Desiderio
Gemeinsam mit Batista, Tizianello, Antonio und Paris beklagt Desiderio den absehbaren Tod Tizians und kann sich ein Leben ohne den Meister nicht vorstellen: »Der Tizian sterben, der das Leben schafft / Wer hätte dann zum Leben Recht und Kraft!« (III, 41). Das Leben ist Desiderio nur sekundär über Tizians künstlerische Wahrnehmung zugänglich. Er weiß sich und die anderen Schüler in der Rolle der unproduktiven Spätlinge. Als Grundlage ihres Lebensentwurfs ist ihnen das Schöne nur geliehen, und als Quelle des eigenen künstlerischen Schaffens ist es ihnen abhanden gekommen: »Er [Tizian] aber hat die Schönheit stets gesehen, / Und jeder Augenblick war ihm Erfüllung, / Indessen wir zu schaffen nicht verstehen / Und hilflos harren müssen der Enthüllung…« (III, 51). Der Primat der Schönheit ist Desiderio allerdings nicht wie dem Meister Diktum für eine autonome Kunst, sondern er dient ihm als Beurteilungsgrundlage für das gesamte Dasein. Die profane Realität erscheint aus dieser Perspektive verachtungswürdig. Desiderios Lebensentwurf besteht in einer bewussten Lebensferne: »Siehst du die Stadt, wie sie jetzt drunten ruht? [...] In Schönheit lockend, feuchtverklärter Reinheit? / Allein in diesem Duft, dem ahnungsvollen, / Da wohnt die Häßlichkeit und die Gemeinheit, / [...] Und was die Ferne weise dir verhüllt, / Ist ekelhaft und trüb und schal erfüllt / Von Wesen, die die Schönheit nicht erkennen.« (III, 45)