E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi (1819)

Andilly, Pierre Arnaud d'

Der »berühmteste Advokat von Paris« (842). Seiner »tiefen Wissenschaft, seinem umfassenden Verstande war seine Rechtschaffenheit, seine Tugend gleich« (842). Das Fräulein von Scuderi sucht bei ihm Unterstützung für Brußon und glaubt, »daß d'Andilly mit Eifer sich des Unschuldigen annehmen werde« (842). Ihre Hoffnung wird allerdings enttäuscht, denn d’Andilly beurteilt die Lage mit nüchternem juristischem Sachverstand, demzufolge für Olivier nichts zu tun sei, solange er sein Geheimnis nicht preisgeben wolle. Er rät dem Fräulein deshalb dringend davon ab, in dieser Situation die Gnade des Königs anzurufen. Der König könne nach Lage der Dinge nur ablehnen, und ein zweites Gnadengesuch in derselben Sache sei ausgeschlossen. Erst müsse ein Weg gefunden werden, den Verdacht von Brußon zu ziehen. Auch als Miossens gesteht, Cardillac in Notwehr erstochen zu haben, bleibt d’Andilly skeptisch, weil dieses Geständnis Brußon nicht von dem Verdacht befreit, Cardillacs Komplize gewesen zu sein. Er entwickelt einen kniffligen Plan, um da, »wo der Richter strafen muß, Gnade« beim König zu erwirken, »und es geschah wirklich, was dieser vorhergesehen« (846).

Argenson

Der Polizeiminister lässt »Alles aufgreifen in Paris«, was »nur irgend verdächtig« scheint, um der geheimnisvollen Mordserie Herr zu werden (790).

Er und La Regnie versetzen die Pariser Bürger zusätzlich in Angst und Schrecken mit ihrem Übereifer, dem auch zahlreiche Unschuldige zum Opfer fallen. Deshalb weigert sich der König, ihm den geforderten Gerichtshof mit noch »ausgedehnterer Macht«, als die »Chambre ardente« sie schon hat, einzurichten (793).

Baptiste

Stellt im Haushalt der Scuderi den »Koch, Bedienten und Türsteher zugleich« vor (780). In der Nacht, in der das geheimnisvolle Kästchen mit dem Schmuck überbracht wird, ist er auf der Hochzeit seiner Schwester, kehrt aber früher als erwartet zurück: »Ich weiß nicht was es war, aber fortgetrieben hat es mich von der Hochzeit gestern Abend mit Gewalt!« (784)

Sein Nervenkostüm ist recht anfällig. Als das Fräulein am anderen Morgen mutig das Schmuckkästchen öffnet, geht er mit »einem dumpfen Ach!« fast in die Knie (796). Auch als Lieutnant Desgrais vor der Tür steht, ist er ganz »bleich und erschrocken« (819).

Nach Brußons Freilassung geben er und die Kammerfrau Martiniere ihrer Begeisterung »mit vor Freude glänzenden Gesichtern« stürmischen Ausdruck, indem sie das Fräulein »jauchzend, schreiend« mit der Nachricht empfangen: »Er ist hier – er ist frei! – o die lieben jungen Leute!« (852)

Brinvillier, Marquise de

Eine Figur der rückblickend erzählten Geschichte von der Giftmordserie, die zu dem Zeitpunkt, da Cardillacs Mordserie beginnt, gerade im Abnehmen begriffen ist. Die Brinvillier war eine der berüchtigten Giftmörderinnen, deren Treiben immer noch Angst und Schrecken verbreitet, obwohl sie schon längst gefasst und hingerichtet ist.

Sie war die Geliebte des Hauptmanns Godin de Sainte Croix, der über die Rezeptur eines spurlos tötenden Giftes verfügte. Der Erzähler hält sie für ein »entartetes Weib«, das durch Sainte Croix vollends »zum Ungeheuer« wurde (786). Ihren alten Vater, der Sainte Croix ins Gefängnis gebrachte hatte, vergiftete sie aus Rache und ihre Geschwister – »der reichen Erbschaft wegen« – aus Habsucht (786). Danach mordete das Paar ohne »weitern Zweck, aus reiner Lust daran« weiter. Opfer waren sowohl Gäste ihres Hauses als auch Bewohner des städtischen Armenhauses. Nachdem ihr Geliebter beim Hantieren mit dem Gift versehentlich ums Leben gekommen war, flüchtete sie sich in ein Kloster in Lüttich, wo sie von Desgrais aufgespürt und in die Falle gelockt wurde. Ihren Kopf verlor sie dann in Paris, und der restliche Körper wurde »nach der Hinrichtung verbrannt, und die Asche in die Lüfte zerstreut« (787).

