Der Abenteurer und die Sängerin oder Die Geschenke des Lebens. Ein Gedicht in zwei Aufzügen (1. Fassung 1898)

Hofmannsthal arbeitete das Stück zweimal für das Theater um. Die erste und zweite Bühnenbearbeitung (beide 1899) tragen den Untertitel »Dramatisches Gedicht in einem Aufzug« und weichen von der Erstfassung, der sog. ›Buchfassung‹, ab: Hofmannsthal änderte die Szenenfolge und gewichtete die Redeanteile der Figuren neu. In der zweiten Bühnenbearbeitung fehlt zudem die Figur des Cesarino. Das Lexikon folgt der Erstfassung. Eine ausführliche Dokumentation der Werkfassungen bietet die Kritische Ausgabe (V, 417 ff.).

Baron (Ein Abenteurer unter dem Namen Baron Weidenstamm; Antonio)

Kehrt aus »Übermut, / der Mäuse immer wieder zu der Falle / hinlockt« (V, 141), nach über 15 Jahren nach Venedig zurück, wo er im Gefängnis gelegen hatte und (wie einst Casanova) aus den berüchtigten Bleikammern des Dogenpalasts entflohen war. Die Gesellschaft lernt ihn nun inkognito unter seinem neuen Namen Baron Weidenstamm als großzügigen, aber kuriosen Gastgeber eines Spielabends kennen. Im Gespräch mit dem ihm im Grunde unbekannten Lorenzo Venier, den er noch vor der Ankunft der Gäste als neuen Vertrauten vereinnahmt, präsentiert er sich als verschwenderischer Lebemann und versucht ausgerechnet von ihm den Namen der Sängerin zu erfahren, in der er beim vorhergehenden Opernbesuch eine frühere Geliebte wiedererkannt zu haben glaubt: Es ist Lorenzos Frau Vittoria. Lorenzo nennt ihren Namen nicht, aber die begeisterten Erinnerungen des Barons an die junge Geliebte von einst erwecken in ihm quälenden Argwohn.

Auf seiner Suche nach großen und extremen Emotionen nimmt der Baron keine Rücksicht auf die Gefühle anderer. Er umwirbt mehrere Frauen gleichzeitig, die Sängerin Redegonda, seine ehemalige Geliebte Vittoria und die Tänzerin Marfisa. Als er spät in der Nacht, nachdem die Gäste gegangen sind und Redegonda in einem Zimmer auf ihn wartet, Vittoria wiedersieht und von ihr hört, wie sehr ihre Liebe zu ihm ihr Leben bestimmt hat, weiß er damit wenig anzufangen und nimmt es lediglich zum Anlass, sie erneut zu umwerben. Auf sein eigenes, spontanes Glücksstreben fixiert, vermag er die ihn Umgebenden nur mehr als Staffage seines exzessiven Lebens wahrzunehmen. Als Personen kann er sie nicht auseinanderhalten, so dass er sie mit Verwechselungen kränkt (vgl. sein Gespräch mit Vittoria: »Hätt' ich alles denn verwechselt, so den Ort als die Person?« V, 134 f.).

Allerdings verfolgt ihn auch die Angst vor dem Tod und vor seiner Demaskierung, die das Ende seines ausschweifenden Lebens bedeuten würde (vgl. V, 139 f.). Als die eifersüchtige Herzogin Sanseverina droht, seine wahre Identität preiszugeben, entschließt er sich sofort zur Abreise. Vorher folgt er aber noch der Einladung seines neuen Freundes Lorenzo Venier für den nächsten Tag. Als er im Hause Venier von Vittoria erfährt, dass er mit ihr einen Sohn, Cesarino, hat, freundet er sich mit diesem an, deckt aber Vittorias Lügen und gibt sich Cesarino nicht als Vater und Lorenzo nicht als Vittorias ehemaliger Geliebter zu erkennen. Von seiner Vaterschaft relativ unbeeindruckt, verabschiedet er sich, weil er noch eine Verabredung mit Marfisa hat, zeitig von Vittoria und hinterlässt Cesarino einen Ring.

Vorbild der Figur ist Giacomo Casanova. Die Handlung des Stücks beruht auf einer Episode aus Casanovas Memoiren.

Vittoria

Die Sängerin Vittoria ist Lorenzo Veniers Frau und die verflossene Liebe des Barons, den sie nicht vergessen kann. Das Wunder ihrer viel gelobten Stimme versteht sie selbst als kompensatorische Reaktion auf den Trennungsschmerz. So bleibt ihr Gesang immer eine Reminiszenz an ihre tiefe Liebe zu dem Abenteurer (vgl. V, 131), den sie bei einem ihrer Auftritte in der Loge wiedererkennt. Der Anblick des ehemaligen Geliebten, den sie als einzige mit seinem wahren Namen Antonio kennt (vgl. V, 173), bringt sie völlig aus der Fassung. Sie besucht ihn daraufhin abends in seinem Haus. Seine Versuche, sie zurückzugewinnen, wehrt sie aber ab. Als Antonio ihr mitteilt, dass er sich mit ihrem Mann Lorenzo angefreundet hat, der ihn für den nächsten Tag zu sich eingeladen hat, beklagt sie die ewige Heuchelei, erklärt sich aber bereit, das Spiel mitzuspielen. Als ihr Mann sie unter Berufung auf ein Jugendbildnis des angeblichen Barons mit seinem dringenden Verdacht konfrontiert, dass Cesarino in Wahrheit gar nicht ihr jüngerer Bruder, sondern ihr gemeinsamer Sohn mit dem Baron sei, gesteht sie nicht. Sie gibt vor, Cesarino sei aus einer Liaison ihrer Mutter mit dem Baron hervorgegangen. Mit einem perfekt inszenierten Lügenszenario kann sie ihren Mann schließlich von ihrer Redlichkeit überzeugen. Vittorias Handeln ist von ambivalenten Motiven geleitet, die sie selbst nicht recht durchschaut. Einerseits vermag sie sich nicht von ihrer Lebenslüge zu befreien, weil sie Angst hat, Lorenzo und Cesarino zu verlieren. Andererseits sehnt sie sich danach, in ihrem ehemaligen Geliebten Antonio doch noch einen fürsorglichen Vater entdecken zu können, der sich in der Nähe seiner Familie aufhält: »Er geht und dreht den Kopf nicht noch einmal, / das Haus zu sehn, in dem sein Kind zurückbleibt. / Mich dünkt, das wollt' ich doch, was jetzt geschah! / Wie? oder log ich auch mich selber an? Wie leicht und lustig ging alles aus!« (V, 176) Bevor der Vorhang fällt, bestaunen Lorenzo und Cesarino, wie »wundervoll« Vittoria »das große Lied der Ariadne« singt, »das sie seit Jahren hat nicht singen woll'n!« (V, 177)

Cesarino

Vittorias illegitimer fünfzehnjähriger Sohn, der aus ihrer Liaison mit dem Baron hervorging und den sie seit jeher als ihren jüngeren Bruder ausgibt. Weder weiß Cesarino, dass Vittoria seine Mutter ist, noch weiß zunächst der Baron, dass er einen Sohn hat. Auch als Lorenzo Vittoria mit seinem dringenden Verdacht konfrontiert, dass Cesarino ihr gemeinsamer Sohn mit dem Baron sei, gibt sie die Wahrheit nicht preis. Beim Zusammentreffen Lorenzos, Vittorias, Cesarinos und des Barons im Hause Venier stellt Vittoria dem Baron Cesarino im Beisein der anderen als ihren Bruder vor, gesteht ihm aber später unter Tränen, dass es sich um den gemeinsamen Sohn handelt. Cesarino hat einige Charakterzüge mit seinem Vater gemein, schließt den »fremde[n] Menschen« sofort ins Herz (V, 164) und hört ihm gebannt zu, als er aus seinem breiten Erfahrungsschatz berichtet. Den Beutel voll Geld, den der Baron ihm schenkt, möchte Cesarino aufwenden, um seiner Angebeteten Marfisa Corticelli ein Kleid fertigen zu lassen.

In der zweiten Bühnenbearbeitung hat Hofmannsthal die Figur des Cesarino gestrichen.

