Asnaths Mutter
Josephs Schwiegermutter, die Gemahlin des Potiphera, Sonnenpriesters zu On, würdigt der Erzähler keines Namens, obwohl er ihr bei der Erzählung von Josephs Verheiratung einige Aufmerksamkeit widmet. Das mag damit zu tun haben, dass sein Interesse weniger ihrer Individualität als vielmehr dem Ritual gilt, das den Eltern der »Sonnentochter« obliegt. Sie haben die Verheiratung ihres Kindes nach der Konvention als gewalttätige Beraubung zu beklagen (vgl. 1514 f., 1518), und der Mutter kommt dabei die Rolle der besonders Betroffenen zu. Asnaths Mutter erfüllt diese Rolle offenbar vorbildlich. Schon bei dem eigentlich höchst ehrenvollen und durchaus willkommenen Antrag »war oder stellte [sie] sich völlig verzweifelt und außer sich« (V, 1514). Und bei der Hochzeitsfeier, zu der sie mit ihrem Mann »tief gebeugt von wegen des unfaßlichen Raubes« nach Menfe reist (V, 1521), spielt sie, »ganz in ein dunkel veilchenfarbenes Gewand gehüllt und von tragischer Erscheinung«, die »zürnende und drohende Mutter« (V, 1522 f.) und nimmt an dem »Spiraltanz« teil, bei dem in ebenfalls veilchenfarbene Frauenkleider gehüllte Männer mit furchterregenden Masken drohend die Fäuste schütteln (V, 1523 f.). Die »Trösterin«, eine auf einer trächtigen Sau reitende Alte, sucht die »Gramvolle« mit der Zuflüsterung obszöner Scherze zum Lachen zu bringen, was ihr auch hin und wieder gelingt. »Da nun aber Jammer und Zorn der Mutter größtenteils auf Konvention beruhten und nur dargestellt wurden, so ist anzunehmen, daß auch ihr Kichern nichts als ein Zugeständnis an die Sitte bedeutete, während sie, wenn es nach ihr gegangen wäre, sich von den Heimlichkeiten der ›Trösterin‹ nur angewidert gefühlt hätte.« (V, 1526)
Dass Asnath, die sich sehnlichst eine Tochter wünscht, um in ihr »die Schildjungfrau wiederzugebären, die sie gewesen war«, nur Söhne zur Welt bringt, verstimmt die Mutter nicht weniger als Asnath selbst (V, 1533).
Das Motiv der geraubten Jungfrau ist dem Raub der Persephone aus dem Demeter-Hymnus nachgebildet (vgl. Asnath), Asnaths Mutter spielt also die Rolle der Demeter und die »Trösterin« die Rolle der Baubo, die Demeter nach dem Raub der Tochter mit lasziven Scherzen aufzuheitern sucht. Dass sie auf einer trächtigen Sau reitet, verweist zwar wohl auch auf das Schwein als Opfertier der Demeter, spielt aber vor allem auf die ein »Mutterschwein« reitende Baubo in der Walpurgisnacht aus Faust I an (v. 3962 f.). – Am 27.8.1944 schreibt TM an Jonas Lesser: »Uebrigens sind die Hochzeitszeremonien dreist unaegyptisch und überall hergenommen aus der Welt alter Bräuche. Der Fackeltanz ist Labyrinth-Symbol. Auch die ›Trösterin‹ hat es gegeben, nur daß ich sie mit Baubo durcheinandergebracht habe.« (Selbstkommentare, 274) Die Informationen über vergleichbare ägyptische Bräuche stammen u.a. aus Braun (v.a. Bd. 2, 261). – Weiteres zu den mythologischen Bezügen der Hochzeitszeremonien bei Berger (237-242).