Die Giftmordserie endet allerdings nicht mit dem Tod der beiden und hält die Chambre ardente und die Pariser noch viele Jahre in Atem.

Brußon, Olivier

Goldschmiedegeselle bei Cardillac und Verlobter von dessen Tochter Madelon. Nach Cardillacs gewaltsamem Tod gerät er unter Mordverdacht und wird zudem verdächtigt, Mitglied der Schmuckräuberbande zu sein, die man hinter den zahlreichen Raubmorden vermutet, die Paris seit Jahren in Atem halten, die aber in Wahrheit, wie sich am Ende herausstellt, sämtlich auf Cardillacs Konto gehen.

Zu Beginn der Geschichte taucht er zunächst als geheimnisvoller Fremder auf, der dem Fräulein von Scuderi mitten in der Nacht ein Schmuckkästchen ins Haus bringt. Einige Monate später lässt er ihr eine Nachricht zukommen, in der er sie dringlich auffordert, den Schmuck zu Cardillac zu bringen. Die Hintergründe dieser Ereignisse erfährt das Fräulein und mit ihr der Leser erst durch das nächtliche Gespräch, das Brußon nach seiner Festnahme unter Polizeiaufsicht mit der Scuderi führen darf.

Bei diesem Gespräch stellt sich zunächst heraus, dass er der Sohn der ehemaligen Ziehtochter der Scuderi, Anne Guiot, ist, den die Scuderi abgöttisch geliebt hatte. Als er drei Jahre alt war, zogen Anne und ihr Mann Claude Brußon, ein Uhrmacher, mit dem Kind nach Genf um, und der Kontakt brach ab (822f.). Olivier, dessen Eltern früh starben, erlernte in Genf das Goldeschmiedehandwerk. Nach Abschluss seiner Lehre ging er nach Paris und wurde Geselle bei Cardillac. Er und Cardillacs Tochter Madelon verliebten sich ineinander, woraufhin Cardillac ihn aus dem Haus warf mit dem Bescheid, für ihn, den »armen Schlucker«, hänge die »süße Frucht zu hoch« (825).

Mit der Erzählung der darauf folgenden Ereignisse legt Brußon dem Fräulein nun eine umfassende Beichte ab: Wenige Tage nach seinem Herauswurf wird er unfreiwillig Zeuge bei einem von Cardillacs Raubmorden. Cardillac erkauft sich sein Schweigen, indem er ihm seine Tochter verspricht und ihn wieder als Gesellen einstellt. Um seiner Liebe willen lässt er sich zum Komplizen machen, und so sehr ihn auch Gewissensnöte plagen, bringt er es mit Rücksicht auf Madelon nicht über sich, den Mörder der Polizei zu überliefern.

Als Cardillac ihn damit beauftragt, dem Fräulein das Kästchen mit wertvollem Schmuck zu überbringen, hofft er, sie sprechen, ihr alles beichten und Rat bei ihr finden zu können, doch diese Hoffnung scheitert an dem mutigen Eintreten der Martiniere für ihre Herrin. Als Cardillac nach dieser Übergabe wieder unruhig wird, hat Brußon Sorge, dass der Meister es nun auf die Scuderi abgesehen haben könnte. Um sie zu schützen, lässt er ihr die Nachricht mit der Bitte zukommen, den Schmuck zurückzubringen, und verfolgt Cardillac auf seinen nächtlichen Gängen. Dabei wird er Zeuge seines fehlschlagenden Überfalls auf den Grafen Miossens und dessen Gegenwehr. Er schleppt den tödlich verwundeten Cardillac in sein Haus und versorgt mit Madelon die Wunde, aber Cardillac stirbt noch in der Nacht. Am Morgen wird Brußon verhaftet.

Aus Sorge um Madelon, die der »gräßlichsten Verzweiflung« anheimfallen würde, wenn sie die Wahrheit über ihren Vater erführe, ist Brußon auch nach dieser Beichte entschlossen, die Wahrheit über Cardillac vor der Justiz zu verschweigen, und ist sogar bereit, dafür »den Tod des Verbrechers« zu erdulden (831).

