Niebuhr, Peter

Diplom-Forstwirt, Angestellter im Landwirtschaftsministerium. Er lebt mit seiner Frau Martha, geb. Klünder, und den Söhnen Günter und Klaus, in Berlin-Friedenau, weshalb die Familie die »friedenauer Niebuhrs« genannt werden (928). Peter und Martha kommen im Sommer 1943 bei einem Bombenangriff im Ostseebad Rerik ums Leben, ihre Söhne wachsen bei Peters Bruder Martin Niebuhr und seiner Frau Gertrud, geb. Cresspahl, an der Havelschleuse bei Wendisch-Burg auf.

113 Auf einem Foto von Heinrich und Lisbeth Cresspahls Hochzeit im Oktober 1931 sieht man auch Peter Niebuhr, »Student der Forstwissenschaften aus Berlin, dem die Brillengläser die Augen verspiegeln, der sich hält als sei er in ein allzu entferntes Land geraten«.

281 Bei der Beerdigung von Martin Niebuhrs Schwiegermutter Berta Cresspahl im März 1933 in Malchow am See gehören Peter und Martin Niebuhr zu den Sargträgern.

472-473 Ende 1935 dient Peter Niebuhr in der Unteroffiziersschule Eiche bei Potsdam; dabei war er früher KPD-Mitglied gewesen. »Wollte er sich rächen, daß der Genosse Stalin nun auch seinen toten Freund Kirow hatte, wie Hitler seinen Röhm, und den Putsch etwas langsamer aufdröselte und in einem fort zerschlug? War es ihm jetzt nicht recht, daß endlich auch die U.S.A. diplomatische Beziehungen mit dem Staate Stalins aufgenommen hatte, daß er unter diesen Umständen gegen die Stimme der Schweiz in den Völkerbund gekommen war? Die Verwandtschaft verstand Peter nicht. Seit Peter zum Studieren nach Berlin gegangen war, war er schwer zu verstehen gewesen.«

607-608 Interveniert von Berlin aus (über einen Ministerialdirektor des Landwirtschaftsministeriums) in den Prozess gegen Hagemeister und Warning vom Oktober 1937, um Arbeitsdienstführer Griem eins auszuwischen, muss aber feststellen, dass er Heinrich und Lisbeth Cresspahl damit »nicht die Freude bereitete, die er sich vorgestellt hatte« (vermutlich weil er damit Dr. Semig in Gefahr bringt, vgl. 729). Daraufhin muss er zurückrudern und die ministerielle »Weisung nach Schwerin umdrehen lassen«.

728-729 Am 9. November 1938 sind Heinrich und Gesine Cresspahl bei Gertrud und Martin Niebuhr zu Besuch, wo sie auch Peter und Martha Niebuhr aus Berlin mit ihrem ersten Kind Klaus antreffen. Peter will dort eine havarierte Jolle in Ordnung bringen, die er günstig erstanden hat, versteht aber wenig von Bootsbau. – Der damals dreißigjährige Peter Niebuhr betrachtet den älteren Heinrich Cresspahl »mit Vorsicht. Er konnte einen solchen Lebenslauf nicht begreifen: Mecklenburg, Auswanderung, Rückkehr zu den Nazis. Er konnte die Geduld nicht fassen, mit der der andere die Fragen zurückhielt, die ihm wohl einfallen konnten: warum ein eingeschriebenes Mitglied der Kommunisten 1934 in die Unteroffiziersschule Eiche kam und von da in Darrés Reichsnährstand.« – Er kommt auf seine Intervention im Prozess gegen Hagemeister/Warning (vgl. 607 f.) und auf Dr. Semig zu sprechen, »nicht ohne Trotz, nur zu der mindesten Entschuldigung bereit«, aber Cresspahl reagiert gelassen: »Es war so gut, wie du es wohl gemeint hast. Ohne dich hätten wir ihn [Semig] ja nicht mal aus dem Land gekriegt.« (Erst die Erfahrungen mit dem Prozess bewegen Semig zur Emigration).

