Schweigen (1883)
Andrees
Der »alte Waldwärter« (III, 162) berichtet Rudolph eines Morgens, dass der verrückte Holzschläger Klaus Peters wieder aus der psychiatrischen Anstalt entlassen wurde.
Anna
Die anmutige blonde Pfarrerstochter mit ihren »schönen, gläubigen Augen« hat eine »reine, heitere Stimme« (III, 134). Sie lebt mit ihren Eltern und einigen Geschwistern in einem bescheidenen Pfarrhaus auf dem Dorf. Rudolphs Mutter, Frau Forstjunkerin von Schlitz, die Annas Mutter von früher her kennt, besucht mit ihrem Sohn die Familie im Interesse, dass sich Rudolph und Anna ineinander verlieben. Die beiden empfinden schnell Zuneigung füreinander. Zudem sprießt in Anna angesichts Rudolphs schwacher Verfassung eine gewisse »Mütterlichkeit« (III, 137), in der Rudolph sich geborgen fühlt.
Ungefähr ein halbes Jahr vergeht, bis Anna Rudolph das Jawort gibt, woraufhin die Eheleute gemeinsam in Rudolphs Forsthaus ziehen. Anna ist ihrem Ehemann treu ergeben. Die Ehe ist geprägt von tiefer gegenseitiger Zuneigung und scheint in der ersten Zeit durch nichts getrübt werden zu können. Rudolph versinkt allerdings zusehends in Trübsal, was Anna sich nicht recht erklären kann. Sie führt es deshalb auf die ihr greifbaren Gründe zurück: die Arbeitsüberlastung Rudolphs durch den Grafen und seine vermeintliche, wiewohl ungerechtfertigte Eifersucht Bernhard gegenüber.
Lange Zeit hat sie mit der Geringschätzung ihrer Schwiegermutter zu kämpfen, der die Einfachheit ihrer Schwiegertochter nicht passt. Dieses Ringen endet erst, als Anna sich, da sie gemeinsam mit der Forstjunkerin den Abschiedsbrief Rudolphs findet, gegen diese durchsetzt. Daraufhin steigt der Forstjunkerin Meinung sichtlich. Da Rudolph seinen Selbstmord nicht vollzogen, ihr in seinem Brief aber alles gebeichtet hat, steht somit dem künftigen Lebensglück Annas am Ende der Erzählung nichts mehr entgegen. Dieses Glück wird durch ein gemeinsames Kind gekrönt.
Arzt I
Der alte Hausarzt Rudolphs und seiner Mutter. Nach einer Sitzung rät er dieser, dass »ein deutsches Hausfrauchen« (III, 133) Rudolphs Genesung ungemein zuträglich sei.
Arzt II
Der Facharzt, der Rudolph in der psychiatrischen Anstalt behandelte, hat ihn damals als geheilt entlassen. Er diagnostizierte ein klassisches Burnout-Syndrom: Rudolph sei den Aufgaben, vor die ihn sein damaliger Dienstherr stellte, so kurz nach seiner Ausbildung noch nicht gewachsen gewesen. Rudolph besucht diesen »kräftigen Manne in mittleren Jahren« mit »heiteren, etwas schelmischen Augen« erneut (III, 159), als er schon mit Anna verheiratet ist und zusehends mit seiner Verfassung hadert. Der Arzt erklärt ihn weiterhin für gesund und rät ihm, sein Schweigen Anna gegenüber zu brechen und ihr von seiner einstigen Krankheit zu berichten.
