Kniehase, Marie

Ziehtochter der Kniehases. Sie kam 1804, etwa zehnjährig, mit ihrem Vater, einem Schauspieler und fahrenden Künstler, ins Dorf und führte in einem mit Sternen aus Goldpapier besetzten Kleidchen den »Shawltanz« auf, der die Hohen-Vietzer Bauern ganz »benommen« machte (I, 9/87). Ihre Mutter, eine »Tochter aus gutem Hause« (I, 9/88), war früh gestorben, ihr Vater brach nach der Vorstellung in Scharwenkas Krug zusammen und starb innerhalb weniger Tage. Er wurde auf dem Hohen-Vietzer Kirchhof begraben, und Kniehases adoptierten das Kind. Pastor Seidentopf prophezeite, sie werde den Kniehases »Segen bringen, wie die Schwalben am Sims« (I, 9/89). Binnen kurzem war sie der »Liebling des Dorfes«, das »Fremde und Geheimnißvolle«, das sie umgab, regte die Phantasie der Hohen-Vietzer an, ihr Ziehvater nannte sie ein »Feenkind« (I, 10/90). Frau von Vitzewitz ließ sie zusammen mit ihrer Tochter Renate unterrichten, so wurde sie »Spiel- und Schulgenossin Renatens«, und die beiden Mädchen »liebten sich wie Schwestern« (I, 10/93 f.).

Marie hat eine bewegliche Phantasie, alles, wovon sie hört, nimmt sofort »lebendige Gestalt« an (I, 9/83). Von Standesunterschieden weiß sie nichts, sie erscheinen ihr wie »bloße Rollen«, und der Gedanke der »Gleichheit aller irdischen Dinge« lebt »dunkel« in ihr (I, 10/96). Sie liebt alles Schöne, ohne es besitzen zu wollen, ist mutig, aber auch demütig, wie Frau von Vitzewitz bemerkt hatte, vor allem aber ist sie »wahr«, wie der Erzähler, sichtlich bewegt, hinzusetzt: »innerhalb einer Welt des Scheins« sei hier »ein Menschenherz erblüht, über das die Lüge nie Macht gewonnen« habe, noch weniger das »Unlautere«, das sie gar nicht wahrnehme. Ihre Phantasie und Leidenschaft schützten sie: »Weil sie stark fühlte, fühlte sie rein.« (I, 10/97)

Ähnlich äußert sich Othegraven über sie, der sie unerwidert liebt (vgl. I, 16/141) und dessen Antrag sie mit einfachen, klaren Worten ablehnt (vgl. II, 18/332). Ihr Herz gehört Lewin, der seinerseits, wie sie wohl weiß und geduldig hinnimmt, nur Augen für Kathinka von Ladalinski hat, so sehr, dass er selbst die Verse, die er tief beeindruckt auf einer Grabplatte in der Bohlsdorfer Kirche liest und die ganz zu Marie gehören, lange Zeit auf Kathinka bezieht: »Sie schwingt die Siegesfahne / Auf güldnem Himmelsplane / Und kann auf Sternen gehn.« (I, 1/13)

Auch die alte Weissagung, die sich aus den Tagen des alten Matthias von Vitzewitz erhalten hat und vom Ende des Fluchs spricht, den sein Brudermord über das Geschlecht der Vitzewitz gebracht hat, wird schon bald auf Marie bezogen: »Und eine Prinzessin kommt ins Haus, / Da löscht ein Feuer den Blutfleck aus« (I, 2/25). Beim Brand des Saalanbaus »leuchteten ihre großen dunklen Augen selber wie Feuer« (III, 9/130), und am nächsten Morgen zitiert Berndt von Vitzewitz den alten Spruch (III, 9/132).

Als Berndt von dem misslungenen Sturm auf die französischen Regimenter in Frankfurt ohne Lewin zurückkehrt, fällt sie in Ohnmacht (vgl. IV, 20/424). Nach Lewins Befreiung wird »das in Jubel und Tränen ausbrechende Wiedersehen zwischen Lewin und Marie auch zugleich ihr Verlöbnis«, ein Verlöbnis, »wie Menschenaugen kein schöneres gesehen. Denn es war nur gekommen, was kommen sollte; das Natürliche, das von Uranfang an Bestimmte hatte sich vollzogen« (IV, 24/459 f.).

Alles weitere erfährt man am Ende aus Renates Tagebuch: Nach Lewins Rückkehr aus dem Krieg werden beide in der Bohlsdorfer Kirche getraut; Pastor Seidentopfs Hochzeitspredigt dreht sich ganz um den Vers »Und kann auf Sternen gehen« (IV, 28/495 f.). Sie leben zunächst auf Schloss Guse, nach Berndts Tod auf Hohen-Vietz (vgl. IV, 28/497). Bei Pastor Seidentopfs Tod haben sie schon mehr als drei Kinder (vgl. IV, 28/496). Generalmajor von Bamme vererbt Marie sein gesamtes Vermögen (vgl. IV, 28/497).

Marie wird das Privileg zuteil, ästhetische Anschauungen ihres Autors zu formulieren (vgl. I, 15/132 f.).