Vane, Harriet
Lord Peter's spätere Ehefrau, eine sympathische, dunkelhaarige junge Frau mit Altstimme, Kriminal-Schriftstellerin von Beruf. Sie tritt erstmals in Strong Poison auf. Nachdem Peter ihr viele vergebliche Heiratsanträge gemacht hat, willigt sie schließlich in Gaudy Night ein. In Busman's Honeymoon wird Hochzeit gemacht.
[Strong Poison/Starkes Gift] – Harriet Vane steht 1929 wegen Mordes an ihrem früheren Geliebten, Philip Boyes, vor Gericht. Peter Wimsey erlebt den Prozess mit und verliebt sich auf der Stelle in sie. Es steht sehr schlecht für sie, weil sie die Mittel und scheinbar ein Motiv hatte, aber er ist von ihrer Unschuld überzeugt. Er kann sich daran machen, das zu beweisen, weil eine der Geschworenen, Miss Climpson, den Schuldspruch verweigert. Wimsey besucht Miss Vane regelmäßig im Gefängnis und macht ihr gleich einen Heiratsantrag – es ist ihr 47., seit sie durch den Prozess prominent wurde. Sie nimmt ihn nicht ernst, was ihm oft passiert. Aber dann findet er den wahren Täter heraus, Harriet wird freigesprochen, und Peter erklärt schon mal der herzoglichen Familie seine Heiratsabsichten, obwohl die Erwählte noch gar nicht zugestimmt hat.
[Have His Carcase/Zur fraglichen Stunde] – Harriet macht einen Wanderurlaub im Südwesten Englands; sie ist inzwischen sehr erfolgreich als Kriminalautorin und verdient gut. (Ihr Detektiv heißt Templeton.) Nach einem Picknick am Meer entdeckt sie einen Toten auf einem Felsen, sie macht Fotos und nimmt einige Gegenstände als Beweismittel mit, denn die Flut wird ihn bald überspülen. Mit Mühe findet sie endlich einen Ort, in dem sie die Polizei benachrichtigen kann. Vorher informiert sie selbst die Presse in London – den »Morning Star« –, um Gerüchten vorzubeugen und auch ihren Ruhm zu fördern. Ihr ist klar, dass sie auch selbst der Polizei als verdächtig gelten wird.
Am nächsten Morgen ist Peter Wimsey in ihrem Hotel in Wilvercombe zur Stelle und beide untersuchen den Fall nun gemeinsam. Anzeichen deuten darauf hin, dass er ihr nicht so gleichgültig ist, wie sie vorgibt: sie kauft auf seinen Rat ein Kleid, tanzt mit ihm und gerät gelegentlich in Gedanken über ihn; auch ruft sie ihn um Hilfe, wenn sie sich ängstigt. Ihre sachliche Zusammenarbeit ist problemlos, aber dann wird sie plötzlich aggressiv und gibt ihm das Gefühl, ihr lästig zu sein: sie brauche keine Demonstration männlicher Überlegenheit. Vor allem belastet sie das Bewusstsein, ihm Dankbarkeit zu schulden, heißt es einmal (Kap. 18). Ihre unglückliche Beziehung zu Philip Boyes hat sie geprägt: ihre Liebe wurde nicht erwidert, und er führte eine Ehe auf Probe mit ihr, bis sie ihn verließ. Inzwischen schreibt Harriet weiter an ihrem Kriminalroman, der in Fortsetzungen erscheinen soll; eine Liebesszene verweigert sie aber dem Herausgeber.
Wimsey und sie arbeiten weiter gut zusammen, sie finden z. B. ein Hufeisen am Strand und auch das dazugehörige Pferd. Kam der Mörder zu Pferde? Harriet ist inzwischen zu Mrs. Lefranc in das Zimmer des toten Alexis gezogen und liest dort seine Bücher voller russischer Adelsromanzen. Dies und die Dechiffrierung eines Briefs, den er bei sich trug, führt schließlich zum Verständnis der Tat und zur Identifizierung der Mörder. Wimsey wiederholt von Zeit zu Zeit seinen Heiratsantrag. Als er sie einmal ohne das verlässt, sieht sie verwundert hinter ihm her und sagt sich mehrmals: »thank goodness he’s given up asking me to marry him« (Kap. 29, S. 394).
