Singer, Mendel
Ehemann Deborahs und Vater von Jonas, Schemarjah, Mirjam und Menuchim. Der jüdische Lehrer aus Zuchnow, einem Dorf in Wolhynien in Südwestrussland, ist die Hauptperson des Romans, dessen Handlung um 1900 einsetzt. Er ist »fromm, gottesfürchtig und gewöhnlich« (S. 3). In seinem Haus, das nur aus einer Küche besteht, gibt er einer kleinen Gruppe 6-jähriger Kinder Bibelunterricht, wofür er ein bescheidenes Gehalt bekommt (3). Sein Leben ist »zuweilen eine Plage«, da er seine drei Kinder und seine zu Beginn des Romans schwangere Frau versorgen muss, doch er vertraut auf Gott: »Sein Gewissen war rein. Seine Seele war keusch« (3). Er belächelt die Hoffnung seiner Frau Deborah, dass der Rabbi Wunder wirken kann, er braucht keine Instanz zwischen sich und Gott. Er versteckt sich auch nicht, wie die meisten anderen Juden im Dorf, als die staatlich angeordnete Pockenimpfung bevorsteht, er »floh vor keiner Strafe Gottes« (6). So nimmt er auch die Epilepsie seines inzwischen geborenen jüngsten Sohnes Menuchim hin und lehnt das Angebot des Doktors Soltysiuk, das Kind in einem Krankenhaus kostenlos zu behandeln, aus religiösen Gründen ab: »Soll er unter russischen Kindern aufwachsen? Kein heiliges Wort hören?« (7). Auch als seinen älteren Söhnen Jonas und Schemarjah die Einberufung zum Militär droht, beunruhigt ihn vor allem die Vorstellung, dass sie dort nicht nach den jüdischen Vorschriften leben können.
Mit der Zeit entfremdet er sich mehr und mehr von seiner Frau Deborah, besonders ihre Kritik an ihm als Lehrer »zernagten seine Gutmütigkeit« (27). Auch seinen ältesten Sohn Jonas, der, anders als sein Bruder Schemarjah, gern zum Militär will, viel trinkt und im Alkoholrausch seinen Vater nicht mehr erkennt, sieht er als einen »Verlorenen« an (32). Als er dann auch noch miterleben muss, dass seine Tochter Mirjam sich mit den Kosaken einlässt, beschließt er die Übersiedelung der Familie nach Amerika, wohin schon sein zweitältester Sohn Schemarjah vor der Einberufung geflohen ist. Dass er den kranken Menuchim, den er am meisten von seinen Kindern liebt, zurücklassen muss, nimmt er schweren Herzens in Kauf: »Ein Unglück schwebt über uns, wenn wir bleiben« (47). Um die nötigen Papiere zu bekommen, muss er persönlich auf das Amt in Dubno, was er lieber seiner Frau überlassen hätte, weil er Angst vor der russischen Obrigkeit hat (50). Als es zu Misshelligkeiten mit dem Schreiber kommt, vertraut er sich blind Kapturak an, der verspricht, alles für ihn zu organisieren.
Trotz seiner Angst vor dem Wasser gelingt die Überfahrt problemlos, doch als sie nach zwei Wochen New York erreichen, bereut er es schon, Menuchim zurückgelassen zu haben: »Bin ich noch Mendel Singer? Wo ist mein Sohn Menuchim? [...] Schon war er einsam, Mendel Singer: Schon war er in Amerika...« (75). Er versteht mit der Zeit ein paar englische Floskeln, hat aber größere Schwierigkeiten als der Rest der Familie, sich in die amerikanische Gesellschaft zu integrieren. Er findet zwar eine neue Ruhe, denn er »hatte in Amerika, wo alles eilte, erst gelernt, langsam zu wandern«, doch gehen ihm der Gedanke an die Heimkehr und der Wunsch, Menuchim wiederzusehen, nicht aus dem Kopf. Die Nachricht, dass Schemarjah, der sich jetzt Sam nennt, viel Geld verdient hat, berührt ihn nicht, doch als er in einem Brief von seinen Söhnen Jonas und Menuchim hört, ist er zum ersten Mal optimistisch: »Das Glück hat angefangen. Ein Glück bringt das andere, gelobt sei Gott« (83). Dennoch lebt er weiterhin in der ständigen Angst, eine Strafe Gottes zu provozieren. Deshalb zieht er auch nicht aus seiner von Wanzen befallenen Wohnung aus: »Er hatte Angst. Er wollte nicht übermütig werden. Jetzt, wo alles gutzugehen begann, durfte man nicht Gottes Zorn hervorrufen« (87).
Als bald darauf der Erste Weltkrieg losbricht, plagen ihn wieder die Sorgen um seine Kinder in Russland, und er bereut es, Schemarjah nicht an seiner freiwilligen Meldung zum amerikanischen Militär gehindert zu haben: »Die Kanonen, dachte er, sind laut, die Flammen sind gewaltig, meine Kinder verbrennen, meine Schuld ist es, meine Schuld!« (89) Bei der Nachricht, dass Schemarjah gefallen ist, bricht Mendels Frau tot zusammen.Wenig später wird Mirjam nach einem psychischen Zusammenbruch in eine Anstalt eingeliefert. Als der Anstaltsarzt ihm rät, auf Gott zu vertrauen, wird er wütend und fragt seine Schwiegertochter ironisch: »Sag, Vega, hast du schon gesehn, daß Gott einem Mendel Singer geholfen hätte?« (100) Sein Glaube, dass Gott ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen werde, ist endgültig erschöpft, und er beschließt, auch noch diese letzte »Beziehung zu kündigen« (101). Er macht ein Feuer in seiner Wohnung und will seine religiösen Utensilien verbrennen, bringt es aber nicht über sich. »Sein Herz war böse auf Gott, aber in seinen Muskeln wohnte noch die Furcht vor Gott.« Als er sich vor seinen Freunden von Gott lossagt, erinnern sie ihn an die Geschichte von Hiob, doch Mendel fühlt sich zu Unrecht gestraft und glaubt nicht an eine positive Wendung wie bei Hiob: »Alle Jahre habe ich Gott geliebt, und er hat mich gehaßt« (105).
Er zieht darauf zu den Skowronneks, hört auf zu beten und bricht absichtlich religiöse Regeln, indem er zum Beispiel »in das italienische Viertel hinüberging, um Schweinefleisch zu essen und Gott zu ärgern« (106). Erst eine Schallplatte mit »Menuchims Lied« weckt in ihm wieder Hoffnung, und als er schon seine Heimreise vorbereitet, um Menuchim zu suchen, erfährt er, dass der Komponist von »Menuchims Lied«, ein gewisser Alexej Kossak, ihn sucht. Während einer Begegnung bei Skowronnek offenbart der berühmte Komponist Mendel, dass er der geheilte Sohn Menuchim ist, und Mendel macht seinen Frieden mit Gott: »Schwere Sünden hab’ ich begangen, der Herr hat die Augen zugedrückt. […] Er ist so groß, daß unsere Schlechtigkeit ganz klein wird« (131).
Das Buch Hiob im Alten Testament erzählt die Geschichte der gleichnamigen Hauptfigur, eines gottesfürchtigen und wohlhabenden Mannes, der nach einer Wette zwischen Gott und dem Satan von diesem auf die Probe gestellt wird. Nach und nach verliert er all seine Besitztümer, seine Familie und schließlich auch seine Gesundheit, aber bleibt nichtsdestotrotz standhaft in seiner Gottesfurcht, wofür er schließlich von Gott mit mehr belohnt wird, als er zu Anfang besessen hatte.