Er verdankt es allein dem Einsatz des Fräuleins, dass er letztlich doch noch frei kommt, Madelon heiraten und das Geheimnis ihres Vaters vor ihr wahren kann.

Cardillac, Madelon

Tochter von René Cardillac und Verlobte Olivier Brußons. Sie ist »ein junges Mädchen, schön wie der Tag« (809). Ihrem Verlobten Olivier erscheint sie wie ein »Engelsbild« (825).

Madelon ist von Brußons Unschuld überzeugt und bittet die Scuderi, die sich ihrer nach Brußons Verhaftung annimmt, um Hilfe für ihren Verlobten. Ihr »unbedingtes frommes kindliches Vertrauen« bewegt das Fräulein dazu, sich für Brußons Freilassung einzusetzen (841).

Der König, der sie vor sich bringen lässt, fühlt sich durch ihre Erscheinung an eine frühere Geliebte (Louise de la Vallière) erinnert, was der Begnadigung Brußons förderlich zu sein scheint. Er schenkt Madelon einen Brautschatz von »tausend Louis« und erklärt, Brußon habe »solch ein Glück gar nicht verdient« (852).

Nach Brußons Freilassung wirft sich das wieder vereinte Paar der Scuderi zu Füßen, und »beide küßten der würdigen Dame die Hände und vergossen tausend heiße Tränen« (852).

Cardillac, René

René Cardillac ist der »geschickteste Goldarbeiter in Paris« (799). Er allein ist auch der Schmuckräuber und Mörder, hinter dem die Pariser Polizei eine ganze Bande vermutet.

»Eher klein als groß, aber breitschultrig und von starkem, muskulösem Körperbau«, ist er trotz seines Alters, er ist Ende fünzig, noch sehr beweglich und kräftig. Dieser Eindruck wird durch das »dicke, krause, rötliche Haupthaar« betont. Er gilt »in ganz Paris als der rechtlichste Ehrenmann, uneigennützig, offen, ohne Hinterhalt, stets zu helfen bereit«. Lediglich »sein ganz besonderer Blick aus kleinen, tiefliegenden, grün funkelnden Augen« passt nicht so recht zu diesem Bild und »hätte ihn in den Verdacht heimlicher Tücke und Bosheit bringen können« (799).

Er gilt zugleich als einer der »sonderbarsten Menschen seiner Zeit«, weil er Aufträge für viel zu niedrige Bezahlung annimmt, dann Tag und Nacht wie besessen daran arbeitet, sich anschließend aber nicht von dem Schmuck trennen will. Zudem gibt es einen ausgewählten Kreis von Menschen, von denen er gar keine Aufträge annimmt und zu denen auch die Marquise de Maintenon gehört. Niemand ahnt, dass er damit ihr Leben schützen will. Dies und alle übrigen Hintergründe seiner Geschichte erfährt man erst nach seinem Tod aus dem Bericht, den sein Geselle Olivier Brußon dem Fräulein von Scuderi gibt: Sobald er ein Schmuckstück widerwillig abgegeben hat, sucht sein »böser Stern« (832) ihn heim und zwingt ihn nicht nur dazu, den Schmuck zurückzuholen, sondern auch dessen Besitzer zu töten. Dabei benutzt er einen geheimen Aus- und Eingang seines Hauses, durch den er auch Desgrais entwischt, der ihm bei einem seiner Raub- und Mordgänge dicht auf den Fersen ist.

Als der Meister entdeckt, dass sich zwischen Brußon und seiner Tochter Madelon eine Beziehung anbahnt, wirft er den jungen Mann buchstäblich aus dem Haus. Das Blatt wendet sich allerdings, als Brußon Zeuge eines seiner Morde wird. Cardillac stellt ihn wieder ein und verspricht ihm seine Tochter. So erpresst er sein Schweigen, dessen er sich so sicher ist, dass er vor seinem künftigen Schwiegersohn sogar eine Lebensbeichte ablegt, die schon vor seiner Geburt beginnt: Ein unheimliches Erlebnis seiner Mutter während der Schwangerschaft mit einem »Cavalier in spanischer Kleidung mit einer blitzenden Juwelenkette« habe sich auf ihn, das ungeborene Kind, ausgewirkt (832). Schon als kleiner Junge sei er auf Schmuck völlig versessen gewesen, vor allem auf Edelsteine. Dieser Leidenschaft folgend, habe er auch den Beruf des Goldschmiedes ergriffen. Doch eines Tages habe er angefangen, Stimmen zu hören, die ihm die Morde befohlen hätten: »Ho ho, dein Geschmeide trägt ein Toter!« (833)

