Chinese

Hauptfigur der Chinesen-Geschichte, von der in Kessin immer noch gesprochen wird und die Innstetten seiner Frau erzählt (vgl. 10/97-100). Der Chinese war Diener des Kapitän Thomsen, der vormals mit seiner Nichte (oder Enkelin) in Innstettens Haus lebte. Thomsen hielt »so große Stücke« auf ihn, »daß er eigentlich mehr Freund als Diener war« (10/99). Auf der Hochzeit der Nichte mit einem Kapitän verschwand die Braut auf rätselhafte Weise, kurz nachdem sie mit dem Chinesen getanzt hatte, der vierzehn Tage nach ihrem Verschwinden starb. Thomsen kaufte ein Stückchen Land in den Dünen, wo er ihn begrub. Pastor Trippel »soll gesagt haben: Man hätte ihn auch ruhig auf dem christlichen Kirchhof begraben können, denn der Chinese sei ein sehr guter Mensch gewesen und gerade so gut wie die anderen« (10/99). – Roswitha und Frau Kruse glauben, dass hinter dem mysteriösen Geschehen eine »unglückliche Liebe« steckt, »oder es kann auch eine glückliche gewesen sein und der Chinese konnte es bloß nicht aushalten, daß es alles mit einemmal so wieder vorbei sein sollte« (21/205).

Dass das Haus seit diesem Vorkommnis in der Stadt als »Spukhaus« gilt, wie Innstetten später bemerkt (28/284), hängt mit den Geräuschen oben im Saal zusammen, die Innstettens Dienerschaft nach Bezug des Hauses gehört hat und die auch Effi in ihrer ersten Nacht in Kessin ängstigen: »Es war, als tanze man oben, aber ganz leise.« (7/61) Nach einigem Rätselraten, so berichtet Johanna, habe man schließlich die Ursache gefunden: Da der Saal »etwas multrig und stockig« sei, stünden dort immer die Fenster offen, und der Zug fege »die alten weißen Gardinen, die außerdem viel zu lang sind, über die Dielen hin und her. Das klingt dann so wie seid‘ne Kleider, oder auch wie Atlasschuhe« (ebd.).

Für Effi hat ein Chinese schon an und für sich »immer was Gruseliges« (6/52), so dass sie, noch bevor sie Näheres über Kapitän Thomsens Chinesen gehört hat, schon durch dessen bloße Erwähnung (vgl. 6/51) und erst recht durch das kleine Papierbildchen eines Chinesen beunruhigt ist, das Johanna und Christel an die Lehne eines alten Binsenstuhls im leerstehenden Obergeschoss des Kessiner Hauses geklebt haben (vgl. 8/69, 9/87). Der Chinese, den sie in ihrem Albtraum an sich vorbeihuschen fühlt (vgl. 9/86 f.), hat denn auch die Gestalt des Chinesen auf dem Papierbildchen (vgl. 10/91). Erst am Tag nach dieser ›Spuknacht‹ erzählt Innstetten ihr die Geschichte von der Nichte des Kapitäns und dem Chinesen, der fortan zum Kristallisationspunkt ihrer Ängste wird, denen entgegenzuwirken Innstetten merkwürdig wenig unternimmt. Wenn man Crampas glauben darf, benutzt er den vermeintlichen Spuk als »Erziehungsmittel«, als »eine Art Angstapparat aus Kalkül«, um seine Frau »in Ordnung zu halten« (17/157).

Effi ist allerdings ehrlich genug, Projektionen ihrer Schuldgefühle als solche zu durchschauen: »›Ich weiß schon, was es ist; es war nicht der‹, und sie wies mit dem Finger nach dem Spukzimmer oben. ›Es war 'was anderes ... mein Gewissen ... Effi, du bist verloren.‹« (20/199)

Nach dem Umzug nach Berlin zeigt sich, dass Johanna das Papierbildchen des Chinesen mitgenommen hat und in ihrem Portemonnaie verwahrt (vgl. 24/245).