Mellefont

Der flatterhafte Liebhaber hat Sara aus dem Haus ihres Vaters entführt und wohnt seit neun Wochen mit ihr in einem »elenden Wirthshause« (I, 1; LM II. 267). Die versprochene Eheschließung zögert er zu ihrem Kummer immer erneut hinaus mit dem Argument, er müsse die Regelung einer Erbangelegenheit abwarten (I, 7; LM II, 276 f.). Mit demselben Argument hatte er auch schon seiner alten Geliebten Marwood, mit der er eine Tochter, Arabella, hat, mehr als zehn Jahre lang die Ehe verweigert (IV 8; LM II, 331 f.). Er hat »einen gewissen Punkt, über welchen er sich nicht bringen läßt, und sobald er diesen scharf in das Gesicht bekömmt, springt er ab« (IV, 8; LM II, 333): Er scheut die Ehe. »Sara Sampson, meine Geliebte! Wieviel Seligkeiten liegen in diesen Worten! Sara Sampson, meine Ehegattinn! – Die Hälfte dieser Seligkeiten ist verschwunden! und die andre Hälfte – wird verschwinden. – Ich Ungeheuer!« (IV, 2; LM II, 318).

Mellefont hat sein Vermögen in »der nichtswürdigen Gesellschaft von Spielern und Landstreichern« durchgebracht, wie sein Diener Norton die aristokratischen Libertins nennt, mit denen er sich augenscheinlich umgeben hat (I, 3; LM II, 271). Dies und sein »strafbarer Umgang mit allen Arten von Weibsbildern, besonders der bösen Marwood« (ebd.) hat zudem seinen Ruf ruiniert, wie Saras Vater erst spät bemerkte (III, 1; LM II, 299).

Der Umgang mit der tugendhaften Sara macht Mellefont für die Tugend ebenso empfänglich wie sein früherer Umgang für das Laster: Er plagt sich mit Schuldgefühlen, klagt sich selbst an, nennt sich einen »Nichtswürdigen« und Saras Entführung ein »Verbrechen«, gegen das sein bisheriger Lebenswandel Tugend zu nennen sei (I, 3; LM II, 270 f.). Er ist aber zu schwach, seine neuen Einsichten umzusetzen. Das zerreißt ihn, und er wird sich selbst zum »Räthsel«: »Wofür soll ich mich halten? Für einen Thoren? oder für einen Bösewicht? – oder für beides?« (IV, II; LM II, 318).

Als er durch Marwoods Brief erfährt, dass Sara sterben wird, richtet er sich, von Schuldgefühlen durchdrungen, selbst, obwohl Sara und Sir William ihm verzeihen: »Es stehet bey mir nicht, das Geschehene ungeschehen zu machen; aber mich wegen des Geschehenen zu strafen – das steht bey mir!« Sterbend bittet er Sir William, sich seiner Tochter anzunehmen, und stirbt mit den Worten: »Gnade! o Schöpfer, Gnade!« (V, 10; LM II, 351) 

Der sprechende Name der Figur (engl. »fond [of] mel«: ›Honigfreund‹, was wohl auf die von Blüte zu Blüte fliegende Honigbiene anspielen soll) wurde schon von William Congreve in seinem Stück »The Double Dealer« (1693) verwendet. Zu den Personennamen in »Miss Sara Sampson« vgl. den Hinweis bei Sir William Sampson.