er die Fabrik, zunächst als »Unterabteilung« von Schlemmers Maschinenfabrik (49f.), am 1.10.1884 in einer gemieteten ehemaligen Hufschmiede eröffnet (52). Nach einem halben Jahr steht er kurz vor dem Bankrott, löst den für ihn ungünstigen Vertrag mit Schlemmers Maschinenfabrik und zahlt Schlemmer aus (68). Dass sein Bruder Karl zu diesem Zeitpunkt seine Arbeit verliert und mit einem Kapital von 10.000 Mark in die Schraubenfabrik eintritt, rettet ihn vor dem Konkurs (69). Ein öffentlicher Großauftrag, den er nicht erfüllen kann, weil seine aus England importierte Schraubenmaschine nicht funktioniert, bringt ihn erneut an den Rand des Ruins (81). Ein Kredit seines Schwagers Julius Mainzer hilft ihm aus der Bredouille (82).

Während sein Bruder Karl mit seiner Frau Annette, der »Luxusdame« (167), ein Leben in Wohlstand genießt, was ihm missfällt, praktiziert er selbst die »jahrtausendealte Sparethik der Effingers«, die sich gegen die »Wechselfälle des Daseins« wappnet (171). Von 1889 an beginnt er, Gasmotoren nach den Entwürfen des Ingenieurs Rothmühl zu bauen (216f.). Bei seinen Planungen für einen »schienenlosen Wagen« kommt ihm Carl Benz zuvor (218). Er wandelt den Betrieb in eine Aktiengesellschaft um (229) und baut eine eigene Fabrikanlage in Berlin-Weißensee, die im März 1893 eröffnet wird (269). Karl lässt sich in dem neuen Gebäude ein pompöses Büro einrichten, Paul behält seine alten Büromöbel aus der Hufschmiede.

Der Konkurs gegangene Bankier Mayer ist bemüht, ihn mit seiner Tochter Amalie zusammenzubringen, aber Paul findet sie »überspannt« (220). Er hat seit langem eine starke Sympathie für Klara Oppner, schreckt aber vor einer Verbindung mit Familie Oppner und ihrem Hang zum Luxus zurück, er möchte eine »Hausfrau« (ebd.) und hat zudem Sorge, er könnte als Mitgiftjäger erscheinen (287). Schließlich aber bittet er Klärchen um ihre Hand (297), beide heiraten. Er  führt mit seiner Familie ein sparsames Leben in einer Mietwohnung in einem Berliner Arbeiterviertel (310f.), obwohl er inzwischen vermögend ist (313). Später (1907) zieht die Familie dann doch um und wohnt in der Bendlerstraße gegenüber von Klärchens Eltern (353, 355). Trotz seines unternehmerischen Erfolgs findet Paul nicht in die Rolle eines Großindustriellen, träumt vielmehr weiter von einem beschaulichen Leben in Kragsheim, wie es sein Vater führt (400).

1908 (oder 1909) pachtet er ein Grundstück in London, auf dem er eine Dependance seiner Auto-Fabrik errichten lässt (397). Bei einem Autorennen in London gewinnt ein Effinger-Wagen (399). Im Ersten Weltkrieg wird die Fabrik beschlagnahmt (495). Der Krieg bringt Paul um die Realisierung seiner Wünsche nach einem sorgenfreien Leben (496, 499). Nach dem Tod seines Sohnes Fritz (1918) verliert er die Lebensfreude (589). Zudem macht ihm das gesellschaftliche Klima der Nachkriegsjahre zu schaffen, das in seinen Augen von »Rücksichtslosigkeit, Gemeinheit und Unkultur« und einem »Mangel an Ehrlichkeit und Ehrgefühl« geprägt ist (640). Sein fester Glaube an die Legitimität und Anständigkeit der Obrigkeit (vgl. 485, 489, 495, 514f.) bleibt davon unberührt. Im Betrieb gerät er zeitweise in Meinungsverschiedenheiten mit seinem Neffen und Schwiegersohn Erwin, der ihm vorwirft, die durch die Inflation veränderte Wirtschaftslage nicht verstanden zu haben (691-693). Selbst 1923 glaubt er noch daran, dass man sein Geld zur Bank bringen muss, um Zinsen zu erwirtschaften (727).

Mit seinem Ingenieur Rothmühl entwickelt er einen Kleinwagen, das »Volksauto« (694f.). Ein Herr Stiebel, der sich anbietet, einen Reklamefeldzug für das neue Auto zu machen, wird engagiert (697). Paul plant eine Erweiterung der Fabrik in Niederschönhausen mit einer Arbeitersiedlung (721). Stiebel verrät Pauls Pläne an den jungen Hartert (722), so dass Paul für den Ankauf des Geländes einen um 30 Prozent erhöhten Kaufpreis zahlen muss (728). Die Arbeitersiedlung wird von den Arbeitern als Trick betrachtet, den Lohn zu drücken (729).

Nach dem Zusammenbruch des Bankhauses Oppner & Goldschmidt (1931) und dem Tod seines Bruders Karl (1932) muss er für die mittellosen Verwandten sorgen (824f.). Nach der Machtergreifung wird er mit fadenscheinigen Gründen verhaftet (854). Noch bevor sein Prozess beginnt, sind die Effinger-Werke ›arisiert‹ (864). Im Prozess wird er freigesprochen (866). Weder diese Erfahrungen noch die Flucht seiner Tochter Lotte lassen ihn, anders als seine Frau, erkennen, welche Gefahren den in Deutschland lebenden Juden drohen (867). Klärchens Wunsch nach Auswanderung begegnet er noch nach der Pogromnacht 1938 mit der Überzeugung, dass man »zwei alten Leuten wie uns« nichts tun wird (877). In seinem letzten Brief an Lotte, Erwin und Marianne Effinger 1942 bereut er dies zutiefst. »Ich habe an das Gute im Menschen geglaubt. Das war der tiefste Irrtum meines verfehlten Lebens.« (882) Kurz nach Abfassung des Briefes, der seine Adressaten dank der alten Frieda 1946 erreicht (885), wird er zusammen mit Klärchen, Bertha und Eugenie Goldschmidt deportiert (882).