Was die Braut geträumt hat. Ein Gelegenheitsgedicht (1896)

Braut, Die

Wünscht Ihrem Bräutigam durchs Fenster eine gute Nacht, »sieht mit leuchtenden Augen den Verlobungsring an« (III, 83) und schläft in ihrem Mädchenzimmer im Sessel ein. Kurz darauf wird sie, halb wach, halb träumend, von drei geisterhaften Kindererscheinungen besucht, die aus den Vorhängen heraustreten. Auf Amor reagiert sie gereizt und abweisend. Sie nennt ihn unbescheiden, unverschämt, prahlerisch und ungezogen. Weil er aber auch etwas Unterhaltsames an sich hat, lässt sie ihn sich setzen und hört ihm belustigt zu. Als Amors durchdringender Blick sie trifft, vergeht ihr das Lachen und sie kniet ehrfürchtig vor ihm nieder. Daraufhin verschwindet Amor höhnisch lachend im Kamin und lässt die Braut nachdenklich zurück: »Welche tückischen Gewalten / Stecken hinter diesen Falten? / Schütteln diese Wände böse / Träume auf mich Arme nieder, / Weil ich mich von ihnen löse?« (III, 86). Mitzi, das zweite Kind, lässt die Braut kaum zu Wort kommen. Sie möchte erfahren, wie eine »neue, neue Braut« sich verhält (III, 88). Vom dritten Kind, dem Kind aus Günselsdorf, wird die Braut an ihre fröhliche Kindheit erinnert. Sie träumt halbwach davon, mit ihm davonzufliegen und mit dem Geliebten ganz eins zu werden. Bevor der Vorhang fällt, sinkt sie wieder in einen tiefen Schlaf.

Kind, Erstes (Amor)

Amor tritt typgerecht in Erscheinung: »mit goldenen Flügeln, den Köcher mit Pfeilen auf dem Rücken, den Bogen in der Hand« (III, 83). Er behauptet derjenige zu sein, den die Braut fürchtet und verehrt. Von Amor allein – nicht durch das Leben – habe sie Ihre Liebesweisheiten. Als die Braut widerspricht, lässt Amor sie spüren, dass er sie wie eine Marionette in der Hand hat.

Kind, Zweites (Mitzi)

Im zweiten Kind erkennt die Braut die kleine Mitzi, die ihr aus Kindheitstagen bekannt ist. Mitzi tritt geisterhaft nur halb aus den Vorhängen hervor. Sie ist gekommen, um den Zustand der frisch Verliebten zu begutachten und zu kommentieren: »Du bist / So verliebt, du wirst dich bald / Selber nicht im Spiegel kennen.« (III, 87) Mitzi verschwindet mit den Worten »Wie dumm du bist« und lässt die Braut verwundert zurück (III, 88).

Kind, Drittes (Ein Kind aus Günselsdorf)

Das kleine »Schulkind mit erfrorenen Händen, eine Schiefertafel unterm Arm, Schneeflocken auf der Pelzmütze« (III, 89), kommt aus Günselsdorf herbei geflogen und erinnert die Braut an den Frühling ihrer Kindheit: »Redest du von Welt und Leben / Wie von schönen Spielerein, / – Kindertage fühl' ich weben, / Ganz Vergessnes schwebt herein!« (III, 90)

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