Pfaffrath, Friedrich Wilhelm

Ehemann von Anna Pfaffrath, Vater von Siegfried und Dietrich Pfaffrath und Schwager Gottlieb Judejahns. Im Dritten Reich, dem er sich gleich zu Beginn bereitwillig angedient hatte (sein Schwager Judejahn nennt ihn »Märzveilchen« und »Karriereschleicher«; II, 412), war er Oberpräsident (Regierungspräsident) einer deutschen Provinz, in deren Verwaltungsstadt er nach dem Krieg als demokratisch gewählter »Oberbürgermeister und angesehener Bundesbürger« lebt (II, 413). Er hat »seinen ledergebundenen Goethe im Bücherschrank«, daneben »Steuerkommentare« (II, 414). Mit Frau, Schwägerin und Sohn Dietrich ist er nach Rom gekommen, um seinen totgeglaubten Schwager Gottlieb Judejahn zu treffen, dem er bei dessen Rückkehr nach Deutschland behilflich sein möchte (vgl. II, 412, 418).

Während er in seinem Hotel, einer »von Deutschen bevorzugten Herberge« (II, 417), vergeblich auf Judejahn wartet, denkt er über seine Söhne nach: Mit Dietrich ist er zufrieden, Siegfried jedoch ist in seinen Augen »aus der Art geschlagen« (II, 419), seine Musik hält er für »Surrealismus, Kulturbolschewismus und negroide Neutönerei« (II, 420). Dennoch erblickt er in Siegfrieds unverhoffter Anwesenheit in Rom einen »Fingerzeig«, der eine »Möglichkeit zu Aussprache und Versöhnung« bedeuten könnte (II, 419).

Nachts wird er von einem Alptraum geplagt, in dem Judejahn die Hauptrolle spielt (II, 477). Beim ersten Wiedersehen mit dem Schwager am darauffolgenden Tag empfindet auch er – wie seine Frau und Sohn Dietrich – »ein Wohlempfinden, eine Lust im Mark, ein wollüstiges Schneiden im Bauch und in den Genitalien« angesichts der Macht und Autorität, die Judejahn mit seinem Wutanfall demonstriert (II, 490). Und auch bei Judejahns (inszeniertem) Telefongespräch mit der diplomatischen Vertretung des arabischen Staates, für den er arbeitet, ist Friedrich Wilhelm »wieder gefangen von des Schwagers Größe« (II, 492).

Beim anschließenden Picknick mit der Familie auf dem Schlachtfeld von Monte Cassino lauscht er den Erzählungen anderer Deutscher von der Schlacht, berichtet selbst vom Grabenkrieg in Verdun (II, 507), man spricht vom fairen Krieg und erzählt »lustige Anekdoten aus dem großen Morden« (II, 508).

Die Pfaffraths besuchen das Konzert und sind von Siegfrieds Symphonie enttäuscht, denn sie »entfernte sich von aller Vorstellung, die Pfaffraths von Musik hatten« (II, 536). Sie fürchten einen Skandal und sehen sich ängstlich um, aber die Leute »machten das übliche Konzertgesicht nachdenklichen Musikgenusses« (II, 537). Den Applaus können sie sich nicht erklären und vermuten, dass es »eine entartete, erschreckend verdorbene und blind in den eigenen Untergang taumelnde Gesellschaft sein (mußte), die nun ihres Sohnes Musik feierte« (II, 541). Beim anschließenden Besuch im Dirigentenzimmer trifft Friedrich Wilhelm auf Kürenberg, dem er einst jede Hilfe gegen die NS-Verfolgung abgeschlagen hatte, spricht mit ihm unverfroren von der »guten Zeit von neunzehnhundertdreiunddreißig« (II, 543) und bietet ihm ein Gastspiel in der Stadt an, aus der Kürenberg einst mit seiner Frau fliehen musste (II, 544). Dass Ilse Kürenberg ihn nicht beachtet und ihren Mann bittet, mit ihr fortzugehen, empfindet er als beleidigend. Schließlich steht die Familie alleine im Raum, auch Siegfried ist gegangen (vgl. II 547).

Beim anschließenden Drink vor der Schwulenbar, zu dem Judejahn die Familie eingeladen hat, entrüstet Pfaffrath sich über die anrüchige Atmosphäre an der Via Veneto (vgl. II, 560). Einen erneuten Wutausbruch seines Schwagers über die politischen Verhältnisse in Westdeutschland lässt er schweigend über sich ergehen, denn »Friedrich Wilhelm Pfaffrath war schmählich wehrlos gegen jeden Schreier, wenn er nur das Nationale genügend betonte« (II, 561). Dieses Mal allerdings »packte ihn ein befremdendes leichtes Grauen vor Judejahns Fahnen, die wieder rauschen sollten«, und es scheint ihm plötzlich, »als sei er in jungen Jahren vom Weg abgekommen, als habe es einen anderen Pfad für ihn und für Deutschland gegeben als die Heerstraße, die Pfaffrath gegangen war« (II, 562). Und in der »Verwandlung der Nachtstunde« fragt er sich sogar, »ob Siegfried mit seiner Symphonie vielleicht die bessere Heimat gesucht« und in den für ihn so »mißklingenden Tönen vielleicht Zwiesprache mit seiner jungen Seele gehalten hatte.« (II, 562) Der Erzähler ist allerdings überzeugt, dass er sich nach einem ordentlichen Nachtschlaf »wieder makellos fühlen« wird (ebd.).

»Märzveilchen« nannten frühe Parteimitglieder der NSDAP abschätzig jene Mitglieder, die der Partei nach den Märzwahlen 1933 in großer Zahl beigetreten waren.