Bolkonski, Fürst Nikolai Andrejewitsch (Nikolai Andrejitsch; der alte Fürst, »König von Preußen)
Vater von Fürst Andrej und Prinzessin Marja. Der ehemalige General en chef, der in der Gesellschaft den Spitznamen »le roi de Prusse« trägt, wurde von dem vorigen russischen Kaiser Paul aufs Land verbannt; seither – und auch nach der Aufhebung der Verbannung durch Alexander I. – lebt er mit seiner Tochter und deren Gesellschafterin Mademoiselle Bourienne auf seinem Gut Lyssyje Gory, 150 Werst von Moskau entfernt (1/I,XXII,151). Dort beschäftigt er sich mit der Niederschrift seiner Memoiren, mit Aufgaben der höheren Mathematik, mit dem Drechseln von Tabaksdosen, mit Gartenarbeit und mit immer neuen Bauprojekten auf seinem Besitz, für die er den Architekten Michail Iwanowitsch angestellt hat (1/I,XXII,152). Während des Vierten Koalitionskriegs 1806/07 ist er als Oberkommandierender der Landwehr seines Gouvernements viel auf Reisen, den Winter 1810/11 verbringt er in seinem Moskauer Haus, danach lebt er wieder in Lyssyje Gory, wo er im August 1812 einen Schlaganfall erleidet. Er stirbt am 15. August 1812 in Bogutscharowo.
Fürst Nikolai ist klein von Gestalt und rüstig, der Glanz seiner »klugen und jugendlich funkelnden Augen« unter den buschigen Augenbrauen verrät einen wachen Geist; er trägt eine gepuderte Perücke (1/I,XXII,151) und »nach alter Sitte« einen Kaftan (1/I,XXIII,173). Wenn er lacht, so stets nur mit dem Mund, nicht mit den Augen (1/I,XXIV,178). In seinem Haus führt er ein strenges Regiment, behandelt die Menschen in seiner Umgebung »barsch und gleichbleibend anspruchsvoll« und flößt ihnen damit Furcht und Respekt ein (1/I,XXII,152). Das gilt auch für seine Tochter, deren Leben er vollständig bestimmt und die er, obgleich er sie liebt, schroff und lieblos behandelt (1/I,XXII,154f.). Egoismus, Eifersucht und der Wunsch, nicht von seiner Tochter getrennt leben zu müssen (1/III,V,399f.), bewegen ihn dazu, mögliche Heiratskandidaten möglichst umgehend zu vergraulen (1/III,IV,392f.; 2/V,II,945). Mit zunehmendem Alter steigert sich seine Lieblosigkeit zu Grausamkeit (vgl. 2/III,XXV,845f.; 2/III,XXVI,851f.; 2/V,II,947f.), die der Erzähler gleichwohl als Ausdruck verhehlter Vaterliebe verstanden wissen will (2/V,II,947).
Auch das Verhältnis zum Sohn ist ambivalent, changiert zwischen Vaterstolz, Sorge und Rücksichtslosigkeit. Er missgönnt Andrej ein neues Glück mit Natascha, macht ein Jahr Wartezeit zur Bedingung für seine Zustimmung zur Eheschließung (2/III,XXIII,833f.) und brüskiert Natascha bei ihrem Antrittsbesuch in Moskau mit einem alle Regeln des Anstands missachtenden Auftritt (2/V,VII,974f.). Als Andrej ihm bei seinem letzten Besuch in Lyssyje Gory seinen üblen Umgang mit Prinzessin Marja und sein Kokettieren mit Mademoiselle Bourienne vorhält, wirft er ihn wutschnaubend aus dem Haus (3/I,VIII,55).
In den letzten Monaten seines Lebens leidet er unter zunehmender Unruhe und Verwirrung, kann nicht schlafen und wechselt ständig seine Schlafstatt (3/II,III,162f.), schreibt an seinem Testament und ist des Lebens überdrüssig (3/II,III,162f.). In den ersten Augusttagen 1812 erleidet er einen Schlaganfall. Prinzessin Marja bringt ihn wegen der bedrohlich näherrückenden Franzosen nach Bogutscharowo (3/II,VIII,202), wo er am 15. August stirbt (3/II,VIII,211). Kurz zuvor bittet er sie um Verzeihung und gibt ihr Zeichen seiner Liebe (3/II,VIII,208).