Bernhard
Bernhard ist ein »hübscher Mann mit treuherzigen braunen Augen« und »frischem Wesen« (III, 137–138). Der Verehrer Annas und Jugendfreund Rudolphs – die beiden gingen gemeinsam aufs Gymnasium – besitzt einen Hof, den er zusammen mit seiner Schwester Julie bewirtschaftet. Kurz nach Annas und Rudolphs Verlobung, will Bernhard gleichfalls um Annas Hand anhalten, was diese verhindert und was zum Bruch mit Bernhard führt. Diese Verstimmung ist aber nur von kurzer Dauer, denn bei beider Hochzeit ist er wieder zugegen. Gleichwohl liebt er Anna weiterhin. Während Rudolph deshalb lange Zeit in Bernhard nur das Objekt seiner Eifersucht sieht, wandelt sich seine Einstellung im Zuge seiner Selbstmordpläne: Bernhards Liebe zu Anna lässt ihn sicher sein, dass Anna auch nach seinem geplanten Tod nicht auf sich allein gestellt wäre.
Bruder
Annas »halb gelähmtes Brüderchen«, um das sie sich kümmert (III, 133).
General
Der Schwiegervater des Grafen, der freundliche »alte Herr« mit »seinem weißen Kopfe« (III, 197), ist zweimal bei diesem zu Besuch. Beide Male unternehmen sie einen Spaziergang und führen ein Gespräch über Rudolph. Beim zweiten Gespräch trägt der Graf eine Geschichte von Rudolphs Genesung weiter, die den Tatsachen nicht entspricht: Rudolph habe Anna angeschossen und sich daraufhin gewandelt.
Graf
Rudolphs Dienstherr war ein Schulkamerad seines Vaters. Er will ihm die ›männliche Erziehung‹ zukommen lassen, die Rudolph seiner und des Pastors Meinung nach bisher nicht zuteil wurde. Außerdem setzt er hohe Hoffnungen in Rudolphs Fähigkeiten, überträgt er ihm doch die Stelle des Oberförsters, als dieser in Rente geht. Wegen der »treibenden Eile« des »stets ungeduldigen« Grafen gerät Rudolph zusehends unter Druck (III, 168). Trotz einiger Mühe erfüllt Rudolph die Ansprüche des Grafen nicht, wie er aus einem Gespräch zwischen dem Grafen und dem alten General erfährt, das er teilweise belauscht. (Dass Rudolph die Ansprüche nicht erfüllen kann, hängt allerdings auch damit zusammen, dass er oft mehr mit seiner inneren Befindlichkeit befasst ist als mit seinem täglichen Geschäft.) Seine Meinung revidiert der Graf aber in einem zweiten Gespräch, das nach Rudolphs Beichte stattfindet, von dem Rudolph indes nichts erfährt.
Hufschmied Br…
In einem Zeitungsartikel liest Rudolph die Geschichte des Hufschmieds, der von einem tollwütigen Hund gebissen wurde und dennoch in eine Ehe eintrat. Das ging dreizehn Jahre lang gut, dann aber beichtete er es seiner Frau, woraufhin in just diesem Moment seine Tollwut ausbrach. Rudolph findet sich selbst in dieser Geschichte wieder, weshalb sie ihn veranlasst, sein eigenes Handeln intensiv infrage zu stellen.
Julie
Dieses, wie der Pfarrer findet, »Prachtkind« (III, 138) ist Bernhards Schwester, dem sie sehr ähnelt. Das braunhaarige, hübsche und redselige »frische Mädchen« (ebd.) führt ihrem Bruder den Haushalt. Julie und Bernhard besuchen Anna zu der Zeit, als sie und Rudolph gerade dabei sind, sich ineinander zu verlieben. Es scheint, als hätte Bernhard seine Schwester mitgebracht, um Rudolphs Aufmerksamkeit von Anna abzulenken. Dieses Vorhaben hat allerdings den gegenteiligen Effekt: Beim gemeinsamen Spaziergang hat Rudolph keine Augen für Julie, die an seiner Seite geht, sondern wird eifersüchtig auf Bernhard, der mit Anna vor ihm spaziert. Auch Jahre später, als Rudolph und Anna das Geschwisterpaar auf ihrem Gutshof besuchen, führt Julie weiterhin den Haushalt ihres Bruders.
