Dûdu

Potiphars »Kleiderwart« und »Vorsteher der Schmuckkästen« ist einer der beiden »Kleinwüchsigen« im Hauswesen des Wedelträgers, sein Pendant und Gegenspieler ist Gottliebchen. Dûdu ist mit Zeset verheiratet, einer »Ausgedehnten« (IV, 786), d.h. normalwüchsigen Frau, worauf er sich sehr viel zugutehält, weshalb Potiphars Dienerschaft und insbesondere der Erzähler selbst seinen Namen häufig mit dem ironischen Zusatz »Gatte der Zeset« versehen (IV, 788 u.ö.). Mit Zeset hat er zwei Kinder, Esesi und Ebebi, die ebenfalls normalwüchsig und sein ganzer Stolz sind. Dûdu ist entschieden auf seine Würde bedacht, der er durch eine möglichst gravitätische Körperhaltung und Mimik Ausdruck zu geben sucht. Er geht »in aufrechter, sogar etwas hintübergelehnter Haltung« und »mit den Stummelärmchen rudernd, wobei er die Handflächen nach hinten kehrte« (IV, 784). Wenn er spricht, pflegt er zum Zeichen dieser Würde die Unterlippe einzuziehen, »so daß die obere darüber stand wie ein Dach« (IV, 787).

Bei der Ankunft der midianitischen Karawane auf dem Hof von Potiphars Anwesen kommt er sofort »bemüht verständigen Ganges heran« und erkundigt sich wichtigtuerisch, wer den Händlern Einlass gewährt habe. Er drückt die Stimme »möglichst tief hinab, wobei er das Kinn auf die Brust senkte und die Unterlippe einwärts über die Zähne zog« (IV, 784). Mit dem ebenfalls herbeieilenden Gottliebchen gerät er sogleich in einen Zank, und das umstehende »Hofvolk lachte laut über die zankenden Männlein, deren wechselseitige Abneigung ihnen allen eine vertraute Quelle der Lustbarkeit zu sein schien, und trieb sie mit Dreinrufen recht zum Keifen an« (IV, 788). Auch an Joseph scheiden sich die Geister der beiden Zwerge: Während Gottliebchen bei seinem Anblick sofort bezaubert ist, erweist Dûdu sich vom ersten Moment an als Josephs Gegner und sucht den Hausmeier Mont-kaw daran zu hindern, Joseph zu kaufen.

Dûdu ist ein »grundsatzfrommer Zwerg«, ein »Anhänger und Verteidiger des heilig Althergebrachten und der Überlieferungsstrenge« (IV, 831), nach deren Regeln ein hergelaufener »Amu-Knabe« wie Joseph eigentlich »zur Fron auf des Ägypters Ländereien hinausgeschickt« gehörte (IV, 829). Auch deshalb beobachtet der »Würdebold« Josephs raschen Aufstieg in Potiphars Haus voller Missgunst, und obwohl Joseph ihn durch »sorgfältigste Artigkeit« zu gewinnen sucht und es »peinlich vermied, im mindesten seine Grenzsteine zu verletzen« (V, 942), bleibt er sein erklärter Feind. Er versucht alles, um ihn aus dem Hausdienst in die »Feldfron« zu drängen, stets beobachtet und belauscht von Gottliebchen, der Joseph über seine Machenschaften auf dem Laufenden hält. Da Dûdu weder bei seinem Herrn noch bei Mont-kaw etwas ausrichten kann, denn Potiphar kann den »überheblichen Ehezwerg« ebenso wenig leiden (V, 943; 979 f.) wie Mont-kaw (IV, 837), schwärzt er Joseph bei Mut-em-enet an (V, 945, 949-951), erreicht damit aber nur, dass Mut-em-enet auf den schönen Jüngling aufmerksam wird, was Joseph »nicht vollständig unlieb« ist (V, 954). Zwar lässt sie sich herbei, die Sache mit dem Oberpriester Beknechons zu erörtern (V, 955-958), aber der Vorstoß verläuft im Sande (V, 981), und Mut-em-enets Aufmerksamkeit für Joseph, die Dûdu mit seinen fortgesetzten Klagen über den »Chabirengauch« (V, 949) immer neu schürt (V, 959), wandelt sich mehr und mehr in ein erotisch gefärbtes Interesse (V, 959) und mündet schließlich in schmerzliche Verliebtheit (V, 981).

Nun wechselt Dûdu seine Strategie. Tückisch macht er sich die Verliebtheit seiner Herrin zunutze, um sie in den Ehebruch zu treiben und damit Joseph zu Fall zu bringen: Er verändert – »nicht allzu jäh, sondern allmählich« (V, 1069) – sein Verhalten gegen beide, begegnet Joseph mit ausgesuchter Freundlichkeit und befeuert Mut-em-enets Schwäche, indem er »den Jüngling vor ihr rühmte und pries« (V, 981). Schließlich übernimmt er die Rolle eines Postillon d’amour: »als arger Gönner und Postillon verderblicher Wechselneigung begann der Zwerg hin- und herzugehen zwischen Joseph und Mut-em-enet« (V, 1064).

Schließlich glaubt er die Zeit reif für Josephs Sturz. Er hinterbringt Potiphar die Kunde von Mut-em-enets Schwäche für Joseph, die er mit drastischen Lügen garniert, indem er den Ehebruch als vollzogen hinstellt und behauptet, das ehebrecherische Paar trachte dem gehörnten Ehemann nach dem Leben. Aber Peteprê durchschaut seine üblen Absichten und verprügelt ihn mit seinem »goldgelederten Rundstab« so kräftig, dass Dûdu »wie ein Ferkel kreischte« (V, 1200).

Als Mut-em-enet Joseph zuletzt vor Potiphar verklagt (V, 1266 ff.), glaubt Dûdu seine Stunde schließlich doch noch gekommen (V, 1270). Aber Peteprê nennt ihn einen »Verräter«, der »dem gierigen Übel Einlaß verschafft und ihm die Wege gewiesen« habe (V, 1271). Er verfügt, dass ihm die halbe Zunge herausgeschnitten werde. Seinen Posten als »Kleiderwart« und »Vorsteher der Schmuckkästen« überträgt er Gottliebchen (V, 1272).

Nach Erman/Ranke gehörten Zwerge »zu den Belustigungen der Vornehmen«; ihnen war »wohl die besondere Obhut über die Kleidung und die Schmucksachen der Herren anvertraut« (292 f.). – Die auffallende Ähnlichkeit der beiden Zwerge mit Alberich und Mime aus Wagners »Ring des Nibelungen« ist kein Zufall, sie findet ihre Bestätigung in einer Bemerkung TMs in einem Brief an Jonas Lesser vom 21.3.1946: Die Zankszene zwischen Dûdu und Gottliebchen gehöre »in den Zusammenhang Ihres [Lessers] Vergleiches des Joseph mit dem ›Ring des Nibelungen‹, denn sie erinnert ja entschieden an das zankende Zusammentreffen von Mime und Alberich« (Selbstkommentare, 299). – Die Abbildungen zeigen zwei Vorlagen für die Gestaltung der Figur: (1) Kalksteinstatue des Zwergs Khnumhotep aus Sakkara (Ägyptisches Museum Kairo). – (2) Der Zwerg Seneb mit seiner Familie (Ägyptisches Museum Kairo).

Letzte Änderung: 25.02.2015  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück