Bolkonskaja, Prinzessin Marja (Marie, Mascha, Maschenka)
Tochter des alten Fürsten Bolkonski, Schwester von Andrej Bolkonski, Tante des kleinen Nikolai, dessen Betreuung sie nach dem frühen Tod ihrer Schwägerin Lise übernimmt (2/II,VIII,646), später Ehefrau von Nikolai Rostow (seit Herbst 1814).
Prinzessin Marja lebt mit ihrem Vater und ihrer Gesellschafterin Mademoiselle Bourienne auf dem Gut Lyssyje Gory. Sie steht beständig in der Furcht des strengen Vaters, der ihr »ganzes Leben« beherrscht (1/I,XXII,152) und selten ein liebevolles Wort für sie hat. Tag für Tag traktiert er sie mit Mathematikunterricht, dem sie aus Angst vor ihm kaum folgen kann, und begegnet ihr schroff und ungeduldig (1/I,XXII,154f.). Dank ihrer tiefen Religiösität, ihrer ausgeprägten Duldsamkeit und ihrer unerschütterlichen Liebe zum Vater gelingt es ihr, sich mit ihrem freudlosen Alltag zu versöhnen. Ihr einziger Umgang, den sie allerdings vor dem Vater verheimlichen muss, sind ihre »Gottesleute«, Wanderpilger, die hin und wieder bei ihr einkehren (2/III,XXVI,852).
Sie hat einen »unschönen, schwachen Körper« (1/I,XXII,157) und ein wenig anziehendes »kränkliches Gesicht« (1/I,XXII,156), dabei aber Augen, die in bestimmten Momenten »groß, tief und strahlend […] und so gütig« sind, dass von ihnen oft eine größere Anziehungskraft ausgeht als von einem makellos schönen Gesicht (1/I,XXII,157). Da sie von diesem Vorzug selbst nichts weiß, macht sie sich wenig Hoffnung auf Verehrer und vertieft sich ganz in ihr Leben für den Vater und für die Religion.
Als sie dann durch einen Brief von Julie Karagina, einer Freundin »seit Kindertagen« (1/I,XXII,156), von Fürst Wassili Kuragins Plan erfährt, sie mit seinem Sohn Anatole zu verheiraten (1/I,XXII,160f.), und Vater und Sohn im Dezember 1805 tatsächlich nach Lyssyje Gory kommen, bricht ihre verhehlte Sehnsucht nach »irdische[r] Liebe«, Ehe und Mutterschaft hervor (1/III,III,386). Sie verliebt sich augenblicklich in den schönen Anatole (1/III,IV,395), überrascht ihn aber schon am nächsten Morgen bei einem Tête-à-Tête mit Mademoiselle Bourienne. Sie verzichtet in dem Glauben, dem Glück der Bourienne nicht im Weg stehen zu dürfen (1/III,V,406), ohne die Verlogenheit der Bourienne und die Charakterlosigkeit Anatoles zu durchschauen.
In den darauffolgenden Jahren quält der Vater sie immer mehr (2/III,XV,845f.); sie träumt nicht mehr von Liebe und Ehe, sondern von einem Leben als Wanderpilgerin (2/III,XXVI,853). Ein längerer Aufenthalt mit dem Vater in Moskau seit Beginn des Winters 1810/11 beraubt sie der Gespräche mit ihren »Gottesleuten« und verstärkt ihre Einsamkeit, zumal der Vater sie von der Gesellschaft fernhält und junge Männer, die als Heiratskandidaten in Frage kommen, grimmig hinauskomplimentiert (2/V,II,945); seine weiter zunehmende Grausamkeit und seine Bevorzugung der Bourienne setzen ihr hart zu (2/V,II,947).
Die Verlobung ihres Bruders mit Natascha Rostowa missfällt ihr, was sie Natascha bei ihrem Besuch im Moskauer Haus auch spüren lässt (2/V,VII,973). Der kurz darauf folgende Bruch zwischen Natascha und Andrej ist ihr sehr recht (2/V,XXI,1043; 2/V,XXI,1046).
Zurück in Lyssyje Gory, droht schon bald Gefahr durch die von Smolensk her anrückenden Franzosen. Da der alte Fürst sich weigert, Lyssyje Gory zu verlassen, schickt Prinzessin Marja ihren Neffen Nikolai mit seinem Erzieher Dessalles nach Moskau und bleibt bei ihrem Vater (3/II,VIII,201), der kurz darauf, im August 1812, einen Schlaganfall erleidet. Sie flieht mit ihm nach Bogutscharowo. Dabei hat sie mit Gedanken an ein von der väterlichen Fessel befreites Leben und neu erwachenden Wünschen nach Liebe und Glück zu kämpfen, die sie für ein Werk des Teufels hält (3/II,VIII,203f.). Dass der Vater sie sterbend um Verzeihung bittet und ihr Zeichen der Liebe gibt (3/II,VIII,208), verstärkt ihre Gewissensbisse (3/II,VIII,209). Als er stirbt, verliert sie vollends die Fassung (3/II,VIII,211).
Nach der Beerdigung reist sie nach Moskau, nachdem der zufällig hinzukommende Nikolai Rostow ihre aufsässigen Bauern, die ihr keine Fuhrwerke stellen wollen, zur Raison gebracht hat. Dabei verliebt sie sich in ihren Retter (3/II,XIV,244). Da auch Moskau kein sicherer Aufenthalt mehr ist, flieht sie mit ihrem kleinen Neffen weiter und kommt bei ihrer Tante Anna Ignatjewna Malwinzewa in Woronesch unter, wo sie Nikolai Rostow im August 1812 wiedersieht (4/I,VI,616), der sie seinerseits nicht vergessen kann.
Nachdem sie von Nikolai erfahren hat, dass ihr Bruder mit einer tödlichen Verwundung in Jaroslawl bei den Rostows liegt, reist sie mit ihrem kleinen Neffen zu ihm und pflegt ihn zusammen mit Natascha, mit der sie schon bald eine innige Freundschaft verbindet (4/I,XIV-XVI). Nach dem Tod des Bruders zieht sie im Januar 1813 nach Moskau um, begleitet von Natascha, die in Moskau Ärzte konsultieren muss (4/IV,III,847). Dort bekommen sie bald häufigen Besuch von Pierre, der von seinem mehrmonatigen Krankenlager in Orjol ebenfalls nach Moskau zurückgekehrt ist. Pierre gesteht der Prinzessin seine Liebe zu Natascha, sie vermittelt zwischen den beiden Liebenden (4/IV,XIII,917-919), die noch im selben Jahr heiraten.
Im Herbst des darauffolgenden Jahres (1814) heiratet sie Nikolai Rostow. Das Paar lebt mit Marjas Neffen Nikolai, mit der alten Gräfin Rostowa und Sonja in Lyssyje Gory (E/I,VII,954). Sechs Jahre später hat es drei Kinder (E/I,IX,964) und führt ein glückliches Eheleben (E/I,XV).