Chauchat, Clawdia

»Eine Tür war zugefallen« (III, 72) – das ist das erste, was Hans Castorp nach seiner Ankunft auf dem »Berghof« von ihr wahrnimmt. »Es war eine Dame, die da durch den Saal ging, eine Frau, ein junges Mädchen wohl eher, nur mittelgroß, in weißem Sweater und farbigem Rock, mit rötlich-blondem Haar, das sie einfach in Zöpfen um den Kopf gelegt trug.«

»Das ist Madame Chauchat«, erklärt seine Nachbarin, Fräulein Engelhart. »Sie ist so lässig. Eine entzückende Frau.« (III, 118f.). Er beobachtet dann immer wieder ihr Gesicht in seiner vertrauten Bildung, »die ihm zusagte wie nichts in der Welt« (IV, 223) – wie das von Pribislaw Hippe, seinem Mitschüler (III, 140). Madame Chauchat kommt von jenseits des Kaukasus. Settembrini, der Aufklärer, spricht von ihrer »tatarischen Physiognomie« und ihren »Steppenwolfslichtern« (V, 438). Ihr Gang ist ein »liebliches Schleichen« (VI, 526). Er warnt Hans vor dem »Asiatischen«, vor der Zeitvergessenheit (V, 366).

Als Castorp mit Joachim die Ölbilder von Hofrat Behrens ansehen darf, nimmt er sich heraus, Chauchats Porträt abzuhängen und bis zum Ende des Besuchs neben sich zu haben (V, 389 ff.). Immer wieder wird ihre elegante Kleidung mit Kennerschaft und Castorps liebendem Blick beschrieben, vor allem die Ver- oder Enthüllung der Arme.

Beim Fastnachts-Fest stellt Settembrini mit Zitaten die Analogie zur Walpurgisnacht im »Faust« her: »Der Berg ist heute zaubertoll« (V, 492 ff.). Nun endlich spricht Hans Castorp Clawdia an, zu der er noch nie Sie gesagt hat. Sie: warum erst jetzt? Sie reden lange, gesteigert, deutsch und französisch, miteinander. Für sie ist er ein Bourgeois und ein Träumer. Moral sei nicht bei der Tugend, erklärt sie. Sie liebe ihre Freiheit über alles und werde deshalb abreisen, morgen schon. Für ihn ist sie »der Genius des Ortes«, den er in dieser Nacht »erkannt und besessen« hat (VI, 528). Es war der 29. Februar (1908). Er bleibt mit ihrem Röntgenbild, dem »Innenporträt«, zurück – und wartet auf ihre Rückkehr.

Sie kommt tatsächlich zurück, nach fast zwei Jahren, aber in Begleitung des majestätischen Mynheer Peeperkorn. Als sie Hans Castorp nach einiger Zeit anspricht, bleibt er beim Traum-Du (VII, 843). Peeperkorn kommt dazu, und Hans schwätzt dem großen Mann »treuherzig« nach dem Mund (856). Nach einer ausgedehnten Festivität bringen Chauchat und Castorp den Grandiosen zu seinem Zimmer, und er verlangt, dass sie sich auf die Stirn küssen, aber Castorp erklärt, das ginge nicht (867).

In einem vertrauten Flirtgespräch zwischen Clawdia und ihm bekennt sie, nicht sie liebe Peeperkorn, sondern er sie, und sie sei dankbar dafür. Aber er ängstige sie auch, darum möchte sie ein Schutzbündnis mit Castorp für ihn schließen; dies wird mit einem »russischen« Kuss besiegelt (848f.). Ihr Lieblingswort ist »menschlich«, gedehnt gesprochen als »mähnschlich« (meist im Gegensatz zu »vernünftig« oder »klug«, den »deutschen« Tugenden). Als Peeperkorn durch Gift-Selbstmord gestorben ist (im Mai 1910), darf Castorp Clawdia auf die Stirn küssen, bevor sie endgültig abreist.