Als er von dem Zweizeiler hört, mit dem das Fräulein von Scuderi dem König geholfen hat, die Einrichtung eines Sondergerichts zur Verfolgung seiner Mordtaten abzulehnen, beauftragt er Brußon, ihr zum Zeichen seiner »Ehrfurcht« und »Dankbarkeit« (und um seinen Verfolger Desgrais zu verhöhnen) den erlesenen Schmuck zu bringen, den er einst für Henriette von England angefertigt hatte (836). Zugleich beschwichtigt er damit eine unbestimmte Angst vor ewiger Verdammnis: »Jetzt ist es mir, als wenn ich der Tugend und Frömmigkeit selbst demutsvoll ein Opfer bringe und wirksame Fürsprache erflehe, indem ich der Scuderi den schönsten Schmuck sende, den ich jemals gearbeitet« (837). Da er das Fräulein, wie er Brußon erklärt, »von jeher verehrt habe, wie sonst kein menschliches Wesen«, sei er gewiss, dass der »böse Stern«, der ihn von Kind an verfolgt, vor ihrer Tugend »kraftlos erbleiche«, glaubt sie also vor seiner Mordlust sicher (836).

Aber schon bald nach der Übergabe des Schmucks wird Cardillac wieder nervös. Brußon fürchtet, das »Mordgespenst« habe es auf das Fräulein abgesehen, und verfolgt den Goldschmied nachts, um die alte Dame zu schützen (838). Cardillac aber greift den Grafen von Miossens an, der auf den Angriff vorbereitet ist und den Goldschmied in Notwehr tödlich verwundet. Brußon schleppt den Verletzten nach Hause, wo er und Madelon die Wunde versorgen. Bevor Cardillac stirbt, legt er die Hände der Brautleute »mit seelenvollem Blick« ineinander und drückt sie »heftig« (811).

Desgrais, Lieutnant

Ein Lieutnant der Marechaussee. Einer seiner größten Erfolge ist die Verhaftung der berüchtigten Marquise de Brinvillier, die als Giftmörderin in Paris Unruhe gestiftet hatte. Auch der Giftmischerin Voisin ist er auf die Schliche gekommen. Umso mehr ärgert es ihn nun, dass er die vermeintliche Schmuckräuberbande nicht dingfest machen kann (791). Er kommt auf die Idee »mehrere Desgrais zu schaffen, sich untereinander so ähnlich an Gang, Stellung, Sprache, Figur, Gesicht, daß selbst die Häscher nicht wußten, wo der rechte Desgrais stecke« (791). Doch auch dieses Täuschungsmanöver bleibt erfolglos, und Desgrais »schäumte vor Wut« (791). Als der Mörder »funfzehn Schritte« vor ihm im Schatten durch eine offensichtlich »starke steinerne Hofmauer« verschwindet, ist er sich sicher, dass der »Teufel selbst es ist, der uns foppt« (792 f.). Diese Aussage spricht sich in Paris herum, weshalb die Bevölkerung nun auch auf Weihwasser und Amulette zurückgreift, um sich zu schützen.

Bei Brußons Verhaftung wirft Madelon sich vor Desgrais auf die Knie und fleht ihn um Gnade für ihren Verlobten an. Degrais‘ Leute jedoch reißen das Mädchen unsanft von ihm los und lassen es ohnmächtig auf der Straße liegen. Von der empörten Scuderi zur Rede gestellt, zeigt er keinerlei Mitgefühl, wirft vielmehr »einen tückischen, schadenfrohen Blick auf das Mädchen« (809).

Als Brußon darauf besteht, nur vor dem Fräulein zu sprechen, versucht Desgrais, die Scuderi zu diesem Gespräch zu überreden, weil er hofft, auf diese Weise an Brußons Geständnis zu kommen. Um dem Fräulein einen nochmaligen Besuch im Gefängnis zu ersparen, lässt er Brußon nachts in ihr Haus bringen, wo die beiden nicht »belauscht, doch wohlbewacht« reden können. Er gesteht ihr darüber hinaus zu, frei zu entscheiden, was sie dann von dem Gespräch verraten wolle (820 f.).

Die Maréchaussée war eine militärisch organisierte Polizeitruppe im Ancien Regime und direkter Vorläufer der französischen Gendarmerie Nationale.

