Erdamer, Dr.
Jurist, geboren 1890, Bürgermeister in Jerichow bis 1933, Sozialdemokrat, verheiratet, eine Tochter, die mit Lisbeth Cresspahl befreundet ist.
102 Bei ihrer heimlichen Reise zu ihrem Bräutigam nach Richmond im September 1931 sieht Lisbeth Dr. Erdamer in Bad Kleinen zusteigen. Sie versteckt sich hinter ihrer Zeitung, dem Berliner Tageblatt, und »an einer Dame mit einer liberalen Zeitung ging Dr. Erdamer vorüber«.
222-226 Nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 weiß Erdamer, dass er sein Amt verlieren wird, obwohl die Sozialdemokraten in Mecklenburg kaum Stimmen verloren haben. Der starke Stimmenzuwachs der Nationalsozialisten beschämt ihn, und er versteht die Leute nicht mehr, mit denen er bis dahin vertrauensvoll zusammengearbeitet hat. »Er verstand nun den Adel der Gegend nicht. Er verstand ihn, er begriff die wirtschaftlichen Interessen der Leute, die das politische Unwetter in der Sicherheit ihrer Güter abwarten wollten, aber es genierte ihn, daß sie so ruhig saßen und die Schlägerkommandos der Nazis nicht von ihren Knechten aus den Siedlungen der Tagelöhner prügeln ließen und weder selbst noch durch die Kirche hatten Bescheid sagen lassen, daß sie einen Erfolg für die nationalsozialistischen Plebejer nicht wünschten. Die Kirche genierte ihn. Ihn genierte, daß Papenbrock seinen Sohn [Horst] nicht in den Nacken schlug.«
Als bei der Ratsversammlung am Nachmittag die Jerichower Sozialdemokraten zurücktreten, verlässt er die Sitzung. »Er war jetzt 43 Jahre alt. Als er aufstand, fanden seine Schultern ganz leicht in die Haltung des Offiziers. Er hielt das Kinn zu hoch, als daß er einen der Sitzenden ansehen konnte. Er spürte die kurzen, dann gesenkten Blicke auf seinen mageren, rundum geschorenen Kopf«. Er verlässt das Rathaus: »Als er anfing zu gehen, ein ziemlich aufrechter, hochmütiger Herr in Reitstiefeln unter dem langen Mantel, führte kein Entschluß mehr ihm die Schritte.«
293 »Die Sitzung der Stadtverordneten hatte ihm für 1931/32 nicht nur vollständige, sondern ehrenvolle Entlastung erteilt, einstimmig, vielleicht, weil sie ihn wenigstens zur kommissarischen Weiterführung der Geschäfte hätten überreden wollen, sicherlich aber unter dem Druck des alten Papenbrock. Papenbrock hatte überdies zuwegegebracht, daß des Bürgermeisters Entbindung vom Amt in einen privaten Wunsch umgeschrieben wurde.«
413 Jerichower Stadtgesprächen im Jahr 1934 zufolge hat Dr. Kliefoth Erdamers Haus gekauft.
470 Dr. Erdamer, der »sich nicht zu gut für einen hohen Posten« in der Deutschen Arbeitsfront ist, vermittelt Cresspahl 1934 und 1935 günstige Bedingungen beim Ankauf von Maschinen für seine Tischlerwerkstatt in Jerichow.
666 In Erdamers Haus an der Rander Chaussee wohnt Friedrich Jansen zur Miete, bevor er 1938 in die Ziegeleivilla zieht.
Vgl. auch 171-172. 215. 401. 544. 562. 664. Anhang XII.
Die beiden Informationen, dass Julius Kliefoth Erdamers Haus gekauft hat und Friedrich Jansen das Haus bis 1938 gemietet hat, passen nicht zusammen. Kliefoth kommt 1932 nach Jerichow und müsste das Haus spätestens 1934 gekauft haben, da das Stadtgespräch, in dem davon die Rede ist, in diesem Jahr stattfindet (vgl. 409-414).