729 »Cresspahl mochte den Jungen. Von den Brüdern Niebuhr hatte er an Verstand, Kraft, Stehvermögen, was dem älteren Martin mit Schußligkeit, Trödelei, Bequemlichkeit abging. Er mochte an Peter, daß ihm nicht wohl war, weil er nicht nur seine Partei aufgegeben hatte, sondern wegen des Brots für die Familie zu einer anderen übergelaufen war. [...] Ihm gefiel auch die Frau, die der andere sich ausgesucht hatte, die Martha Klünder aus Waren«. – Sie tauschen sich nochmals über den Hagemeister/Warning-Prozess aus. – Am Ende soll Peter sein Boot nach Jerichow schicken »und außer den Transportkosten für die Instandsetzung nichts zahlen«.

768 Beim Leichenschmaus nach Lisbeth Cresspahls Beerdigung im November 1938 wäre Peter Niebuhr »am liebsten mit Martha vor die Stadt gegangen«, bleibt aber Mr. Smith aus Richmond zuliebe, »der so erfreut war über Marthas Oberschulenglisch; nun konnte er auf seine Frau auch noch stolz sein.«

928-930 Im Sommer 1943 verbringen die friedenauer Niebuhrs ihren Urlaub an der Ostsee in Rerik. In der zweiten Ferienwoche kommt die zehnjährige Gesine auf Niebuhrs Einladung dazu. Peter verhält sich ihr gegenüber seltsam fremd, »mit einer allgemeinen Höflichkeit«. In Gesines Erinnerung ist er ein »übers Gewohnte langer Mensch, der am ganzen Leibe mager geblieben war. Unter den Wangenknochen hatte er so wenig Fleisch, daß seine Lippen geschürzt aussahen, wie von etwas Saurem. Die Augen hinter dunklem Glas.« – Erst später erfährt Gesine, dass er seine UK-Stellung im Ministerium verloren hatte und nach dem Urlaub an die Ostfront sollte. »Er hatte Cresspahls Kind eingeladen, weil er da an eine Pflicht glaubte; wäre lieber mit der Familie allein gewesen. Es war das letzte Mal; auch Cresspahl sagte nach dem Krieg, Peter hätte bei der ersten Gelegenheit zu den Sowjets überlaufen wollen.«

930-932 Wenige Tage nach Gesines Ankunft in Rerik, an einem Sonntagnachmittag, kommen Peter und Martha Niebuhr bei einem Luftangriff ums Leben. Ihre beiden Söhne überleben. »So blieb Peter mit seiner Martha zusammen, in einem gemeinsamen Sarg in der Erde von Wustrow.«

Anhang IX Heinrich Cresspahl 1949 über Peter Niebuhr: »Student der Forstwissenschaften in Berlin, Mitglied der Kommunistischen Partei bis November 1932, danach freiwillig in der Unteroffiziersschule Eiche bei Potsdam, von dort beurlaubt zum Reichsnährstand, einer Art Landwirtschaftsministerium. Peter Niebuhr habe über seine Vorgesetzten einen Prozeß in Gang gebracht, der einem Reichsarbeitsdienstführer [Griem] Privatverdienste verleiden sollte, durch den aber Lisbeth Cresspahl gezwungen wurde, vor einem Gericht eine falsche Wahrheit auszusagen, zu einer Zeit, da sie eher Ruhe gebraucht habe. Ein ganz junger Mensch, glücklich versorgt mit seiner Martha Klünder aus Waren, wäre nicht seine Sache mit der K.P.D. in Gedanken doch lebendig geblieben. Im Sommer 1943 zur Wehrmacht gezogen, plante er, zu den Sowjets überzulaufen«.

Vgl. auch 762. 765. 767. 1594.

In »Skizze eines Verunglückten« (1982) sind Martha und Peter Niebuhr mit dem Schriftsteller Joachim de Catt und seiner Frau befreundet. Hier dichtet Johnson ausgerechnet dem in »Jahrestage« so glücklich verheirateten Ehepaar Peter und Martha eine Ehebruchsgeschichte an: Martha wird in einem Salzburger Hotel mit einem Unbekannten gesehen, »der sich zu ihr betragen habe wie ein Liebhaber« (S 38).