Exili

Eine Figur der rückblickend erzählten Geschichte von der Giftmordserie. Exili war Sainte Croix' Lehrmeister in der Giftmischerei. Der aus Italien stammende Chemiker hatte von einem deutschen Apotheker die Alchimie gelernt. Es gelang ihm, »jenes feine Gift zu bereiten, das ohne Geruch, ohne Geschmack« tötet und keinerlei Spuren im Körper des Opfers hinterlässt (786). Der Verkauf dieses Giftes brachte ihn aber letztlich in die Bastille, wo er sich mit Sainte Croix eine Zelle teilte und ihn in die Geheimnisse der Giftherstellung einweihte.

Guiot, Anne (verh. Brußon)

Ehemalige Ziehtochter der Scuderi und Mutter von Olivier Brußon. Ebenso wie ihr Mann Claude Brußon, ein Uhrmacher, stirbt sie früh, kurz nachdem ihr Sohn seine Goldschmiedelehre in Genf begonnen hat.

La Regnie

Präsident der Chambre ardente, eines Sondergerichtshofes, der zur Aufklärung einer Serie von Giftmorden eingerichtet wurde. Seine Bemühungen bleiben jedoch, »so eifrig sie auch sein mochten«, ergebnislos. Die wenigen Ermittlungserfolge gehen überwiegend auf das Konto des Lieutnants der Marechaussee Desgrais (788).

La Regnie ist »von garstigem Ansehen und heimtückischem Wesen«, und es ist »sein blinder Eifer«, der ihn zu »Gewaltstreichen und Grausamkeiten« greifen lässt, so dass der Gerichtshof »den Charakter der Inquisition« annimmt (789). Auf dem Greveplatz strömt das »Blut Schuldiger und Verdächtiger in Strömen«, und »oft war es dem Zufall überlassen, die Unschuld des auf den Tod Angeklagten darzutun« (789). Deshalb ist la Regnie schnell verhasst unter den Bürgern, »deren Rächer oder Schützer zu sein er berufen wurde« (789). Eine Herzogin antwortet während des Verhörs auf seine Frage, ob sie den Teufel schon einmal gesehen habe: »mich dünkt, ich sehe ihn in diesem Augenblick!« (789) Sogar der König ist »erschüttert von dem Greuel unzähliger Hinrichtungen«, weshalb er die Einrichtung eines weiteren Gerichtshofs mit noch ausgedehnteren Kompetenzen verweigert (793).

Auch Graf de Miossens, der Cardillac in Notwehr erstochen hat, schweigt darüber aus Furcht vor dem »rasenden la Regnie« (844). La Regnie behandelt die Scuderi zwar mit »der hohen Achtung«, die ihr als Günstling des Königs zusteht, aber ihre Bemühungen um Brußon können ihm nur ein »feines, beinahe hämisches Lächeln« entlocken (813). Dem Fräulein scheint es, »als könne vor diesem schrecklichen Manne keine Treue, keine Tugend bestehen, als spähe er in den tiefsten, geheimsten Gedanken Mord und Blutschuld« (816).

La Voisin

Eine Figur der rückblickend erzählten Geschichte von der Giftmordserie, ein »altes Weib«, das in der Vorstadt St. Germain wohnte und »sich mit Wahrsagen und Geisterbeschwören« beschäftigte (788). Auch sie war eine Schülerin Exilis, von dem sie lernte, das »feine, spurlose Gift« herzustellen, mit dem sie »ruchlosen Söhnen zur frühen Erbschaft« und »entarteten Weibern zum andern jüngern Gemahl« verhalf (788f.). Sie wurde von Desgrais gefasst, und die Chambre ardente verurteilte »sie zum Feuertode, den sie auf dem Greveplatze erlitt« (789).

Man fand bei ihr eine Liste mit Namen, die die Beamten der Chambre ardente sämtlich für Käufer ihres Giftes hielten. Es folgte »Hinrichtung auf Hinrichtung«, der auch Unschuldige zum Opfer fielen (789).

Ludwig XIV.

