Die Juden (1749/1754)

Verfasserin: Vanessa Penna

Stich, Michel

Michel Stich – ein sprechender Name – ist Schulze im Gutsbezirk des Barons. Sein Handeln spricht seinem Amt Hohn, denn er ist, wie sein Kumpan Martin Krumm, ein Galgenvogel. Beide haben, als Juden verkleidet, ihren Herrn überfallen und hätten ihn umgebracht (vgl. 2. Auftritt; LM I, 377 f.), wenn der Reisende dem Baron nicht zu Hilfe gekommen wäre. Michael Stich hat nur einen kurzen Auftritt, der wesentlich der Exposition dient: Er streitet sich mit Martin Krumm über den misslungenen Überfall (1. Auftritt).

Krumm, Martin

Martin Krumm – ebenfalls ein sprechender Name – ist der Gutsvogt des Barons. Wie sein Kumpan Michel Stich macht er seinem Amt alle Unehre, denn er ist ein Spitzbube, der den Galgen nicht fürchtet, sind doch schon sein Vater und sein Großvater am Galgen gestorben (1. Auftritt; LM I, 375).

Als Juden verkleidet, haben er und Stich am Abend zuvor ihren eigenen Herrn überfallen und hätten ihn, wie Krumm selbst durchblicken lässt, umgebracht (2. Auftritt; LM I, 377 f.), wenn der Reisende ihm nicht zu Hilfe gekommen wäre. Krumm ärgert sich, dass sie nicht beide getötet haben (1. Auftritt).

Um doch noch auf seine Kosten zu kommen, verstrickt er den vom Baron aufs Gut eingeladenen Reisenden in ein Gespräch über den Überfall und das »gottlose Gesindel« der Juden, vor dem er, wäre er König, alle »rechtschaffne Christen« zu bewahren wüsste: »ich ließ keinen, keinen einzigen am Leben« (2. Auftritt; LM I, 378). Dass antisemitische Predigten des Dorfpfarrers seine Judenfeindschaft befördern, wird angedeutet (2. Auftritt; LM I, 379). Unter dem Vorwand, die diebischen Tricks der jüdischen »Betrieger« demonstrieren zu wollen, entwendet er dem Reisenden eine silberne Schnupftabakdose. So enthüllen sich alle üblen Eigenschaften, die er den Juden zuschreibt, als seine eigenen.

Als der Reisende ihn später auf die Dose anspricht, wird er grob und bestärkt damit den Verdacht des Gastes: »Was höre ich? Vorhin war der Vogt einfältig und höflich, jetzt ist er unverschämt und grob. Welches ist denn Eure rechte Larve?« (16. Auftritt; LM I, 400). Um seine Unschuld zu beweisen, kehrt er seine Taschen um, wobei die falschen Judenbärte zum Vorschein kommen, die er und Michel Stich beim Überfall umgebunden hatten (16. Auftritt; LM I, 402).
Der Baron, vom Reisenden über den Vorfall informiert, lässt ihn festnehmen, und Martin Krumm gesteht den Überfall (21. Auftritt; LM I, 408). Die Tabaksdose, die Lisette ihm abgeschwatzt hatte (11. Auftritt), kehrt auf Umwegen zu ihrem Besitzer zurück (19./20. Auftritt). 

Reisende, Der

Der Reisende hat den Baron am Abend zuvor bei einem Überfall gerettet. Auf Einladung des dankbaren Barons hat er die Nacht auf dessen Landgut verbracht und will gleich am Morgen weiterreisen, weil er überzeugt ist, dass eine gute Tat »den Namen einer Wohlthat (verlieret), sobald wir die geringste Erkenntlichkeit dafür zu erwarten scheinen« (4. Auftritt; LM I, 382). Erst die inständige Bitte des Barons zu bleiben bewegt ihn dazu, die Abreise um einen Tag zu verschieben (8. Auftritt; LM I, 388).

Fast wider Willen überführt er Martin Krumm der Mittäterschaft am Überfall. Aus Dankbarkeit will ihm der Baron die Hand seiner Tochter geben, doch der Reisende, der die judenfeindliche Einstellung des Barons kennt (vgl. 6. Auftritt), lehnt ab und gibt sich als Jude zu erkennen. Auch das Vermögen, das der Baron ihm ersatzweise anbietet, lehnt er ab: Zum Dank für seine Hilfe wünsche er sich »nichts, als daß Sie künftig von meinem Volke etwas gelinder und weniger allgemein urtheilen« (22. Auftritt; LM I, 410). Er habe ihm sein Judentum bis dahin nicht etwa deshalb verborgen, weil er sich seiner Religion schämte, sondern weil er gesehen habe, dass der Baron »Neigung zu mir, und Abneigung gegen meine Nation« habe, ihm selbst aber die Freundschaft eines Menschen, »er sey wer er wolle«, immer »unschätzbar« gewesen sei (ebd.). Der Baron ist beschämt.

Der Reisende ist das wandelnde Dementi der antisemitischen Vorurteile, die im Stück geäußert werden. Er ist vermögend, aber nicht »auf den Gewinnst […] erpicht«, wie der Baron Juden unterstellt (6. Auftritt; LM I, 386) und der Reisende selbst widerlegt, indem er das Vermögen des Barons ausschlägt. Seine »aufrichtige, großmüthige und gefällige Miene« führt die Gewissheit des Barons ad absurdum, Juden an ihrer (Tücke und Eigennutz verratenden) »Gesichtsbildung« erkennen zu können (ebd.). Der Überzeugung des Barons, dass Juden »die allerboshaftesten, niederträchtigsten Leute« seien (ebd.), widerspricht das hochsensible Moralgefühl des Reisenden, dem selbst seine Entscheidung, seinem Gastgeber den falschen Judenbart des Martin Krumm zu zeigen, Gewissensbisse macht, weil er fürchtet, einen Unschuldigen falschen Verdächtigungen auszusetzen (18./ 19. Auftritt).

Das Bemühen um Vorurteilslosigkeit, das er damit an den Tag legt, kontrastiert mit der Vorurteilshaftigkeit des Barons und repräsentiert damit zugleich die kritische Norm des Stücks, die auszusprechen ihm denn auch vorbehalten ist: »ich bin kein Freund allgemeiner Urtheile über ganze Völker […] – Ich sollte glauben, daß es unter allen Nationen gute und böse Seelen geben könne« (6. Auftritt; LM I, 386).

Dass er ein aufgeklärter Geist ist, macht auch seine Reisebibliothek deutlich, die augenscheinlich mit zeitgenössischer (schöner) Literatur bestückt ist (10. Auftritt), ebenso seine Sympathie mit der unverbildeten und eben darum vorurteilsfreien Tochter des Barons (6. Auftritt).

Christoph

Bedienter des Reisenden, den dieser erst vier Wochen zuvor in Hamburg in Dienst genommen hat (14. Auftritt; LM I, 398). Lisette, die ihn im Auftrag des Barons über seinen Herrn aushorchen soll, bändelt mit ihm an, um ihn zum Plaudern zu verführen. Da er nichts über den Reisenden weiß, erzählt er ihr eine frei erfundene Geschichte, um die silberne Tabaksdose zu bekommen, mit der sie ihn lockt (14. Auftritt).

Christoph ist ein grober, stets auf seinen Vorteil bedachter Bursche. Er trinkt viel und fährt seinem Herrn vorlaut über den Mund. Nachdem dieser seine Identität enthüllt hat, will er ihn verklagen: »Sie sind ein Jude, und haben das Herz gehabt, einen ehrlichen Christen in Ihre Dienste zu nehmen? Sie hätten mir dienen sollen. So wär es nach der Bibel recht gewesen.« Sein Eigennutz ist freilich stärker als sein Judenhass. Als der Reisende, der ihm nicht zumuten will, »besser, als der andre christliche Pöbel« zu sein, ihn mit der wiedererlangten silbernen Schnupftabakdose entlohnt, wechselt er schnell die Seite: »es giebt doch wohl auch Juden, die keine Juden sind. Sie sind ein braver Mann. Topp, ich bleibe bey Ihnen! Ein Christ hätte mir einen Fuß in die Rippen gegeben, und keine Dose!« (22. Auftritt; LM I, 410 f.)

