Der Tor und der Tod (1893)

Tod, Der

Tritt auf, nachdem der Kammerdiener seinen Herrn Claudio darüber informiert hat, dass sich im Garten unheimliche Gestalten tummeln. Der Tod ist zunächst nur akustisch in Form seines Geigenspiels präsent und versetzt Claudio in einen dionysischen Taumel. Nach Verstummen der Musik tritt der Tod hinter dem Vorhang hervor und stellt sich als »großer Gott der Seele« aus »des Dionysos, der Venus Sippe« vor (III, 70). Indem er aber nicht nur das dionysische Prinzip, sondern auch die anthropologische Grenze des Menschen verkörpert, legt er Claudios Sehnsucht nach der Unmittelbarkeit des Lebens als Todessehnsucht offen: »Wenn sich im plötzlichen Durchzucken / Das Ungeheure als verwandt enthüllte, / Und du, hingebend dich im großen Reigen, / Die Welt empfingest als dein eigen: / […] Hab ich dich angerührt im Seelengrunde / Mit heiliger, geheimnisvoller Macht.« (III, 71) Claudios Einwand, er könne jetzt nicht sterben, weil er noch gar nicht gelebt habe (vgl. III, 71), lässt der Tod nicht gelten (vgl. III, 75). Er gemahnt ihn an die verpasste Chance eines immanenten Lebensentwurfs (vgl. III, 72), indem er ihn mit drei Verstorbenen konfrontiert. Seine von ihm vernachlässigte Mutter, seine von ihm schändlich behandelte Geliebte und sein schmerzlich von ihm betrogener Freund führen dem Ästhetizisten sein amoralisches Verhalten vor Augen. Nachdem Claudio hiernach »tot zu den Füßen des Todes« niedergesunken ist, geht der Tod »kopfschüttelnd« ab (III, 79).

Claudio, ein Edelmann

Allein in seiner Studierstube, umgibt sich Claudio dort mit altertümlichen Kunstgegenständen. Er phantasiert sich in eine arkadische Kunstwelt hinein und schaut bei Abendsonne sehnsuchtsvoll durchs Fenster hinaus in das »Menschenleben« (III, 64), von dem er sich isoliert weiß: »Ich hab mich so an Künstliches verloren, / Daß ich die Sonne sah aus toten Augen.« (III, 66) Als Claudio kurz nach der Nachricht über die seltsam unmenschlich anmutenden Gestalten in seinem Garten das Geigenspiel des Todes vernimmt, versetzt ihn dies in einen ekstatischen Zustand dionysischen Taumels. Dieser wird aber mit dem Verstummen der Musik jäh unterbrochen (vgl. III, 70). Als der Tod mit Geige und Bogen in der Tür erscheint, entsetzt sich Claudio über dessen Anblick: »Wie packt mich sinnlos namenloses Grauen! / Wenn deiner Fiedel Klang so lieblich war, / Was bringt es solchen Krampf, dich anzuschauen?« (III, 70) Claudio erbittet sich vom Tod einen Aufschub, um in der verbleibenden Zeit endlich wahrhaftig leben zu können (vgl. III, 72). Seine Beteuerungen, das Leben nunmehr intensiver leben und seine Mitmenschen bewusster wahrnehmen zu wollen, nimmt der Tod ungerührt zur Kenntnis und präsentiert ihm mit seiner toten Mutter, seiner toten Geliebten und seinem toten Freund die Konsequenzen seines bisherigen amoralischen Verhaltens. In der Begegnung mit den Verstorbenen zeigt Claudio Reue und Scham und gibt sich dem Tod schließlich hin: »Da Tod mein Leben war, sei du mein Leben, Tod!« (III, 79) Erst als er stirbt, meint er zur Besinnung zu kommen: »Erst, da ich sterbe, spür ich, daß ich bin.« (III, 79)

Diener (Claudios Kammerdiener)

Claudios Kammerdiener teilt seinem Herrn mit, dass sich vor dem Haus ein »Schwarm unheimliches Gesindel« aufhält (III, 67). Aus Furcht vor diesen Gestalten, die »wie Kupferstiche angezogen sind« und »mit toten Augen / Auf einen wie in leere Luft schauen« (III, 68), verriegelt er Balkon- und Haustüre.

Mutter, Die (Claudios Mutter)

Claudios tote Mutter wird vom fiedelnden Tod auf die Bühne gerufen. Sie ist »nicht sehr alt« (III, 73), ist von zarter Statur und klagt über ihr Dasein als Mutter, das bestimmt war von der Angst um einen Sohn, der die mütterliche Fürsorge nicht wahrzunehmen fähig war: »Ein Mutterleben, nun, ein Drittel Schmerzen, / Eins Plage, Sorge eins. Was weiß ein Mann / Davon?« (III, 74) 

Mädchen, Das junge (Eine Geliebte des Claudio)

Nach dem Auftritt der Mutter holt der Tod das junge Mädchen durch die Klänge eines alten Volksliedes auf die Bühne. Das Mädchen trägt ein »einfaches großgeblümtes Kleid« (III, 75) und erinnert sich an die einzigartig schöne Liebe, die sie mit Claudio verband, bis dieser die Liaison »achtlos grausam« durch einen Brief beendete (III, 76). Claudios ehemalige Geliebte war nach »langem, öden Elend« gestorben (ebd.). Auf dem Sterbebett hatte sie sich gewünscht, in Claudios Todesstunde bei ihm zu sein.

Mann, Der (Ein Jugendfreund)

Claudios verstorbener Jugendfreund tritt unmittelbar nach dem jungen Mädchen auf. Er hat ein ungepflegtes Äußeres, »in seiner linken Brust steckt mit herausragendem Holzgriff ein Messer« (III, 76). Verbittert spricht er von der einst innigen, indes immer auch spannungsgeladenen und ungleichen Freundschaft mit Claudio, die endgültig zerbrach, als Claudio die große Liebe seines Freundes zerstörte, weil ihn die Auserkorene seines Freundes »reizte« (III, 78). Der Jugendfreund erkannte daraufhin sein »Geschick« im Tod. Von der »giftigen Nähe« seines gehassten einstigen Weggefährten befreit, weiß er sich ihm nun überlegen: »Ja, für ein Hohes trieb mich mein Geschick / In dieser Mörderklinge herben Tod, / Der mich in einen Straßengraben warf, / Darin ich liegend langsam moderte / Um Dinge, die du nicht begreifen kannst, / Und dreimal selig dennoch gegen dich, / Der keinem etwas war und keiner ihm.« (III, 78)