Vorwort

Die Villa Ludwigshöhe 3, genannt ›Das Ungarische Haus‹ in Schäftlarn ist ein großzügig gebautes Haus von 1911, mit Zwiebeltürmen, im schönen und teuren Umfeld Münchens gelegen. Sie wurde den drei Geschwistern Berg von ihrem Onkel Roberto vererbt (I, 4), unter der Bedingung, dass sie Lebensmüden darin die Selbsttötung erleichtern sollten, sonst ginge ihnen das gesamte sehr große Erbe verloren. Ulrich Berg hat in München in vielen öffentlichen Räumen schwarze Karten verteilt mit dem Text: »Reicht es? Reicht es wirklich? Und nicht mehr weiter? Kein Weg mehr? Aber prüfen Sie sich. Alles in Ruhe. Wenn Sie verstehen, verstehen Sie.« (I, 1) 

Im Haus sammeln sich nun Typen unserer Gegenwart, die dieser Gegenwart überdrüssig sind und sich so schnell wie möglich aus ihr entfernen wollen. Das tun dann allerdings nur drei; die übrigen lernen durch den Umgang miteinander dem Leben wieder etwas abzugewinnen, vielleicht sogar einen Sinn (vgl. Frau Hoffmeister, I, 24). Sie bleiben einfach da. Sie werden weiterleben, im Sommer, im Herbst und darüber hinaus (II, 48, 49). Es scheint, als würden die Geschwister ihr Erbe bekommen (II, 48). Im Winter meldet sich niemand mehr im Vermittlungsbüro (II, 49).

Erzählt wird davon in einem detailgenauen, satirischen Berichtsstil, manieriert in Mono- und Dialogen, um Distanz zu wahren. Gedanken-Monologe in der 3. Person kommen oft vor, man denkt viel nach und teilt sich Einzelnen mit. Die Erzählung springt von Person zu Person, die sich wie in einem Reigen begegnen, auch in wechselnden Paar-Formationen. Manche erscheinen lange nicht wieder. Die Figuren werden außer mit Namen auch mit Etiketten benannt, etwa Die Uhrenverkäuferin, die 73-jährige, der Magere.

Dazwischen gibt es aufmerksame Land- und Ortsbeschreibungen (z.B. II, 28.), in Kapitel 32 auch einen Rückblick auf die Geschichte der Gewalt, ausgehend von Dachau, dann einen langen Blick auf Münchens Gegenwart. Das ist der Hintergrund für das vielfältige Menschenelend, das in der Villa Ludwigshöhe zusammenkommt, sich dort aber zunehmend von sich selbst emanzipiert. Deutsche Gedichte erscheinen mitunter im Text, als Gegengewicht.

Auf den Innenseiten des Buch-Einbandes sind die Lagepläne von Erdgeschoss und Beletage skizziert, mit den Namen von Bewohnern der nummerierten Zimmer.

Der Roman hat 49 Kapitel, die auf zwei Teile, Buch I (Kap. 1-24) und Buch II (Kap. 25-49) verteilt sind. Wegen der abweichenden Seitenzahlen in der Taschenbuch-Ausgabe (dtv) wird hier auf die Kapitelziffern verwiesen, auf die Seitenzahlen der Erstausgabe nur bei Zitaten.

November 2011                  Eva D. Becker