Briest
Effi Briests Vater, Gutsherr und Ritterschaftsrat, ein »wohl konservierter Fünfziger von ausgesprochener Bonhommie« (2/18), der sein freies Leben als Gutsherr liebt und einer Karriere im Staatsdienst vorgezogen hat, weil nach »eigene[m] Willen schalten und walten zu können« ihm »immer das Liebste gewesen« ist (3/21). In den Augen seiner Frau Luise ist er »ein wenig prosaisch« und hat »dann und wann einen kleinen frivolen Zug« (3/19), der ihm, besonders in Weinlaune, kleine Zweideutigkeiten entlockt, mit denen er vorzugsweise seine Frau neckt (vgl. etwa 4/28; 5/39; 5/45).
Anders als Luise von Briest, die recht fest in überkommenen Normen und Gewissheiten ruht, sind seine Anschauungen von Skepsis, Humor und Selbstironie geprägt, die für eine gelassene Distanz gegenüber weltanschaulichen und normativen Festlegungen sorgen. Markantes Zeichen dieser Distanz ist die gern von ihm verwendete Redewendung »es ist ein weites Feld« (5/41 u.ö.). Mit ihr meldet er bei einigen Wahrheits- oder Moralfragen, bei Fragen danach, »was […] das Richtige ist« (15/140) oder »was man thun und lassen soll« (15/141), Widerspruch gegen solche Festlegungen an und plädiert dafür, sie offen zu lassen, weil darüber »die Akten noch nicht geschlossen« seien (15/140). Und in Fällen, in denen er überzeugt ist, dass die »Akten« sich mutmaßlich nie werden schließen lassen, erweitert er seine Lieblingsredewendung um das Adverb »zu«, die Sinnlosigkeit weiterer Diskussion andeutend: »Ach, Luise, laß… das ist ein zu weites Feld« (36/350; vgl. auch 5/47).
Seine Skepsis ist aber wohl auch der Grund dafür, dass er dazu neigt, den Dingen ihren Lauf zu lassen bzw. seiner Frau zu überlassen, wozu auch Effis Verlobung mit Innstetten zählt, die vor allem durch Luise von Briests Zuraten zustandekommt (vgl. 2/18). Erst nach der Hochzeit lässt er Zweifel hören (vgl. 5/42-44) und kommt in der Folgezeit in Gesprächen mit seiner Frau immer wieder – mehr als ein »dutzendmal« (24/253) – auf die Frage zurück, ob Effi in der Ehe wohl glücklich sei oder nicht (vgl. 24/252-255), was Frau von Briests Unwillen erregt: »das ist so Deine Art, hinterher den Weisen zu spielen. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, decken die Ratsherren den Brunnen zu« (5/47).
Auch bei dem Entschluss, Effi nach ihrer Scheidung nicht in Hohen-Cremmen aufzunehmen, folgt Briest dem Willen seiner Frau, ist damit aber schon bald unglücklich (vgl. 34/327 f.). Als dann Rummschüttels Brief eintrifft, der von Effis Nervenzusammenbruch berichtet und dringend dazu rät, sie nach Hause zu holen, gibt er ausnahmsweise seine Passivität auf, widerspricht Luises Einwänden energisch und schickt Effi ein Telegramm: »Effi komm.« (34/328)
Während seine Frau sich vor der zu erwartenden Konsequenz dieses Schritts – der gesellschaftlichen Isolierung – fürchtet, bleibt Briest gelassen, fast gleichgültig: »kommen die Rathenower, so ist es gut, und kommen sie nicht, so ist es auch gut« (ebd.). Mit seiner Unabhängigkeit von der Zustimmung der ›guten Gesellschaft‹ bildet er einen Gegenpol nicht nur zu Luise von Briest, sondern auch zu Innstetten, der sich der ›Tyrannei‹ des »Gesellschafts-Etwas« unterwirft (vgl. 27/278). Diese Kontrastrelation wird schon am Verlobungstag in einem Gespräch Briests und Innstettens hergestellt, in dem Briest über die Freiheiten seines Lebens als Gutsherr spricht und sie gegen die Gebundenheit des Staatsdieners ausspielt, der »die Blicke beständig nach oben richten« müsse und »dann bloß immer Sinn und Merk für hohe und höchste Vorgesetzte« habe (3/21).