Der Herr Etatsrat (1881)

Archimedes

Sohn des Etatsrats. Er ist ein Mensch von »guter und heiterer Gemütsart« (III, 13). Mit seinem Vater teilt er nur die Neigung zur Mathematik und »das ungewöhnlich große, bei ihm jedoch mit spärlichem erbsenblondem Haar bewachsene Haupt« (III, 13). Archimedes ist immer vorzüglich gekleidet. Besonders die Vatermörder und lackierten Schuhe stechen hervor. Darüber hinaus ist er von sehr zierlichem Wuchs, was ihn zu einem beliebten Tanzpartner macht. Insgesamt ist er, wie seine Schwester auch, eine recht erhabene Erscheinung.

Archimedes größter Wunsch ist es, ein Studium der Mathematik zu beginnen. Sein Vater verwehrt ihm das allerdings auf Jahre. Archimedes wird von ihm für eigene Arbeiten eingesetzt. Immerhin kommt Archimedes an etwas Geld, indem er Nachhilfestunden gibt. Das reicht zwar zunächst nicht aus, um ein Studium zu finanzieren. Aber es ermöglicht ihm, Gesellschaften mit den Studenten auszurichten, die in den Semesterferien in den Heimatort zurückkehren. Ganz im Gegensatz zu seinem Vater blüht Archimedes in der Geselligkeit auf.

Auf Drängen Käfers entlässt der Etatsrat seinen Sohn eines Tages dann doch ins Studium. Diese Entwicklung hat indes eine bittere Kehrseite: Archimedes lässt Phia zurück, und er hat die Vorahnung, dass Käfers Unterstützung nicht gerade uneigennützig war. Gleichwohl findet er schnell ins Studentenleben. In seinem ersten Semester zeichnet er sich besonders durch einen erheblichen Fleiß aus. Auch zu einem zweiten Semester darf er an die Uni zurückkehren. In den Semesterferien hat er allerdings die Lage zuhause einschätzen gelernt. Obwohl der Erzähler keine Kausalverbindung herstellt, so scheint es doch, als wäre dieses Erlebnis mit ein Grund dafür, dass Archimedes verstärkt zu trinken beginnt. Indem er gleichzeitig an seinem Arbeitspensum festhält, betreibt er Raubbau an seinem ohnehin schon schmächtigen Körper. Dies führt zu einem Erschöpfungszustand, der mit seinem Tod endet.

Etatsrat

Der Herr Etatsrat ist das Oberhaupt der Familie, die im Mittelpunkt der Novelle steht. Er ist ein herzloser Tyrann, der seine Kinder, Phia und Archimedes, leiden lässt. Beruflich bekleidet er eine höhere Stelle im Wasserbauwesen. Außerdem ist er alkoholsüchtig. In enger Verbindung dazu stehen einige eigenartige Rituale, die er pflegt. So hält er im Sommer fast allabendlich im Garten solitäre Trinkgelage ab, bei denen er singt und Mundharmonika spielt. Da ihn die Bowle offenbar sehr erhitzt, reißt er sich dabei gern die Kleider vom Leib.

Um eine Verbindung zu seinen Kindern bemüht er sich nicht. Archimedes wird von ihm jahrelang daran gehindert, studieren zu gehen. Stattdessen muss der Sohn ihm bei seinen Arbeiten helfen. Phia scheint in seinen Augen bloß eine günstige Haushaltshilfe zu sein. Allein Archimedes’ mathematisches Können veranlasst ihn zu positiven Kommentaren über seinen Sohn. Darüber hinaus nimmt er den Tod seiner Kinder gelassen hin. Weder kommt er an Archimedes’ Sterbebett noch nimmt er an Phias Beerdigung teil.

Der Etatsrat ist für den Zerfall seiner Familie verantwortlich, der über verschiedene Symbole und Ereignisse von Anfang an vorausgedeutet wird (der Tod der Mutter, der Altar des Etatsrats, Phias Kindergeschichten und ihre Erscheinung). Denn implizit schwingt mit, dass unter anderem dies seine Aufgaben gewesen wären: Archimedes das Studium ermöglichen; Phia zur weiterführenden Schule schicken; Herr im eigenen Haus zu bleiben und Käfer vor die Tür zu setzen; nicht trinken. Solche Handlungen stünden im normativen Horizont des Bürgertums, dem er angehört.

Fräulein Juliane

Schöne, wenngleich »männliche Brünnette« (III, 40) und eine Freundin von der Schwester des Erzählers. Der tanzt am Ball mit ihr, und die beiden geraten in einen kleinen Disput. Juliane macht dabei Andeutungen, dass Phias Integrität verletzt sei, was auf deren ungebührliche Beziehung zu Käfer hinweist.