Der König von Frankreich tritt an zwei Gelenkstellen der Erzählung in Erscheinung, und beide Male ist es das Fräulein von Scuderi, das sein Handeln beeinflusst. Zu Beginn von Cardillacs Mordserie fordert Polizeiminister Argenson für deren Aufklärung die Einrichtung eines eigenen Gerichtshofes, der mit »noch ausgedehnterer Macht« ausgestattet werden soll als die berüchtigte »Chambre ardente«, die einige Zeit zuvor eingerichtet wurde, um einer Giftmordserie Herr zu werden (788). Der König, »erschüttert von dem Greuel unzähliger Hinrichtungen«, die die Chambre ardente veranlasst hat (793), lehnt Argensons Forderung ab, ist aber um ein Argument verlegen, als man ihn »im Namen der gefährdeten Liebhaber« mit einem Gedicht umzustimmen versucht (793). Aus dieser Verlegenheit hilft ihm die Scuderi mit einem Zweizeiler, dessen wenige Worte »das ganze Gedicht mit seinen ellenlangen Tiraden zu Boden schlugen«. Sie lauten: »Un amant, qui craint les voleurs, / n’est point digne d’amour« (795). Der König verweigert die Einrichtung eines weiteren Gerichtshofs.

Am Ende der Geschichte ist es die Erzählkunst der Scuderi, die ihn dazu bringt, sich mit dem ihm eigentlich verhassten Fall Brußon zu befassen und die schöne Madelon zu empfangen, deren Anblick ihn (wohl wegen ihrer Ähnlichkeit mit seiner früheren Maitresse Louise de la Vallière) zutiefst rührt. Vier Wochen später, nach einigen Prüfungen des Falls, begnadigt er Brußon mit der Auflage, Paris zu verlassen. Dem Fräulein von Scuderi gegenüber begründet er seine Entscheidung damit, dass ihrer Beredsamkeit »Niemand auf Erden« widerstehen könne (851). Dass er Madelon einen Brautschatz von 1000 Louis d’Or stiftet, lässt darauf schließen, dass seine Entscheidung nicht nur seiner Empfänglichkeit für die Dichtkunst, sondern auch seiner Schwäche für das schöne Mädchen zu verdanken ist: »Mag sie ihren Brußon, der solch ein Glück gar nicht verdient, heiraten, aber dann sollen Beide fort aus Paris. Das ist mein Wille« (852).

Maintenon, Marquise de

Die Mätresse Ludwigs XIV. und Gönnerin des Fräuleins von Scuderi ist »ihrem ernsten Sinne treu« und immer umgeben von »einer gewissen Frömmigkeit« (795). Sie berät das Fräulein beim Umgang mit dem geheimnisvollen Schmuck, den sie sofort als eine Arbeit Cardillacs erkennt, und lässt Cardillac kommen, um die Stücke zu begutachten.

Am Ende der Geschichte, als es der Scuderi gelungen ist, den König für den Fall Brußon zu interessieren, und Brußons Verlobte Madelon vor dem König steht, gefährdet sie den Erfolg des Gnadengesuchs durch die Bemerkung, der König schwelge »in den süßesten Erinnerungen«, weil Madelon der Valliere, einer früheren Mätresse Ludwigs, ähnlich sehe (849). Der König bricht daraufhin die Audienz ab und schickt die Damen weg. In der darauf folgenden Wartezeit verweigert die Maintenon, getreu ihrem »Grundsatz, dem Könige nie von unangenehmen Dingen zu reden« (846), der Scuderi jede weitere Hilfe, erkundigt sich aber »mit sonderbarem Lächeln« nach der »kleinen Valliere« (Madelon). Das Fräulein erkennt, dass sich »tief im Innern der stolzen Frau« die Eifersucht regt und die Furcht, die Angelegenheit könnte »den reizbaren König in ein Gebiet locken […], auf dessen Zauber sie sich nicht verstand.« (580).

Martiniere, la

Kammerfrau des Fräuleins von Scuderi. In der Nacht, in der das geheimnisvolle Kästchen mit Schmuck überbracht wird, ist sie allein mit dem Fräulein im Haus. Nachdem sie dem Fremden, erweicht durch dessen dringendes Bitten, die Tür geöffnet hat, verweigert sie ihm mutig den Zugang zu den Zimmern des Fräuleins, obwohl er sie zuletzt sogar mit einem Dolch bedroht, und ruft nach der Marechaussee. Über das geheimnisvolle Kästchen, das der Fliehende zurücklässt, berät sie sich mit dem kurz darauf zurückkehrenden Baptiste. Die beiden »Getreuen« entscheiden sich, es dem Fräulein am nächsten Morgen auszuhändigen (785).

