Vorwort

»In Jahren, wo die meisten Schriftsteller die Feder aus der Hand zu legen pflegen, kam ich in die Lage sie noch einmal recht fest in die Hand nehmen zu müssen, und zwar auf einem Gebiete, auf dem ich mich bis dahin nicht versucht. Mißglückt es, so bin ich verloren. Ich habe meine Schiffe verbrannt, und darf – wenn ich auch keine Siege feire – wenigstens nicht direkt unterliegen.« (1). Der Debütant im »Gebiete« des Romans steht bei Erscheinen der Buchausgabe seines ersten Romans »Vor dem Sturm« im November 1878 kurz vor seinem 59. Geburtstag. In den folgenden zwanzig Jahren bis zu seinem Tod im September 1898 wird er 17 Romane und Erzählungen schreiben, ein weiterer Roman (»Mathilde Möhring«) bleibt unfertig. Fontanes Erzählwerk ist, sieht man ab von der Handvoll kleinerer Erzählungen aus den frühen Jahren, Alterswerk.

Der resignative Grundzug seiner Geschichten, aber auch die Weigerung, dem Kampfruf der Naturalisten zu folgen, haben damit zu tun. Fontanes Realismus zeigt die Welt, wie sie ist, besteht aber auf dem »Schönheitsschleier« (2), der dem Leser den Blick auf die triste Wirklichkeit erträglich machen und dem Werk seinen Kunstcharakter sichern soll. Denn die Kunst, so Fontanes Überzeugung, soll zwar auch das Hässliche und Niedrige zeigen, muss aber »das Entgegengesetzte vertreten, versichern« (3). Deshalb steht er Werken, die die Welt wie durch einen »photographischen Apparat« betrachten (4), eher reserviert gegenüber: »Es ist die Muse in Sack und Asche, Apollo mit Zahnweh. Das Leben hat einen Grinsezug.« (5) Realismus ist »die künstlerische Wiedergabe (nicht das bloße Abschreiben) des Lebens« (6), und der »echte Realismus wird auch immer schönheitsvoll sein« (7).

Die erzählerischen Mittel, die den »Schönheitsschleier« über das Erzählte legen, sind vielfältig. Der »beste Weg ist der des Humors«, schreibt Fontane (8), und seine Erzähler oder Figuren legen zahlreiche Proben dieser »erquicklichen« Methode ab, dem »Grinsezug« des Lebens zu begegnen (9). Hinzu kommen die verschiedenen Formen perspektivierenden Erzählens, die den Leser das Erzählte mit den Augen der Figuren sehen lassen und damit den Blick auf die Welt, indem sie ihn subjektivieren, mildern. Das starke Gewicht, das, zumal in den späten Romanen, den Gesprächen der Figuren beigemessen wird, hat mit diesem Kunstgriff der Subjektivierung zu tun.

Das hier vorerst als ›work in progress‹ erscheinende Lexikon, das nach und nach sämtliche Erzählwerke Fontanes erschließen wird, möchte zum Verständnis Fontanescher Erzählkunst beitragen, indem es die je subjektiven Perspektiven der Figuren rekonstruiert und die sachten Eingriffe der Erzähler nachzeichnet. Da es sich auf die Figuren beschränkt, kann es den »Führer durch Fontanes Romane« von Christian Grawe nicht ersetzen, mag aber, nachdem dessen 2. Auflage von 1996 vergriffen ist (10), immerhin willkommen sein.

Prešov/Saarbrücken, den 10. März 2015          Meike van Hoorn          Anke-Marie Lohmeier

(1) Fontane an Ludovica Hesekiel, 28.5.1878. – (2) Brief an Emilie Fontane, 14.6.1883. – (3) Zola-Notizen. 1883. In: Th. F., Aufsätze und Aufzeichnungen. Aufsätze zur Literatur, hrsg. v. J. Kolbe, Frankfurt/M.-Berlin-Wien 1979 (Werke und Schriften, hrsg. v. Walter Keitel und Helmuth Nürnberger, Bd. 28), 336-352, hier S. 341. – (4) Brief an Emilie Fontane, 24.6.1881. Die Rede ist hier von Turgenjews Erzählband »Aufzeichnungen eines Jägers« (1852). – (5) Brief an Emilie Fontane, 9.7.1881 (über Turgenjews Erzählung »Mumu«, 1863). – (6) Zola-Notizen (wie Anm. 3), S. 342. – (7) Brief an Emilie Fontane, 14.6.1883. – (8) Brief an Friedrich Stephany, 10.10.1889 – (9) Brief an Emilie Fontane, 9.7.1881. – (10) Christian Grawe: Führer durch Fontanes Romane. Ein Lexikon der Personen, Schauplätze und Kunstwerke. 2., überarb. Auflage Stuttgart 1996 (RUB 9439).