[Murder Must Advertise/Mord braucht Reklame] – Hier wird nur einmal erwähnt, dass Wimsey die einzige Dame besucht, die ihm widersteht. Sie bleibt namenlos.
[Gaudy Night/Aufruhr in Oxford] – Im Juni (1934) fährt Harriet zu einem festlichen Wochenende mit früheren Studentinnen und Dozentinnen ihres ehemaligen College in Oxford. Es gibt dort erfreuliche Wiederbegegnungen mit Studienfreundinnen und Professorinnen, aber auch unerfreuliche mit peinlichen Fragen nach ihrem Prozess (vgl. Strong Poison), Peter Wimsey und ihrer Detektivschriftstellerei. Sie rechtfertigt die Aufklärung von Morden moralisch. Harriet betrachtet die Entwicklung der Mitstudentinnen, die sich in den verschiedensten Lebensbereichen betätigen, und analysiert ihre eigene Lebenssituation. (Es gibt hier mehr innere Monologe als in den anderen Romanen, aber wie dort dominieren Dialoge, oft geistreiche und witzige voller literarischer Zitate.)
Harriet war für ein paar Jahre auf den Kontinent gereist, auch um Stoff für weitere Romane zu finden. Nach ihrer Rückkehr setzte Peter Wimsey seine Werbung um sie fort, ohne Aussicht auf Erfolg. Aber sie trennt sich nicht ganz von ihm, sondern lässt sich von Zeit zu Zeit zum Essen in edle Lokale einladen, und alle drei Monate wiederholt er seinen Heiratsantrag. Sie ist jetzt beinahe 32 Jahre alt.
Im Shrewsbury College gab es seit der Gaudy Night persönliche Schmähbriefe (auch Harriet bekam solche), Verbrennung von Talaren und Büchern, Vandalismus in der Bibliothek etc. In der Tendenz geht es immer gegen gelehrte Frauen, die nicht ihrer ›natürlichen Bestimmung‹ folgen. Harriet wird im März (1935) gebeten, im College zu ermitteln, und sagt schweren Herzens zu. Im Prinzip sind alle Bewohnerinnen verdächtig, die Dozentinnen eher als die Studentinnen. Das schafft eine ziemlich unangenehme Atmosphäre. Einige der Bediensteten verurteilen weibliche Gelehrsamkeit.
Die Dozentinnen sind unter anderen die Vorsteherin (»the Warden«) – das ist die beeindruckende Dr. Margaret Baring –, die Dekanin (»the Dean«), Miss Martin, mit der Harriet sich bald anfreundet, die weltfremde Vers-Expertin Miss Lydgate, die streitlustige Miss Hillyard (S. 116), die kritische Miss Barton, deren Buch über die Stellung der Frau in der modernen Welt verbrannt wurde, Miss de Vine, die über mittlere Geschichte forscht, eine energische Frau, die erst seit dem Sommer da ist und mit Harriet über Prioritäten im Leben von Frauen diskutiert.
Harriet trifft auch Studentinnen und Studenten, auf die sie gelegentlich erzieherisch einwirken kann. Reggie Pomfret verliebt sich in sie, was sie lächerlich, aber schmeichelhaft findet. Einmal wird sie von einem jungen Mann umgerannt, der ihr durch manche Ähnlichkeit mit Peter Wimsey auffällt und sich als dessen Neffe Saint-George entpuppt. Weil er durch einen Autounfall gehandicapt ist, muss sie für ihn Briefe an Peter nach Rom schreiben; das fällt ihr schwer. Aber am 1. April, zurück in London, wartet sie geradezu auf seinen vierteljährlichen Heiratsantrag und antwortet ablehnend, aber freundlicher als sonst. Sie ist besessen von Angst um ihre Unabhängigkeit, sie fürchtet Peters Überlegenheit. Oder kann es doch Gleichberechtigung geben statt Unterordnung?
Ende April, kurz vor Beginn des Sommer-Examenstrimesters, kehrt Harriet nach Oxford zurück und genießt zunächst Ruhe und Schönheit der Umgebung. Aber dann wird eine Studentin durch anonyme Briefe fast in den Selbstmord getrieben und erst im letzten Moment aus dem Fluss gerettet. Nun bittet Harriet Wimsey um Hilfe, wie sie es schon früher vorhatte. Er war inzwischen als Diplomat in Rom, zuletzt in Warschau, nun kommt er nach Oxford. Auf einem sonntäglichen Ausflug klärt sie ihn über die Vorkommnisse auf. Ihr wird klar, wie wenig sie über ihn und sein Leben weiß, sie war nicht neugierig, und er gibt wenig preis (Kap. 15, S. 355). Er hat das angefangene Sonett, das in ihren Bericht geraten ist, vollendet. Sie wird allmählich vertrauter mit seiner komplizierten Person.
Es gibt das Idyll auf dem Fluss oder beim Kauf und Geschenk eines chinesischen Schachspiels (mit gemeinsamem Gesang – Alt und Tenor), es gibt die Komödie (Neffe Saint-George überfällt Harriet mit öffentlichen Küssen zum großen Ärger von Peter; Reggie Pomfret beschimpft Peter aus Eifersucht), es gibt intellektuelle Dispute am High Table des Colleges, zu dem Wimsey geladen wird (Diskussionsthema unter anderen: Konflikte zwischen wissenschaftlicher und persönlicher Verpflichtung), und die zunehmende Bedrohung durch jene im College herumwandernde Person. Einige haben eine schwarz vermummte Gestalt gesehen, die aber fliehen konnte. Harriet ist gewarnt, Peter bringt ihr Selbstverteidigung bei und rüstet sie mit einem Hunde-Halsband gegen Strangulation aus. Nachdem ihr wunderbares Schachspiel zerstört worden ist, wird sie selbst überfallen und kommt gerade noch mit einer schlimmen Kopfwunde davon. Das eigentliche Objekt ist aber Miss de Vine, wie sich herausstellt.
Peter kann schließlich alles aufklären: de Vine hatte früher einen Wissenschaftler der Fälschung von Fakten überführt, zu Recht, und sich nicht weiter um dessen Schicksal gekümmert. Jener Mann war dann beruflich heruntergekommen und hatte sich schließlich umgebracht; seine Witwe arbeitet im College als Hausangestellte und führt einen Rachefeldzug.
Und was ist mit Harriet und Peter? Harriets Gründe gegen die Ehe werden immer fadenscheiniger; zwar sagte Miss de Vine, solch eine Ehe würde sehr schwierig, aber sie müsse sich nun entscheiden. Sie tut es, in New College Lane: »Placetne, magistra?« fragt er. »Placet«, antwortet sie (Kap. 23, S. 557). Aber Peter muss am nächsten Tag wieder in diplomatischer Mission nach Rom fahren, und sie bleibt allein zurück, nur mit seinem Siegelring.
[Busman’s Honeymoon/Hochzeit kommt vor dem Fall] – »They sat up half the night, kissing one another madly in a punt, poor things, and then he had to go« (S. 13), schreibt die Herzoginwitwe in ihr Tagebuch, das neben Briefen am Anfang von Busman’s Honeymoon steht. Harriet ist von ihrer so lange verleugneten Liebe zu Peter überwältigt und verwirrt und lässt sich von Peters Mutter trösten.