Venier, Lorenzo

Zurückhaltender und melancholischer Adeliger, den der Baron gleich nach seiner Ankunft in Venedig als ›guten Freund‹ vereinnahmt. Im Gespräch mit ihm ahnt Lorenzo schon bald, dass seine Frau Vittoria, die ihm alles bedeutet, tatsächlich die frühere Geliebte des Barons war, die dieser während einer Opernaufführung in ihr wiederzuerkennen glaubt und von deren Schönheit und Leidenschaft er ihm vorschwärmt. Lorenzo versucht zunächst, den Argwohn abzuschütteln, überrascht den Baron dann aber doch mit einem nächtlichen Besuch, um ihm seinen Verdacht mitzuteilen und um zu überprüfen, ob sich seine Frau in dessen Haus aufhält. Der Abenteurer überzeugt Lorenzo davon, dass Vittoria nicht bei ihm ist, und schenkt ihm als Zeichen seiner Freundschaft eine Dose mit einem Jugendbildnis seiner selbst. Lorenzo erkennt darin sofort das Abbild von Vittorias angeblichem Bruder Cesarino und fällt daraufhin in Ohnmacht. Als er wieder zu sich kommt, verabschiedet er sich mit den Worten »Allein hier ist ein Knoten aufzulösen / und wird es! sei's zum Guten oder Bösen!« (V, 129). Tief enttäuscht und von Wut erfüllt, konfrontiert er Vittoria am nächsten Morgen mit dem Jugendbildnis des angeblichen Barons, lässt sich aber von ihrer (Lügen-) Geschichte überzeugen, der zufolge Cesarino aus einer Liaison ihrer Mutter mit dem Baron hervorgegangen sei.

Redegonda

Eine Sängerin, die zum Spielabend des Barons gemeinsam mit ihrem Bruder Achilles erscheint, den sie zunächst als ihren Diener ausgibt. Sie ist schön, aber eitel und »dumm« (V, 114) und lässt sich vom Baron umgarnen, obwohl sie Angst hat, dies könnte ihren Liebhaber, einen deutschen Grafen, verärgern. Nachdem sie das Haus des Barons gemeinsam mit der restlichen Gesellschaft verlassen hat, kehrt sie kurze Zeit später alleine dorthin zurück, um die Nacht mit dem Baron zu verbringen. Auf ihrem Weg dorthin fühlt sie sich verfolgt, so dass der Baron sie versteckt. Ihr Verfolger ist aber nicht, wie sie fürchtet, der deutsche Graf, sondern Lorenzo Venier, der den Baron zur Rede stellen will. Als dieser angesichts des Jugendbildnisses des Barons in Ohnmacht fällt, schlüpft Redegonda aus ihrem Versteck und kann ihre Geheimnisse nicht länger für sich behalten. Sie gibt Achilles als ihren Bruder zu erkennen und klärt den Baron darüber auf, dass Lorenzo Venier Vittorias Mann ist.

Achilles

Bruder Redegondas, die ihn als ihren Diener ausgibt. Er möchte bei dem gerade in Venedig angekommenen Baron Weidenstamm in Dienst genommen werden und hofft auf eine lukrative Liaison zwischen seiner Schwester Redegonda und dem Baron. Er heuert einen Juwelier an, der dem Baron Schmuck für seine Schwester verkaufen soll.

Corticelli, Marfisa (Die Corticelli)

Eine Tänzerin am Theater, die sowohl beim Spielabend des Barons als auch bei der Einladung im Hause Venier erscheint. Während sie zunächst mit Salaino auftritt, den sie allerdings als nicht beachtenswert vorstellt, sieht man sie im Hause Venier an Cesarinos Seite. Mit dem Baron, der ihr bereits während des Spielabends Avancen gemacht hat, verabredet sie sich für die letzte Minute vor dessen Abreise aus Venedig zu einem Stelldichein.

Mutter, Die

Marfisa Corticellis Mutter, eine spitzzüngige und nüchterne Person, die die Qualitäten ihrer Tochter im Künstlerischen erkennt, vom Baron aber offen darüber aufgeklärt wird, dass sein Interesse an Marfisa anderer Natur ist. Sie scheint ihre Tochter vor Nachstellungen bewahren zu wollen, nimmt aber das Geld, das der Baron ihr zusteckt, widerspruchslos an und weist selbst dessen Ankündigung, ein Negligé für Marfisa schicken zu lassen, nicht zurück.

