Cardillac, René
René Cardillac ist der »geschickteste Goldarbeiter in Paris« (799). Er allein ist auch der Schmuckräuber und Mörder, hinter dem die Pariser Polizei eine ganze Bande vermutet.
»Eher klein als groß, aber breitschultrig und von starkem, muskulösem Körperbau«, ist er trotz seines Alters, er ist Ende fünzig, noch sehr beweglich und kräftig. Dieser Eindruck wird durch das »dicke, krause, rötliche Haupthaar« betont. Er gilt »in ganz Paris als der rechtlichste Ehrenmann, uneigennützig, offen, ohne Hinterhalt, stets zu helfen bereit«. Lediglich »sein ganz besonderer Blick aus kleinen, tiefliegenden, grün funkelnden Augen« passt nicht so recht zu diesem Bild und »hätte ihn in den Verdacht heimlicher Tücke und Bosheit bringen können« (799).
Er gilt zugleich als einer der »sonderbarsten Menschen seiner Zeit«, weil er Aufträge für viel zu niedrige Bezahlung annimmt, dann Tag und Nacht wie besessen daran arbeitet, sich anschließend aber nicht von dem Schmuck trennen will. Zudem gibt es einen ausgewählten Kreis von Menschen, von denen er gar keine Aufträge annimmt und zu denen auch die Marquise de Maintenon gehört. Niemand ahnt, dass er damit ihr Leben schützen will. Dies und alle übrigen Hintergründe seiner Geschichte erfährt man erst nach seinem Tod aus dem Bericht, den sein Geselle Olivier Brußon dem Fräulein von Scuderi gibt: Sobald er ein Schmuckstück widerwillig abgegeben hat, sucht sein »böser Stern« (832) ihn heim und zwingt ihn nicht nur dazu, den Schmuck zurückzuholen, sondern auch dessen Besitzer zu töten. Dabei benutzt er einen geheimen Aus- und Eingang seines Hauses, durch den er auch Desgrais entwischt, der ihm bei einem seiner Raub- und Mordgänge dicht auf den Fersen ist.
Als der Meister entdeckt, dass sich zwischen Brußon und seiner Tochter Madelon eine Beziehung anbahnt, wirft er den jungen Mann buchstäblich aus dem Haus. Das Blatt wendet sich allerdings, als Brußon Zeuge eines seiner Morde wird. Cardillac stellt ihn wieder ein und verspricht ihm seine Tochter. So erpresst er sein Schweigen, dessen er sich so sicher ist, dass er vor seinem künftigen Schwiegersohn sogar eine Lebensbeichte ablegt, die schon vor seiner Geburt beginnt: Ein unheimliches Erlebnis seiner Mutter während der Schwangerschaft mit einem »Cavalier in spanischer Kleidung mit einer blitzenden Juwelenkette« habe sich auf ihn, das ungeborene Kind, ausgewirkt (832). Schon als kleiner Junge sei er auf Schmuck völlig versessen gewesen, vor allem auf Edelsteine. Dieser Leidenschaft folgend, habe er auch den Beruf des Goldschmiedes ergriffen. Doch eines Tages habe er angefangen, Stimmen zu hören, die ihm die Morde befohlen hätten: »Ho ho, dein Geschmeide trägt ein Toter!« (833)
Als er von dem Zweizeiler hört, mit dem das Fräulein von Scuderi dem König geholfen hat, die Einrichtung eines Sondergerichts zur Verfolgung seiner Mordtaten abzulehnen, beauftragt er Brußon, ihr zum Zeichen seiner »Ehrfurcht« und »Dankbarkeit« (und um seinen Verfolger Desgrais zu verhöhnen) den erlesenen Schmuck zu bringen, den er einst für Henriette von England angefertigt hatte (836). Zugleich beschwichtigt er damit eine unbestimmte Angst vor ewiger Verdammnis: »Jetzt ist es mir, als wenn ich der Tugend und Frömmigkeit selbst demutsvoll ein Opfer bringe und wirksame Fürsprache erflehe, indem ich der Scuderi den schönsten Schmuck sende, den ich jemals gearbeitet« (837). Da er das Fräulein, wie er Brußon erklärt, »von jeher verehrt habe, wie sonst kein menschliches Wesen«, sei er gewiss, dass der »böse Stern«, der ihn von Kind an verfolgt, vor ihrer Tugend »kraftlos erbleiche«, glaubt sie also vor seiner Mordlust sicher (836).
Aber schon bald nach der Übergabe des Schmucks wird Cardillac wieder nervös. Brußon fürchtet, das »Mordgespenst« habe es auf das Fräulein abgesehen, und verfolgt den Goldschmied nachts, um die alte Dame zu schützen (838). Cardillac aber greift den Grafen von Miossens an, der auf den Angriff vorbereitet ist und den Goldschmied in Notwehr tödlich verwundet. Brußon schleppt den Verletzten nach Hause, wo er und Madelon die Wunde versorgen. Bevor Cardillac stirbt, legt er die Hände der Brautleute »mit seelenvollem Blick« ineinander und drückt sie »heftig« (811).