Sarai (Sara, Sahar)

Der »Urmutter« Sara, Abrahams Frau, wird des öfteren gedacht, insbesondere ihrer späten Fruchtbarkeit, die der schon sehr Betagten, der es längst »nicht mehr nach der Weiber Art« ging, »gelächtervollerweise« einen Sohn bescherte, Isaak (IV, 121). Jaakob, der Freund »weitausgreifender Ideenverbindung« (IV, 158 f.), sieht in Rahels später Schwangerschaft eine Wiederkehr dieser Geschichte und nennt Rahel andachtsvoll »mit Urmutters Namen« (IV, 334).

Besonderen Eindruck macht dem Erzähler die Geschichte von der Verleugnung Saras durch Abraham in Ägypten (Genesis 12, 10-20), die sich später in Gerar im Philisterland noch einmal und fast identisch wiederholt hatte (Genesis 20) und dann sogar noch ein drittes Mal, mit Isaak, Rebekka und König Abimelek als Protagonisten, erzählt wird (Genesis 26): Abraham gab seine schöne junge Frau aus Furcht, um ihretwillen erschlagen zu werden, als seine Schwester aus; der Pharao, mutmaßlich Amenemhet, ließ sie in seinen Harem bringen und ihren ›Bruder‹ mit großen Mengen von »Schafen, Rindern, Eseln, Sklaven und Sklavinnen, Eselinnen und Kamelen« entschädigen, wurde aber von Gott »mit Ohnmacht geschlagen«, woraufhin er Abraham, der ihm nun die Wahrheit bekannte, seine Frau ›unversehrt‹ zurückgab und nochmals mit Gütern überhäufte (IV, 123-127). Der Erzähler möchte den Fall lieber für einen »gelungenen Hirtenstreich« halten, nämlich annehmen, dass Abraham von vornherein sicher war, dass Sara kein Übel widerfahren würde, weil »unter diesem Aspekt« sein fragwürdiges Verhalten »erst in das rechte Licht, und zwar ein sehr geistreiches gerückt« werde (IV, 125). Was Sara von alledem hielt, erzählt er nicht. Dass sie sich auf Abrahams Geheiß als seine Schwester ausgab, sei nicht »geradehin« gelogen, da sie eine Schwester Lots gewesen sei (IV, 124).

Saras Verhältnis zu Hagar, der Nebenfrau, war »zänkisch«; schon einmal hatte Hagar mit ihrem Sprössling Ismael vor Saras Eifersucht fliehen müssen, und nach der späten Geburt Isaaks betrieb Sara »alle Tage die Austreibung der Ägypterin und ihrer Frucht«, weil die Erbfolge zwischen Ismael und Isaak ungeklärt war (IV, 193).

Saras Name wird unterschiedlich gedeutet: Joseph nennt die »Urmutter« Sahar, »das ist der Mond« (IV, 103, 116). Eliezer dagegen nennt sie »›Tochter des Entmannten‹ und ›Himmelshöchste‹« und will wissen, dass sie einen Speer getragen habe, was zu ihrem ursprünglichen Namen, Sarai, passe, denn das bedeute ›HeIdin‹. Sie sei »erst von Gott zur Sara, also zur bloßen ›Herrin‹ gedämpft und herabgesetzt worden« (vgl. Genesis 17,15), und das habe damit zu tun, »daß die Sphäre rollte« (IV, 437). Joseph übersetzt den Namen seiner Stammmutter vor Pharao mit »Heldin und Königin« (V, 1477), und auch der sterbende Jaakob spricht von Sara als der »Heldin und Himmelshöchsten« (V, 1778).

Die Apostrophierung Saras als »Tochter des Entmannten« und »Himmelshöchste« dürfte auf Braun (I, 275 f.) zurückgehen, der Abraham als »Kronosform« und entsprechend Sara als Rhea, Tochter des Uranos, deutet, den ihr Bruder und Gatte Kronos entmannt. Braun verweist hier u. a. auf die von den Sabiern in Harran verehrte Göttin Sarah, die auch Semiramis heiße, »wörtlich die ›Himmelshöchste‹«, und schlussfolgert: »Aus ihr, der kriegerischen Göttin, erklärt sich der frühere Name von Abraham's Gemalin: Sarai, ›Heldin‹, ein Name, der durch Jehova, d. h. durch die im Sinn des Monotheismus geschehene Redaktion, in Sara, ›Herrin‹, verändert wird« (Braun I, 276).

Bei Jeremias fand TM Hinweise, die den Namen mit dem Mond in Zusammenhang bringen: Šarratu, die babylonische Namensform von Sarah, sei »Epitheton der Mondgöttin von Harran« und bedeute soviel wie »große Herrin«. Möglich sei auch ein Zusammenhang mit der »großen Göttin (Ištar von Niniveh?)«, die oft »šarrat šamê ›Königin des Himmels‹« genannt werde. Die Namensform »Sarai« betreffend, hält Jeremias es für möglich, dass sie mit dem hebräischen Wort für ›streiten‹ zusammenhängt und vielleicht »die Widerspenstige« bedeutet (Jeremias I, 259).

Die für Abraham so günstige Interpretation der Geschichte von Saras Verleugnung als geistreichen »Hirtenstreichs« scheint ganz aufs Konto des Autors zu gehen. Jeremias etwa, der zu Abrahams Motiven auch Habsucht zählt (I, 310; vgl. auch 312, Anm. 4) und die Geschichte »als wirkliche Begebenheit verstanden weder religiös noch moralisch erfreulich« findet (I, 311), bevorzugt eine »mythologische Erklärungsmethode«, mit deren Hilfe er sie als Abwandlung des Ischtar-Tammuz-Mythos deutet (vgl. I, 312).

Saras Bezeichnung als »Schwester Lots« (IV, 124) stützt sich wohl auf die »Sagen der Juden«, in denen sie an einer Stelle »Tochter Harans« genannt wird (Gorion II, 46).

Letzte Änderung: 28.01.2015  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück