Schippel, Paul

Einer Einladung der angesehenen Bürger Hicketier, Wolke und Krey folgend, findet sich der dreißigjährige, magere, rothaarige Paul Schippel im Hause des Goldschmiedes Tilmann Hicketier ein. Als Ersatz für den verstorbenen Adolf Naumann soll er den Tenorpart im Gesangsquartett übernehmen, das alljährlich an einem Gesangswettbewerb teilnimmt und voller Stolz schon zweimal den goldenen Siegerkranz in Empfang nehmen durfte.

In selbstbewusster Manier bekennt sich Schippel ganz offen zu seiner unehelichen, proletarischen Herkunft und zählt akribisch die negativen Attribute seines Milieus auf. Er bläst »aus Verzweiflung, eigentlich auf dem letzten Loch« für zwanzig Mark in der Woche zur »Biermusik« die Klarinette (I, 3, S. 479), schläft in einer Dachkammer, seinem Kamm fehlen die Zähne und seiner Zahnbürste die Borsten. Das ist sein »ganzes Alibi« (I, 3, S. 480). Schippel wittert nun seine Chance, bei einer Aufnahme in das bürgerliche Gesangsquartett »Erlösung aus proletarischer Not« zu erfahren (I, 3, S. 482). Als er auf einem Händedruck – als symbolischem Akt seiner Integration in das Quartett – besteht, wird dieses Anliegen von Hicketier mit dem Hinweis auf eine rein geschäftliche Abmachung brüsk zurückgewiesen. Entrüstet  über diese Reaktion verlässt Schippel daraufhin Hicketiers Wohnung.

Wohl wissend, dass er für das Gesangsquartett unverzichtbar ist, lässt er sich auf eine erneute Einladung ein. Allein im Zimmer Hicketiers stehend, spielt er die erhoffte soziale Anerkennung durch: »Kommt einer, stehe ich auf, sage ganz pomadig: Mahlzeit; ich bin hier recht, wurde gerufen, beinah mit Gewalt herangeschleppt« (II,5, S. 503). Als Schippel erneut die bürgerlichen Standesgrenzen zu durchbrechen versucht, indem er Hicketier abrupt auf den Bauch klopft und ihn »Hicketier mein Alter« nennt (II, 6, S. 503), weist ihn dieser indigniert in die Schranken und besteht auf »Anstand, Betragen« (II, 6, S. 505).

Einmal an der bürgerlichen Sphäre geschnuppert, wachsen in Schippel aufgrund der permanenten sozialen Diskriminierung einerseits Hass- und Rachegefühle gegenüber dem »faule[n] Bürgerpack« (III, 3, S. 523), andererseits Neid auf das üppige, satte, bequeme Dasein desselben. Vergeltung will er nicht allein gegenüber Hicketier: »Wirst ein wenig wund im Umgang mit mir werden, muß dir deine gepflegte Stube verunreinigen, fürchte ich« (II, 6, S. 506); seine Rachegelüste fokussiert er in erster Linie auf Hicketiers Schwester Thekla, die ihm als Kind einmal auf der Straße ins Gesicht spuckte. Während der nächtlichen Szene, bei der Schippel über eine Leiter an Theklas Fenster steigt und von Hicketier entdeckt und aufgefordert wird, schleunigst nach Hause zu gehen, fordert Schippel emphatisch die Hand seiner Schwester: »Die Schwester gerade! Oder ihr zieht mir mit Zangen keinen Ton aus der Kehle!« (III, 3, S. 525). »Heiraten die Schwester, das Aas, das stolze« (III, 3, S. 525 f).

In Anbetracht der Tatsache, dass ohne Schippel kein goldener Kranz ersungen werden kann, stimmt Hicketier der Verbindung zu und opfert seine Schwester. Als aber Schippel von ihm erfährt, dass Thekla keine »unbefleckte Bürgerin« mehr ist und »höchsten Glanzes verlustig« (III, 4, S. 537), schlüpft er in die Rolle des arrivierten Bürgers und bedient sich dessen Ehrenkodex’: »Glaube ich nicht, daß der in mir wurzelnde Begriff von Mannesehre mir erlaubt, die Werbung länger aufrecht zu erhalten« (III, 4, S. 538).

Nach dem Verzicht auf Thekla wird Schippel am Ende noch in ein Duell verwickelt. Er hat seinem Kontrahenten Krey, der inzwischen Theklas Bräutigam geworden ist, angedeutet, dass seine »gloriose Braut« schon früher »getechtelmechtelt« habe (V, 2, S. 544). Voller Angst vor dem zu erwartenden nahen Ende will er nun die Flucht ergreifen: »verdufte in das Nichts, aus dem ich mich aufhob« (V, 2, S. 545). Nach dem sich anschließenden Schusswechsel, bei dem Krey leicht am Arm verletzt wird, ziehen Hicketier und Wolke ehrfürchtig den Hut vor der tapferen und »edelmütigen« Haltung Schippels. Seiner Integration ins Bürgertum steht nichts mehr im Wege. Überwältigt und glücklich bekennt er vor sich selbst: »Du bist Bürger, Paul« (V, 5, S.553).