Freund

Der mittlerweile schon ältere Ich-Erzähler sitzt in der Rahmenhandlung mit diesem Freund zusammen. Die beiden reden über die Heimatstadt des Erzählers und die Dinge, die sich in dessen Jugend dort ereignet haben. Dabei kommt das Gespräch auf den zwischenzeitlich verstorbenen Etatsrat, was den Erzähler veranlasst, die Binnenhandlung zu erzählen. Der Freund des Erzählers ist noch jung und hat Eigenschaften, die der Jugend gern zugeschrieben werden. So findet der Erzähler, dass sein Freund ein »derber« (III, 9) und »ungeduldiger« (III, 57) junger Mann ist.

Ich

In der nur sehr knappen Rahmenhandlung der Novelle trifft der Ich-Erzähler auf einen Freund, der ihn nach dem Etatsrat fragt. Diese Frage veranlasst den Erzähler, die Binnenhandlung zu erzählen.

Der in seiner Jugend faule und mathematisch unbegabte Ich-Erzähler nimmt als Sekundaner Mathenachhilfe bei Archimedes. Die Kinder des Etatsrats faszinieren ihn. Mit der damals noch zwölfjährigen Phia empfindet er Mitleid, hinter dem die Schwester des Erzählers aber auch Schwärmerei vermutet. Während er stets versucht, Phia in das gesellschaftliche Leben einzuführen, so ergreift er für Archimedes gegenüber dem Etatsrat Partei. Er versucht, den Etatsrat dazu zu bewegen, Archimedes studieren zu lassen. Er ist als einziger an Archimedes Sterbebett und regelt dessen Hinterlassenschaft. Die Freundschaft, die sich aus den Nachhilfestunden entwickelt, festigt sich beim gemeinsamen Studium.

Auf dem Ball, den der Erzähler und Archimedes in den Semesterferien veranstalten und zu dem der Erzähler Phia begleitet, merkt er, dass sie sich zwischenzeitlich verändert hat. Die Zeichen, die auf den Grund dieser Veränderung hinweisen, weiß er aber noch nicht zu deuten. Phia sieht er erst wieder, als er nach Archimedes’ Tod dem Etatsrat dessen Schulden vorlegt. Als sie aufeinandertreffen, hält er sie zuerst für eine Magd. Das Treffen veranlasst den Erzähler jedenfalls Tante Allmacht um Aufklärung zu bitten, woraufhin ihm sich die Geschehnisse erschließen.

Käfer

Hausdiener des Etatsrats. Zu Beginn der Binnenhandlung ist er achtzehn Jahre alt. Wenngleich er »mit seinem zarten, blassen Gesicht und den weichgelockten braunen Haaren« (III, 10) gut aussieht, so ist er doch eine aalglatte Person. Vor allem der Erzähler hegt ihm gegenüber erheblichen Widerwillen.

Mit seiner gesellschaftlichen Stellung offenbar unzufrieden, versucht der Schönling, in die höhere Gesellschaft aufzusteigen. In diesen Zusammenhang gehört auch die Intrige, die letztlich im Zentrum der Handlungslogik steht: Käfer überzeugt den Etatsrat davon, dass Archimedes doch studieren solle. Sein Hintergedanke ist, dass er sich in Archimedes’ Abwesenheit Phia besser nähern und generell im Haus ausbreiten kann. Archimedes ahnt Käfers Absichten, was seine Abscheu gegenüber Käfer stärkt. Jedenfalls gelingt Käfers Vorhaben: Neben einigen Kleinigkeiten, die zeigen, dass er sich als der neue Herr im Hause fühlt, ist es besonders Phias Schwangerschaft, die dies bezeugt. Am Tag von Phias Beerdigung reist Käfer ab. Das ist auch das Letzte, was der Erzähler mit Sicherheit von ihm zu berichten weiß.

Knappe, Thomas Thoms Knappe

Margrethe

Die Schwester des Ich-Erzählers wird von diesem immer bedrängt, Phia in die Gesellschaft einzuführen. Sie ist es auch, die zu Gast in Phias Elternhaus ist, als diese das erste Mal Freunde einladen darf. Der zu diesem Anlass betrunkene Etatsrat scheint bei der noch jungen Margarethe ein mittelschweres Trauma auszulösen. Der Kontakt zwischen Phia und Margarethe schläft allerdings wieder ein, noch bevor Archimedes zu studieren beginnt.

Mutter

Die Mutter des Ich-Erzählers nimmt die junge Phia in den Arm, als diese erstmals bei dessen Schwester zu Besuch ist. Phia scheint diese ungewohnte Zuneigung gut zu tun. Insgesamt empfindet die Mutter offenbar erhebliches Mitleid mit dem armen Kind.

