Kempowski, Karl (Körling)

Walters Vater. Er pflegt Erinnerungen an den ersten Weltkrieg, wurde bei Ypern durch Gas verwundet und leidet seitdem unter Juckreiz. An seiner Regimentsnummer 210 hängt er abergläubisch, sein Postfach in der Hauptpost hat dieselbe Nummer (22); dass sein Vater an einem 2.10. stirbt, gibt ihm zu denken (99); er hat auch mehrere Kriegsauszeichnungen. Mitglied der nationalsozialistischen SA (15), aber eher Nationalist als Nationalsozialist. Von Beruf ist er Schiffsmakler und Reeder (38) in der Firma seines alten Vaters. Ihr großes Schiff hat 2500 ›Tons‹, es heißt »Der Konsul«, im Krieg geht es durch eine Mine unter (107, 130). Er hat ein Kontor in einem Geschäftshaus, die Familie wohnt im 2. Stock eines Hauses zur Miete. Sie ist zu Beginn des Romans gerade dort eingezogen. Ein Flügel wird auch hinaufgebracht, der Vater spielt Klavier. In der Familie sorgt er für Korrektheit und Pünktlichkeit. Redewendungen sind seine Marotte, gern verlängert er Wörter wie in »Tadellöser und Wolff« (100 u.ö., aus ›tadellos‹ und dem Namen der Zigarrenfirma Loeser und Wolff) oder ›mies‹ zu »Miesnitzdörfer und Jenssen« (50), »Gutmannsdörfer« statt ›gut‹.

Sein Credo heißt: »Arbeiten, arbeiten, arbeiten, arbeiten« (64), aber er geht nicht so streng mit seinen Kindern um wie sein Vater mit ihm (73) und übt eine gewisse Toleranz. Von den Kindern verlangt er beim Essen Schulberichte: »Ansage mir frisch!« Mangel an Disziplin schiebt er gelegentlich auf »das Polnische« in seiner Familie (133). Von Freunden wird er ›Körling‹ genannt. In seiner kleinen Bibliothek steht auch Heinrich Manns »Professor Unrat« (228).

In den großen Ferien 1939 fährt die ganze Familie in den Harz. In der Pension ehemalige Militär-Angehörige, wie er selbst. Er liebt es, Menschen, Gegenstände und Einrichtungen mit seinen Sprüchen zu beurteilen. Alle reisen etwas vorzeitig ab, wegen des schlechten Wetters und des drohenden Kriegs (90). Wieder in Rostock, gibt es Verdunklung und Lebensmittel-Rationierung (92). Der Vater wird vom Wehrkommando zunächst nicht angenommen, weil er Freimaurer war (97), 1941 aber dann doch eingezogen. Er begleitet einen Munitionstransport nach Brüssel und empört sich über die Plünderungen durch deutsche Soldaten (130 f.). Nach den siegreichen Feldzügen erwägt er 1941, doch vielleicht mal ein Führerbild aufzuhängen (132). Am Ende ist seine Frau froh, dass sie es nicht taten (470).

1942 leistet er Dienst in Pommern. Nach dem ersten Bombenangriff auf Rostock flüchtet sich seine Frau mit Walter für kurze Zeit zu ihm nach Gartz, wo er – nun Oberleutnant – Ortskommandant ist; er verteilt Kriegsgefangene auf die Bauernhöfe zum Arbeiten (177). Er genießt es zu kommandieren. Alle Vorkommnisse, auch die Schreckensmeldungen aus Rostock kommentiert er mit seinen eingeschliffenen Redensarten (179 ff.). Dazu gehört auch die Zeile »Wie sie so sanft ruhn, alle die Toten«, die er bei verschiedenen Gelegenheiten zitiert.

Als er einmal überraschend auf Urlaub nach Hause kommt, ist er gereizt und beschimpft alle, doch seine Frau wehrt sich energisch (221 ff.). Er rechtfertigt sich mit schlimmen Erfahrungen beim Kriegsgericht, wo er als Beisitzer Hinrichtungen zustimmen muss (224). Ziemlich ungeniert schimpft er auf das »Nazi-Pack« (230 f.), auf einen Zellenwart und den Gauleiter. Walter fällt auf, dass der Vater klein und dick ist. Seine Frau beneidet ihn um seine Gesundheit (287).

Zur Hochzeit der Tochter Ulla mit dem Dänen Sörensen kommt er und bringt viel Nahrhaftes mit, das inzwischen rar ist (284). Später wird er in ein Partisanengebiet versetzt, nach Baranowice. Seine Frau fährt mit bis Stettin und erzählt dann dem Sohn, er »habe so ernst gekuckt, und sie habe gesagt: ›Warum bist du in all den Jahren so gewesen, so vogelig?‹ Und da habe er nur so ernst gekuckt, der arme Mann. ›Du sosst es sehn, der fällt noch.‹« (335). – Am Ende des Krieges spricht sie über seine Kindheit, seine Mutter sei kalt und herzlos gewesen, habe erklärt, er sei »ein Versehen«, und habe im ersten Krieg seine Sachen verschenkt, weil sie angenommen habe, dass er nicht wiederkommen würde (474).

Im Oktober 1944 kommt er noch einmal auf Urlaub nach Hause, dick, mit rotem Gesicht wegen seiner geschädigten Haut (365 ff.). Er ist bei einem Bautrupp, hat ein schweres Jahr hinter sich. Aber sich nach Hessen versetzen zu lassen, wie ihm angeboten wird, komme nicht in Frage. Das sei zwar sicherer, aber er wolle Hauptmann werden, und was »nütze ihm die ganze Sicherheit, wenn er mit lauter Hessen zusammen wär!« (366) Er genießt alles, was es zuhause noch gibt, und sie erinnern sich an das, was es früher gab (370 ff.). Hitler war 1936 mit Mussolini in Rostock und wurde nicht bejubelt (374). Die Nazis sind für ihn immer »die« (378) – aber ihre anfänglichen Erfolge begrüßte er (374). Mit unguten Gefühlen, kaum mit Sprüchen verbrämt, fährt er wieder ab (380). Er wird dann tatsächlich Ende des Jahres befördert (417). Am 2.1.45 schreibt er noch einmal, dann hört man bis Kriegsende nichts mehr von ihm.