Salaino

Dem mittellosen und erfolglosen jungen Musiker, der die Marfisa an Cesarino verliert, mangelt es an Selbstwertgefühl. Seine Verlierer-Perspektive auf das Leben steht dem Lebensentwurf des Barons diametral entgegen: »Ich wäre grad' so gern der alte Grabstein / am Kirchentor, auf den die Weiber treten, / die halbverfaulte Alge im Kanal, / der Hund von einem Blinden!« (V, 110)

Abbate, Der (Abbate Gamba)

Gehört zum Kreis der Gäste des Spielabends beim Baron wie auch bei der Einladung im Hause Venier am nächsten Tag. Sassi stellt ihn als den »Plinius, Cicero und Aretin dieses Jahrhunderts« vor (V, 109). Der Abbate meint, im Baron ein bekanntes Gesicht wiederzuerkennen, und bringt ihn damit in einige Verlegenheit. Der Baron weckt aber, um sein Inkognito zu wahren, absichtlich falsche und beleidigende Assoziationen, so dass der Abbate seiner Identität nicht weiter nachspürt: »Niemals und nimmermehr / war ich das, Herr, ich habe mich geirrt: / Ich hab’ Euch nie gesehn.« (V, 119)

Sassi (Der Sohn des Bankiers Sassi)

Sohn eines Bankiers, der Gast beim Spielabend des Barons ist. Er tauscht mit dem Gastgeber die Rolle und stellt die Gäste vor. Lorenzo Venier versucht von ihm mehr über den Baron zu erfahren, aber auch Sassi weiß nicht viel von ihm (vgl. V. 115).

Le Duc

Kammerdiener des Barons, der seinem Herrn dienstbeflissen jeden Wunsch erfüllt und in dessen Versteckspiel eingeweiht ist. Als es abends an der Tür klopft und der Baron fürchtet, die Stunde seines Versteckspiels habe geschlagen, öffnet er die Tür und findet den Drohbrief der Herzogin Sanseverina.

Komponist, Ein alter (Der Passionei)

Der senile Komponist erkennt beim Hauskonzert im Hause Venier seine eigenen Werke nicht wieder, sein Sinn für die Musik ist vollkommen erloschen. Stattdessen stürzt er sich wie ein Kind auf die angebotenen Speisen. Angesichts des senilen Gastes kommentiert insbesondere Vittoria den Prozess des Alterns und reflektiert die Vergänglichkeit des Lebens.

In der ersten Bühnenbearbeitung tritt anstelle des alten Komponisten der »alte berühmte Sänger Zanni« (V, 180) auf. In der zweiten Bühnenbearbeitung verzichtet Hofmannsthal auf die Figur (vgl. V, 252).

Juwelier, Ein

Taucht auf Achilles’ Geheiß beim Spielabend des Barons auf und bietet ihm Perlenohrringe für Redegonda an. Aber der Baron meint, dass Redegonda sich noch kein Geschenk verdient habe, und der Juwelier verlässt das Haus unverrichteter Dinge.

Mann, Ein fremder älterer (Der alte Mann)

Erscheint unauffällig auf dem Spielabend im Haus des Barons und beteiligt sich an einem Glücksspiel. Als man auf ihn aufmerksam wird, verlässt er das Haus. Der Baron schickt ihm Le Duc nach, der ihm Geld zustecken, sich aber auf keinen Fall über den Baron ausfragen lassen soll. Der Baron hat offensichtlich Sorge, dass der Alte sein Vater sein könnte.

Graf, Der deutsche (Friedrich)

Liebhaber der Redegonda, der bei der Einladung im Hause Venier erscheint. Er bietet sich an, den alten Komponisten nach Hause zu bringen. Redegonda, die ihn Friedrich nennt, fürchtet, er könnte ihre Tändelei mit dem Baron entdecken.

Pallagonia, Fürst von

Tritt nicht auf und ist im Personenverzeichnis nicht aufgeführt. Er gehört zu Vittorias Vorgeschichte: Nach der Trennung vom Baron und vor der Ehe mit Lorenzo hat sie lange bei dem alten Mann gelebt und ihn als Cesarinos Vater ausgegeben (vgl. V, 172). Als er starb, hinterließ er ihr ein Vermögen in Edelsteinen.

Sanseverina, Herzogin

Tritt selbst nicht in Erscheinung und ist im Personenverzeichnis nicht aufgeführt. Sie sendet dem angeblichen Baron nach dessen nächtlichem Gespräch mit Vittoria eine Nachricht, die ihm zu verstehen gibt, dass sie ihn aus Eifersucht verraten und ausliefern wird, wenn er Venedig nicht sofort wieder verlässt.

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