Als Brußon einige Monate später im Gedränge auf dem Pontneuf auf die Kutsche zustürmt, um der Scuderi sein Zettelchen zuzuspielen, erkennt die Martiniere in ihm den nächtlichen Besucher wieder, sinkt mit »einem Schrei des Entsetzens« ohnmächtig »in die Wagenkissen«, und die Scuderi muss ihr gesamtes »Riechfläschchen über die ohnmächtige Frau« ausschütten, ehe sie wieder zu sich kommt (806).

Auf den Befehl des Fräuleins kümmert sie sich um Madelon und nimmt aufrichtig Anteil an dem Schicksal des Mädchens. Zusammen mit Baptiste ist sie ganz außer sich vor Freude, als Brußon frei ist: »Er ist hier – er ist frei! – o die lieben jungen Leute!« (852)

Die Maréchaussée war eine militärisch organisierte Polizeitruppe im Ancien Regime und direkter Vorläufer der französischen Gendarmerie Nationale.

Miossens, Graf von

Obrist der königlichen Garde und Kunde Cardillacs, der ihn eines Nachts überfällt, um den für ihn gefertigten Schmuck zurückzuholen. Doch Miossens, durch die zahlreichen Raubmorde gewarnt, ist vorbereitet und erwehrt sich des Überfalls mit einem Dolchstich, an dem Cardillac wenig später stirbt.

Obwohl es sich um Notwehr handelt und Olivier Brußon an seiner Statt des Mordes an Cardillac beschuldigt wird, will Miossens sich nicht stellen. Er befürchtet zu Recht, dass der grausame und übereifrige la Regnie ihm nicht glauben würde, wenn er »den rechtschaffenen Cardillac, das Muster aller Frömmigkeit und Tugend, des versuchten Mordes« anklagen würde (844). Brußons wegen hat er kein schlechtes Gewissen. Er betrachtet ihn als »Cardillacs Spießgesellen« und erklärt: »der blutet mit Recht« (844). Trotzdem lässt er sich von dem Fräulein dazu überreden, dem Anwalt d'Andilly seine Geschichte unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu erzählen, und trägt so schließlich doch zu Brußons Freilassung bei.

Patru, Meister Claude

Nachbar und indirekter Zeuge von Cardillacs Tod, dessen Aussage den Tatverdacht gegen Olivier Brußon stützt. Er wohnt im Erdgeschoss von Cardillacs Haus und will gehört haben, dass Cardillac am Abend seines Todes wie gewohnt um neun Uhr zu Bett gegangen ist. Er glaubt daher beschwören zu können, dass der Goldschmied sein Haus in dieser Nacht nicht mehr verlassen hat.

Sainte Croix, Godin de (Hauptmann)

Eine Figur der rückblickend erzählten Geschichte von der Giftmordserie. Sainte Croix war der Geliebte der Marquise de Brinvillier und einer der berüchtigten Giftmörder, derentwegen die Chambre ardente eingerichtet wurde.

Er hatte im Gefängnis von Exili die Kunst des Giftmischens gelernt. Nach seiner Entlassung brachten er und die Brinvillier deren Vater, der Sainte Croix ins Gefängnis gebracht hatte, aus Rachsucht um und beförderten Brinvilliers Geschwister ins Jenseits, um das Erbe zu sichern. Danach ermordeten die beiden nur noch aus Lust und Laune Menschen, »deren Leben oder Tod ihnen völlig gleich sein konnte« (786).

Als Sainte Croix eines Tages beim Abfüllen des Giftes die Maske vom Gesicht rutschte, fiel er seinem eigenen Gift zum Opfer und »augenblicklich tot nieder« (787). Kurz darauf wurde seine Geliebte von Desgrais gefasst und hingerichtet. Die Giftmordserie findet allerdings nach dem Tod der beiden kein Ende und hält die Pariser über lange Jahre in Atem.

Scuderi, Magdalaine von

Die 73-jährige, scharfsinnige Protagonistin der Geschichte, »bekannt durch ihre anmutigen Verse, durch die Gunst Ludwig des XIV. und der Maintenon«, lebt gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Paris in der Rue St. Honoré (780). Sie ist von »uraltem Adel« (806), der »Tugend getreu« und der Frömmigkeit »von Kindheit an« eng verbunden (797).

Als Ludwig XIV. gedrängt wird, zur Aufklärung einer Serie von Raubmorden einen eigenen Gerichtshof einzurichten, verhilft sie dem widerstrebenden König mit einem Zweizeiler zu einer galanten Begründung seines abschlägigen Bescheids: »Un amant qui craint les voleurs / n'est point digne d'amour« (795). Bald darauf, in einer Herbstnacht des Jahres 1680, wird ihr durch einen geheimnisvollen jungen Mann (Olivier Brußon) ein Kästchen mit erlesenem Schmuck überbracht, mit dem sich »Die Unsichtbaren«, wie ein beiliegender Zettel wissen lässt, bei dem Fräulein bedanken dafür, dass sie sie »von großer Verfolgung errettet« habe (797).