Käthe
Die kleine Schwester Annas ist zu der Zeit, als Anna und Rudolph sich ineinander verlieben, zehn Jahre alt. Sie begleitet Anna, als diese Rudolph am Tag nach der Verlobung abholen will, um ihn ihren Geschwistern vorzuführen.
Margarethe
Die Jugendbekanntschaft der Forstjunkerin von Schlitz ist Annas Mutter und die Frau des Landpfarrers. Sie hat offenbar eine Vorliebe für romantische Opern, deren Vokabular sie in entsprechender Stimmung gern kopiert.
Peters, Klaus
Wie Andrees erzählt, hatte sich der Holzschläger Klaus Peters »eingebildet, als einziger Sohn von den Soldaten frei zu kommen und da drunten mit des reichen Seebauern Tochter Hochzeit zu machen« (III, 162). Als beides misslang, wurde er darüber verrückt und in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert. Dort heiratete er eine der Wärterinnen, mit der zusammen er nach seiner Entlassung zurückkehrt. An dem Tag, für den Rudolph seinen Selbstmord geplant hat, berichtet man diesem, dass Klaus Peters’ Krankheit offenbar wieder ausgebrochen sei: Er sei seiner Frau mit einer Axt in der Hand ums Haus herum nachgerannt und nur durch mehrere Männer zu bändigen gewesen. Es scheint, als sähe Rudolph sich dadurch in seinem Vorhaben bestätigt. Wie sich später allerdings herausstellt, handelte es sich bei dieser Jagd bloß um eine besondere Form des Ehezwists.
Pfarrer
Der Vater von Anna ist ein kluger, fröhlicher und kräftiger Mann. Ihm ist an Frohsinn in seinem Haus gelegen. So zieht er seine Frau auf, wenn sie wieder eine »sentimentale Anwandlung« (III, 136) hat und aus den romantischen Opern zu zitieren beginnt; oder er legt Rudolph, der am Klavier den schwermütigen Chopin zum Besten gibt, eine ungleich fröhlichere Sonate von Haydn vor. Dieses Bemühen um eine gewisse Heiterkeit befördert die Genesung Rudolphs. Allerdings ist er mit der Verlobung von Anna und Rudolph nicht direkt einverstanden, weil er sich über den eigentlichen Zustand Rudolphs wohl im Klaren ist. Als er das Ehepaar einige Zeit darauf besucht und dort alles bestens zu stehen scheint, ist er aber doch zufrieden. Zudem ist er sich mit dem Grafen darüber einig, dass Rudolph noch eine ›männliche Erziehung‹ zu durchlaufen hat.
Rudolph
Der Protagonist der Novelle, Rudolph, leidet kurz nach seiner Ausbildung an einer psychischen Krankheit. Die Diagnose des behandelnden Arztes lautet: Burnout. Ein weiterer Grund, der in der Erzählung angedeutet wird, ist, dass Rudolphs Vater früh starb und er allein der verzärtelnden Erziehung der Mutter ausgesetzt war, was sich in erster Linie an seiner – aus der Sicht des Pfarrers und des Grafen – übertriebenen Zuneigung zu Literatur und Musik zeigt. Seine innere Verfassung schlägt sich auch auf seine Erscheinung nieder: Obwohl er »von hohem, kräftigem Wuchse« ist, zeigen »die Linien des blassen Antlitzes eine der Jugend sonst nicht eigene Schärfe«, und in den Augen ist »etwas von jenem verklärten Glanze, wie bei denen, welche körperlich und geistig zugleich gelitten haben« (III, 131). Wenn Rudolph auch als geheilt entlassen wird, so empfiehlt der Arzt doch zur vollständigen Genesung eine baldige Ehe mit einem »Hausfrauchen« (III, 133), das die Forstjunkerin in Anna gefunden zu haben meint.