Wegen der Presse wird die Hochzeit verlegt und am 8. Oktober (1935) in einer kleinen Kirche in Oxford vollzogen. Da Harriet keine Verwandten mehr hat, wird sie von Dr. Margaret Baring ›weggegeben‹, und als ›Brautjungfern‹ agieren die Dozentinnen Letitia Martin (Dean), Miss Lydgate, Miss de Vine und Miss Chilperic, alles zum Entsetzen von Lord Peters Schwägerin Helen Duchess of Denver. Natürlich missfällt die Braut dem konservativen Teil der Familie. Harriet heißt nun Harriet Wimsey und wird mit »Lady Peter« angeredet.
Ein Stadthaus wurde für das Paar eingerichtet, aber Harriet hat sich auf einer Fahrt nach Hertfordshire, ihrer Heimat, das Haus »Talboys« angesehen, ein Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert, und Peter kauft es von dem Besitzer Mr. Noakes, der zu ihrem Empfang da sein will. Bunter kann nicht vorausfahren, weil die Reporter ihm auf den Fersen sind. Am Abend des Hochzeitstages kommen sie in dem Dorf Paggleham an. Aber das Haus ist verschlossen, mühsam finden sie Einlass und versuchen mit Hilfe Bunters und der Nachbarschaft, es bewohnbar zu machen. Die Hochzeitsnacht bleibt zum Glück ungestört, aber am nächsten Tag wird im Keller die Leiche von Mr. Noakes gefunden.
Harriet muss hinnehmen, dass Peter, obwohl er anfangs entsetzt davon ist, sich bei den polizeilichen Untersuchungen engagiert. Manchmal ist Peter mit seiner plötzlichen Geistesabwesenheit bzw. Konzentration ihr fremd; sie wird immer wieder auf das unterschiedliche Verhalten von Männern und Frauen aufmerksam (Kap. 6, S.125). Noch sucht sie ihre Rolle als Ehefrau, die weder unterwürfig noch dominierend ist; auf jeden Fall möchte sie Teil haben an dem, was ihn beschäftigt. Sie entwickeln dann gemeinsam verschiedene Hypothesen zum Mord, Harriet versiert durch ihre Kriminalschriftstellerei. Er hat während des fast sechsjährigen Wartens auf sie alles von ihr gelesen, auch im Thrill Magazine (drei Kurzgeschichten zu je 42 Pfund Honorar).
Es bleibt bei Flittertagen in Paggleham, denn der Mord an Mr. Noakes bewirkt eine nicht enden wollende Kette von Störungen, ständig sind Nachbarn oder Polizei im Haus, Miss Twitterton platzt in einen Liebesdialog, und selbst Bunter hat allmählich genug. Schließlich werden auch noch alle Möbel ausgeräumt, weil die Gläubiger des früheren Hausherrn ein Recht auf den Erlös haben. Harriet und Peter fahren nach der Aufklärung der Tat nach London, aber sie wollen das Haus behalten.
Peter durchlebt eine Krise, weil der Mörder hingerichtet wird. Dies geschieht jedes Mal, wie Bunter weiß, es ist ein Rückfall in die Nervenkrankheit nach dem Krieg, in die Peter auch durch seine Verantwortung als Offizier gestürzt wurde. Harriet kann ihm nicht helfen, er hat sie fast vergessen. Aber er kommt am Morgen der Hinrichtung zu ihr nach Talboys und schließlich weint er zum ersten Mal. Vielleicht ist das der Beginn seiner Heilung. (Tatsächlich erscheint er in einer späteren Erzählung, The Peach Thief (Der Pfirsichdieb), als vergnügter Vater von drei kleinen Söhnen, die Familie lebt nun im Sommer in Paggleham.
Parallelen zwischen Harriet Vane und ihrer Autorin drängen sich schon angesichts des gemeinsamen Berufs der Kriminalschriftstellerin auf. Auch Harriets Beziehung zu Philip Boyes hat eine Parallele in Dorothy Sayers’ Liebesleben (vgl. Barbara Reynolds: Dorothy Sayers. London 1993). In ihrer äußeren Erscheinung unterscheiden sich beide allerdings deutlich.