Die entsetzte Scuderi, durch das ungebetene Geschenk unfreiwillig in die Machenschaften der (vermeintlichen) Mörderbande verwickelt, sucht Rat bei der Marquise de Maintenon, die den Schmuck sofort als Arbeit des berühmten Goldschmieds Cardillac erkennt. Der herbeigerufene Cardillac bestätigt dies, gibt vor, dass der Schmuck ihm gestohlen worden sei, möchte ihn aber nicht zurücknehmen, sondern drängt ihn der Scuderi förmlich auf.

Einige Monate später wirft ihr derselbe junge Mann, der ihr den Schmuck überbracht hatte, ein Zettelchen zu, auf dem er sie beschwört, den Schmuck binnen zwei Tagen zu Cardillac zurückzubringen, andernfalls sei ihr Leben in Gefahr. Als das Fräulein zwei Tage später vor das Haus des Goldschmieds kommt, stellt sich heraus, dass Cardillac in der Nacht ermordet und sein Geselle, Olivier Brußon, als sein mutmaßlicher Mörder und als mutmaßliches Mitglied der vermeintlichen Schmuckräuberbande verhaftet worden ist. Madelon, Cardillacs Tochter und Verlobte Brußons, bittet das Fräulein um Hilfe.

Die Scuderi nimmt sich der Verzweifelten an, und nachdem sie sich von der Glaubwürdigkeit ihrer Darstellung des Hergangs überzeugt hat, ist sie entschlossen, Brußon zu retten. Sie wendet sich an den berüchtigten Polizeipräsidenten la Regnie, der aber angesichts der erdrückenden Indizien hart bleibt. Der Scuderi scheint es, »als könne vor diesem schrecklichen Manne keine Treue, keine Tugend bestehen« (816). Sie verlangt, Brußon zu sprechen, fällt aber bei seinem Anblick in Ohnmacht, weil sie in ihm den jungen Mann erkennt, der ihr das Zettelchen zuwarf, und ist nun von seiner Schuld überzeugt. Dennoch lässt sie sich von dem Polizeioffizier Desgrais zu einer erneuten Begegnung mit Brußon überreden. Bei dieser Begegnung gibt Brußon sich ihr als Sohn ihrer Pflegetochter Anne Guiot zu erkennen und beichtet seine ganze Geschichte: Keine Räuberbande, sondern Cardillac war der Mörder und Schmuckräuber, der die Stadt in Angst und Schrecken versetzt hatte. Brußon wurde durch Zufall zu seinem Mitwisser und sah sich mit Rücksicht auf Madelon dazu gezwungen, den Mörder zu decken. Den Tod fand Cardillac bei seinem letzten Raubüberfall: Dessen Opfer (Graf von Miossens) erstach ihn in Notwehr.

Da Brußon um Madelons willen darauf besteht, sein Wissen auch weiterhin nicht preiszugeben, erscheint seine Rettung nahezu aussichtslos. Die Scuderi scheut jedoch keine Kosten und Mühen, um der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen. Sie beauftragt sogar den berühmtesten Anwalt in Paris, Arnaud d'Andilly, der ihr allerdings vorerst nicht weiterhelfen kann. Dann aber kommt ihr die Aussage des Grafen Miossens zu Hilfe, der ihr gesteht, Cardillac in Notwehr erstochen zu haben. Das Geständnis bewahrt Brußon vor der Folter und verschafft dem Fräulein Zeit für ein Gnadengesuch beim König. Da Ludwig XIV. von dem Fall Brußon nichts wissen will, setzt die Scuderi ihr ganzes erzählerisches Geschick ein: Durch die spannende Erzählung der Geschichte aus ihrer und Madelons Sicht gelingt es ihr, den König zu fesseln und schließlich von Brußons Unschuld zu überzeugen. Er begnadigt den jungen Mann und stellt resigniert fest, dass die Scuderi »Parlamentsadvokat« sein und seine »Rechtshändel ausfechten« sollte: Denn, »beim heiligen Dionys, Eurer Beredsamkeit widersteht niemand auf Erden« (851).

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