Im Zuge seines Werbens um Anna kommt es zum zentralen Konflikt, der der Novelle den Titel gibt und der Rudolph lange Zeit umtreibt. Rudolph verschweigt Anna auf Drängen seiner Mutter, dass er gerade erst von einer psychischen Krankheit genesen ist. Während in den ersten Ehejahren alles bestens zu sein scheint, ändert sich das durch verschiedene äußere Anlässe, die Rudolph zum Nachdenken anregen. Insbesondere der Zeitungsartikel über den Hufschmied und die Geschichte Klaus Peters’ sorgen dafür, dass Rudolph fürchtet, seine einstige Krankheit könne jederzeit wieder ausbrechen. Zusätzlich setzt ihn sein Dienstherr, der Graf, durch ein Übermaß an Arbeit unter Druck.
Rudolph erkennt daraufhin nicht mehr, dass es eigentlich nur sein Schweigen Anna gegenüber ist, das für seinen Seelenzustand verantwortlich ist. Er manövriert sich selbst in eine immer ausweglosere Situation. Entgegen der Realität meint er, dass er sich Anna in seiner Verfassung nicht mehr zumuten könne, und beschließt, sich umzubringen. Erst in seinem Abschiedsbrief beichtet er Anna, was er ihr einst verschwieg. Diese Beichte allerdings lässt ihn erkennen, dass es ausschließlich sein Schweigen war, das auf ihm lastete. Derart erleichtert, lässt er vom Selbstmord doch ab. Da Anna ihm verzeiht, steht einer glücklichen gemeinsamen Zukunft nichts mehr im Wege, die durch die Geburt eines Kindes besiegelt wird.
Schlitz, Fernande von
Frau Forstjunkerin Fernande von Schlitz, Rudolphs Mutter und Nachfahrin eines Kammerjunkers, ist eine ältere Dame von hohem, kräftigem Wuchs, deren Mann recht früh starb. Meist beherrscht ein »Zug rücksichtslosen Willens« ihren »noch immer schönen Mund«, der angesichts ihres Sohnes allerdings einer »weichen Zärtlichkeit« weicht (III, 131). Das verweist auf eine bedingungslose und blinde Mutterliebe, die, wie Rudolph erkennt, »in jedem Augenblick bereit sei, sich feindselig gegen alle Welt« zu richten, sollte ihm Unheil drohen (III, 158). Da der Arzt für Rudolph eine ruhige Ehefrau empfiehlt, löst sie die Ereignisse aus, die zu Rudolphs Hochzeit mit Anna führen. Diese Ehe bleibt für Frau von Schlitz indes auf lange Jahre mit einem Makel behaftet, da sie sich für ihren Sohn ursprünglich eine standesgemäße Hochzeit wünschte. Auch Anna, die ihr nur »so zwischen Wald und Wiesen« hübsch zu sein scheint (III, 146), entspricht nicht dem glanzvollen Bild, das sie sich einst von ihrer Schwiegertochter gemacht haben dürfte. Anna gewinnt erst ihre Achtung, als sie sich, da sie zusammen mit ihrer Schwiegermutter Rudolphs Abschiedsbrief findet, gegen diese durchsetzt und Rudolph allein zu suchen beginnt. Endgültig gelöst wird der Konflikt aber erst, als die Forstjunkerin in Anna nicht mehr nur die Diebin ihres Sohnes sieht, sondern sich dazu durchringt, auch ihre Schwiegertochter gleichermaßen zu lieben.
Außerdem trägt die Fortsjunkerin erheblich zum Konflikt ihres Sohnes bei. Sie überzeugt ihn nämlich wider besseres Wissen davon, dass es kein Unrecht sei, seine psychische Krankheit vor seiner künftigen Frau zu verschweigen. Erst als sie später von seinen Selbstvorwürfen erfährt, rät sie ihm, Anna alles zu beichten – wovon Rudolph nun aber nichts mehr hören will. Und erst als sie seinen Abschiedsbrief liest, ist sie bereit, sich selbst eine Schuld einzugestehen.