Vorwort

Die Erzählung Das Majorat erschien erstmals 1817 als Teil der Nachtstücke E.T.A. Hoffmanns. Erzählt wird eine Familiengeschichte, die von einer Düsternis durchdrungen ist, die sich in der Umgebung widerspiegelt und den Figuren sowohl in die Physis als auch ins Wesen eingeschrieben ist. Die Geschichte der Freiherren zu R* ist über Generationen von geheimnisvollen Todesfällen gekennzeichnet, einer der Verstorbenen bleibt dem Schloss sogar als Spukgeist erhalten. Die Spannung des Textes beruht neben diesen klassischen Gruselmotiven auf einer komplexen Erzählstruktur. 

Die Geschichte beginnt mit einer Jagdsaison auf dem Schloss am Ende des 18. Jahrhunderts. Der Erzähler Theodor ist mit seinem Großonkel zu Gast bei Roderich, dem letzten Vertreter der Freiherrn zu R*, und schildert die finstere Stimmung und geheimnisvollen Begebenheiten seines Aufenthalts. Er begegnet dem Geist, der an zugemauerten Türen kratzt, und dem Baron, der im Laufe seines Lebens immer rauher und ruppiger wurde, sowie Tanten mit »gelbverschrumpften Gesichtern« (210ff.). Dazu verliebt sich Theodor überschwänglich in die junge und wunderschöne Baronin, die aber auch schon »düstre Wolkenschatten« über den Augen trägt (215). Über die Musik kommen die beiden einander näher, und während sie immer schwächer und zerbrechlicher wird, kämpft er mit seinen Gefühlen und dem drohenden Realitätsverlust, vor dem sein Großonkel ihn zu schützen versucht. Letztlich bleibt den beiden nur noch die Abreise, um einen ernsthaften Eklat zu verhindern. 

Ein Jahr später erzählt dieser Onkel ihm angesichts seines nahenden Todes, dass die Baronin bereits zwei Tage nach ihrer Abreise bei einem mysteriösen Unfall gestorben ist, der mit der Familiengeschichte in Verbindung zu stehen scheint. Diese erschließt sich nun in der rückblickenden Erzählung des Onkels, die Theodor wortgetreu wiederzugeben versichert. 

Der gleichnamige Großvater des Barons Roderich hatte seinerzeit den Besitz in ein Majorat umwandeln lassen und damit das Erstgeburtsrecht in Kraft gesetzt, um eine Zersplitterung des Besitzes zu verhindern und die Familie an das Stammschloss zu binden. Daraus resultierten Missgunst und Hass zwischen den Geschwistern der nachfolgenden Generationen, was sich auch auf die Bediensteten des Hauses auswirkte, und es kam zu Betrug und Mord. Die Geheimnisse der einzelnen Figuren werden in der Reihenfolge preisgegeben, in der sie vom Advokaten, der über all die Jahre der familiäre Rechtsbeistand war, gelüftet wurden, was zu den mehrfach geschachtelten Zeitebenen im Bericht führt. 

Viele Jahre nach dem Aufenthalt der beiden auf dem Schloss steht der Erzähler vor dessen Ruinen. Er erfährt, dass Roderich bereits 16 Jahre zuvor ohne Erben gestorben und das Majorat dem Staat zugefallen ist. Am Ende der Erzählung identifiziert er Roderichs Stiftung als Ursache des sagenhaften Unglücks der Familie: »Armer alter, kurzsichtiger Roderich! welche böse Macht beschworst du herauf, die den Stamm, den du mit fester Wurzel für die Ewigkeit zu pflanzen gedachtest, im ersten Aufkeimen zum Tode vergiftete« (284).

Februar 2012                   Tanja Begon