Baron, Der

Der wohlhabende Baron, 50 Jahre alt und augenscheinlich Witwer, lebt mit seiner Tochter auf seinem Landgut. Er ist am Abend zuvor in seiner Kutsche von Straßenräubern überfallen, dann aber von einem Reisenden gerettet worden, den er daraufhin dankbar auf sein Gut eingeladen hat. Er ist sogleich von dem Fremden angetan und sucht seine Freundschaft, auch wenn ihm dessen »allzuzärtlicher Geschmack« in moralischen Fragen eher fremd ist (vgl. 6. Auftritt; LM I, 385).

Als der Reisende ihn »zum zweytenmal aus einer gleich großen Gefahr« befreit, indem er den eigenen Gutsvogt des Barons als Täter des Überfalls entlarvt (21. Auftritt; LM I, 408), bietet der Baron ihm die Hand seiner Tochter an und hält dieses Angebot auch dann noch aufrecht, als das Zögern des Reisenden ihn mutmaßen lässt, dass er nicht, wie er geglaubt hatte, von Adel ist. Als aber der Reisende sich als Jude zu erkennen gibt, ist ihm das ein »grausamer Zufall«, der ihn hindert, seine Dankbarkeit zu erweisen. Da er »lieber arm und dankbar, als reich und undankbar seyn« will, bietet er ihm ersatzweise sein »ganzes Vermögen« an, was der Reisende natürlich ablehnt (22. Auftritt; LM I, 410). Nun schämt der Baron sich zwar, kann aber der Bitte des Reisenden, »künftig von meinem Volke etwas gelinder und weniger allgemein urtheilen«, nicht nachkommen, weil er die Vorurteilshaftigkeit seines Denkens nicht erkennt. Der Reisende ist für ihn nur eine Ausnahme von der Regel: »O wie achtungswürdig wären die Juden, wenn sie alle Ihnen glichen!« (22. Auftritt; LM I, 411)

Schon zuvor gibt er beredtes Zeugnis von seiner Judenfeindschaft und rühmt sich dabei seiner Menschenkenntnis (6. Auftritt). Der Umstand, dass er mit Michel Stich und Martin Krumm zwei ausgesprochene Halunken zum Schulzen bzw. Vogt seines Gutsbezirks gemacht hat, ist komische Widerlegung dieser Selbstsicht.

Fräulein, Ein junges

Tochter des Barons. Der Vater nennt sie ein »wilde[s] Ding«, das trotz seines jungen Alters »gern um Mannspersonen« sei (5./6. Auftritt; LM I, 383). Tatsächlich ist sie aufrichtig, unvoreingenommen und freundlich. Sie fühlt sich von dem Reisenden angezogen, der seinerseits, wie er dem Baron gesteht, »durch ihre Reden, in welchen die liebenswürdigste Unschuld, der ungekünsteltste Witz herrschet«, bezaubert ist (6. Auftritt; LM I, 384). Was der Vater als Versäumnis seiner Erziehung betrachtet, ihre noch unverbildete, »sich selbst gelaßne Natur« (ebd.), begründet ihre Vorurteilslosigkeit (und enthüllt das judenfeindliche Vorurteil als Unnatur): Als der Reisende sich als Jude zu erkennen gibt, repliziert sie nur: »Ey, was thut das?« (22. Auftritt; LM I, 410).

Im Erstdruck der ›Juden‹ (in »G. E. Leßings Schrifften. Vierter Teil«, Berlin 1754) erhält die Baronesse an einer Stelle, offensichtlich aus Versehen, den Namen Angelica. Vgl. »Werke und Briefe in 12 Bänden«, hg. von Wilfried Barner zusammen mit Klaus Bohnen u.a., Frankfurt/M. 1985 ff., hier Bd. 1: »Werke 1743–1750«, hg. von Jürgen Stenzel. Frankfurt/M. 1989, S. 1158.

Lisette

Mädchen im Haus des Barons. Sie soll Erkundigungen über den Reisenden einziehen. Dabei setzt sie ihre weiblichen Reize und ihre Sprachbegabung ein, um Auskünfte zu erhalten. Sie schauspielert, täuscht, verwirrt, ironisiert und bleibt häufig uneindeutig. Sie schwatzt Martin Krumm die silberne Schnupftabakdose ab und besticht mit dieser Beute ihrer Verstellungskunst Christoph, den Bedienten des Reisenden, um Informationen über dessen Herkunft zu bekommen. Christoph weiß allerdings nichts über seinen Herrn und tischt ihr eine Lügengeschichte auf, um an die Dose zu gelangen.