Gestern. Dramatische Studie in einem Akt in Versen (1891)

Die ›Studie‹ erschien 1891 in der ›Modernen Rundschau‹ unter dem Pseudonym ›Theophil Morren‹.

Kardinal, Der (Der Kardinal von Ostia)

Der kurzatmige Lebemann, der das Geschehen spöttisch-ironisch kommentiert, ist nie aus der Ruhe zu bringen. Andrea nennt ihn seinen »Oheim« und sieht seinen eigenen Hang zum Genuss in ihm gespiegelt: »Du machst, daß mir's an meiner Tafel mundet: / Du zeigst mir, wie die Birne reif-gerundet; / Durch deine Augen seh ich Trüffel winken; / Du lehrst mir trinkend denken, denkend trinken!« (III, 26). Der Kardinal hat von Lorenzo erfahren, dass Arlette und Lorenzo Andrea betrogen haben und informiert Arlette über seine Mitwisserschaft (6. Szene).

Andrea

Ist in der überfrachteten Kulisse der späten Renaissance zu Hause; er wohnt in einem luxuriösen Anwesen in Imola. Hedonistisch folgt er in intensivem Erleben, in »der freien Triebe [...] Spiel« (III, 18), ausschließlich seinem Verlangen und lässt sich von augenblicklichen Stimmungen leiten, ohne sein Handeln zu hinterfragen. Er misst weder dem Gestern noch dem Morgen Bedeutung bei. Nur durch sein gedankenloses Aufgehen im Hier und Jetzt meint er sich selber treu sein zu können. Aus seinen Freunden zieht er situationsabhängig Nutzen (vgl. III, 26). In seiner eigenen Entschlusslosigkeit beneidet er sie einerseits um ihren zielgerichteten Willen (5. Szene). Andererseits verachtet er sie, weil sie seine exklusive Wahrnehmung nicht teilen (»Sie fühlen's nicht und reden andre Dinge!…«, III, 25). Einzig sein bester Freund Lorenzo bildet hier eine Ausnahme (vgl. III, 25). Andrea verachtet Verbindlichkeiten, Eintönigkeit und langweilige Moral, so dass er sogar dem betrügerischen Pferdehändler Ser Vespasiano etwas abgewinnen kann: »Ich liebe Schurken, ich kann sie verstehen, / Und niemand mag ich lieber um mich sehen. [...] So haß ich die, die ihre Triebe zähmen / Und sich gemeiner Ehrlichkeit bequemen. / Es ist manchmal so gut, Verrat zu üben!« (III, 19) Diese Einstellung wird jedoch auf eine harte Probe gestellt, als Andrea erfährt, dass seine Geliebte Arlette ihn am Tag zuvor mit Lorenzo betrogen hat. Er blickt der grellen Wirklichkeit nun ins Auge und erkennt nur »hüllenloses Sein« (III, 31). Seine Eifersucht und Kränkung machen ihm bewusst, dass er das Geschehene nicht vergessen kann, weil es als schmerzliche Erinnerung präsent bleibt. Er gerät aus der Fassung und kann Arlette nicht vergeben: »Dies Gestern ist so eins mit deinem Sein, / Du kannst es nicht verwischen, nicht vergessen: Es ist, so lang wir wissen, daß es war.« (III, 34) Allerdings ist der Reiz des Augenblicks, ist »die Lust, sich aufzugeben« (III, 35), ihm weiterhin allzu nachfühlbar: »Ich kann so gut verstehn die ungetreuen Frauen.. / So gut, mir ist, als könnt' ich in ihre Seelen schauen.« (ebd.).

Arlette

Die kokette Geliebte des Genussmenschen Andrea. Während Andrea den Abend mit seinen Freunden verbringt (1. Szene), betrügt Arlette ihn mit Lorenzo. Als Andrea sie zur Rede stellt (10. Szene), vermag sie ihm keine Begründung für ihren Treuebruch zu geben. Es müsse der »Zauber« des Moments gewesen sein (III, 34). Sie beteuert, dass sie ihr Handeln selbst nicht verstehen könne. Zwischen ihrem gestrigen und ihrem jetzigen Ich klaffe ein Abgrund. Ihre Bitte um Vergebung und Vergessen bleibt erfolglos, Andrea verzeiht ihr nicht.

