Johnson, Uwe und Gesine Cresspahl
Autor und Hauptfigur der »Jahrestage« haben einen Vertrag geschlossen (vgl. 1426), der den Autor berechtigt, alles, was sich im Leben Gesine Cresspahls zwischen dem 20. August 1967 und dem 20. August 1968 ereignet, aufzuschreiben. Dazu gehören auch Gesine Cresspahls Erzählungen für Marie, die Familiengeschichte seit 1931 betreffend, aber auch ihre unausgesprochenen Gedanken, Gefühle und Träume. Allerdings hat die Figur ein Veto-Recht, von dem sie in gelegentlichen Diskussionen mit ihrem Erfinder Gebrauch macht.
253-257 Bei der rückblickenden Erzählung von Uwe Johnsons Auftritt bei einer Vortragsveranstaltung des Jewish American Congress am 16. Januar 1967 in New York, die Gesine Cresspahl besucht hat, geraten Erzähler/Autor und Figur mehrmals in ein fiktives Gespräch: »Wo hast du gesessen, Gesine. / Gut genug, dich zu sehen, Genosse Schriftsteller. / Hinten. / Ja, weit weg, dicht an einer Tür.« – »Wer erzählt hier eigentlich, Gesine. / Wir beide. Das hörst du doch, Johnson«. – Angesichts des wenig erfolgreichen Auftritts Johnsons an diesem Abend: »Ja, wenn ich dich gleich um Rat gefragt hätte, Mrs. Cresspahl. / Damals sprachen wir noch nicht mit einander, Mr. Johnson.«
1075 Maries Enttäuschung über das Verhalten des New Yorker Bürgermeisters John Vliet Lindsay am Tag der Loyalty Day Parade (27. April 1968): »Sie sagte etwas, als sie seine Seiten aus ihrem Sammelbuch riß, aber das wird nicht aufgeschrieben, Genosse Schriftsteller. Kannst ja sagen, sie hat vielleicht geheult, solange sie in ihrem Zimmer allein blieb, und danach nicht mehr.«
1426-1428 Autor und Figur streiten sich darüber, wie sehr Mrs. Cresspahl über Ginny Carpenter gelacht hat: »Ich will dir mal was sagen, du Schriftsteller. / Gelacht haben Sie, Mrs. Cresspahl, du, Gesine. Hast du. [...] Ein Jahr hab ich dir gegeben. So unser Vertrag. Nun beschreibe das Jahr. / Und was vor dem Jahr war. / Keine Ausflüchte! / Wie es kam zu dem Jahr.« – »Jedes Mal lach ich, wenn ich sie seh. [...] Fast jedes Mal ist dabei Spaß, daß es solche gibt. Freude geradezu. / Daß Amerika auch so sein kann. / Ja. Dann schreib es auf. / Soll es denn doch ein Tagebuch werden? / Nein. Nie. Ich halt mich an den Vertrag. Nur, schreib sie öfter hin.« – »Meine Psychologie mach ich mir selber, Genosse Schriftsteller. Du mußt sie schon nehmen, wie du sie kriegst. / So hast du noch nie gelacht über Ginny Carpenter. / Einverstanden. Das kannst du schreiben. So noch nie. So hatte Mrs. Cresspahl noch nie über Mrs. Carpenter gelacht. So? Nie.«
1474 Über den Roman, der kein Tagebuch sein soll: »hier macht ein Schreiber in ihrem [Gesines] Auftrag für jeden Tag eine Eintragung an ihrer Statt, mit ihrer Erlaubnis, nicht jedoch für den täglichen Tag.«
1638 Gesine an Jonas Blach über ihren Beitrag zu dessen Festschrift (vgl. 1393, 1638, 1657): »Zwar hätten wir es abwälzen können auf einen Genossen Schriftsteller, den haben wir an der Hand, sogar in derselben; da du mich vorgeschlagen hattest, mußte es verbleiben bei mir, unter uns.«
1657 Gesine über das Romanprojekt: »seit bald einem Jahr die Tage, die der andere Jugendfreund und Genosse Schriftsteller aufschreiben will. Wie werden wir froh sein, wenn es ein Ende hat mit dem Unveröffentlichten.«
1726 Über den Einsatz von Schulklassen gegen Kartoffelkäfer, die angeblich vom Klassenfeind über der DDR abgeworfen worden sind, sollte der Genosse Schriftsteller nach Gesine Cresspahls Meinung ein Buch schreiben: »Ein ganzes Buch müßtest du schreiben, Genosse Schriftsteller, diese Nachmittage angehend, so unendlich lang waren die, so infinitesimal drehte die Erde sich gegen die Sonne in eine östliche Kurve.«
1766 Gesine mit Blick auf die ›Handschrift‹ ihrer Freundin Anita Gantlik: »Genosse Schriftsteller, daß du sie ja korrekt bewertest!«
1821-1822 Gesine über die Begründung ihrer Freundschaft mit Anita im September 1951 während eines Schulausflugs auf dem Heidberg bei Güstrow: »Es ist uns schnuppe, ob dir das zu deftig beladen ist, Genosse Schriftsteller! Du schreibst das hin! wir können auch heute noch aufhören mit deinem Buch. Dir sollte erfindlich sein, wie wir uns etwas vorgenommen haben für den Tod.«
Vgl. auch 230. 1885.