Phia

Phia, mit vollem Namen: Sophie Sternow, ist die Tochter des Etatrats und die einzige Schwester von Archimedes. Deutlich jünger als dieser, erinnert das Mädchen »in keinem Zuge weder an den Bruder noch an den Vater; ihr schmales Antlitz war blaß – auffallend blaß« (III, 19). Dem Erzähler kommt es so vor, als wäre der Tod ein steter Begleiter dieses Mädchens: Beispielweise wird ihre Blässe darauf zurückgeführt, dass ihre Mutter bei ihrer Geburt verstarb; oder dem Erzähler wird Phias Gestalt zum Inbegriff einer ›Willis‹, eines Elfenwesen (vgl. hierzu genauer den Kommentar III, 785).

Phia ist nicht sehr gebildet, was sich etwa an ihren unzureichenden Mathekenntnissen zeigt. Dennoch besucht sie die Mädchenschule. Dort ist sie eine Außenseiterin, was aufgrund der Gesellschaftsunfähigkeit ihres Vaters auch so bleiben wird, obwohl etwa der Erzähler versucht, das zu ändern. Wenngleich Phia in ihrer Kindheit also schon einiges durchzustehen hat, so beginnt ihr eigentliches Leid doch erst, nachdem ihr Beschützer Archimedes das Elternhaus zum Studieren verlassen hat.

Man erfährt kaum, was in dieser Zeit passiert. Das hängt damit zusammen, dass man als Leser an die Perspektive des Erzählers gebunden ist und diesen mit Archimedes in die Universitätsstadt begleitet. Was man erfährt, ist deswegen immer schon ein Resultat dessen, was sich zwischenzeitlich ereignete. Ein gutes Beispiel dafür ist die Ballnacht, an der teilzunehmen sich Phia aus (da noch) unklaren Gründen ziert. – Auch wenn es natürlich einige Hinweise gibt: So erkennt der Erzähler etwa, dass Phia »keine Kinderaugen« mehr hat (III, 39). – Daraus ergibt sich, dass man über einige Fakten hinaus über die eigentliche Geschichte Phias nur mutmaßen kann. Zunächst die Fakten: Nach Archimedes Abreise führt Käfer zunehmend das Regiment im Haus. Phia wird einer Dienstmagd immer ähnlicher. Sie ist zudem schwanger von Käfer. In der Nacht, in der das Kind geboren wird, sterben Phia und das Neugeborene. Es scheint, als sei dies passiert: Nach Archimedes Abreise erliegt Phia den Verführungskünsten des schönen Käfers. Ihr Vater erkennt aufgrund seiner Alkoholsucht nicht, was in seinem Haus vor sich geht. Durch die ungebührliche Schwangerschaft gerät Phia in gesellschaftlichen Misskredit. Sie stirbt bei der Geburt und zusammen mit ihrer Tochter. In der Logik der Novelle läge damit die Schuld für Schwangerschaft und Tod letztlich beim Etatsrat, der seine Pflichten als Hausvorstand verletzt hat und Käfers Verhalten hätte unterbinden müssen.

Rotgießermeister

Wie die Tante Allmacht ist der Rotgießermeister ein »Gewährsmann« des Erzählers (III, 54). Auch er berichtet dem Erzähler von Geschehnissen, bei denen dieser selbst nicht anwesend war. Das ist besonders interessant, weil der Meister ein direkter Nachbar des Etatsrats ist. Er kann deswegen sowohl pikante Details von dessen nächtlichen Entgleisungen als auch von der Todesnacht Phias berichten.

Sternow, Sophie Phia

Stine

Resolute Magd von Tante Allmacht, die zuvor beim Etatsrat angestellt war. Damals hat sie durchgesetzt, dass Phia die Mädchenschule besuchen darf.

Tante Allmacht

Unverheiratete Hausfreundin von der Familie des Erzählers. Sie trägt ihm vielerlei Information zu, besonders den neuesten Tratsch. Ihr Name geht so auch nicht darauf zurück, dass sie allmächtig, sondern dass sie allwissend ist. Sie ist es beispielweise, die dem Erzähler berichtet, dass Phia von Käfer schwanger ist.

Thoms Knappe

Thoms Knappe ist der Spitzname von Thomas Knappe, dem jungen Kutscher, der beim Vater des Erzählers arbeitet. Er fährt die Studenten – darunter den Erzähler und Archimedes – in die Stadt. Da er das zuvor schon mehrfach getan hat, kennt er die Lieder der Studenten. Außerdem sitzt er mit ihnen am Mittagstisch, was dem Erzähler als offenbar besonders demokratische Leistung erwähnenswert erscheint.

Vater

Der Vater des Ich-Erzählers ist Justizrat. Er steht mit dem Etatsrat in »mannigfacher, mitunter vielleicht ein wenig heikler Geschäftsverbindung« (III, 26). Wenngleich er prinzipiell bereit ist, die Kinder des Etatsrats in die Gesellschaft aufzunehmen, so verhindert in seinen Augen dessen unmögliches Verhalten das letztlich doch.