Fantasio

Andreas Freund, ein Dichter. Er berichtet von der starken Wirkung des Bußpredigers Marsilio, dessen Predigt in ihm ein grundsätzliches Erkennen in Gang setzt (8. Szene). Sein Gefühl, »Heiliges« (III, 28) erlebt zu haben, erklärt er weniger mit den konkreten Inhalten der Predigt. Vielmehr habe sie ihm bewusst gemacht, dass Marsilios Anhänger im Grunde dasselbe suchen wie Andrea und seine Freunde. Um wahrhaftig und sinnerfüllt zu leben, bedarf es eines Erkennens, das über die alltägliche, profane Weltwahrnehmung hinausgeht: »Und selten nahet, was sie Gnade nennen, / Das heilige, das wirkliche Erkennen, / Das wir erstreben als die höchste Gunst / Des großen Wissens und der großen Kunst. / Denn ihnen ist die Heiligkeit und Reinheit / Das gleiche Heil, das uns die Lebenseinheit.« (III, 29) Als Andrea ihn nach den Möglichkeiten des Dichters befragt, dem Leben Seele einzuhauchen, antwortet Fantasio, solche Erfahrungen stünden nicht in der Macht des Einzelnen. Der Mensch solle sich deshalb dem Zufall überlassen (9. Szene).

Fortunio

Andreas Freund, ein Maler. Er versucht, den amüsanten Abend des vergangenen Tages mit den Freunden Revue passieren zu lassen, wird aber brüsk von Andrea abgewiesen (3. Szene): »Jetzt langweilt's mich… Die Stimmung ist verschwunden« (III, 17) Als Fortunio bemerkt, dass sein »Schwan der Leda« (ebd.) nicht mehr an der Seitenwand von Andreas Haus hängt, antwortet Andrea ihm, er wolle sich nicht einengen lassen – auch nicht vom Kunststil seines Freundes. Daraufhin entlarvt Fortunio die angebliche Eigenständigkeit seines hedonistischen Freundes als ihr Gegenteil: »Was sprichst du viel, so Einfaches zu sagen: / Du trägst die Stimmung nicht, du läßt dich tragen!« (ebd.)

Vespasiano, Ser

Betrügerischer Pferdehändler, der Andrea ein Gespann zum Kauf anbietet (4. Szene). Andrea findet Gefallen an seinen Betrügereien, Ehrlichkeit findet er langweilig und »gemein« (III, 19). In Ser Vespasiano spiegelt er seinen eigenen »Hang zum Streit« (III, 26).

Mosca

Wird im Figurenverzeichnis als »der Parasit« angekündigt. Er möchte Andrea die von Ser Vespasiano angebotenen Pferde schmackhaft machen (4. Szene). Mosca ist aufwändig, ganz in Weiß gekleidet und hat einen Spiegel in der Tasche. Andrea sieht in ihm einen Spiegel seiner eigenen Eitelkeit (vgl. III, 26).

Corbaccio

Der farbenfroh gekleidete Schauspieler und Freund Andreas berichtet aufgewühlt und staunend von der Massenwirkung des Bußpredigers Marsilio (8. Szene): »Eins wird vom andern sinnlos mitgezogen, / Und immer mehre wurden, die bekannten, / Und ihre heimlich tiefste Sünde nannten: / Verzerrte, tolle, plumpe Ungestalten, / Ein Bacchanal dämonischer Gewalten!« (III, 28)

Marsilio

Der im Figurenverzeichnis als »fremder Mann« bezeichnete Marsilio ist Andreas alter Jugendfreund, der, aus Padua kommend, plötzlich am Gartentor erscheint (2. Szene). Er ist mit einer Schar bußfertiger Anhänger unterwegs, um die Lehre des Bußpredigers Savonarola zu verbreiten. Andrea möchte von der einst geteilten Begeisterung für die Askese Savonarolas nichts mehr wissen: »Du Stück lebendiger Vergangenheit, / Wie unverständlich, unerreichbar weit! / Wie schwebst du schattenhaft und fremd vorbei, / Du abgestreiftes, enges Kleid: Partei!« (III, 14) Er gewährt seinem Freund trotzdem Schutz und sieht Marsilios Bekehrungspredigten, die zugleich Untergangsprophetie sind, bereits in seinem Haus stattfinden: »Ein Grabesschauer soll den Saal durchfluten, / Und wenn du weckst die heiligtollen Gluten, / Und wenn sie einen Scheiterhaufen schichten / Aus Bildern, Blumen, Teppichen, Gedichten, / Und taumelnd schlingen einen Büßerreigen…« (III, 16) Vor dem Tor des Hauses hält Marsilio eine Predigt, die eine große Anhängerschaft erreicht und auch bei Andreas Freunden Corbaccio und Fantasio einen starken Eindruck hinterlässt (8. Szene).

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